Franz
Irsigler
Hebammen, Heilerinnen und Hexen
Seit 1985 belasten die abstrusen
Thesen der Bremer Soziologen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger in
ihrem Buch Die Vernichtung der weisen Frauen. Hexenverfolgung, Kinderwelten,
Menschenkontrolle, Bevölkerungswissenschaft, das vor allem
in der Taschenbuchausgabe von 1987 zum Bestseller wurde, den notwendigen
und sinnvollen Dialog zwischen seriöser wissenschaftlicher
Forschung und einem an den Themen Hexen und Hexenwahn, Magie und
Volksmedizin tief interessierten Publikum. Trotz der vernichtenden
Kritik, die von Heinsohn und Steiger wütend zurückgewiesen,
aber in keiner Weise widerlegt worden ist, finden ihre Thesen bei
unkritischen oder militant-feministischen Leserinnen und Lesern
immer noch Gefallen und Zustimmung, und das zwingt uns weiter zur
Auseinandersetzung mit den Waffen kritisch geschulter Quellenanalyse
und an strenge Methodik wie Logik gebundener Theorie.
Heinsohn und Steiger postulieren einen unmittelbaren
Zusammenhang zwischen den Hexenverfolgungen und dem Wissen um die
Möglichkeiten und Praktiken von Geburtenkontrolle durch Empfängnisverhütung
und Abtreibung; einem Wissen, das bei den weisen Frauen, den Heilerinnen,
vor allem den Hebammen, konzentriert gewesen und angeblich durch
die Hexenverfolgung beseitigt worden sei.
Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter mit der
Unterstellung, "dass die Vernichtung der weisen Frauen ausdrücklich
in bevölkerungspolitischer Absicht zur Unterbindung der Geburtenkontrolle
von Kirche und Staat ins Werk gesetzt wurde." Der eher massenpsychologisch
zu deutende Hexenwahn, Symptom und gleichzeitig Ventil in einer
absoluten Krisensituation auf wirtschaftlich-sozialer, religiöser
und mentaler Ebene, wird damit zu einem kühl-rationalen Komplott
von eindeutig männlich bestimmten Eliten im religiösen
und politischen Bereich, die auf diesem Weg auch die traditionell
schwache Position der Frauen in der Gesellschaft als Wesen von -
vermeintlich - minderer Intelligenz und schwacher Willenskraft zementieren
wollten.
Dass die von Heinsohn und Steiger kühn behauptete
demographische Zielsetzung nirgends erreicht wurde, sondern dass
ganz im Gegenteil auf die Idee, Hexenverfolgung und Peuplierungspolitik
miteinander zu verbinden, nicht einmal die phantasievollsten Theoretiker
des Hexerei- und Zaubereidelikts gekommen sind, braucht hier nicht
eigens dargelegt zu werden. Den Bremer Soziologen sind genügend
Fehler und Missverständnisse in der Nutzung der Quellen und
der einschlägigen Literatur nachgewiesen worden. Als Historiker
kann man sie vergessen, als Demagogen muss man sie weiterhin ernst
nehmen.
Es sei in keiner Weise bestritten, dass zu den Opfern
des Hexenwahns auch eine signifikante Zahl von weisen Frauen'
gehörte, das heißt von heilkundigen, meist aber doch
mit recht einfachen medizinischen Praktiken an Mensch und Tier vertrauten
Personen. Dazu wird man natürlich die Hebammen rechnen, obwohl
das Berufsfeld der in der Geburtshilfe tätigen Frauen auf dem
Lande erst im späteren 16. Jahrhundert aufgebaut worden ist.
In den meisten Dörfern agierten als Geburtshelferinnen zwei
bis vier ältere Frauen aus der unmittelbaren Nachbarschaft
oder Verwandtschaft. Soweit es die überlieferten Berufsangaben
in den Hexenprozessakten erkennen lassen, waren Hebammen unter den
Prozessopfern nur in marginaler Zahl vertreten; ihr Anteil lag im
kleinen Promillebereich; unter den 60.000 Menschen, die vom 15.
bis zum 18. Jahrhundert als vermeintliche Hexen und Hexenmeister
hingerichtet worden sind, waren vermutlich nicht mehr als 200 Hebammen,
eher weniger.
Im Gebiet der Reichsabtei St. Maximin, den umliegenden
kurtrierischen Ämtern und in der Stadt Trier, wo die Quellen
im 16. und 17. Jahrhundert etwa 800 weibliche Prozessopfer belegen,
sind immerhin drei Hebammen als Hexen verbrannt worden, 1588 Werners
oder Gobels Appolonia aus Detzem, Zei (Lucia) zu Mertesdorf und
1629 Barbel aus Kommlingen. Von den ersten beiden haben sich die
Prozessprotokolle erhalten, auf Barbels Hinrichtung gibt es nur
einen dürren Hinweis in der Akte eines anderen Opfers des Hexenwahns.
So können hier nur Appolonia und Zei näher vorgestellt
werden. Wie hoch die Dunkelziffer ist, wissen wir nicht, doch kann
man mit Sicherheit davon ausgehen, dass eine beachtliche Zahl von
Hebammen auch in der Hochphase der Verfolgungswellen völlig
unbehelligt blieb. Einige waren sogar als Sachverständige an
Hexenprozessen beteiligt, 1572 zum Beispiel eine Longuicher und
eine Feller Hebamme in dem eigenartigen Hexenprozess gegen die Zeihen
Eva aus Kenn, der als Kriminalprozess wegen des Verdachts der Abtreibung
oder Kindstötung begonnen hatte. Obwohl Eva - unter der Folter
- auch die Feller Hebamme als Komplizin bei einer Schadenzauberaktion
besagt hatte, ging das Gericht dieser Beschuldigung nicht nach -
Hebammen waren zu wichtig für das Leben im Dorf. Nach Heinsohn
und Steiger aber müsste man diese Frau ebenso unter den Opfern
finden wie die drei Hebammen der Stadt Trier, die 1595 auf Befehl
des kurfürstlichen Statthalters die als Hexe angeklagte und
von der Folter bedrohte Sunna von Lelligh ahn ihrem leib besichtiget,
betastet unnd befuelet hatten, aber keine Schwangerschaft feststellen
konnten. Eine der drei Frauen, Anna bei der Kürenzer Pforte,
hatte schon 1592 zusammen mit einer Kollegin aus einem Trierer Hospital
als geschworne hebamme den Nachweis erbracht, dass Kirsten Greth
aus Mertesdorf nicht schwanger sei und daher weiter gefoltert werden
könne. Greth wurde ebenso hingerichtet wie Sunna von Lelligh.
Als Gutachterinnen in Kriminal- und Hexenprozessen, zum Beispiel
bei der Suche nach dem Hexenmal, waren Hebammen auch in der lothringischen
Bischofsstadt Toul tätig, ohne selbst in Verdacht zu geraten.
Einen auffallend hohen Anteil an Hebammen finden wir
auf dem Höhepunkt einer kurzen Verfolgungswelle um 1630 nur
in der Großstadt Köln; zehn von 18 beruflich genauer
fassbaren Frauen, etwa ein Drittel der insgesamt in Köln hingerichteten
Hexen, waren Hebammen. Aber dieser Ausnahmefall beweist wenig. Für
40.000 Einwohner brauchte man mehr Geburtshelferinnen als in Dörfern
oder Kleinstädten. Auch die Ausbildung war in der Rheinmetropole
durch Universitätsmediziner und praxisorientierte Chirurgen
und Bader weiter fortgeschritten; die erste Hebammenordnung erschien
bezeichnenderweise 1628.
Die Kölner Prozessakten belegen eindeutig, dass
in schweren Krisensituationen Unglücksfälle, wie der Tod
oder die ernsthafte Erkrankung von Neugeborenen, den Hebammen nicht
als Kunstfehler', sondern als Schadenzauber ausgelegt wurden.
Dadurch wurden sie zu Hexen, nicht wegen der Verbreitung des Wissens
über Möglichkeiten der Empfängnisverhütung beziehungsweise
der Abtreibung in einem frühen Stadium der Schwangerschaft.
Diese Themen spielen in den Akten kaum eine Rolle. Weil es Hebammen
eher als anderen Frauen passieren konnte, dass ein mit ihrer Hilfe
geborenes Kind in den ersten Tagen erkrankte und wenig später
starb, waren sie in den Zeiten des Hexenwahns besonders gefährdet,
und diese Gefährdung teilten sie mit anderen Heilkundigen,
Frauen wie Männern. Da der Krippentod' in den vergangenen
Jahrhunderten etwas Alltägliches war, wenn auch in den meisten
Fällen unerklärlich, mussten Hebammen und andere Geburtshelferinnen
fast notwendig in die Sündenbockrolle geraten, wenn sich in
Krisenzeiten die Unglücksfälle mehrten. Die Kölner
Hebamme Enn (Anna) Konings wurde als Hexe beschuldigt, weil sie
einmal einen Säugling, wohl bei der Taufe, angeblich zu fest
gedrückt hatte; bald darauf war das Kind erkrankt und gestorben.
Auch bei der Hebamme Enn Vollmers reichte eine Nichtigkeit zur Anklage:
Am Tag nach der Taufe habe sie der Wöchnerin das Kind vom Schoß
genommen, wahrscheinlich, um es noch einmal zu untersuchen; aber
dann sei es krank geworden und nach wenigen Tagen "gar elendig
gestorben". Wenn die Hysterie groß genug war, konnte
auch sinnvolles, medizinisch gebotenes Handeln zum Hexenverdacht
führen. Die aus den Spanischen Niederlanden stammende Hebamme
Maria Renoit pflegte Neugeborenen kurz nach der Entbindung einen
Klaps auf die Fußsohlen zu geben, um die Atmung in Gang zu
bringen. Da man in Köln diesen Trick offenbar nicht kannte,
wertete man ihn als Indiz für zauberische Absichten.
Maria Renoit war, was den Bildungsstand betraf, ihren
Kölner Kolleginnen, die meist aus der Unterschicht stammten
und nicht selten als Ammen zum Hebammenberuf gekommen waren, deutlich
überlegen. Sie scheint auch als Heilerin gearbeitet zu haben,
wobei sie - in bescheidenem Umfang - sogar magische Praktiken übte.
Ob sie sich wirklich auf die Kunst' des Riemen- oder Nestelknüpfens
verstand und sie zum Schaden von Männern ausübte, was
im Prozess von 1631 der Zeuge Moyses Moisir behauptete, der sie
für den Verlust seiner Zeugungsfähigkeit verantwortlich
machte, sei dahingestellt. Harmlos war ihr Rat an Wöchnerinnen,
zum Abbinden der Nabelschnur nur Garn, das ohne Naßmachen
von einer Jungfrau gesponnen sei, zu verwenden. Kritisch hätte
hingegen die Aussage einer ledigen Dienstmagd gewertet werden müssen,
Maria Renoit habe ihr gegenüber, als sie ungewollt schwanger
war, bedeutet, sie könne machen
, dass sie ein thot kindt
zur welt brechte, und [sie] hette viel stetiger leuth geholffen,
dass es nit ausgebrochen, das heißt gar nicht zur Schwangerschaft
gekommen sei. Aber die Kölner Untersuchungsrichter verfolgten
dieses belastende Zeugnis nicht weiter. Maria Renoit wurde nicht
als vermeintliche Hexe dem Hochgericht übergeben, sondern lediglich
der Stadt verwiesen. Die einzige Kölner Hebamme, die mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit Verhütungspraktiken verbreitete und bei
Abtreibungen half, wurde also nicht mit dem Feuertod bestraft. Das
bestätigt die Grundannahme, dass nicht das Wissen um Empfängnisverhütung
und Abtreibungspraktiken, sondern Unglücksfälle, die als
Schadenzauber ausgelegt wurden und für die man einen Sündenbock
brauchte, Hebammen und andere Heilerinnen in den Verdacht gebracht
haben, Hexen zu sein.
Untersucht man die Verlaufsmuster der größeren
Hexenprozesswellen in Dörfern und Städten, so stellt man
fest, dass derartige Wellen nicht selten durch einen Unglücksfall,
der als Schadenzauber an Menschen oder Tieren gedeutet werden konnte,
ausgelöst worden sind. Hexenprozesse gegen Heilerinnen standen
damit am Anfang massiver Verfolgungen, die sich aufgrund von Besagungen
natürlich sehr bald auch gegen Frauen und Männer richteten,
die nichts mit Geburtshilfe und Volksmedizin zu tun hatten.
Zu dieser Initialfunktion von Prozessen gegen Heilerinnen
gibt es im Westen unseres Untersuchungsraumes aufschlussreiche,
relativ frühe Belege aus dem. Jahrhundert, als noch vorrangig
Fälle von Schadenzauber verfolgt wurden und die Umgestaltung
der Verfahren zu echten Hexenprozessen mit den Elementen Abschwören
des Glaubens, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug und Hexentanz auf dem
Hexensabbat erst im Anfangsstadium war. Ein erstes Zeichen von Argwohn
gegen Hebammen finden wir 1487, im Erscheinungsjahr des Malleus
maleficarum (Hexenhammer), in den Luxemburger Stadtrechnungen zum
6. Juli: Meister Thewalt, der Henker, erhielt für die Durchführung
einer peinlichen Befragung Material (Harz, Keile, Werg und Seile)
und Arbeitslohn. Auf die Leiter aufgezogen, vielleicht auch einer
Brandfolter unterworfen wurden Kueckes Ailheit, Kueckes Schennet
[Jeannette] und ain der heffeamen [Hebammen], die beruchtiget waren
vor zauberssen.15 Da weitere Ausgaben, etwa für die Hinrichtung,
nicht verzeichnet sind, kann man annehmen, dass die drei Frauen
trotz des Zaubervorwurfs mit dem Leben davon kamen.
Ein interessantes Beispiel bietet um 1540 in den südlichen
Niederlanden das schon weitgehend als Hexenprozess gestaltete Verfahren
gegen eine Heilerin, überliefert durch den flämischen
Juristen und Kriminalisten Joos de Damhouder ( 1581). Opfer
war eine alte Frau namens Katelijne aus Brügge, die als Heilerin
und als fromme Christin zunächst ungewöhnlich hohes Ansehen
genoß. Man verehrte sie - so Damhouder - wie eine Heilige
oder einen der Apostel Christi, weil sie bei allen Menschen ganz
erstaunliche Heilungserfolge hatte. Ihre Spezialität war die
Behandlung von Kindern mit Rückenverkrümmungen und verrenkten
oder gebrochenen Gliedmaßen, wobei sie als Heilmittel weder
Medikamente noch sonstige erkennbare und nachvollziehbare Mittel
einsetzte. Sie baute nach dem Vorbild der Apostel ganz auf Fastenübungen,
Gebete, Messen und Wallfahrten, zum Beispiel nach St. Hubert in
den Ardennen. Alles bewegte sich offenbar im Rahmen legaler, von
der Kirche vollständig akzeptierter weißer Magie. Trotzdem
geriet sie - aus welchen Gründen auch immer, aus Neid oder
wegen eines missglückten Heilungsversuchs - in Verdacht. Eines
Tages ließen sie die Brügger Schöffen mitten in
der Nacht aus dem Bett holen und ins Gefängnis bringen. Sie
wollten wissen, wie die wahre Natur der Mittel beschaffen sei, denen
sie ihre Heilungserfolge verdankte. Sie bestand darauf, diese seien
absolut ehrenhaft und sie werde zu Unrecht angeklagt. So verhängten
die Schöffen die Folter, aber auch unter der peinlichen Befragung
blieb sie dabei, dass der Teufel ihr in keiner Weise helfe.
Bei dieser Befragung stieß der Bürgermeister
von Brügge, der an der Gicht litt, mehrmals schwere Seufzer
aus wegen der stechenden Schmerzen, die ihm diese Krankheit bereitete.
Die alte Frau bemerkte das und bot ihm an, ihn zu heilen. "Wenn
Du dazu in der Lage bist", antwortete der Bürgermeister,
"will ich Dir 2.000 Goldstücke zahlen, falls Du Erfolg
hast." Das ging den am Verfahren beteiligten Juristen zu weit;
sie ließen die Frau in Isolationshaft nehmen und warnten den
Bürgermeister, sich auf das Angebot der Heilerin einzulassen;
das sei zu gefährlich. Als sie einer der Juristen nochmals
nach ihren Heilmitteln fragte, antwortete sie, es genüge ihr,
wenn der Bürgermeister überzeugt sei, dass sie ihn heilen
könne, und er dies offen erkläre.
Daraufhin waren die Rechtsgelehrten überzeugt,
dass sie mit dem Teufel im Bunde stehe. Sie erklärten dem Bürgermeister
und den Schöffen, die Apostel hätten immer im Namen Gottes
Heilungen vollbracht, dieser Frau aber genüge es, wenn man
an sie selbst glaube. Der Bürgermeister distanzierte sich sofort
von seinem Angebot und die Angeklagte wurde, da es ja neue Indizien
gab, auf Anweisung von Bürgermeister und Schöffen zum
zweiten Mal der Folter unterzogen. Auch diesmal blieb sie standhaft.
Sie gab zwar einige Vergehen harmloser Art zu, bestritt aber jeden
Kontakt mit dem Teufel. So blieb sie weiter in Haft. Wenig später
rechtfertigten weitere Indizien eine dritte Tortur, und auch diese
überstand sie, machte sich sogar lustig über den Henker
und ihre Richter, indem sie ihnen fröhlich zurief: "Was
immer Ihr mit mir macht, wie grausam Ihr auch seid, von mir könnt
Ihr nichts erfahren." Schließlich schlief sie mitten
im Verhör ein.
Als nach kurzer Haftzeit auch der vierte Versuch scheiterte,
durch Folter ein Geständnis zu erzwingen, ließ man Katelijne
zum Zweck genauer Untersuchung am ganzen Körper rasieren. Man
fand zwar kein Hexenmal, dafür aber in der Scheide oder im
After ein Stück Pergament mit allen möglichen fremdartigen
Namen und unbekannten, von Kreuzen umgebenen Buchstaben. Nun konnte
das Verhör neu beginnen und angeblich gestand sie jetzt alles,
was sie bei den vorhergehenden Befragungen abgestritten hatte. Sie
erklärte, man hätte sie niemals dazu zwingen können,
wenn man nicht das Pergament gefunden hätte, das sie mit Hilfe
eines bösen Geistes gegen alle Folterqualen unempfindlich gemacht
habe.
Der Jurist Damhouder, dem es vor allem darum ging,
die Wiederholung der Folter zu rechtfertigen und die Folter als
korrektes Prozessmittel zu verteidigen, das die Wahrheit ans Licht
bringe, hat die Geschichte vom Zauberamulett der alten Heilerin
vermutlich nicht einmal erfunden. Eher ist von einer Manipulation
der Untersuchungsrichter oder des Henkers auszugehen; denn die vierte
Folterung, bei oder nach der die Frau endlich zusammenbrach und
gestand, war nur noch durch starke Indizien im Rahmen eines - nach
den Maßstäben der Zeit - korrekten Verfahrens zu halten.
Der Verdacht der Manipulation wird verstärkt, wenn man den
Ausgang der Sache betrachtet: Das Urteil der Schöffen war uneinheitlich.
Einige wollten, dass man die Frau als Hexe verbrenne, andere plädierten
für Rücksichtnahme auf Alter und Geschlecht des Opfers,
also für Strafminderung. Diese Schöffengruppe setzte sich
durch. Die Frau wurde eine Zeitlang auf dem Richtplatz an den Pranger
gestellt; man verbrannte eine Perücke über ihrem Kopf,
um mit diesem symbolischen Akt deutlich zu machen, welche Strafe
sie eigentlich verdient hätte, und dann verbannte man sie unter
Androhung der Todesstrafe für immer aus der Stadt Brügge.
Sie zog nach Zeeland und lebte einige Zeit in Middelburg. Als sie
hier rückfällig wurde, das heißt wieder als Heilerin
agierte, wurde sie vom bailli, dem Amtmann, festgenommen. Das Gericht
nahm Einsicht in die Brügger Prozessakte, verurteilte die alte
Frau zum Tod und ließ sie bei lebendigem Leib verbrennen.
Ein ungewöhnlicher, ein bedrückender Fall,
in vieler Hinsicht merkwürdig: Wir wüssten heute auch
gern, worauf - über Gebet, Segen, Fasten und Wallfahrt hinaus
- die offenbar Neid erweckenden Heilerfolge der Frau beruhten; aber
zum Bericht Damhouders, der offenbar an dem Prozessverfahren persönlich
beteiligt war, fehlt uns die möglicherweise korrigierende Überlieferung
in der Prozessakte. Das Prozessopfer war eine ungemein starke Frau,
deren Leidensfähigkeit in der drei- oder viermaligen Folter
vielleicht auch durch ihren festen Glauben an die Hilfe Gottes und
der Apostel gestützt war und die Untersuchungsrichter zu der
demütigenden und damit
den Widerstand brechenden totalen Leibesvisitation
und dem wahrscheinlich manipulierten Amulettfund zwang, der nur
scheinbar die Hilfe Satans dokumentierte. Merkwürdig ist auch
die Milde' der Brügger Schöffen - und vielleicht
hoffte auch der gichtkranke Bürgermeister noch auf Heilung,
wenn die Frau nach einer symbolischen Verbrennung mit dem Leben
davonkam. Es bleiben viele Rätsel.
Die Zahl der heilkundigen Frauen, deren Rat und Hilfe
so begehrt waren, dass sie von den gelehrten und den praktischen
Medizinern, den Chirurgen, Badstubern und Barbieren als Konkurrenz
empfunden wurden, war immer gering. Die meisten Frauen, die gerichtsnotorisch
wurden - und nur von diesen wissen wir Genaueres -, waren des Lesens
und Schreibens nicht mächtig; sie hatten also keinen oder höchstens
mittelbaren Zugang zum Wissen der gelehrten Mediziner, die in ihren
Schriften auch Erfahrungen der medizinischen Praktiker dokumentierten.
Auch das in den Kräuterbüchern und diätetischen Schriften
gesammelte Wissen blieb den weisen Frauen weitgehend verborgen.
Einzelne Rezepte, Kräutermischungen oder sonstige Heilmittel
wurden gelegentlich durch Heilerinnen und Heiler aus dem geistlichen
Stand vermittelt, wie zum Beispiel durch Mitglieder von Pflegeorden
oder Beginen, deren Rat oft gesucht wurde.
Aus den Hexenprozessakten erfahren wir nur ausnahmsweise
Details über die Heiler- und Heilerinnenpraxis, die eine Einschätzung
des Umfangs und der Qualität des medizinischen Wissens erlauben.
Etwas mehr bieten Strafgerichtsakten von Verfahren, die nicht notwendig
zu einem Hexenprozess führten. Sie zeigen eine eigenartige,
manchmal gefährliche Mischung naturmagischer Praktiken, verbunden
mit pseudochristlichen Segens- oder Zaubersprüchen, die aber
nicht nur zur Heilung von Krankheiten, sondern auch als Liebeszauber,
Wiederbringzauber, Wetter- und Brandsegen oder für den Blick
in die Zukunft eingesetzt wurden.
Auffallend viele Hinweise auf volksmagische Vorstellungen
und Praktiken geben Hexenprozesse des frühen 17. Jahrhunderts
aus der von Luxemburg lehensabhängigen Eifelherrschaft Neuerburg.
In dieser überwiegend ländlich geprägten, stadtfernen
Region lag im Krankheitsfall die Durchführung von Heilungsversuchen
bei Mensch und Vieh - von durchreisenden Wanderärzten und segenspendenden
Ortsgeistlichen abgesehen - fast ausschließlich bei Frauen
und Männern, welche die Anwendung von Kräutermedizin oder
magischen Heilmitteln gewöhnlich mit einem Segensspruch, einer
Heil- oder Beschwörungsformel verbanden. Zur Diagnose nutzten
die Heilerinnen und Heiler - wie in anderen Gegenden auch - das
so genannte Messen', wobei das erkrankte Körperteil mit
einem Kopftuch, Schleier oder Gürtel abgemessen' wurde.
Wichtig war dabei vor allem, den für die angenommene Krankheit
jeweils als Helfer zuständigen Heiligen herauszufinden und
einen möglichst wirksamen Heilungsspruch, der manchmal auch
wie ein Fluch klingen konnte, zu kennen und formgerecht anzuwenden.
Dieser zweifelhafte Gebrauch, wenn nicht gar Missbrauch von Heiligen,
Gebet und segenspendenden Mitteln musste von der Amtskirche mit
großem Argwohn betrachtet werden, zumal die Grenzen zwischen
weißer' und schwarzer' Magie fließend waren.
Der verbreiteten Vorstellung von der gefragten und
zugleich gefürchteten, meist abstoßend wirkenden alten
Kräuterhexe entsprach die 1614 wegen Schadenzauber angeklagte
Schneider Mergh (Maria) aus Utscheid in der Herrschaft Neuerburg.
Sie hatte ein bewegtes Leben mit vielen Schicksalsschlägen
hinter sich. Vor 15 Jahren hatte sich ihr Mann im Gefängnis
das Leben genommen und war auf dem Schindanger begraben worden.
1612 verlor sie an einen Hochgerichtsschöffen ihr ganzes, bescheidenes
Vermögen. Die früh gealterte Frau mit dem hageren Gesicht,
dem krummen, mageren Körper und der abgetragenen Kleidung war
durch ein blindes Auge zusätzlich entstellt. Viele Leute bekreuzigten
sich bei ihrem Anblick, Kinder liefen schreiend davon. Nichtsdestoweniger
war sie lange Zeit eine gesuchte Heilerin, die über wirkkräftige
Segenssprüche verfügte; darunter waren, wie sie selbst
ohne Folter bekannte, unterschiedliche Segen zur Heilung von Blutungen,
Wurm (inneren Krankheiten), Panaricium (Nagelbettentzündung)
und Grind. Nach Aussage der Zeugin Hilgers Maria, Hebamme aus Utscheid,
die wenig später ebenfalls in den Verdacht geriet, Schadenzauber
geübt zu haben, lautete der Wurmsegen wie folgt: Es wahr ein
selige stundt, dho gott geborn wardt. Ich segen dich lindtwurm,
ich segen dich grawer wurm, ich segen dich roder wurm. Der lieb
her St. Job der lagh in einem mist, der rieff uff zum Himmel: Du
mein lieber her Krist! O herr meister mein. Wie mannigh ist der
wurm? Der wurm ist woll neun. Her meister mein. Ich gepiethe euch
alle neun zusamen durch gott der Vather, durch gott den Sohn, durch
gott den heiligen Geist, Amen. In dieser großen noth, zum
dritten thodt. Dass sey wahr in Christus nahmen, Amen. Eine Zeugin
berichtete, Mergh habe zum Heilzauber manchmal eine ungeweihte Kerze
benutzt, die um den Kopf der erkrankten Person gebunden wurde.
Als Heilerin war auch Michels Grethe aus Utscheid
aktiv; auch sie kannte zwei Wurmsegen, einen Grindsegen und eine
Segensformel zur Blutstillung. Am 22. März 1614 wurde sie hingerichtet;
vier Tage später folgte ihr Schneider Mergh, nach knapp einem
Monat die schon genannte Utscheider Hebamme Maria Hilgers, die zunächst
nur als Zeugin der Anklage gedient hatte. Auch ihr wurden Heilsegen,
sofern die positive Wirkung ausblieb, als Schadenzauber ausgelegt.
Von den Utscheider Heilerinnen verfügte die Hebamme sicher
über das breiteste Repertoire. Sie dürfte auch kräuterkundig
gewesen sein, aber diese reale Seite der Volksmedizin wird in der
Prozessakte nicht angesprochen. Vermerkt sind im Wortlaut nur die
Segensformeln. Bei Halserkrankungen wie der schöll (belegte,
entzündete Mandeln), aber auch beim zapp (Angina) oder der
breunt (Diphtherie) bemühte sie die Hilfe des heiligen Blasius,
wobei sie eine geweihte Kerze vor das Gesicht des Kranken hielt
und ihn durch die Flamme anblies. Bei Frauenleiden, unregelmäßigen
Blutungen (die frickel) oder Gebärmutterentzündungen,
pflegte sie im Segen die Krankheit und das erkrankte Organ durch
die Gottesmutter als Personen anzusprechen: Es wahr ein gutte stundt,
dho Gott geboren war, also wolle diese auch sein. Unß liebe
frauw ging ueber landt, sie hub uff ihre gebenedeite handt, do begegnet
ihr Frau Frickel und Frau Bermutter. Wohin geht ihr Frau Frickel,
Frau Bermutter? Ich gehe ihm sein blutt zappen und gehe hit zum
todt bringen. Dho sagt uns liebe frau, dass sollst du nit thun Frau
Frickel, Frau Bermutter. Die Glocken seindt geklungen, die messen
seindt gesungen und seindt darnach gelesen. Dann solle ihme sein
bauch woll genesen. Die Vorstellung, die Gebärmutter sei ein
eigenständiges, lebendiges Gebilde, das durch den ganzen Körper
wandern könne, ein "Lebewesen im Lebewesen", ist
seit der Antike nachweisbar; als Element populärer Vorstellungen
findet sie noch im 17. Jahrhundert Beachtung. Maria Hilgers beherrschte
auch die Kunst des Messens' mit ihrem Kopftuch, wobei sie
Heilige wie Gangolf, Valentin oder Lambertus anrief, sich als geeignete
Segensspender zu zeigen. Dass sie einem kranken Pferd einen Trank
aus Wasser und gesegnetem Wachs verabreichte, wobei sie den rechten
Schuh einer Kindbetterin als Gefäß missbrauchte, dürfte
keinen großen Schaden angerichtet haben, problematisch aber
erscheint aus heutiger Sicht die Behandlung von kranken Menschen
mit einer Mixtur aus Pferde-Urin und gesegnetem Wachs, sofern das
Mittel innerlich Anwendung fand.
Als kräuterkundige und Pflanzen nutzende Heilerin
ist in der Herrschaft Neuerburg nur die am 24. Januar 1621 hingerichtete
Kunigunde Diederichs nachweisbar. Ihr wichtigstes Heilmittel, wirksam
gegen Kopfleiden, war eine auf nassen Wiesen wachsende Pflanze mit
drei Wurzeln, die als Teufelsabbiss (succisa pratensis oder morsus
diaboli) bezeichnet wurde. Kunigunde erklärte, der Teufel beiße
beim Herausziehen der Pflanze aus der Erde die kräftigere mittlere
Wurzel ab, wenn man es nicht verhindere.
Keine der genannten Heilerinnen, auch nicht der auf
innere Krankheiten (Wurm) spezialisierte Heiler Diederich Pintsch
aus Neuerburg, der Kranke mit einer Salbe aus Weinessig und Baumöl
(Nuß- oder Olivenöl) behandelte und dabei Segensformeln
murmelte, wurde mit dem Verdacht konfrontiert, empfängnisverhütende
Mittel oder gar Abortiva eingesetzt zu haben. Es gibt keinen einzigen
Hinweis auf die Nutzung des Sadebaumes.
Was für die ländlich geprägte Eifel
gilt, trifft wohl auch auf das Herzogtum Luxemburg zu. So wurde
gegen die 1652 im luxemburgischen Neufménil durch grausame
Folter und unmenschliche Haftbedingungen ermordete Hebamme Jehenne
Lambert nicht etwa der Vorwurf der Abtreibung oder Empfängnisverhütung
erhoben, vielmehr hatten es die Gerichtsschöffen des Ortes
auf ihr Vermögen abgesehen. Mit unglaublicher Brutalität
versuchten sie, die alte Frau zu einem Geständnis zu zwingen.
Als dies misslang, ließ man die schwer verletzte und nahezu
gelähmte Jehenne regelrecht in ihrem Kerker verhungern und
verscharrte den Leichnam in ungeweihter Erde. Auch wurde keine der
im 16. und 17. Jahrhundert gerichtsnotorisch gewordenen Kölner
Heilerinnen und Magierinnen beschuldigt, Mittel zur Verhinderung
oder frühen Beendigung von Schwangerschaften angeboten oder
verabreicht zu haben - von der bemerkenswerterweise nicht als Hexe
angeklagten Hebamme Maria Renoit einmal abgesehen. Dafür gab
es bessere Adressen: Kupplerinnen und Dirnen, weil Prostituierte
dringend darauf angewiesen waren, möglichst nicht schwanger
zu werden, um im Geschäft' bleiben zu können.
Wenn es eine Frauengruppe gab, deren Wissen um Empfängnisverhütung
und Abtreibungsmöglichkeiten deutlich höher war als das
der Masse der heiratsfähigen beziehungsweise verheirateten
Frauen, dann waren dies die feilen Frauen' in den städtischen
Frauenhäusern und die heimlichen, die Schlupfhuren' in
den Straßen und Gassen, die man heute als Rotlichtviertel
bezeichnen würde. 1629, auf dem Höhepunkt der Stadtkölner
Hexenverfolgung, gestand eine nicht als Hexe angeklagte Dirne im
Verhör, sie habe in Bier und Branntwein gesottenen Sadebaum
und andere Sachen zu Abtreibungszwecken benutzt. Die Rezeptur verdankte
sie einer Berufskollegin, die in ihrem Beisein die Mixtur selbst
einnahm, um die Bedenken wegen des Gifts im Sadebaum zu zerstreuen,
und die ihr erklärte, dass sie es auch gepraucht hette, zu
dem endt, dass sie nit schwanger werden mochte und wan sie schwanger
were, dass es alsdan die frocht abtreiben mochte. In einem Breslauer
Prozess aus dem 16. Jahrhundert wegen Zuhälterei und Verführung
eines jungen Mädchens zur Prostitution musste das Kupplerehepaar
zugeben, einen Abortivtrank gebraut zu haben, der Bibergail, Sadebaum,
Sonnenblumen und Bibernell enthielt. Diesen wollte das verführte
Mädchen nicht trinken; es erstattete Anzeige und das Ehepaar
wurde der Stadt verwiesen.
In seinem Kreutterbuch von 1555 schrieb Hieronymus
Bock über den Sadebaum: Die Meßpfaffen und alte Huren
genießen des Sevenbaumes am besten. Aber das Wissen um dessen
abortive Wirkung ging weit über diese beiden Personenkreise
hinaus und schon gar nicht war es vorrangig bei den Hebammen konzentriert.
Der im Volksmund auch "Kindermord", "Mägdebaum"
oder "Jungfernpalme" genannte Strauch, ein Verwandter
des Wacholders, dessen Gipfeltriebe besonders viel von dem übel
riechenden ätherischen Öl enthalten, das ausgekocht und
innerlich angewandt seine stark toxische Wirkung entfaltet, stand
auf Friedhöfen, in Weingärten, auch in privaten Kraut-
und Baumgärten. Man konnte getrocknete Sadebaumspitzen sogar
in Apotheken kaufen. Die Anwendung dieser Medizin' war immer
mit hohen Risiken verbunden.
Weithin bekannt war auch die fruchtschädigende
Wirkung von schwarzer und weißer Nieswurz, von der Alraune
(Mandragora) und der Haselwurz, während Raute, Muskatblüte
und Muskatnuss oder auch der Beifuß zu den milderen Mitteln
zählten, die vorwiegend bei Menstruationsstörungen eingesetzt
wurden. Dass dabei, vor allem bei den als Blutstockung bezeichneten
Beschwerden, unfreiwillig auch im Frühstadium befindliche Schwangerschaften
beendet werden konnten, liegt auf der Hand. Nimmt man dazu die Vielzahl
der möglichen indirekten Methoden oder Ursachen von Schwangerschaftsabbrüchen,
unvorsichtiges Tanzen und Springen, harte Arbeit im Garten oder
Weinberg, das Heben von schweren Gegenständen, die beliebten
Aderlässe, Brechmittel und Klistiere zur Reinigung' der
Körpersäfte, nicht selten auch das brutale Verhalten der
Ehemänner oder Liebhaber, dann werden die Grenzen zwischen
natürlichen Fehlgeburten, der medizinisch gebotenen Abtreibung
von toten Föten und der gewollten Abtreibung bei normal verlaufender
Schwangerschaft fließend. Man versteht, dass es in der Frühneuzeit
so selten zu Verurteilungen wegen Fruchtabtreibung kam - sie war
viel schwerer nachzuweisen als der Kindsmord nach der Geburt.
Befragen wir nun die beiden Prozessakten gegen die
als Hexen hingerichteten Hebammen im Trierer Raum, so zeigt sich,
wie wenig darin die Frage der Empfängnisverhütung oder
gar der Abtreibung eine Rolle spielte. Gegen die am 4. Januar 1588
angeklagte Hebamme Appolonia, nach ihren verstorbenen Ehemännern
Werners oder Gobels Appolonia genannt, lag über böse Gerüchte
und eine einzige Besagung durch den aus Ensch stammenden, kurz vorher
hingerichteten Montzel Theiß hinaus kaum Konkretes vor. Als
Zeuge im Prozess warf ihr der Detzemer Hochgerichtsschöffe
Niklaß Hanß vor, man habe Argwohn gegen sie gehabt,
weil sie als Hebamme dem hern pastor keinen eidt gethan und deshalb
im Send, dem Gericht der Kirchengemeinde, schon gerügt worden
sei. Den Nachbarn sei in den letzten Jahren viel Schaden am Vieh
widerfahren.
Einen ganz massiven Vorwurf, nämlich den des
vollendeten Giftmords, erhob Ludwichs Peter: Vor etwa fünf
Jahren sei sein Sohn Hupricht, damals 14 Jahre alt, an einem Samstag
in Appolonias Haus gewesen; er habe dort einen Trunk genommen, der
ihm nicht bekam. Er meinte, sein Herz müsse im Leib verbrennen,
habe nichts zu Abend essen können und sei am darauffolgenden
Donnerstag gestorben. Vor seinem Tod habe er noch gesagt: vatter,
hab ich euch erzurnet, verzeyget mir, dan ich muß sterben,
und ist kein ander schultt dan dass ich in Wernerß Apolonien
hauß getroncken hab
Als man den toten Jungen auf den
Strohsack legte, sei schwartz ding, wohl schwarze Galle, aus ihm
gelaufen, schier zwa massen kanden voll.
Das reichte, um Appolonia foltern zu lassen. In der
peinlichen Befragung war aber keine Rede von dem Vergiftungsvorwurf;
sie gestand auf die wie üblich sehr gezielten Fragen die klassischen
Hexereidelikte (Verführung durch den Teufel, Teufelsbund und
-buhlschaft, Verunehrung der Hostie, Hexensabbat), dann Schadenzauber
an Tieren, zuerst bei ihrem eigenen Hund, der an der in einem Schinkenstück
verpackten Teufelsschmier starb; dann habe sie versucht, nach einer
Kuh im eigenen Stall auch eine Kuh der Meurer Trein umzubringen,
was sie aber nicht geschafft habe, weil in deren Stall ein gesegneter
Palmzweig (palm reiß) hing. Zu ihrer Verteidigung machte sie
- ohne Erfolg - geltend: Wan sie ihm dem teuffel nit gefolgtt, und
viell zur kirchen gangen, und guetz gethain, hat er sie geschlagen
und getulfft. Hatt auch oft gewoltten, sie sull die kleine kinder
umbringen und nit lassen zu erden [auf die Welt] kommen, was sie
dem Teufel aber verweigert habe. Ob man sie danach gezielt gefragt
hat, geht aus der Akte nicht hervor. Wahrscheinlich hat sie von
sich aus darauf bestanden, auch unter der Folter zu erklären,
dass sie gegen ihre Pflichten und Berufsehre als Hebamme nicht verstoßen
habe. Der Hinrichtung durch Strangulierung und der anschließenden
Verbrennung in der Stroh- und Reisighütte entging sie nicht.
Dem durch Heinsohn und Steiger aufgebauten Klischee
von der wegen ihres Wissens über Empfängnisverhütung
und Abtreibungspraktiken mittels Hexenprozess von der Obrigkeit
ausgeschalteten Hebamme entsprach Appolonia ebenso wenig wie die
am 20. Oktober 1588 hingerichtete Mertesdorfer Hebamme Zei. Sie
war von mindestens fünf bereits hingerichteten Personen als
Komplizin besagt worden; inhaftiert wurde sie aber erst am 17. Oktober
aufgrund der schweren, in ihrer Abstrusität nur durch die Folter
erklärbaren Beschuldigungen seitens der Sontags Barbara, mit
der sie im Gefängnis konfrontiert wurde. Barbara sagte Zei
ins Gesicht, sie habe auch verholffen, Nofell Treinen Kinder in
der Mußmeierßen haus gesotten, gebratten und die Hertzer
gessen. Mit den Kindern waren, wie aus dem weiteren Verlauf der
Untersuchung hervorgeht, ungetaufte Tot- oder Fehlgeburten gemeint.
Zei, eine offenbar leicht verführbare Frau, gestand
zunächst nur, während ihrer beiden Ehen mit mehreren Männern
Ehebruch getrieben zu haben, vor allem, nachdem ihr zweiter Ehemann
von ir hinwegk gelauffen und sie schwanger in Mertesdorf zurückgelassen
habe. Nach mehrmaliger, zunehmend verschärfter Folter, blieb
sie schließlich, körperlich und seelisch gebrochen, bei
den ihr in den Mund gelegten Geständnissen, zumal auch eine
- im Trierer Raum selten angewandte - Wasserprobe zu einem für
Zei negativen Ergebnis geführt hatte: Also ins Wasser geworffen,
hatt uff dem Wasser geschwommen wie ein Bloeß
[Blase], wie woll der Nachrichter sie etlich Mall
zu Grondt gestossen, und mit Henden und Fueßen zusamen gebonden
whar.
Sie gestand die mehrmalige Teufelsbuhlschaft, die
Verleugnung Gottes und der Jungfrau Maria, die Beseitigung des Tauföls
(Chrisam), zweimalige Verunehrung der Hostie, häufige Teilnahme
am Hexensabbat auf unterschiedlichen Tanzplätzen sowie eine
Reihe von teils erfolgreichen, teils missglückten Schadenzauberaktionen
gegen Vieh, Feldfrüchte, Wein und Obst, an denen insgesamt
30 Komplizen in wechselnder Zusammensetzung beteiligt gewesen seien.
Kein einziger der Schadenzauberfälle stand in irgendeinem Zusammenhang
mit der beruflichen Tätigkeit Zei's als Hebamme. Auch die ihr
schon von Sontags Barbara vorgeworfene Beteiligung an der Nutzung'
ungetauft gestorbener Kinder zu schwarzmagischen Praktiken hatte
mit dem Hebammenamt nichts zu tun, abgesehen von dem Umstand, dass
Zei wohl auch bei Totgeburten als Helferin gerufen wurde und vermutlich
wusste, wo die ungetauften Kinder begraben waren. Unter der schweren
Folter gestand Zei, sie habe eingewilligt, als eine Gesellschaft
von Hexen und Zauberern vor einigen Jahren ein während der
Geburt gestorbenes Kind des Hermans Hans zu Ruwer heruser gegraben
und in der Schmiden Haus zu Rofer gesotten und gebratten und zu
Eschen verbrennt, und haben die Eschen uff das Feldt gesprengkt,
daruser Schnecken worden, so die Samen verderben sollen. Verantwortlich
sei aber Metzen Barbara gewesen. Auch als die toten Kinder der Nofell
Trein in ähnlicher Weise zu Zaubermitteln verarbeitet'
wurden, habe sie den anderen Weibern ihren Willen dazu gegeben,
es aber gewiss nicht gern getan; sie sei dazu gezwungen worden.
Dass Zei so leicht in Verdacht und böses Gerücht,
folglich so früh in Komplizenlisten bereits hingerichteter
oder noch im Prozess befindlicher Personen beiderlei Geschlechts
geraten konnte, lag nicht an ihrer beruflichen Tätigkeit, sondern
offenbar an ihrem recht zügellosen Lebenswandel, den sie ohne
großen Druck zu Beginn der Befragung durch das Gericht auch
eingestand und zu büßen bereit war. Dass sie deswegen
ihr Leben verwirkt habe, wollte sie nicht glauben, dieweill die
Mhan die gemein Perschonen leben laessen. Der Amtmann, der Schöffenmeister
und die Schöffen des Hochgerichts von St. Maximin sahen dies
anders. Sie erkannten zu Rechtt
, dass gemelte Zey ihrer begangener
und bekendter Ubelthatt, Ehebrochs und Zauberey halber mit dem Feur
vom Leben zum Dodt zu straffen und hinzurichten seye.
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