Deutsches Historisches MuseumBoheme & Diktatur
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Schimmelblumen an der Pleiße

Facetten der vielgestaltigen Leipziger Boheme: Klaus Rudolf, Lutz Nietzsche, Hans-Joachim Schulze und Jens-Paul Wollenberg

Die DDR war nicht trist. In meiner Erinnerung war sie bunt und lustig.
Klaus Rudolf
Ich bin wie Chlebnikow oder Hille. Das sind keine Vorbilder, aber leider bin ich so.
Lutz Nitzsche
Die höchste Strafe für einen DDR-Künstler war, daß man tun und lassen konnte, was man wollte.
Hans-Joachim Schulze
Andere gingen in den Westen, ich ging nach Leipzig. Das hatte für mich den gleichen Effekt.
Jens-Paul Wollenberg

Klaus Rudolf ist der dienstälteste Dadaist im deutschen Sprachgebiet. Seine Aktionisten-Praxis, inzwischen zur Ein-Mann-Agentur Antares umgebaut, hat noch immer geöffnet – was allerdings heute kaum einer wissen mag. Schlechte Zeiten für den gelernten Provokateur. Seine Ideen, in hilflose Exposés verpackt, finden im postmodernen Reizüberangebot einfach kein Publikum. Von gutmeinenden Finanziers ganz zu schweigen. In der DDR, die kluge Leute nicht nur aus lauter Jux “DaDaeR” buchstabieren, war das noch anders. Da sorgt der selbsternannte Ober-Dada Klaus Rudolf für Furore im grauen Honecker-Staat. Wovon Schwitters, Arp und Ball nur träumen konnten – das umstrittene Leipziger Multitalent hat es geschafft. Ausgerechnet in der sächsischen Realismus-Feste gelingt ihm die Gründung einer dadaistischen Kunstbewegung. Vor vollem Haus, 70 Jahre nach den simultanen Sinn-Attacken im Züricher Cabaret Voltaire, ruft der späte Dada-Zögling am 15.5.1988 in den Gemäuern des Leipziger Studentenklubs Moritzbastei seine eigene Kunstpartei(1) aus.

Der turbulente Gründungsakt gerät standesgemäß zum Happening, an dem acht ausgewiesene Leipziger Maler, ein Trupp blutjunger Balletteusen und ein gnadenlos strapazierter Korg-Synthesizer beteiligt sind. Einlaß finden die zahlreichen Adepten nur in bemalter Garderobe. Zudem bewaffnet mit einem künstlerisch verzierten Pflasterstein und einer funktionstüchtigen Fahrradklingel. “Die Farbe dieser Partei”, besinnt sich der mittlerweile vereinsamte Chefideologe an das Pathos früher Tage, “waren die Farben jedes Einzelnen. Keine Hierarchie, keine feste Struktur. Dada war eine Form, sich freizuschwimmen.”(2)

In der DDR fühlt sich der Retorten-Dadaist wahrlich wie ein Fisch im Wasser. Seine Aktionen, mit minimalem Kosteneinsatz produziert, erreichen eine maximale Breitenwirkung – von der Biertisch-Propaganda noch ins Sagenhafte potenziert. Zwar gilt der Dada-Jünger für viele als wirr, unbegabt und epigonenhaft. Doch das erhöht eher noch den Reiz seiner schrillen Permanenz. Nach einem abgebrochenen Kunsterzieher-Studium endet auch die Studentenzeit an der Leipziger Kunsthochschule für Klaus Rudolf bereits Jahre vor dem Diplom – mangels Eignung, wie Dozent Wolfgang Peuker meint. Auch der städtische VBK, bei dem sich der 1954 geborene Wahlleipziger dreimal vergeblich bewirbt, schließt sich dem rigorosen Talentverdikt an. “Zu den Zielen und Aufgaben unseres Verbandes gehört die Ausprägung und Förderung der Methode des sozialistischen Realismus”, begründet Günter Richter, Vorsitzender der Gutachterkomission, den Negativbescheid. “Dafür findet sich in ihren Arbeiten kein Ansatz.”(3) Dabei haben Rudolfs Dada-Späße mehr mit der verknöcherten Realismusdoktrin gemein, als den Leipziger Statthaltern lieb sein kann. Sie sind ein naiv-ungebärdiger Protest-Reflex auf die erstarrten Kunstverhältnisse, ungelenke Tanzversuche auf einem erloschenen Vulkan und naive Hybris, autistische Pirouette, überschminkte Leidenspose zugleich.

Nach Rausschmiß und schnöder Ablehnung im Künstlerverband jobbt sich Klaus Rudolf durch das subkulturelle Leben: als Holzfäller, Siebdrucker, Hausmann und Galerieaufsicht im Klub der Intelligenz. Später geht er wegen eines Einbruchdiebstahls in Suhl für einige Zeit in den Knast. Zuvor aber bereichert er “Judy” Lybkes Privatgalerie Eigen+Art mit seinen Performances und verkauft zum Gelderwerb selbstgefertigte Stoff-Frösche auf Trödlermärkten. Eine Zeitlang glaubt Rudolf ernsthaft, er könne seine “Kunstbewegung Eigen+Art” mit der gleichnamigen Galerie fusionieren und fortan in der Leipziger Szene mehr als die Rolle des bizarren Außenseiters spielen. “Unsere Aufgabe heute ist es”, doziert Rudolf in einem durchaus ernsthaft intendierten Programm, “eine Kunstbewegung zu schaffen, die sich auf eine multimediale, dadaistische Weise wirksam werdend, der Aufgabe verpflichtet weiß, im nationalen wie internationalem Maßstab, Bedingungen für eine Lebensform auf dieser Erde – unserem gemeinsamen Haus Erde – heranreifen zu lassen, welche die Entwicklung, Förderung und Kultivierung der Eigen+Art jedes Einzelnen, ins Zentrum allen menschlichen Bemühens rückt.”(4)

Von der existentiellen Scholle ins globale Dorf – das ist selbst dem erklärten Menschenfreund Lybke zuviel. Die Allianz bricht, noch ehe sie richtig beginnen kann. Fortan ist Rudolf wieder auf sich allein gestellt. Seine Spektakel sind eine verschrobene Komposition aus überlieferten Dada-Abenteuern und Partikeln aus dem Beuys-Kosmos. Ein unverstandener Traditionsbezug, der nach der legendären Beuys-Ausstellung in der Ständigen Vertretung 1981(5) durch die gesamte nonkonforme Kunstszene wabert. Doch das stört in der Spät-DaDaeR kaum jemanden. Rudolfs Aktionismus kommt an, solange seine schrille Erscheinung ein konsumierbares Kontrastprogramm zum drögen Alltag bietet. Und das kann Rudolf allemal: Ob er fragile “Briefkunstwerke” verschickt, hinter deren Zellophanfenstern aufgeschlagene Eier schwappen. Ob er mit einer Endlos-Schnur einen kilometerlangen Ariadnefaden duch die Leipziger City spinnt. Ob er rote Nelken an einen Ost-Berliner Grenzsoldaten überreicht – mit der Folge, daß der skurrile Avantgardist verhaftet wird und sich einer psychatrischen Zwangsuntersuchung unterziehen muß. Oder ob er die lahme Eröffnungsfeier der Beuys-Ausstellung in der Leipziger Hochschule im März 1988 zur Bühne seiner verkannten Begabung macht. In die nur für geladene Gäste offene Veranstaltung schmuggelt sich Rudolf im schwarzen Kellner-Look ein. Als ihn sein einstiger Dozent entdeckt, kommt es zu einer wutschnaubenden Rangelei. Die Gläser klirren noch während der Eröffnungsreden auf dem glänzende Parkett. Dies ist treffende Begleitmusik zu einer verlogenen Ehrung. In einem Text ernennt Rudolf seine Vernissagen-Meuterei zur “Kunstform Kellner” – eine klarsichtige Zeitdiagnose, in der mehr als der Abschied von der Bedeutung steckt. “Die zensierende Gabel steckt tief im dissidentischen Gesäß. Die Republik der noch nicht Ausgereisten, nicht Verkauften, rüstet ungewählt zum Jubiläum. Weißwein, Kirschwhisky und Magenbitter, Schmetterlinge eines ungelebten Lebens, das wie ein Videoclip an uns vorbeizieht, fließen in Strömen. Der devote Diener bedient die Strukturen. Eine lange Rechnung will bezahlt sein.”(6)


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