Peter Kiefer

Klangwelten
Auditive Ausstellungsgestaltung als Bestand-
teil des künstlerischen Gesamtkonzeptes


Während der vergangenen Jahrzehnte ist eine Tendenz im Ausstellungswesen zu erkennen, die auch als Neudefinition des Ortes Museum verstanden werden kann: Wechselnde Themenausstellungen konzentrieren Exponate zahlreicher Leihgeber zu Ausstellungen, die in wenigen Monaten Dauer teilweise enorme Publikumsmassen anziehen. Beispiele hierfür sind Œuvre-Ausstellungen über eine Künstlerpersönlichkeit, Epochen- oder Themenausstellungen. Im Mittelpunkt solcher Wechselausstellungen steht ein Konzept, das sich – über das einzelne ausgestellte Objekt hinaus – durch die Gestaltung vermitteln soll. Damit wird die Ausstellung selbst zum Gegenstand gestalterischen Wollens, bei dem das Museum bisweilen auf seine Funktion als raumgebende architektonische Hülle reduziert wird.

In dieser neuen Form der Präsentation findet die Ausstellung nicht in einer bestehenden Architektur statt, sondern sie erhält eine eigene Architektur. In die Museumsräume hinein wird eine zweite Raumarchitektur gebaut, die das Publikum führt und das inhaltliche Konzept der Ausstellung verdeutlicht. Diese temporäre, meist in Leichtbauweise erstellte und die bestehenden Räume neu strukturierende Ausstellungsarchitektur wird ergänzt durch die eigentliche Ausstellungsgestaltung, meist aus derselben Hand. Dabei wird die Makrostruktur des raumgreifenden architektonischen Ansatzes in verkleinertem Maßstab auf alle Details übertragen, wobei selbst beim kleinsten Element die Grundfrage „Was wird wie präsentiert?“ berücksichtigt wird. Neben den eigentlichen Ausstellungsgegenständen werden so assoziative Texte selbst zu Objekten, Wände werden farblich gegliedert und unterscheidbar gemacht, aussagekräftige Vitrinen eigens konstruiert und gebaut – kurz, die gesamte Materialität des Ausstellungsraums wird dem gestalterischen Prozess unterzogen.

Es ist deshalb nur konsequent, wenn darüber hinaus auch immaterielle Aspekte in die Ausstellungskonzeption einfließen, nämlich die Gestaltung durch Licht und seit kurzem auch die Gestaltung von Klangräumen.

Einer der Ausstellungsmacher, die in der Ausstellungsgestaltung neue Wege gingen, war Volker Geissler († 2001), der ursprüngliche Gestalter dieser Ausstellung, die in Luxemburg unter dem Titel Incubi Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute gezeigt wurde. Der vom Schauspiel und der Regie kommende Theatermensch sah die ambitionierte Ausstellungsgestaltung auch als aktuelle Spielart der theatralisch inszenierten Vermittlung. Ausstellungen sollen mehr als nur visuelles Aufzeigen sein, sie sollen ein Thema für die Besucher ganzheitlich aufbereiten. Ausstellungsräume können nicht nur anregen, ein Thema rational zu erfassen, sondern auch zum intuitiven Assoziieren und affektiven Erleben einladen. Um dies zu erreichen, ist eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gesamtthema und eine differenziert strukturierte Konzeption auf allen Ebenen der Ausstellungsgestaltung notwendig, die sämtliche Bereiche der menschlichen Wahrnehmung mit einbezieht. Das Ergebnis ist eine ganzheitliche, multisensuelle Ausstellungsgestaltung von Architektur, Farbe, Licht und Klang.

Auf Anregung von Volker Geissler setze ich mich als Komponist und Medienkünstler seit mehr als fünf Jahren mit der auditiven Konzeption von Ausstellungen als Bestandteil der Gesamtgestaltung auseinander. Dabei geht es nicht nur um die musikalische Arbeit mit multimedialen Installationen, nicht nur um die Schaffung von atmosphärischen Raumklängen, nicht nur um Textvermittlung und nicht nur um Vermeidung eines Klangbreis der tönenden Objekte, sondern um eine komplexe Gesamtkomposition der Beziehung aller Räume und aller Klangereignisse zueinander.

Die Klangebene muss selbst wie ein Objekt gleichwertig neben den anderen Ausstellungsobjekten stehen – konzeptionell verbunden, ja, aber künstlerisch eigenständig. Klangdesign sollte die Ausstellung nicht illustrieren, sondern auf auditiver Ebene dazu beitragen, Erlebnisräume zu öffnen, thematische Zusammenhänge aufzugreifen, Dramaturgien zu setzen oder sogar völlig eigenständige Ausdeutungen des Themas zu präsentieren. Dadurch, dass schon im Ansatz das auditive Konzept gemeinsam mit dem Ausstellungskonzept entwickelt wird, ergeben sich inhaltliche Kongruenzen als spezifische Qualität der musealen Repräsentation.

Die Klangwelten der Berliner Ausstellung Hexenwahn. Ängste der Neuzeit erscheinen demnach auf unterschiedlichen Ebenen, die mit der Ausstellungsarchitektur korrespondieren. Die drei Ebenen Musik, Klang/Geräusch und Text der Klang-Raum-Komposition werden in einer zeitlichen wie räumlichen Struktur zueinander in Beziehung gesetzt, also als Ganzes komponiert. Das bedeutet auch, dass die Museumsräume nicht einem ständigen Beschallungsstrom ausgesetzt werden, sondern dass punktuelle, kurzgefasste Klangereignisse sich in Klangflächen integrieren. Die digitale Klangkomposition und modernste computergesteuerte Beschallung, die einen erheblichen technischen Aufwand erfordert, wurde speziell für die Ausstellung konzipiert.

Die drei thematischen Ebenen der Ausstellung „Beten, Läuten, Brennen“ werden durch interaktive Klangschwellen voneinander getrennt, aus denen Schillerzitate tönen. Es gibt Texträume, in denen der Besucher durch gesprochene Hörszenen mit den uns heute bisweilen absurd anmutenden Inhalten und Verfahrensformen eines Verhörs auf einer textlichen Ebene konfrontiert wird und gleichzeitig in einer atmosphärischen Klangraumgestaltung die Tragik des verhörten Individuums nachvollziehen kann. Es gibt Räume, in die ein kaum wahrnehmbarer Grundton eingespielt wird, der in der Frequenz genau mit den architektonischen Maßen des Raumes übereinstimmt. Dadurch entsteht ein akustischer Binnenraum, der gerade auf der ersten Ebene „Beten“ die vermeintliche Sicherheit vorgegebener Ordnungen als eine trügerische aufdeckt und eine unterbewusste Bedrohung thematisiert und nachvollziehbar macht. Im ersten Raum ertönt zusätzlich der Choral „Wir treten zum Beten“, vermischt mit Klangfetzen von leicht nostalgischen Werbebotschaften, die für die heutigen Symbole einer heilen Welt stehen.

Musik- und Klangcollagen rekurrieren damit immer auf eine hinterlegte Bedeutung und fungieren für den aufmerksamen Hörer wie ein Hypertext mit mehreren Bedeutungsebenen. Dies gilt auch für die interaktive Klanginstallation zum Thema „Gerüchte“. Hier werden die Stimmen der Besucher im Treppenhaus verzögert und überlagert wiedergegeben, so dass die Assoziation mit im Raum stehenden Gerüchten entsteht. Eine inhaltliche Parallele zu den Zeiten des Hexenwahns, als Verleumdungen und üble Nachrede den Protagonisten der Hexenverfolgung als Legitimation für die unselige Verfolgung dienten.

Weitere Repräsentationen von Klang in dieser Ausstellung finden sich in einer fast skulpturalen Klangwand (im zweiten Ausstellungsabschnitt „Angst und Schutz“), die sich den Besuchern in den Weg stellt und ihnen Volksweisheiten und Sprüche zum Thema mit auf den Weg gibt, in raumdefinierenden Frequenzmodulationen, in ironisch-musikalischen Anmerkungen und in analytischen Textcollagen. Immer steht der Klang dabei in Balance zum gezeigten Objekt, zum Raum oder Gliederungsthema oder schafft im Zusammenspiel mit ihnen einen neuen Sinnzusammenhang. Dies geschieht besonders im vorletzten Raum der Ausstellung, in dem es um die Auseinandersetzung mit dem tragischen Ende der meisten Beschuldigten der Hexenprozesse auf dem Scheiterhaufen geht. Die wuchtige und kaum zu ertragende Klangkomposition hat bis zu zwölf differenzierte Klangebenen, die nur beim ersten Hinhören wie das Geräusch von Feuer klingen.

Klänge und Klangräume in dieser Ausstellung können und sollen genauso zur Reflexion anregen wie die Objekte und Bilder, sie sollen aber auch die sonst unerreichbaren tieferen Schichten der menschlichen Wahrnehmung ansprechen. Die Dramaturgie der Ausstellung vollzieht sich auch auf klanglicher Ebene, welche damit zu einem integralen Bestandteil des Ausstellungskonzeptes wird.