Gunther
Franz
Prominente Gegner der Hexenprozesse
in Luxemburg und Kurtrier
Die Hexenverfolgung im Erzbistum
Trier, zu dem neben dem Kurfürstentum Trier auch Teile des
Herzogtums Luxemburg gehörten, hatte als Reichskhündig
Exempel, als Beispiel, das im ganzen Reich kundig, das heißt
bekannt war, eine große publizistische Wirkung. Der Trierer
Hexentanzplatz wurde 1594 als illustriertes Flugblatt verbreitet.
Die Schrift des Trierer Weihbischofs Peter Binsfeld ( 1598)
gegen die Hexen (Tractatus de confessionibus maleficorum et sagarum,
Druck 1589; Tractat von bekantnuß der Zauberer unnd Hexen,
Druck 1590) erwies sich als ein neuer Hexenhammer', der sogar
im Herzogtum Bayern als Vorbild bei der Verfolgung von Hexen genommen
wurde. Es ist für die Nachwelt ein Trost, dass in Trier und
Luxemburg auch prominente Gegner der blutigen Prozesse und des Aberglaubens
gewirkt haben, die im Namen der Barmherzigkeit Gottes und der Vernunft
mutig ihre Stimme erhoben. Cornelius Loos ( 1596) in Trier
und Friedrich Spee ( 1635), der in Paderborn, Köln und
Trier wirkte, waren neben dem Jesuitenprofessor Adam Tanner (
1632) in Ingolstadt die bedeutendsten Gegner der Prozesse auf katholischer
Seite. Abt Antonius Hovaeus ( 1568) in Echternach und Pfarrer
Heinrich Gaderius ( 1636) waren im Herzogtum Luxemburg Zeugen
der Wahrheit und der Vernunft. Ob man den Trierer Juristen Dietrich
Flade ( 1589) und den Abt Johannes von Malmédy (
1604) zu den Gegnern rechnen kann, ist zu bezweifeln. Aus Lothringen
ist uns bislang kein Gegner der Prozesse bekannt, der seine Stimme
gegen die Daemonolatria (Über den Teufelskult) des Hexenjägers
Nicolas Remy ( 1612) erhoben hätte.
Antonius Hovaeus
Die Benediktinerabtei Echternach war nicht reichsunmittelbar,
sondern gehörte zum Herzogtum Luxemburg und damit zu den Spanischen
Niederlanden.
Da König Philipp II. die Einkünfte der Abtei Egmond zur
Ausstattung neuer Bistümer verwenden wollte, versetzte er den
erst kurz zuvor gewählten Abt von Egmond, Anton van Hove (Antonius
Hovaeus, 1568) nach Echternach. Er war kein Graf (comes),
wie er auf der Echternacher Äbtetafel bezeichnet wird und auch
nicht mit dem durch Goethes Drama bekannten Freiheitshelden Lamoral
Graf Egmond verwandt. Nach dem Bericht des späteren Echternacher
Abtes und Geschichtsschreibers Johannes Bertels (Abt 1595-1607)
war Hovaeus ein Mann von starkem Körperbau, ausgezeichnetem
Verstand, großer Gelehrsamkeit, ein tüchtiger Redner
und ebenso gewandter Dichter. Er übernahm in Echternach eine
schwierige Aufgabe, denn sein Vorgänger Godefroi d'Apremont
( 1562) hatte 20 Jahre lang eine unglaubliche Misswirtschaft
betrieben. Von Hovaeus wurde 1564 der Dialog Zuermondius gedruckt;
1566 erschienen zusammen in einem Buch die Schriften De arte amandi
Christum (Von der Kunst Christus zu lieben) und Liber praecum, odarum,
hymnorum (Buch der Gebete, Lieder und Hymnen).
In den Jahren 1562 bis 1564 gab es in Deutschland
seit längerer Zeit wieder eine größere Welle von
Hexenverfolgungen. Der Arzt Johannes Weyer ( 1588) veröffentlichte
die erste grundlegende Schrift gegen die Prozesse, welche die Diskussion
in den folgenden hundert Jahren mitbestimmen sollte. Weyer war in
Kleve am Niederrhein Leibarzt des Herzogs Wilhelm V. von Kleve-Jülich-Berg
( 1592) und wahrscheinlich Vertreter eines von Erasmus geprägten
humanistischen Katholizismus. Sein Buch De praestigiis Daemonum,
et incantationibus, ac veneficijs, Libri V. (Vom Blendwerk der Dämonen,
von Zauberei und Giftmischerei fünf Bücher) wurde 1563
in Basel gedruckt.
Hovaeus las das Buch Weyers mit größter
Anteilnahme und schrieb dem Autor am 29. Juni 1563 mit begeisterter
Zustimmung: Certe librum illum nescio quo cum fructu, summa cum
animi voluptate, non tam legi, quam penitus devoravi. Quem equidem
video talem esse, ut haud dubie nomen tuum immortali cum gloria
ad posteros transmittat. O' foelicem Cliviam, quae tantas habet
literarum heroas. (Unberechenbaren Gewinn und höchsten geistigen
Genuss hat dein Werk mir gebracht, das ich nicht bloß gelesen,
sondern geradezu verschlungen habe. Es ist ein Werk, das meines
Erachtens ohne Zweifel deinen Namen mit unsterblichem Ruhm auf die
Nachwelt bringen wird. Kleve mag sich glücklich preisen, dass
es so bedeutende Schriftsteller hat.) Weyer war erfreut, dass ihn
ein kirchlicher Würdenträger unterstützte und druckte
den Brief zusammen mit anderen Urteilen von Gelehrten in den von
1564 bis 1583 erschienenen lateinischen Neuausgaben ab; auch in
die deutsche Übersetzung von 1586 wurde der Brief aufgenommen.
Da Hovaeus vermutlich seinen Namen nicht genannt wissen wollte,
wurde dieser im Druck abgekürzt: A.H.H.A.E., das heißt
Antonius Hovaeus Haecmundanus (aus Egmond) Abbas Echternacensis
(oder: Epternacensis).
Hovaeus pries in seinem Schreiben Weyer, welcher "der
christlichen Religion zum Höchsten hierinnen gedient und großen
Dank von ihr erworben und erlangt habe". Dann fuhr er fort:
An non erat in detrimentum nostrae Reipublicae, plus concedere diabolo,
et nescio quibus malis geniis, quam unigenito filio Dei? (Hat es
unserm gemeinen Nutzen nicht merklichen Schaden zugefügt, dass
man mehr dem Teufel und seinen Geistern, denn Christo, dem eingebornen
Gottes Sohn, Glauben geschenkt hat und nachgefolgt ist?).
Der Abt hatte klar erkannt und ausgesprochen, dass
die Hexenjäger, die sich so fromm gaben, weil sie angeblich
den Teufel bekämpften, in Wirklichkeit mehr an die Macht des
Teufels als an diejenige Gottes und Christi glaubten. Die Welt wurde
von ihnen offenbar rein dualistisch als Schlachtfeld zwischen den
Mächten des Lichtes und der Finsternis gesehen. In der Endzeit
dieses Kampfes, in dem sich die Hexenjäger zu befinden glaubten,
schien der Teufel mit seinen Heerscharen bereits so mächtig
und allgegenwärtig zu sein, dass er unter äußerster
Anstrengung mit Massenprozessen und Verbrennungen bekämpft
werden musste.
Im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit
wurde die Folter von den am römischen Recht orientierten Juristen
für notwendig gehalten, weil man nur aufgrund eines Geständnisses
den oder die Angeklagten verurteilen durfte. In den Hexenprozessen
wurde dieses Rechtsinstrument pervertiert, indem die Angeklagten
so lange unmenschlich gefoltert wurden, bis sie alles aussagten,
was die Richter hören wollten. Es ist bemerkenswert, dass Hovaeus
fast 70 Jahre vor Friedrich Spee bereits die Folter grundsätzlich
abgelehnt hat: Nam in torminibus mentitur qui pati multa potest,
mentitur qui nihil pati potest: dum hic non vult fateri quae fecit,
alter plura fatetur se perpetrasse quam unqum vel per somnium cogitavit.
(Denn in der Folter lügen gleichermaßen diejenigen, die
viel aushalten und die nichts aushalten können. Während
der eine seine Missetaten nicht gestehen will, bekennt der andere
Schlimmeres, als ihm jemals im Traume einfiel.) Hovaeus hat als
Humanist aufklärerisch gedacht und eindeutig jeden Glauben
an Hexerei als Aberglauben bezeichnet; dies seien Dinge oder Vorstellungen
ohne jeden Bezug zur Wirklichkeit. Als Beispiel berichtete er eine
interessante Geschichte aus Echternach: Nachdem unter Abt Godefroi
d'Apremont alle Mönche - bis auf einen - durch übermäßigen
Genuss von allerschlechtestem Wirtshauswein gestorben waren, wurde
eine arme, alte Frau beschuldigt, unter bestimmte Stufen im Chor
der Abteikirche, wo die Mönche standen, wirkkräftige Zaubermittel
gelegt zu haben. Der betrügerische Ankläger forderte die
Echternacher Bürger auf, sich in der Kirche zu versammeln.
Als der Stein hinweggewälzt war, ließ der Ankläger
aus seinen Ärmeln tote Frösche, Eidechsen und Schnecken,
die er zu diesem Zweck in den Feldern gesammelt hatte, in das Loch
fallen. Diese Täuschung wäre geglaubt und die Frau zum
Feuertod verurteilt worden, wenn nicht ein scharfsinniger Mann mit
durchdringenden Augen den Schwindel erkannt hätte. Dieser "scharfsinnige
Mann" war sicher Hovaeus selbst.
Hovaeus blieb weiter mit Weyer in Verbindung, der
in die Ausgabe von 1568 einen Bericht aus Echternach aufnahm. 1565
habe ein altes Weib unter der Folter gestanden, "unerhörte
Kälte, langwährenden Schnee und harten Frost" gezaubert
zu haben. "Etliche treffliche und ansehnliche Männer,
welche diesem närrischen unmöglichen und unnatürlichen
Bekenntnis" zuviel Glauben geschenkt hätten, seien dabei
gewesen. Hovaeus hielt also den Schadenzauber für unmöglich
und kritisierte die Hexenprozesse.
Weyer rühmte den Echternacher Abt 1567 in der
Widmungsvorrede zu Medicarum observationum rararum liber I (Buch
der Beobachtungen seltener Arzneien) überschwänglich:
"Dein Beispiel wird die Säumigen unter deinen hohen Kollegen
aufrütteln. Scham oder auch fromme Sinnesänderung wird
sie zur Teilnahme an deiner Reform aneifern. Gepriesen sei inzwischen
die Genossenschaft, der ein solcher Vorsteher zuteil ward."
Cornelius Loos
Cornelius Loos (um 1540/46-1596) nannte sich humanistisch
Looseus, Callidius oder Chrysopolitanus nach seiner Heimatstadt
Gouda (Goldstadt) in den Niederlanden. Er stammte aus einer Patrizierfamilie,
hatte in Löwen (Louvain) studiert und seine Studien an der
Theologischen Fakultät in Mainz fortgesetzt. 1574 musste Loos
mit seiner Familie, die an einer misslungenen royalistischen Verschwörung
beteiligt gewesen war, seine Heimat verlassen. Wahrscheinlich zog
er 1578 nach Mainz, wo er Theologieprofessor wurde. Ab 1580 veröffentlichte
Loos neun Bücher sehr unterschiedlichen Inhalts: ein Gebetbuch,
polemische theologische Werke, politische Werke mit Bezug auf den
niederländischen Aufstand, eine Übersicht katholischer
deutscher Schriftsteller und ein kleines lateinisches Sprachlehrbuch.
Wahrscheinlich nach 1585 ging Loos als Theologieprofessor an die
Universität Trier, wo seit 1560 die Philosophische und die
Theologische Fakultät ganz in den Händen des Jesuitenordens
lagen; Loos war der einzige bekannte Nichtjesuit an der Fakultät.
Mit unseren Vorstellungen von einem aufgeklärten
Bekämpfer des Hexenwahns lässt sich schwer verbinden,
dass Loos ein leidenschaftlicher Gegner der Protestanten war. Nicht
die Magie (Hexerei), sondern die Häresie sei das schlimmste
Verbrechen (crimen pessimum), das als öffentlicher Frevel ausgerottet
werden müsse.
Der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld war nach dem
Erzbischof und Kurfürsten Johann VII. von Schönenberg
die wichtigste Persönlichkeit im Trierer
Klerus. Er glaubte ebenso wie der Erzbischof an die
Gefahr, die angeblich durch die Hexen und Zauberer als Anhänger
des Teufels drohe, und verfasste unter Benutzung der in den Trierer
Prozessen auf der Folter erpressten Aussagen einen neuen Hexenhammer'.
1589 wurde in Trier sein Tractatus de confessionibus maleficorum
et sagarum gedruckt. Das Buch erlebte 1591 eine zweite, wesentlich
vermehrte Auflage und wurde 1590 in Trier und 1591 in München
ins Deutsche übersetzt. Als Entgegnung verfasste Loos 1592
die Schrift De vera et ficta magia (Von der wahren und der eingebildeten
Zauberei). Der Titel wurde geändert in De vera et falsa magia
(Von der wahren und der falschen Zauberei). Da es kaum möglich
gewesen wäre, das Buch bei demselben Drucker, der schon Binsfelds
Traktat herausgebracht hatte und der der Zensur der Theologischen
Fakultät unterstand, zu veröffentlichen, gab Loos das
Manuskript nach Köln, dem größten katholischen Zentrum
des Buchdrucks in Deutschland. Auch sandte er Schreiben, in denen
er sich gegen die Hexenprozesse äußerte, an nicht näher
bezeichnete Geistliche, den Rat der Stadt Trier sowie weitere Personen.
Der Trierer Erzbischof und Kurfürst fühlte sich vor allem
durch die Feststellungen in dieser Schrift beleidigt, dass die Angeklagten
nur durch die Härte der Folter gezwungen würden zu gestehen,
was sie getan hätten, dass durch die Zerfleischung bei der
Folter unschuldiges Blut vergossen und mittels einer neuen Alchimie
Menschenblut in Gold und Silber verwandelt würde, dass man
sich also an den Prozessen bereichere, und dass die Obrigkeit und
Richter Tyrannen seien.
Der päpstliche Nuntius Ottavio Mirto Frangipani
( 1612) stand dem Trierer Kurfürsten und seinem Weihbischof
zur Seite. Er veranlasste, dass das Buch während des Drucks
in Köln beschlagnahmt, der Autor verhaftet und in der Trierer
Benediktinerabtei St. Maximin eingesperrt wurde. Dort wurde Loos
ein Widerruf (retractatio) abgenötigt, den er am 15. März
1593 in Anwesenheit seiner Gegner, des Weihbischofs Binsfeld, des
Maximiner Abtes Reiner Biewer ( nach 1613), des Offizials
Bartholomäus Bodeghemius
( 1608) und anderer Zeugen unterschreiben musste.
Ein lediglich fragmentarisch erhaltenes Manuskript der Schrift De
vera et falsa magia wurde zunächst in der Trierer Jesuitenbibliothek
aufbewahrt und mit dieser 1804 in die Stadtbibliothek Trier inkorporiert;
Druckfahnen sind in der Kölner Universitäts- und Stadtbibliothek
erhalten. Der Jesuitengelehrte Martin Del Rio ( 1608) veröffentlichte
1599 in seiner sechsbändigen Untersuchung über die Zauberei
(Disquisitionum magicarum libri sex) im Anhang zum fünften
Band den Widerruf von Loos, weil ihm dieser als bester Beweis für
die Irrtümer der Bekämpfer des Hexenglaubens galt. Ob
ein solcher Widerruf erzwungen oder sachlich berechtigt war, spielte
dabei keine Rolle. Lange Zeit war Loos' Kampf gegen die Hexenprozesse
nur durch die Thesen in dem von Del Rio veröffentlichten Widerruf
bekannt.
Nach Loos ist die magia falsa oder ficta, die falsche
oder eingebildete Zauberei beziehungsweise Hexerei, ein Hirngespinst
mancher Angeklagter, eine phantastische Erfindung der Ankläger
und die theoretische Konstruktion seiner intellektuellen Opponenten,
vor allem von Peter Binsfeld. Es handele sich nur um vanitates,
insaniae falsae, mendacia inania (Eitelkeiten, falsche Wahnbilder,
nichtige Täuschungen). "Die ganze scheußliche, schauerliche,
ungeheure Maschinerie von Zauberern und Hexen" sei zunächst
aus Illusionen und Wahnbildern entstanden, dann aus noch unsinnigerem
Geschwätz stark angewachsen. Autoren und Richter bemühten
sich, "die Maschinerie zu stärken und zu verteidigen,
jene, wenn sie die inhaltsleeren Geständnisse beschreiben,
und diese mit ihren vielfältigen bitteren Strafen und Folterungen."
Pathetisch rief Loos aus: "Oh christlicher Glaube, wie lange
noch wird der verderbliche Aberglaube dich quälen? Oh christliche
Gemeinschaft, wie lange noch wird das Leben der Unschuldigen in
dir gefährdet sein?"
Loos bestritt nicht die Existenz von Hexen oder gar
des Teufels. Im Gegensatz zum Glauben der Hexenjäger brauche
man aber keine Angst zu haben, weil Gott Teufel und Hexen völlig
in seiner Gewalt habe. Sie vermöchten nur das, was ausdrücklich
in der Bibel und den frühen Kirchenvätern, den einzigen
Autoritäten, die Loos anerkannte, erwähnt sei. Die Irrtümer'
der mittelalterlichen scholastischen Theologie von Thomas von Aquin,
auf den sich Dämonologen wie Binsfeld beriefen, lehnte Loos
ab. Wenn der Teufel und die Dämonen keine körperlichen
Formen annehmen könnten, beruhten alle Aussagen über den
Teufelspakt, den Hexensabbat und den Hexenflug auf Träumen,
Phantasiebildern und Verblendungen. Es gebe keine Zauberer, die
Gott absagen, sich dem Teufel durch einen Pakt unterwerfen und mit
seiner Hilfe Unwetter verursachen würden.
Loos hatte keine Angst vor den Machenschaften des
Teufels, weil er mit dem Kirchenvater Augustinus die Gnade Gottes
betonte. Das klingt nach dem Reformator Martin Luther, dessen Gnadenlehre
auch auf den Hl. Augustinus zurückging, mit dem Loos aber nichts
im Sinne hatte. Er hatte in Löwen studiert, wo 1551 bis 1589
der Theologieprofessor Michael de Bay (Bajus) ein von der Kurie
1567 verurteiltes theologisches System gelehrt hatte (den so genannten
Bajanismus), in dessen Mittelpunkt die Gnadenlehre des Augustinus
stand. Loos und Binsfeld waren in zwei ganz verschiedenen Gedankenwelten
verwurzelt. Binsfeld war gelehrt, aber ein Traditionalist, der jede
Quelle fast kritiklos als Autorität hinnahm. Loos hingegen
war ein kritischer Geist, der ohne Prüfung weder wissenschaftlichen
Autoritäten (abgesehen von den alten Kirchenvätern) noch
den Aussagen von angeblichen Zeugen glaubte.
Nach der durch den Widerruf 1593 erkauften Freilassung
ging Loos in die Spanischen Niederlande, nach Brüssel, wo er
eine Anstellung an der Kapellenkirche (Nôtre Dame de la Chapelle)
bekam. Del Rio berichtete, dass Loos seine verurteilten und widerrufenen
Ansichten in Brüssel erneut geäußert habe, zum zweitenmal
festgenommen, freigelassen, dann noch einmal verhaftet worden sei
und nur durch den Tod im Gefängnis weiterer Verfolgung entgangen
sei. 1596 deutete Loos in der Vorrede zu seiner Schrift Theologiae
Institutionum libri IV (Vier Bücher über den Unterricht
der Theologie) an, dass er dieses Werk in einem Versteck in der
Stiftskirche St. Michael und St. Gudula in Brüssel (Collégiale
St. Michel et Ste. Gudule), in dem er sich drei Monate lang aufhielt,
vollendet habe. "Man zwingt mich, der heimlichen Scheelsucht
gewisser Leute zu weichen, die Stadt zu verlassen, ja die Gegend,
viel mehr noch den Erdkreis hinter mir zu lassen, wenn möglich."
Wir können davon ausgehen, dass Loos auch in Brüssel gegen
das Unwesen der Hexenprozesse polemisiert hat, auch wenn wir nicht
wissen, ob der Bericht von Del Rio auf Wahrheit beruht.
Dietrich Flade
Gewaltiges Aufsehen erregte der Prozess gegen Dr.
Dietrich Flade (Flad, Vlaet, 1534-1589) in Trier. Die Familie Flade
stammte aus St. Vith im heutigen Belgien. Der Großvater Hubert
Flade kam Ende des 15. Jahrhunderts nach Trier und wurde Kellerer
(Steuer- und Wirtschaftsverwalter) im Amt Pfalzel. Dietrich Flade,
Doktor der Rechte, wurde kurfürstlicher Rat und Stadtschultheiß,
der Vertreter des Kurfürsten in der Stadt Trier. Er hatte die
Leitung des Trierer Schöffengerichts, war Beisitzer am Appellationsgericht
in Koblenz, Schultheiß des domkapitularischen Gerichts und
Schöffe am Hochgericht St. Maximin. Er war Professor an der
juristischen Fakultät der Trierer Universität und 1585
deren Rektor. Das Rektorat war ein Ehrenamt, das meist nur Äbte
und andere hohe geistliche Würdenträger erhielten, da
die Rektoren nach den Statuten ledig sein mussten. Deshalb konnte
der Jurist Flade erst als Witwer das Rektorat bekleiden. Flades
Ehefrau hatte im übrigen zu seinem ungewöhnlichen Reichtum
(drei stattliche Häuser in der Brückenstraße und
34.000 Goldgulden Vermögen) beigetragen.
1587 wurde Flade aufgrund der Aussagen eines Jungen
beschuldigt, mehrfach als Anführer auf dem Hexensabbat gewesen
zu sein. Die Krankheit des Erzbischofs und Kurfürsten Johann
VII. von Schönenberg sei durch einen Giftanschlag verursacht
worden, an dem auch Flade beteiligt gewesen sein soll. Da sich das
Gerücht von dem Hexenmeister Flade schnell verbreitete und
weil man möglicherweise den Angeklagten unter der Folter entsprechende
Aussagen in den Mund legte, wurde der hohe Beamte und Richter immer
wieder besagt. Diese Besagungen sowie ein gescheiterter Fluchtversuch
1588 wurden als Indizien für seine Schuld gewertet. Am 18.
September 1589 wurde Flade bei der Trierer Gerichtsstätte auf
der anderen Moselseite bei Euren in einer Strohhütte verbrannt.
War Flade, der selber zahlreiche Hexenprozesse geführt
hatte, nicht nur ein Opfer, sondern auch ein Gegner der Prozesse?
Bei seiner Verteidigung hat er die zahlreichen Aussagen, nach denen
er auf dem Hexentanzplatz gesehen worden sei, nicht grundsätzlich
bestritten. Als Erklärung für diese Bezichtigungen führte
er an, er sei nicht bewusst und körperlich (scienter und corporaliter)
auf dem Sabbat gewesen, der Teufel habe jedoch seine Gestalt angenommen.
Doch nach damaliger Lehre, die auch Flade bekannt war, musste der
Teufel dazu die Einwilligung der betreffenden Person haben. Deshalb
genügte dieses Argument nicht zur Entschuldigung.
Dennoch wird Flade von Martin Del Rio als prominenter
Gegner der Hexenprozesse und damit quasi als Schutzherr der Hexen
beschrieben. Flade habe sich im Sinne von Johann Weyer gegen die
Verfolgungen geäußert, sei aber von Weihbischof Binsfeld
widerlegt worden. Er habe vor seiner Hinrichtung nicht nur die Hexerei,
sondern auch den betrügerischen Versuch, Prozesse zugunsten
der Angeklagten zu manipulieren, gestanden. Die Prozessakte Flades
ist teilweise in der Cornell University in Ithaca, (im Staat New
York) und teilweise in der Stadtbibliothek Trier erhalten. Darin
findet sich ebenso wenig ein Hinweis auf eine kritische Haltung
Flades wie in anderen Akten. Auch in den Büchern von Binsfeld
und Loos ist eine Gegnerschaft Flades nicht erwähnt. Die Aussagen
über Flade als Prozessgegner hat Del Rio anscheinend erfunden,
um den prominenten Juristen nicht als Opfer eines Justizirrtums
oder gar einer Intrige darstellen zu müssen. Es erschien ihm
nur logisch, dass Flade als Anführer der Hexen diese auch in
Schutz genommen hat.
Der Prozess Flade wirkt bis heute nach. Der Stadtschultheiß
hatte der Stadt Trier 4.000 Gulden geliehen. Nach der Hinrichtung
verfügte der Kurfürst, dass der Stadt Trier die Schulden
nicht etwa erlassen würden, vielmehr seien die Zinsen fortan
an die Trierer Pfarrer zur Aufbesserung ihres Einkommens zu zahlen.
Noch heute stehen "Verpflichtungen aus dem Fladeschen Nachlass"
in Höhe von 710,- DM im Haushaltsplan der Stadt Trier unter
der Rubrik Kul-tur und werden pünktlich an die vier Pfarreien
der Innenstadt gezahlt.
Johannes von Malmédy
Zum 400. Geburtstag von Friedrich Spee wurde im Februar
1991 an der St. Suitbertus-Basilika in seinem Geburtsort Düsseldorf-Kaiserswerth
ein großes Bronze-Epitaph des Künstlers Bert Gerresheim
zu Ehren Spees angebracht. Unter den dargestellten Persönlichkeiten
im Kopfteil finden sich tatsächliche Gegner der Hexenprozesse
vor und nach Spee, wie Johann Weyer, Cornelius Loos, Adam Tanner,
Paul Laymann ( 1635) und Christian Thomasius ( 1728),
aber auch lediglich vermutete Gegner wie Dietrich Flade und Abt
Johannes Malmunder.
Johannes Malmunder (eigentlich von Malmédy)
war 1577 bis 1604 Abt der Benediktinerabtei St. Martin, einer der
vier alten Abteien außerhalb der Stadtmauern von Trier. Aus
dem Hexenregister des St. Maximiner Amtmanns Claudius Musiel geht
hervor, dass der Abt 1590 bis 1592 sechsmal besagt worden ist. Anna
Meisenbein in Ruwer, deren Prozess auch in die dämonologische
Literatur eingegangen ist, nannte in ihrem Verfahren ungewöhnlich
viele angebliche Komplizen, insgesamt 91 Frauen und Männer.
Auch der Abt habe mit ihr auf der Hetzerather Heide, dem vermeintlichen
zentralen Versammlungsplatz der Hexen des Trierer Landes, getanzt:
Her Johan Malmunder Apt zu S[ank]t Martein hat offt mit Ihr uff
Hetzratter Heiden gedantz mit einer kappen und weissen schlaff Juippen.
Annas Sohn Hans Cuno sagte aus, der Abt habe alles einen Willen
mit seiner Mutter Meisenbeins Anna gedrieben. Da der Abt anscheinend
trotzdem nicht angeklagt wurde und wir keinen Hinweis auf eine Stellungnahme
von ihm gegen die Hexenprozesse haben, kann er weder als Opfer noch
als Gegner gelten.
Heinrich Gaderius
Heinrich Kauder ( 1636), latinisiert Gaderius,
nannte sich nach seinem vermutlichen Geburtsort im Westen des heutigen
Großherzogtums Luxemburg (östlich von Arlon) auch Heinrich
Sterpenich. 1607 bis 1621 verwaltete er die Pfarrei Koerich (luxemburgisch
Käerch). Gaderius verfügte über ein ungewöhnlich
großes Vermögen. Am neugegründeten Jesuitenkolleg
in Luxemburg stiftete er gleich zwölf Studienbörsen (Stipendien),
wozu ein Kapital von mindestens 14.000 Karolusgulden nötig
war. Er rief auch eine Schulstiftung ins Leben, aus deren Mitteln
noch Ende des 18. Jahrhunderts pro Jahr sechs Monate lang Schulunterricht
abgehalten werden konnte. In Koerich soll er die Kirche zumindest
restauriert haben. Ungewöhnlich war auch, dass Gaderius an
der Universität Löwen studiert und den akademischen Grad
eines Lizenziaten der Theologie erworben hatte, da nur wenige Pfarrer
damals ein abgeschlossenes Theologiestudium absolvierten. Seine
Predigten wurden allgemein gelobt. Ab 1618 bemühte sich der
Luxemburger Provinzialrat um strikte Einhaltung der Residenzpflicht
der Pfarrer. Mit dieser Maßnahme ließ sich nicht vereinbaren,
dass Gaderius die beiden Pfarreien Koerich und Sterpenich versah
und deren Pfründen erhielt. 1620 sprach der Provinzialrat Heinrich
Gaderius die Pfarrei Sterpenich zu und sperrte ihm die Einkünfte
aus Koerich. Ein Jahr später musste sich der Nachfolger auf
der Koericher Pfarrei verzweifelt an den Provinzialrat wenden, weil
Gaderius keine Anstalten machte, das Pfarrhaus zu räumen.
In den Jahren 1610 bis 1616 führte Peter Britt,
Amtmann der kleinen Herrschaft Elter, mehr als 20 Hexenprozesse
durch. Dabei wurden zunächst arme Schlucker', dann auch
angesehene Bürger angeklagt. Britt verstieß dabei gegen
die vom Provinzialrat verabschiedete Hexenprozessordnung, die ein
ordentliches' Verfahren durch Juristen gewährleisten
sollte. Britt ließ beispielsweise Absprachekartelle zwischen
Zeugen zu. Statt wie andere Geistliche die Hexenfurcht anzuheizen
oder als Beichtvater die Angeklagten im Kerker in ihrer aussichtslosen
Situation zu quälen, war Heinrich Gaderius wahrhaftig ein guter
Hirte. Tatkräftig hat er die Hexenprozesse bekämpft. Er
ermutigte beschuldigte Pfarrkinder, sich nicht in ihr Schicksal
zu ergeben, und lieh ihnen Geld zu ihrer Verteidigung. 1616 brachte
er persönlich 800 Taler nach Luxemburg. Gaderius sammelte Beweise
gegen den Hexenjäger Britt und predigte von der Kanzel, man
verwirke das ewige Leben, wenn man seinen Nächsten falsch beschuldige.
Nach dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen dürfe die menschliche
Justiz nicht Gottes Urteil am Jüngsten Gericht vorgreifen.
Er soll sogar gesagt haben, es gebe keine Zauberei in natürlichen
Dingen, also keinen Schadenzauber. Der Amtmann Britt drohte seinem
Widersacher mit einem Hexenprozess. Gaderius beantragte zu seiner
Rechtfertigung beim Provinzialrat einen Reinigungsbrief (lettre
de purge). Der mutige Pfarrer hatte bemerkenswerten Erfolg: Auf
Weisung des Provinzialrats wurde Britt aus dem Amt entfernt; die
Prozesswelle in Elter brach zusammen. In den 40er Jahren des 17.
Jahrhunderts gab es aber eine neue Prozesswelle. Dabei wurden die
damals von Britt erwirkten Urteile als Beweise gegen die Töchter
und Enkeltöchter der Opfer herangezogen, da man glaubte, dass
die Zauberei sich in den Familien fortpflanze.
Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen wurde von
fast allen Befürwortern und Gegnern der Hexenprozesse diskutiert.
Während der Trierer Weihbischof Binsfeld die These vertrat,
das vom Teufel gestreute Unkraut sei so gefährlich, dass man
beim Ausreißen auch die Gefährdung Unschuldiger durch
Besagungen in Kauf nehmen müsse, bestand Friedrich Spee darauf,
dass man das Unkraut nicht ausreißen dürfe, wenn dadurch
auch der Weizen gefährdet sei. Auch könne man bei dem
angewandten Gerichtsverfahren durch die Folter gar nicht herausfinden,
welches das "Unkraut" sei. Gaderius hat mit dem Hinweis
auf das Jüngste Gericht Gottes die richtige Auslegung des Evangeliums
vorgetragen.
Es wurde darauf hingewiesen, dass Gaderius durch seine
guten Kontakte zu den Jesuiten über die Diskussion zu den Hexenprozessen
in diesem Orden Kenntnis erhalten haben kann. Es ist auch daran
zu denken, dass Gaderius ebenso wie Loos in Löwen studiert
hat, wo der Bajanismus, die antischolastische Gnadenlehre des Michael
Bajus, auch nach dessen Tod 1589 weiter heftig diskutiert wurde.
Friedrich Spee
Der heute prominenteste Gegner des Hexenwahns ist
zweifellos der Jesuitenpater Friedrich Spee (1591-1635). Allerdings
muss man immer wieder darauf hinweisen, dass Spee keineswegs der
erste und der einzige erfolgreiche Bekämpfer der Hexenprozesse
war. Aber er hat unter den Zeugen der Wahrheit mit der Cautio criminalis
die größte Verbreitung gefunden und zur Beendigung der
furchtbaren Hexenprozesse tatsächlich beigetragen.
Friedrich Spee (nicht "von Spee", latinisiert
Spe, die Familie nannte sich auch Spede) wird nach dem Zweig seiner
Familie auch Spee von Langenfeld genannt. Er war der Sohn eines
adligen Amtmannes im kurkölnischen Amtsstädtchen Kaiserswerth
am Rhein (heute zu Düsseldorf gehörig). Nach dem Besuch
des Gymnasiums und Studienbeginn in Köln trat Spee 1610 in
den Jesuitenorden ein. Das Noviziat der Rheinischen Ordensprovinz
für die zweijährige Vorbereitungszeit befand sich in Trier
(das Gebäude ist als Mutterhaus der Borromäerinnen erhalten).
Während des Noviziats von 1610 bis 1612 hat Spee in Trier Hexenprozesse
erlebt, die vor dem weltlichen, kurfürstlichen Hochgericht
geführt wurden. Man sprach sicher noch von der großen
Prozesswelle, die besonders in den Jahren 1585 bis 1595 stattgefunden
hatte, und von dem Schicksal des Cornelius Loos. In Paderborn, Köln
und anderen Städten wurde Spee ebenfalls mit Prozessen konfrontiert.
Die Professur für Moraltheologie in Paderborn wurde Spee wegen
verschiedener kritischer Lehren, unter anderem über die Hexenprozesse,
bald wieder entzogen.
1631 erschien in Rinteln an der Weser ohne Nennung
des Autors und ohne die vorgeschriebene Zensur die Schrift Cautio
Criminalis, seu De processibus contra sagas liber (Mahnung zur Vorsicht
im Strafprozess, oder über die Prozesse gegen die Hexen). 1632
erschien eine zweite Auflage, welche die Kritik an den blutigen
Prozessen noch verschärfte und zuspitzte. Nach neueren Forschungen
ist dieser Druck unter Beteiligung von Spee in Köln erfolgt.
Der Kölner Provinzial Goswin Nickel, der von der Autorschaft
Spees und der Umgehung der Zensur wusste, hat Spee aber geschützt,
weil er es für notwendig hielt, dass die Diskussion über
die Hexenprozesse neu geführt wurde. So wurde Spee entgegen
der Forderung des Ordensgenerals in Rom nicht aus dem Orden ausgeschlossen,
sondern 1632 als Professor für Moraltheologie an die Universität
Trier versetzt. Hier hat Spee das Manuskript der Trutz-Nachtigall
vollendet, eine der bedeutendsten Barockdichtungen mit über
50 Liedern und Gedichten. Der Pater leistete auch Krankenpflege-
und Seelsorgedienst für die in Trier stationierten Soldaten,
infizierte sich bei diesem Dienst an der Pest oder einer ähnlichen
Seuche und starb am 7. August 1635. Das Grab in der Gruft unter
der Jesuitenkirche wurde 1980 neu gestaltet und ist für Besucher
zugänglich.
Es ist in der Forschung umstritten, ob Spee tatsächlich
an die Existenz von Hexen und Zauberern geglaubt - oder diese Möglichkeit
zu Beginn seines Traktats Cautio Criminalis nur zugestanden hat,
um nicht als Ketzer zu erscheinen und die Verantwortlichen, die
er überzeugen wollte, nicht sofort abzuschrecken. Er wandte
sich vor allem in überzeugender Gedankenführung und mitreißender
Sprache gegen das Prozessverfahren. Selbst wenn es Hexen gäbe,
könne man dies mit dem damals gängigen Verfahren nicht
erkennen, und es würden Unschuldige verbrannt. Selbst Apostel
und Heilige würden unter der schrecklichen Folter bekennen'
müssen, dass sie mit dem Teufel im Bunde seien. Folgende Grundsätze
bekamen wegweisende Bedeutung:
1. Die Unschuldsvermutung. Der Sache nach formulierte
Spee den Grundsatz in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten),
der erst im 19. Jahrhundert in seiner Allgemeingültigkeit anerkannt
worden ist.
2. Die Abschaffung der Folter. Die Folter sei völlig
abzuschaffen und nicht mehr anzuwenden.
3. Das Recht auf Verteidigung. Seiner Zeit voraus
waren auch Spees Vorschläge zur Strafverteidigung. Nach damaliger
Lehre durfte man so schlimme Verbrecher wie Hexen nicht verteidigen,
und jeder, der das tun wollte, machte sich selbst verdächtig
(vergleiche den Fall Gaderius). Spee vertrat unter Berufung auf
das Naturrecht die Überzeugung, dass jeder sich so lange verteidigen
dürfe, bis die Schuld feststehe. Er dachte sogar an eine Pflichtverteidigung.
4. Die Unabhängigkeit der Richter. Nach dem Vorbild
der Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Carolina) forderte Spee die
Unabhängigkeit der Richter. Es dürfe nicht sein, dass
manche Richter Kopfgeld für die Hingerichteten erhielten.
5. Menschenwürdige Haftbedingungen. Schließlich
forderte Spee menschliche Haftbedingungen. Die wichtigsten Forderungen
haben in die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950
Eingang gefunden. Der Kampf gegen die Folter ist weltweit immer
noch nicht gewonnen. Die Cautio criminalis erlebte zahlreiche Neuauflagen
in lateinischer Sprache und wurde ins Deutsche, Niederländische
und Französische übersetzt. Sie gehört zu den Büchern,
die die Welt bewegen'.
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