Othon
Scholer
Der versunkene Kontinent oder die
magisch-dämonologischen Vorstellungen
im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts
Als im Jahre 1890 J. G. Frazer The
Golden Bough zuerst veröffentlichte, konnte er den Eindruck
erwecken, ein spätes Inventar der Spuren eines untergegangenen
magischen Kontinents geschrieben zu haben. Ob es sich nun um Wettermachen
handelt oder um Sündenböcke, um die Abwehr des bösen
Blickes, um seltsame europäische Feuerriten, um die Rolle des
Mistelzweiges, oder um Riten des Totenkultes, Frazer hat weltweit
Berichte über diese Relikte gesammelt. Im Rückblick, von
seiner Warte aus, dem Ende des 19. Jahrhunderts, erscheint ihm am
Schluss der Fortgang des menschlichen Denkens wie ein Gewebe, das
aus Fäden von drei Farben gewoben wird, dem schwarzen Faden
der Magie, dem roten Faden der Religion und dem weißen Faden
der Wissenschaft. In der Metapher von dem Webstuhl der Zeit, erscheint
im Rückblick zunächst die schwarze Farbe dominant, allerdings
bereits von einzelnen weißen Fäden durchzogen. Im Mittelteil
stellt er eine dunkle Purpurfarbe fest, die im weiteren Verlauf
immer hellere Nuancen annimmt, je mehr weiße Fäden in
das Gewebe eingewoben werden. Drei Phasen also in der Entwicklung
des menschlichen Denkens: die magische, die religiöse, die
wissenschaftliche. Doch täte man Frazer Unrecht, wenn man dies
mit naivem Fortschrittsoptimismus verwechseln wollte, denn er selbst
stellt die bange Frage: Welche Farbe wird das Tuch haben, "das
die Schicksalsmächte jetzt eben auf dem summenden Webstuhl
der Zeit weben?" Wir können es nicht sagen, so seine Antwort,
die Zukunft liegt in undurchdringlichem Nebel und im Dunkeln.
Auch Sigmund Freud hat in Totem und Tabu drei Phasen
unterschieden, das animistische, das religiöse und das wissenschaftliche
Stadium. Wir wollen diesem Freudschen Werk zwei Definitionen zur
Magie entnehmen; sie stammen aus E. B. Tylor ( 1917), und
aus J. G. Frazer. ( 1941). Tylor: Magie ist die Verwechslung
einer gedanklichen Verbindung mit einer wirklichen. Frazer: Die
Menschen hielten fälschlicherweise die Ordnung ihrer Ideen
für die Ordnung der Natur und stellten sich daher vor, dass
die Kontrolle, die sie über ihre Gedanken hatten oder zu haben
schienen, es ihnen erlaubte, eine entsprechende Kontrolle auch über
die Dinge auszuüben. Diesen Definitionen hat Freud die Dynamik
der Magie hinzugefügt, nämlich die außerordentliche
Kraft der menschlichen Wünsche; seine Ausführungen gipfeln
in dem Begriff von der "Allmacht des Gedankens".
Wie schematisch auch immer diese Vorstellungen heute
erscheinen mögen, wollen wir sie einmal als heuristische Prinzipien
beibehalten. Irgendwann in der Frühzeit muss der Mensch sich
einer Welt gegenüber gesehen haben, von der er sich teils gefördert,
teils angefeindet erlebte; die animistische Deutung, jedes einzelne
Wesen, ob Stein, Pflanze, Tier oder Stern sei wie er selbst mit
einem Denken, Fühlen und Wollen ausgestattet, ließ ihm
die Welt, wie der Renaissanceforscher Eugenio Garin es ausgedrückt
hat, "als ein ganz von Leben durchdrungenes Universum"
erscheinen. Dieses Universum, so Garin, "bestand ganz aus verborgenen
Korrespondenzen, aus versteckten Sympathien, ganz erfüllt von
Geistern, ein Universum, in dem sich endlos Zeichen widerspiegeln
oder brechen, die einen versteckten Sinn enthalten, wo jedes Ding,
jedes Wesen, jede Kraft gleichsam eine Stimme ist, die noch nicht
verstanden worden ist, ein gesprochenes Wort, das in der Luft hängen
bleibt, wo die Sterne uns zuwinken oder sich untereinander Zeichen
geben." Irgendwann muss hier der urzeitliche Schamane aufgetreten
sein, der sich in Trance Zugang zu dem Reich der Toten zu verschaffen
wusste, derjenige, der die Bezüge der beseelten Dinge erfasst
hatte und sie für seine Zwecke einzusetzen wusste. Erstaunlich
wirkt an der magischen Weltauffassung, dass die latenten (verborgenen)
und okkulten (versteckten) Kräfte sich nach einer Gesetzmäßigkeit
verhielten, die schon so etwas wie eine Naturgesetzlichkeit war
(Frazer). Ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Absichten
des Magiers - mochte die gesungene Formel (incantatio) nun auf eine
hilfreiche Handlung oder auf einen Schadenzauber hinauslaufen -
zeigt, dass sie als moralisch indifferente Naturkräfte aufgefasst
wurden.
Dass die Praxis des Zaubernden jeder theoretischen
Überlegung vorausgegangen ist, gilt für alle Epochen.
Längst praktizierten die Leute mit überlieferten Zauberformeln
für alle Erfordernisse des Lebens, bevor auch nur jemand daran
dachte, eine Erklärung für die postulierte Wirkung zu
suchen.
Man hört manchmal heute im Zusammenhang mit der
grassierenden Naturbegeisterung die Ansicht, die heutige Welt sei
ihres Zaubers' beraubt worden, Hatte nicht in einer früheren,
glücklicheren Zeit die Natur im Rauschen des Waldes, im Murmeln
der Quellen und dem ungetrübten Leuchten der Sterne zu dem
Menschen gesprochen?
Wie das in Wirklichkeit ausgesehen hat, kann man an
den historisch bekannten Zeiten der Griechen und Römer ablesen.
Wie hat die noch weithin magisch bestimmte Welt für einen Römer
ausgesehen? Sie war voll von wispernden Stimmen, voll von angsterregenden
Hinweisen, den Omen', die man unbedingt zu beachten hatte,
um den Fußfallen des Lebens zu entgehen. War nicht die Beobachtung
des Vogelfluges oder die Eingeweideschau offizieller Teil des politischen
Lebens? Und wenn man im Vorbeigehen ein zufälliges Wort aus
der Konversation von Passanten aufschnappte, das einen im Prinzip
gar nicht betraf, war es nicht vielleicht doch ein letzter Hinweis
von Mächten auf eine lauernde Gefahr? Der Glaube, dass alle
natürlichen Vorgänge im Universum Zeichen, Hinweis, Warnung
sein könnten, erhielt immer wieder neue Nahrung durch die Sammlung
von Vorzeichen, die man nach tragischen Ereignissen aufstellte.
Und dann waren da die außergewöhnlichen Prodigien wie
Blutregen, Steinhagel, Missgeburten bei Tier und Mensch, Kometen,
die noch lange Zeit Schrecken verbreitet haben.
Dass im alten Griechenland und in Rom Magie gängige
Praxis gewesen ist, lässt sich aus literarischen Werken nachweisen,
wie etwa einer Idylle Theokrits (3. Jh. v. Chr.) Die Zauberinnen,
die einen nächtlichen Liebeszauber beschreibt, oder aus Platons
( 347 v. Chr.) Alterswerk Nomoi (Gesetze), in dem er die Wachsfiguren
erwähnt, die ein Feind vor die Tür oder auf dem Grab der
Eltern des Opfers aufgestellt hat. In der römischen Literatur
finden wir Belege bei Vergil, Horaz, Lukian, Tacitus und im magischen'
Eselsroman des Apuleius. Und dann natürlich gab es den ganzen
Wust der Zauberpapyri, die man in ganzen Papyrusrollen wiedergefunden
hat. Gehörten sie zu der Bibliothek eines berufsmäßigen
Zauberers, dem man die Schriften mit ins Grab gegeben hatte? Hier
hat man zahllose Formeln für Bindungszauber, Liebeszauber und
Schadenzauber gefunden. Ferner haben die Archäologen die bleiernen
Fluchtäfelchen, die tabellae defixionum, ausgegraben, die vor
zweitausend Jahren neiderfüllte Menschen eingegraben oder gar
mit einem Nagel durchbohrt, im Erdreich fixiert' hatten, wenn
möglich in der Nähe eines Grabes, in der Gewissheit, einem
verhassten Feind einen sicheren und qualvollen Tod zu bereiten.
Schon Platon hatte in dem oben erwähnten Text aus den Gesetzen
deutlich gemacht, worauf eine eventuelle Wirkung magischer Praktiken
beruhen konnte: nämlich in der unerschütterlichen Überzeugung
des Opfers, der Angreifer verfüge tatsächlich über
eine todbringende Gewalt. Ja, und dann gibt es da die römische
Gesetzgebung. Schon im alten Zwölftafelgesetz wurde der Versuch,
den reichen Ertrag des nachbarlichen Feldes magisch auf das eigene,
sagen wir mal: herüberzusingen' (excantare) unter Strafe
gestellt. Der Philosoph Seneca ( 65 n. Chr.) hatte in seinen
Naturforschungen darüber gespottet und es als Zeichen einer
alten Zeit gedeutet, die es eben nicht besser gewusst hätte;
Martin Anton Del Rio ( 1608), der größte Experte
in magischen Dingen des 16. und 17. Jahrhunderts, hat es ihm nachsichtig
verziehen, wusste Seneca doch noch nichts von Teufelspakt! Auch
sollte jeder Forscher der Hexenideologie eine genaue Kenntnis der
Artikel des römischen Rechtes haben, in denen vom maleficium,
dem magischen Verbrechen, die Rede geht. Er wird rasch im Codex
Theodosianus, Lib. IX, Titulus 16, "Von den magischen Übeltätern
und den Mathematikern", (lies: den Astrologen!) sowie im Lib.
IX, Titulus 18 des Codex Iustiniani, einem Teil des Corpus Iuris
Civilis Justinians, fündig werden.
Nur sind wir damit noch immer nicht bei dem theoretischen
Teil, dem Versuch einer rationalen Durchdringung der magischen Praxis,
angelangt. Ursache dafür ist, dass die Theoretisierung des
Stoffes erst sehr spät erfolgt, und zwar am Ende der hellenistischen
Epoche, in den Jahrhunderten um Christi Geburt, als der Elan der
rationalen hellenistischen Wissenschaft sich erschöpft. Erst
jetzt kommen Magie, Astrologie, Alchimie, Dämonologie rasch
zum Zuge, und dem Verstummen der rationalen Wissenschaften entspricht
eine Hinwendung der besten Geister zu Spekulationen über die
abgestuften Wesenheiten, die den Kosmos zwischen Gott und dem der
stofflichen Welt verbundenen Menschen auffüllen sollen. In
dieser Hierarchie, in dieser Großen Kette des Seins (The Great
Chain of Being) haben natürlich auch die daimones den ihnen
zugewiesenen Ort. Und zwar soll das der Luft-Raum zwischen der Mondsphäre
und der Erde sein. Nun tritt auf hellenistisch-ägyptischem
Boden neben die magische Praxis, die es schon immer gegeben hat,
das gewaltige theoretische Gebäude der Theurgie, und mit ihr
gleiten auch mit großer Selbstverständlichkeit die daimones
(der griechische Begriff ist nicht gleichzusetzen mit unserm Wort
Dämonen, sondern bezeichnet ein Zwischenwesen, das als Bote
zwischen Gott und Mensch hin und her eilt) in die Betrachtungen
zur Magie ein. Die philosophische Schule, auf deren Boden dieser
Vorgang stattfindet, ist die neu-platonische, ihr Begründer
Plotin ( 270 n. Chr.), der allerdings jeden Versuch, auf die
Gottheit einzuwirken oder sich ihrer zu bedienen, als Frevel empfand.
Liest man hingegen im Buch Die Mysterien der Ägypter des Iamblichus
( 325 n. Chr.), eines neu-platonischen Schulvorstehers, ist
man überrascht, in heidnischem Kontext manches zu den Kontakten
Mensch-Dämon zu finden, wie sie im Zeitalter der Hexenverfolgung,
dem 16. und 17. Jahrhundert, gang und gäbe waren.
Bei Iamblichus schwirren die im Luftraum hausenden
daimones nur so um uns herum; aber nur die Kenner der Materie, die
Theurgen, sollten sich an Beschwörungen heranwagen, die nicht
ohne Gefahr sind. Die daimones sind schwer zu steuern, längst
sind sie auch nicht mehr alle wohlgesinnt, was ja dann auch im 16.
Jahrhundert, wie es heißt, manch unerfahrene Magier mit dem
Leben bezahlt haben. Es gibt bei Iamblichus bereits einen großen
Anführer der Dämonen; die Erscheinungen, die der Theurg
hervorruft, zeigen sich in unruhig flackerndem Lichte, auch Rachedämonen
können auftauchen zusammen mit gefährlich reißenden
Tieren, böse daimones genießen es geradezu, den Theurgen
durch üble Scherze zu foppen.
Fragt man die Magier, wozu sie das Ganze eigentlich
tun, so bekommt man als Antwort, dass es ihnen, als wissenschaftlichen
Theologen', nur darum gehen kann, die theurgische Vereinigung mit
der Gottheit herbeizuführen; das Ganze dient also nur der Erkenntnis.
Unsagbare heilige Handlungen verbunden mit der Macht der stummen
Symbole, der Synthêmata, führen zu der erwünschten
mystischen Vereinigung. Vor allem aber ist es der griechische Begriff
synthêmata, der mich in diesem Kontext hat stutzen lassen:
Das Wort heißt Losung, verabredetes Zeichen, aber auch Vertrag
und Pakt. Muss hier wirklich an die fatale Rolle erinnert werden,
welche die Vorstellung von dem Teufelspakt in der Hexenverfolgung
gespielt hat?
Iamblichus preist zum Schluss auch den erfahrenen
Theurgen, den wissenschaftlichen Theologen', den wahrhaft
Eingeweihten, der sich nicht durch einen herumstreichenden Vagabundendaimon
täuschen lässt. Er wird herrschen über jede täuschende
und dämonische Natur, um sich im Triumph zu dem Göttlichen
zu erheben. Genau so wird auch Jahrhunderte später eine erschauernde
Umwelt den über alle Dämonen triumphierenden Archimagus
Agrippa von Nettesheim ( 1535) oder Faust, den Herrscher über
die Elementargeister, mit einem Gemisch aus Neid und Grauen sehen.
Wozu dieser lange und oft steinige Umweg? Die Renaissance
hat nicht nur zu einem neuen Blick auf die Schönheit antiker
Texte geführt, sie hat nicht nur zur Erneuerung der wissenschaftlichen
Forschung ermuntert, in der Renaissance sind auch die Texte der
neu-platonischen Schule mit ihrer magischen Ausrichtung wieder aufgetaucht.
Marsilio Ficino ( 1499) machte auch den des Griechischen nicht
Kundigen durch seine Übersetzungen mit den geheimnisvollen
Schriften des Hermes Trismegistos bekannt. Hier war man, so glaubten
die Renaissancegelehrten, auf eine uralte Wissens- und Weisheitsquelle
gestoßen, die neue Wege zur Welterkenntnis öffnen könnte.
Somit sahen sich die dämonologischen Autoren
des 16. und 17. Jahrhunderts, die zum Kampf gegen die Satansbrut
der Hexen und Hexer antraten, gleich zwei Strömungen gegenüber,
die es auch schon in der Antike gegeben hatte: einerseits der populären
Zauberpraxis, die ohne sich besonders Gedanken zu machen, Heilungs-,
Liebes- und Schadenzauber nach ererbtem Modell praktizierte, sich
auf den Dorfschamanen verließ, der ausmachte, wer an einer
angehexten Krankheit, an dem Viehsterben, an plötzlichem Wetterwechsel
und der Zerstörung der Getreide- oder Weinernte schuld sei.
Anderseits gab es unter den gehobenen Ständen eine starke Neigung
sich der Astrologie, der Alchemie, der Magie hinzugeben. Und dann
waren ja auch in der Renaissance Philosophen aufgetreten, die in
reinster Absicht sich eine neue Welterkenntnis aus den Texten des
Hermes Trismegistos oder des Iamblichus und seiner vorsichtig gesteuerten
Anrufung dämonischer Zwischenwesen erhofften. Musste man nicht,
wenn man den Kosmos neu verstehen oder gar verändern wollte,
zunächst einmal das verschüttete Geheimwissen der Alten
wieder aufdecken? Schlummerte nicht in den alten Mythen der Griechen,
in bewusst verhüllender Einkleidung, uralte Naturerkenntnis?
Dies kann man etwa bei Giovanni Pico della Mirandola nachlesen (
1494). Für ihn ist auch die Magie die Summe aller natürlichen
Weisheit, "Sie erforscht den Zusammenhang des Universums, den
die Griechen Sympathie nennen; sie bohrt sich hinein in das Verständnis
des Wesens aller Dinge, sie zieht aus dem Schoß der Erde und
aus deren geheimnisvollen Vorratskammern die verborgenen Wunder
hervor und bringt sie, als hätte sie sie selber geschaffen,
an das Licht." (Aus der Apologia)
Tatsächlich haben die dämonologischen Autoren
des 16. und 17. Jahrhunderts sich immer wieder auf die von mir erwähnten
Autoren der griechisch-römischen Antike und auf die an Magie
interessierten Renaissancephilosophen berufen.
Was wurde also in der Zeit der Hexenverfolgung, die
uns hier bewegt, von Magie und Dämonologie gehalten? Die Frage
ist nie mehr in so erschöpfender und systematischer Weise aufgearbeitet
worden als in dem heute vergessenen Werk des hexengläubigen
Dämonologen Martin Anton Del Rio, den Sechs Büchern Untersuchungen
zur Magie (zuerst Louvain/Löwen 1599/1600), die dem Autor den
Namen eines einmaligen Experten eingebracht haben.
"Magie ist die Kunst oder die Fähigkeit,
durch eine kreatürliche (und nicht übernatürliche)
Kraft, wunderbare und ungewohnte Dinge hervorzubringen, deren Erklärung
oder Begründung das Auffassungsvermögen und den gesunden
Menschenverstand übertreffen." So definiert Del Rio ganz
allgemein das magische Phänomen. Mit scholastischer Präzision
wird weiter unterteilt, doch sollten wir uns sofort der "natürlichen
oder physikalischen Magie" zuwenden, denn hier kommen wir ganz
nahe an das heran, wovon die Magier' der Renaissance geträumt
haben.
"Die natürliche oder physikalische Magie,
ist nichts anderes als eine genauere Kenntnis der tief verborgenen
Geheimnisse, der Arcana, der Natur; durch welche - nach genauer
Beobachtung der Bewegungen und des Einflusses der Himmel und der
Sterne, nach genauer Beobachtung der Sympathie und der Antipathie
der einzelnen Dinge untereinander - zu der richtigen Zeit, am richtigen
Orte und in der richtigen Art und Weise Dinge auf Dinge angewendet
werden und gewisse erstaunliche Wirkungen solcherart erzielt werden.
Leute aber, welche die Ursachen nicht kennen, halten diese Dinge
für Zauberei oder für Wunder." (Del Rio)
Zwei Einzelheiten der Definition verdienen, dass wir
uns näher damit auseinander setzen:
1. Eindeutig wird auf die Wichtigkeit der Sympathie
und der Antipathie, eigentlich des Mit-Leidens, des Mit-Schwingens
unter bestimmten Dingen des Universums und auch des Menschen und
des Universums hingewiesen. Hierher gehört die Diskussion über
die verborgenen Kräfte der Steine, vor allem der edlen und
seltenen Sorten. Dabei geht man von realen Beobachtungen aus, etwa
der Kräfte des Magnetsteines oder des Bernsteins; sehr rasch
werden diese Beobachtungen ungebührlich durch die bewiesenen'
Eigenschaften der Edelsteine aus spätgriechischen und mittelalterlichen
Lapidarien erweitert. War in den magisch' leuchtenden kostbaren
Steinen ein Widerschein des kosmischen Sternenlichtes?
2. Und damit sind wir beim zweiten Aspekt:
Die Kraftströme, die von der Sternenwelt ausgingen, vermochten
in unserer niederen Welt Veränderungen zu bewirken, die dem
Nichtwissenden als Wunder erscheinen konnten. Ausgehend von dieser
Behauptung war der Humanist Pietro Pomponazzi ( 1525) zu einem
sehr frühen Zeitpunkt zu einer vernichtenden Kritik des Hexenglaubens
gekommen, die in der hübschen Formel gipfelte, man brauche
gar keine Dämonen, um Zaubereien zu erklären; es sei doch
absurd, auf Dämonen zurückzugreifen, wenn rationale Erklärungen
zur Hand seien. Dass in diesem Zusammenhang die Rede auch auf die
Amulette mit ihren Planeten- oder Sternenzeichen kommen musste oder
auf die Bedeutsamkeit der Astrologie für medizinische Behandlung
hingewiesen wurde, versteht sich von selbst. Del Rio war (mit der
Ausnahme der Hexenideologie) ein resolut skeptischer Geist, der
für die astrologischen Träumereien nur Verachtung übrig
hatte.
Die Magia artificialis, die künstliche oder besser
die kunstreiche Magie, bewirkt ihre erstaunlichen Effekte durch
menschliche Geschicklichkeit, und hier dürften wir dem am nächsten
sein, was später Naturwissenschaft und Technik heißen
wird, und es ist kein Wunder, dass in der Zeit, da die moderne Naturwissenschaft
entsteht, bei manchen Dämonologen ein regelrechter Hymnus auf
diese legitime Form der Magie zu finden ist. Eine erste Unterart
dieser kunstreichen Magie ist die Magia mathematica, die sich "auf
die Prinzipien der Geometrie, der Arithmetik oder der Astronomie
stützt." Del Rio zitiert als Beispiele die Sphäre
des Archimedes, ein gläsernes Planetarium, die Spiegel, mit
denen Archimedes bei der Belagerung von Syrakus die römischen
Schiffe verbrannt haben soll, die hölzerne Taube des Archytas,
welche durch die Lüfte flog, die ehernen Vögel des Boethius,
die zwitschernd herumgeflogen sein sollen, oder die ehernen Schlangen,
die sich aufrichteten und zischelten. Dann wird diese Form der Magie
rigoros eingegrenzt, denn Del Rio wittert, sobald an irgendeiner
Stelle das dem menschlichen Verstand Zumutbare überschritten
wird, sofort einen geheimen Pakt mit dem Bösen, der das Täuschen
nun einmal liebt. "Es ist vorauszusetzen, dass diese Magie
nichts bewirken kann, das der Natur der Dinge widersprechen könnte;
vielmehr bedarf sie dringend der Hilfe natürlicher Ursachen,
die in einer bestimmten Bewegung und in bestimmter Maßgabe
eingesetzt werden, wie es ja bei unsern Wasserspielen und Automaten
offensichtlich ist." Deutlicher könnte nicht auf die Brunnen
und die Grottenautomaten der manieristischen Gärten, wie Montaigne
sie in Italien erlebt hat, angespielt sein.
Die zweite Art der kunstreichen Magie aus Menschenhand
ist ihm deutlich weniger sympathisch, es ist dies die täuschende
Magie der Jahrmarktgaukler, die Magia praestigiatrix. Magische Formeln
sollen nach den fahrenden Leuten und den Seiltänzern wundersame
Wirkungen hervorbringen, in Wirklichkeit geschieht alles durch Schnelligkeit
der Füße und der Hände. Fast könnten hier die
Jahrmarktleute aufatmen, doch Del Rio kommt zu einer überraschenden
Schlussfolgerung: Unter dem Schleier der Gaukelkunst verbirgt sich
oft die teuflische Magie. Dazu beruft er sich gar auf Jean Bodin
( 1596), den Autor der Démonomanie des sorciers (1580),
der die magischen Schaustückchen der Gaukler bei Hofe als teuflische
Magie entlarvt. Allerdings mengen die Gaukler von Zeit zu Zeit ein
nur auf Fingerfertigkeit beruhendes Kunststück darunter, um
die Überzeugung zu verbreiten, alle ihre Darbietungen seien
natürlich' erklärbar.
Wer nun Del Rio weiter folgt, wird noch manches über
Vorstellungen und Praktiken erfahren, die allgemein zu einer natürlichen,
schuldfreien Magie gerechnet wurden. Manche schreiben den in Siegelringen
eingeschnittenen Bildern oder Symbolen eine Wirkung zu, andere setzen
ihr Vertrauen in Zahlen, wiederum andere schwören wie Orpheus
auf die magische Allmacht der Musik. Bestimmte Worte haben die Macht
zu heilen, glauben einige. Amulette mit abstrusen Symbolen sollen
gegen magische Gefährdung von Gesundheit und Leben schützen.
Gewiss lehnt Del Rio das Vertrauen auf den Amulettschutz als abergläubisch
ab, doch macht er hier eine Ausnahme für kirchlich erlaubte
und empfohlene Umhängsel wie zum Beispiel das wächserne
Agnus Dei, das oft in den Berichten zu den Trierer Verfolgungen
auftaucht. Wäre doch der Erzbischof von Trier Johannes von
Schönenberg - fast! - einem nächtlichen Giftanschlag der
Hexengilde erlegen, weil er einmal vergessen hatte, das wächserne
Agnus Dei umzuhängen.
Wie schon seit Menschengedenken gab es in der Zeit,
die uns beschäftigt, eine Form der Magie, die Del Rio so in
Harnisch bringt, dass er ihr das ganze vierte Buch der Magischen
Untersuchungen gewidmet hat: Die Magia divinatoria, die divinatio,
die Wahrsagung. Im Jahr 44 v. Chr. hatte der Römer M. T. Cicero
dem Problem ein Werk gewidmet, das den harmlosen Titel Über
die Wahrsagung trägt. Hier prüft Cicero die ganze Wahrsagungslehre
vom Standpunkt der skeptischen Akademie aus und verweist sie in
das Reich der Fabel. Cicero beginnt mit: Seit jeher gebe es unter
allen Menschen aller Länder die Überzeugung, die Zukunft
könne vorausgeahnt oder vorausgewusst werden. Da ist Del Rio
nun bedeutend rabiater; als gebildeter Humanist verweist er zwar
kurz auf Cicero, dann aber heißt es: "Die Wahrsagung
scheint nichts anderes zu sein als die bezeichnende Kundgebung (significatio)
verborgener Dinge (occultorum) dank einem Pakt, der mit dem Dämon
geschlossen worden ist." Del Rio bringt also den Dämonenpakt
sofort in seine erste Definition ein. Hier wird absolut klar: Was
die Wahrsagung auch immer sein mag, sie hängt von der Hilfe
des Dämons ab. Es folgt ferner, dass die Divination weder durch
Kunst noch durch Natur zustande kommen kann. Sie ist zwar Magia
artificialis, insofern der Wahrsager sich verschiedener Instrumente
bedient (zum Beispiel eines Siebes, einer Kristallkugel, einer Alraunewurzel)
und das Ganze mit einer Parodie hohepriesterlichen Tuns verbindet:
ein Altar wird aufgestellt, Gebete werden gesprochen, Weihrauch
wallt empor, der Magus trägt priesterliche Kleidung, aber gerade
diese Parodie zeigt ja, dass hier dem Dämon ein Kult angeboten
wird, wie er nur Gott zusteht.
Das Fundament einer jeden Wahrsagung ist der explizite
oder der implizite Pakt mit dem Dämon. So haben es Augustinus
( 430) und Thomas von Aquin ( 1274) gesehen. Nach dieser
peremptorischen Einleitung legt Del Rio los: da gibt es keine noch
so abstruse Methode der Antike und des Mittelalters und der Neuzeit,
der Dorfleute genau so wie der Gelehrten, die nicht sein Interesse
weckt. Die meisten dieser Praktiken tragen schöne griechische
Namen; die Dämonologen haben darin gewetteifert, möglichst
vollständige und schwierige Listen aufzustellen; ich muss mich
mit einigen Kuriosa begnügen.
So soll es im Elsass alte Weiber gegeben haben, die
wenn jemand krank wurde, eine bestimmte Anzahl von Kerzen gleichen
Gewichtes anzündeten. Sie erklärten, jede Kerze stelle
einen der Heiligen dar, die sie als mögliche Urheber (als Sender')
der Krankheit bezeichneten. Derjenige Heilige, dessen Kerze als
erste abgebrannt war, wurde als der Schuldige' ausgemacht.
Und dann ist da noch die Alektryomantie; man teile
eine Fläche in Sektoren ein, von denen ein jeder einen Buchstaben
des Alphabetes bezeichnet, man lege in jeden Sektor ein Weizenkorn;
hierauf wird feierlich der Wahrsagevogel, ein Hahn, hereingebracht
und aufgefordert, die Arbeit zu verrichten, für die man ihn
aufgezogen hat. Der oscen gallinaceus macht sich ans Werk und frisst
einige Körner; man achte sorgfältig auf die Reihenfolge,
welche Buchstaben hat er zuerst aufgepickt? Wer daran glaubt, darf
sich in der Gesellschaft des römischen Kaisers Valens wohl
fühlen und
genau so hereinfallen wie Valens Imperator
auch! Die Divinatio, sie ist immer eine schwere Sünde, weil
sie automatisch den Pakt mit dem Teufel voraussetzt!
Wenn wir einen Augenblick lang die reichhaltigen theoretischen
Erörterungen Del Rios verlassen, um uns den alltäglichen
magischen Praktiken zuzuwenden, wie sie sich in den Verordnungen
der Staatsmacht oder in den Visitationsberichten widerspiegeln,
so stellen wir fest, dass die Wahrsagerei das eigentliche magische
Problem ist. In dem Rundschreiben Philipps II. an die Provinzialräte
und die Bischöfe vom 22. Juli 1592 wird man umsonst nach dem
Verbot der Besenfahrt zum Hexentanz fahnden. Wohl aber geht die
Rede ständig von abergläubischen Praktiken der Mathematik
(Astrologie), der Beobachtung der Linien in der Handfläche,
der Vorhersage von Glück und Unglück; diese Leute, so
heißt es, bemühen sich, das Wetter zu verändern,
Liebeszauber auszuüben, Menschen und Tier durch Zauberformeln
zu heilen, sie versprechen, verlorene Dinge aufzuspüren oder
in einem Spiegel Abwesende erscheinen zu lassen; das alles natürlich
dadurch, dass sie sich dem Teufel geweiht haben.
In einem Visitationsbericht von 1628-1629 erlebt man
hautnah die Einstellung der Bevölkerung zur Magie und die Praktiken
der dörflichen Seher und Magier, deren Einfluss auf die Hexenverfolgungen
sehr oft übersehen wird. Ob es nun darum geht, dass der Experte
Joannes Falck von Mamer einem gewissen Dominik aus Angelsberg erklärt,
warum seine Kinder entstellt sind - er weist auf benachbarte Hexen
hin! - oder ob derselbe Falck verspricht, die Pferde, die auf magische
Weise vergiftet' worden sind, zu heilen, immer wieder ist
die divinatio im Spiel. Da hat jemand wegen einer verlorenen Geldsumme
sich der Magie ergeben, ein verlassenes Mädchen hat dem ungetreuen
Liebhaber einen Liebeskuchen verpasst und Ähnliches mehr.
Bei seinen Ausführungen zu den verschiedenen
Formen der Magie hatte Del Rio hinter jeder etwas ungewöhnlichen
Leistung irgendeiner magischen Unterart sofort die Präsenz
des Bösen in Person gewittert. Das geht so weit, dass er Kartentricks
oder andere Taschenspielerstückchen, die uns auch heute noch
viel Spaß bereiten, nur durch einen geheimen oder offenen
Pakt mit dem Dämon für möglich hält.
Dass Del Rio in der Beschreibung der Magia daemoniaca,
lies, der Zauberei mit Hilfe des Dämons, dem man sich in einem
stillschweigenden oder gar in einem feierlich abgeschlossenen Pakt
beim Hexenkonvent verpflichtet hat, seine Sternstunde erlebt, braucht
nicht weiter erörtert zu werden. Del Rio war, wie Jean Bodin
auch, in einer Phase seines Lebens Richter gewesen. Es durfte einfach
nicht sein, dass die Menschen, die europaweit unter der Folter eine
Unzahl schlimmster Verbrechen gestanden und Falsches ausgesagt hatten.
Daher musste der ganze Komplex des Sammelbegriffs des Hexenwesens'
aufgearbeitet und in allen seinen Einzelheiten bewiesen' werden.
Wer eine knappe Definition der dämonischen Magie
sucht, wird sie am besten bei Christian Thomasius ( 1728),
dem großen Gegner des Hexenglaubens, finden (Vom Laster der
Zauberey/De Crimine Magiae): "Ein Verbrechen, bei dem jemand
mit dem Teufel, der oft in der körperlichen Gestalt eines Tieres,
eines Menschen oder eines Ungeheuers auftritt, einen Pakt schließt.
Wenn der Teufel bereit ist, der Wollust, der Habsucht und dem Ehrgeiz
des Menschen Genüge zu leisten, so ist dieser seinerseits bereit,
mit dem Teufel zu buhlen, an einem bestimmten Orte mit Hilfe des
Teufels, der die Zauberer durch die Lüfte trägt, zu erscheinen,
dort mit andern ihm ähnlichen Leuten den Teufel anzubeten,
zu tanzen und sich Ausschweifungen hinzugeben, dann mit Hilfe des
Teufels den Menschen, Tieren und Feldfrüchten zu schaden, indem
er Stürme erzeugt oder ihnen auf irgendeine andere unnatürliche
Art und Weise Schaden zufügt." Nun sind diese Vorstellungen,
die das Wesen der dämonischen Magie ausmachen, nicht etwa Erfindungen
der Dämonologen des 16. und 17. Jahrhunderts. Längst schon
ist die Vorstellungswelt der dämonischen Magie Allgemeingut
geworden, und die Frage, ob denn die Dämonologen aus dem Fundus
des Volksaberglaubens geschöpft haben oder sie selbst einem
widerstrebenden einfachen Volk ihre eigenen deliramenta aufgezwungen
haben, ist nicht endgültig zu beantworten. Wir sollten uns
immer wieder daran erinnern, dass in der Karolingerzeit der gelehrte
Bischof Agobardus in seiner Diözese auf den im Volk und bei
den Vornehmen verbreiteten Aberglauben der magischen Luftschiffe
trifft, die aus Magonien heranfahren, um die durch Stürme zerstörte
Ernte abzutransportieren, dass zu derselben Zeit der Canon Episcopi
seinen Eingang ins Kirchenrecht gefunden hat; ein Canon, der den
Glauben an nächtliche Flüge der Frauen im Verbund mit
Diana als Sünde bezeichnet und unter Kirchenstrafe stellte.
Jedenfalls finden die Dämonologen unseres Zeitabschnittes die
zusammenhängende Vorstellung des Hexenwesens voll ausgestaltet
vor. Für sie ging es darum, die Einzelheiten zu prüfen
und das Unbeweisbare doch zu beweisen durch begründende Überlegungen,
durch Zeugnisse aus der Schrift und aus den Kirchenvätern (Augustinus
vor allem) durch Widerlegung der Einwände, die von Anfang an
gegen die deliramenta vorgebracht wurden und durch eine Unzahl von
Geständnissen und von Geschichten, durch glaubwürdigste
Zeugen bestätigt.
Jetzt häuften sich für Del Rio die Fragen:
Konnte Gott dem Dämon die Erlaubnis geben, Menschen in dieser
Weise zu versuchen und ihnen zu schaden? War eine Begegnung Dämon/Mensch
oder gar ein mit Blut unterzeichneter Pakt überhaupt denkbar?
Wie konnte der Dämon, der ja als gefallener Engel ein Geisteswesen
war, dem Menschen in körperlicher Gestalt erscheinen, mit ihm
sprechen, ihn im Nu durch die Lüfte tragen oder gar als Incubus
oder Succubus geschlechtlichen Verkehr mit ihm haben? Und was sollte
dieser nächtliche Luftflug über endlos weite Strecken
hinweg? Auf einem Besen zum Schornstein hinaus und dann zum Tanzplatz
nackt auf einem stinkenden Ziegenbock, von dem man bei unvorsichtigem
Verhalten abgeworfen werden konnte!? Und welches Vergnügen
konnte man einem nächtlichen Bankett unter dem Vorsitz des
Großen Ziegenbockes abgewinnen, wo den Speisen das Salz fehlte,
wo zur Musik der Spielleute, die in den Bäumen saßen,
der ganze Konvent sich in seltsam verkehrten Tänzen drehte?
Von Anfang an hat es genug Stimmen gegeben, die das Ganze als deliramenta
eines kranken Hirnes bezeichneten.
Gewiss, das alles mochte skurril, ja undenkbar erscheinen,
wie die Fieberträume eines Kranken, aber die Dämonologen
und allen voran die großen international anerkannten Experten,
Martin Del Rio, Peter Binsfeld oder Jean Bodin, konnten angesichts
der erdrückenden Fülle von Geständnissen, auch außerhalb
jeder Folter und angesichts der fürchterlichen Verbrechen,
der Naturkatastrophen, der körperlichen und seelischen Qualen
der Opfer immer nur wiederholen: Es ist so!
Möglich war das Ganze nur vor dem Hintergrund
einer extremen, angsterfüllten Magiegläubigkeit. Für
die Menschen dieser Zeit, ob gebildet oder ungebildet, war die Welt
im wahrsten Sinne voller Teufel. Hatten Renaissancephilosophen wie
Giovanni Pico della Mirandola, Agrippa von Nettesheim, Giovanni
Battista della Porta noch an eine natürliche Magie gedacht,
dank der sie erkennen wollten, "was die Welt im Innersten zusammenhält",
so hatte Del Rio hier rasch reinen Tisch gemacht. Die Mächte,
die guten daimones der Antike, in christlicher Auffassung die guten
Engel, welche einige der Renaissancemagier zum Besten der Menschheit
in ihren Dienst stellen wollten, sie alle wurden zu täuschenden
Dämonen umfunktioniert. Bereits in einem frühen Werk hatte
Del Rio die Existenz einer weißen Magie' bestritten.
Nur gottlose Menschen konnten von einer Theurgie faseln, die es
möglich mache, auch gute Engel in den Dienst zu nehmen. Alles
verbrecherische schwarze Magie, alles schwerwiegende Beleidigung
Gottes!
Wie der byzantinische Polyhistor Michael Psellos (11.
Jh. n. Chr.) in seinem De operatione daemonum sind auch die Dämonologen
des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts davon überzeugt,
dass alles von Dämonen nur so überquillt. Psellos war
allen Gebildeten der damaligen Zeit ein Begriff, Anhänger und
Gegner der Hexenideologie hatten ihn gelesen und seine Auffassungen
populär gemacht. "Die ganze Luft über uns und um
uns ist voll von ihnen, voll die Erde und voll das Meer und voll
von ihnen sind auch die tiefen Höhlen und Abgründe."
Aus Psellos stammt auch die ganze Diskussion über die Körper
der Dämonen, die als Geister ja unsichtbar waren und keine
Körper hatten. Die Dämonologen haben diese Schwierigkeit
umgangen, indem sie annahmen, die bösen Geister formten sich
Körper aus dem Element der Luft oder bedienten sich, o unsägliches
Grauen, der Kadaver. Prompt tauchen auch in den volkstümlichen
Erzählungen gesteuerte Kadaver auf, die den Eindruck des Lebens
erwecken, bis der Lotse von Bord geht. Am abendlichen Herdfeuer,
in der Uucht wurden durchaus solche Geschichten verbreitet, wie
manche Erzählungen aus dem Luxemburger Sagenschatz berichten.
Gleiches gilt auch für die bildhafte Darstellung des Hexentanzes
oder des magischen Luftfluges.
Del Rios Ausführungen zu den verschiedenen Formen,
in denen der Dämon mitsamt seinem Hofstaat auftritt, sind eine
Fundgrube für den Folkloreforscher; alles, was man sich so
vorstellen mag an Gnomen, Zwergen, Heinzelmännchen (Wiichtelcher),
Bergwerkgeistern, oder auch Waldkobolden, die den einsamen Wanderer
in die Irre führen, um dann kichernd zu entweichen (Rubezalius),
alles das wird man mit Staunen und Profit bei Del Rio und anderen
nachlesen können. In zahllosen Geschichten, in ernst zu nehmenden
Zeugnissen, treten die Dämonen als sichtbar handelnde Personen
auf, es hat offenbar unter ihnen eine regelrechte Hierarchie bestanden,
welche aus ihrer Stellung in den Chören der Engel vor dem Fall
resultierte. Einige waren unteren Diensten zugeteilt, wie etwa dem
Hexentransport durch die Lüfte, als dämonische Ziegenböcke
wurden sie als baiuli (Lastträger) bezeichnet, andere wiederum
durften als schöne junge Leute auf Brautschau gehen, oder sich
als Tröster verlassener melancholischer Menschenkinder anbiedern,
wieder andere als Inkuben und Sukkuben Geschlechtsverkehr mit Menschen
ausüben. Die Geschichten sind literarisch geschickt ausgebaut
und wären in lustiger Weise unterhaltsam, stünde nicht
am Schluss die furchtbare Wirklichkeit, das unsägliche Leid
von ungezählten und ungenannten Opfern einer wahnwitzigen Ideologie.
Im Rückblick auf eine hoffentlich untergegangene
magische Weltsicht kann man mit Frazer nur staunend von dem dunklen
Gewebe sprechen, das aus dem sausenden Webstuhl der Zeit hervorgetreten
ist. Von dem Goldstaub, den das Märchen oder die romantische
Literatur oder moderne Naturträumerei über diese gar nicht
so ferne Zeit gestreut hat, kann ich beim besten Willen nichts entdecken.
Die magische Welt ist nicht eine Welt verträumten Dahinlebens
im Einklang mit allen Wesen einer noch unberührten Natur und
deren heilenden und tröstenden Kräften gewesen. Dieses
Arkadien hat es nie gegeben. Noch ist es nicht lange her, so sinngemäß
Carl Gustav Jung, dass wir dieser schrecklichen Welt aus Traum und
Aberglauben entflohen sind. Ob wir wirklich dabei sind, wie der
große Arzt dann weiter ausführt, uns ein Weltbild zu
schaffen, das dem vernünftigen Denken des Menschen in würdiger
Weise entspricht?
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