Mit den Weltausstellungen entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein öffentliches Forum für den internationalen Wettkampf der Industrienationen um die wirtschaftliche Führungsmacht. Technische Entwicklung wurde zum Bestandteil imperialer Strategie und durch staatliche Förderung eine Angelegenheit nationalen Prestiges. Sie galt als Voraussetzung für die Fähigkeit des Menschen, sich die Werkzeuge für die Gestaltung der Welt zu schaffen.

Adolph Menzels großformatiges Eisenwalzwerk (1872-1875) setzte Maßstäbe für die weitere Bearbeitung des Themas. In seiner Nachfolge wird das Industriebild bis zum Ersten Weltkrieg als Historienbild verstanden, das über geistige und sittliche Werte der Gesellschaft aussagt.

Neue Industrien wie die Elektrotechnik und Chemie wurden als Motive nur selten aufgegriffen. Nach wie vor faszinierten die Künstler Feuer und Rauch, Eisenbahn, Bergbau und Metallverarbeitung.

 

" ... denn nicht nach naturalistischer, den Stoff peinlich beschreibender, sondern nach monumentaler, ins Symbolische steigernder Wiedergabe verlangt das industrielle Bild, wenn die im Begriff der Industrie mitschwingenden, ethischen Momente, der heroische Ernst, die geheiligte Würde der Arbeit zum Ausdruck kommen sollen."

(Ernst Gosebruch, 1912)

 

 

 

 

 

 

Léon-Auguste Mellé (Paris 1816 - 1889 ?)
Steinbrüche von Gentilly (Carrières de Gentilly), 1879
Öl auf Leinwand, 90 x 125
Sceaux, Musée de l'Île-de-France, Inv. 72.24.2

Das Bild zeigt einen der zahlreichen Steinbrüche im Süden von Paris bei Gentilly. In Stollen wurden die Steine dort unterirdisch gebrochen und mit Hilfe von Rädern nach oben transportiert.
Die Räder konnten einen Durchmesser von bis zu 12 Meter erreichen. Ihre Felgen waren gespickt mit Holzsprossen, durch die die Räder im Erdinneren von zwei Männern in Bewegung gehalten wurden. Auf diese Weise wurde der Stamm gedreht, um den ein Hanf- oder Metallseil lief, an dem der Stein befestigt wurde. Steine mit einem Gewicht von ein bis zwei Tonnen konnten so nach oben befördert werden. Oben angekommen, wurde das Grubenloch mit starken Brettern abgedeckt.

Das Rad wurde nun entgegen der ursprünglichen Laufrichtung bewegt und so der Stein auf die Bretter abgesenkt.
In Gentilly befanden sich die Räder vergleichsweise dicht beieinander, da die Steinschichten nicht sehr tief lagen. Seit 1870 wurden die Räder zunehmend von Pferden bewegt. Ursprünglich arbeiteten Hunderte von Männern in den zahlreichen Steinbrüchen, um 1880 existierten nur noch sechs mit 56 Arbeitern. Den Maler interessierte weniger die Arbeit im Steinbruch als das malerische Motiv der Räder in der winterlichen Landschaft. SB

Ausst. Kat. Paris 2001, S. 26f.
Bibliographie

 

Franz Skarbina (Berlin 1849 - 1910 Berlin)
Braunkohlenwerk (Clettwitz), 1899
Öl auf Leinwand, 69,5 x 100
Berlin, Bröhan-Museum - Landesmuseum für Jugenstil, Art Déco und Funktionalismus, Inv. 73-793
Das Gemälde vermittelt einen Eindruck von der gravierenden Veränderung der Landschaft durch den Braunkohlentagebau. Schaufelbagger und Loren wirken miniaturisiert durch die Entfernung und verlieren sich in der weiten Fläche. Skarbina führt dem Betrachter diese Wirkung durch die Kombination von extremer Nah- und Fernsicht vor Augen. Im Vordergrund schiebt sich der freigelegte, dunkel gefärbte Braunkohlenflöz in das Bild und teilt es diagonal in zwei Abschnitte. In der rechten unteren Bildecke ist ein Bergmann zu sehen, wie er die Kohle aus dem Flöz löst. Im Mittel- und Hintergrund hebt sich die helle, lichtdurchflutete Landschaft mit Fernblick ab.

Auf der Sohle der Abbaufläche schiebt ein weiterer Arbeiter den Förderwagen für die gelöste Kohle in einen kammerartigen Stummelort. Weiter im Mittelgrund ist ein dampfbetriebener Eimerkettenbagger zu erkennen, der den Abraum beseitigt. Direkt hinter diesem Bagger beginnen die Abraumhalden und die mit hellem Gestein verfüllten Flächen des ausgekohlten Tagebaus. Über dieser leuchtend gelben Fläche erhebt sich als kompositorisches Gegengewicht zu dem Hauer im Vordergrund eine rauchende und dampfende Brikettfabrik mit zahlreichen Schornsteinen.
In Skarbinas Gemälde erhalten wir eine detaillierte Wiedergabe der unterschiedlichen Arbeitsprozesse. Der Künstler hat sich aber nicht mit der speziellen Situation der Arbeit auseinander gesetzt, auch technische Details waren ihm nicht wichtig. Ihn interessierte vielmehr die künstlerische Umsetzung einer durch den Menschen veränderten Natur. Die "intime malerische Wirkung" und der "malerische Effekt" waren stets die "Hauptsache" für seine Arbeit, äußerte der Künstler 1900 in einem Gespräch mit Julius Norden. BB

Norden 1902, S. 92; Ausst. Kat. Berlin 1910, S. 10, Nr. 62; Ausst. Kat. Berlin 1995, S. 142ff., Nr. 55, S. 160, Nr. 63.
Bibliographie

 

Eugen Bracht (Morges am Genfer See 1842 - 1921 Darmstadt)
Die Henrichshütte bei Hattingen am Abend, 1912
Öl auf Leinwand, 69 x 87
Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Inv. 1404 LM

Der Schweizer Eugen Bracht fasste 1882 beruflich Fuß in Berlin, als Mitarbeiter an Anton von Werners Sedan-Panorama und als Professor für Landschaftsmalerei an der Akademie der Künste. Seine Hinwendung zur Pleinair-Malerei führte 1902 zum Wechsel nach Dresden.
Ab 1903 beschäftigte er sich wiederholt mit der Darstellung industrieller Anlagen. Der Henrichshütte widmete er 1912 die hier gezeigte, durch einen impressiven Realismus gekennzeichnete Ölskizze und 1913 ein großformatiges Gemälde. Bei seiner Themenwahl spielte der soziale Aspekt keine Rolle, wie er 1912 bekannte:

"Was nun die Industriebilder betrifft, so bin ich diesem Gebiet keineswegs genaht, weil es Industrie war, sondern aus koloristischem Triebe; schon lange reizte mich beim Durchqueren der Kohlen- und Eisengebiete die gebrochene Palette der Hochöfen und Montanwerke mit ihren Rauch- und Dampfwolken, die mir ebenso interessant erschienen wie ein ballendes Gewittergewölk."
Der Kritiker Max Osborn vermeinte dennoch Anklänge an den Grundkonflikt der Zeit zu spüren: "Und unsichtbar, nicht eigens zitiert und doch zur Stelle, schreitet durch dieses finstere Revier das Gespenst des sozialen Grollens."
Die 1854 von Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode gegründete Henrichshütte zählte zu den traditionsreichsten Industriestandorten im Ruhrgebiet. Hier wurden Kohle und Erz gefördert sowie Koks, Eisen und Stahl produziert. Auch Einrichtungen zum Walzen, Schmieden und Gießen waren vorhanden. Die Henrichshütte wurde 1904 von der Lokomotiv- und Maschinenfabrik Henschel & Sohn in Kassel übernommen, die umfangreiche Modernisierungen der Produktionsanlagen durchführte. Die Belegschaft lag 1910 bei 6 000 Personen. Ab 1974 gehörte die Henrichshütte zur August-Thyssen Hütte AG. Seit ihrer 1987 erfolgten Stilllegung ist sie eine der Außenstellen des Westfälischen Industriemuseums. AS

Osborn 1909, S. 90; Ausst. Kat. Duisburg 1969, S. 100; Slg. Kat. Münster 1975, S. 20f.; Ausst. Kat. Darmstadt 1992; Laube 1992.
Bibliographie

 

 

 

 

 

DIE ZWEITE SCHÖPFUNG-
Bilder der industriellen Welt vom
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Eine Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums


31. Juli bis 21 Oktober 2002
im Martin-Gropius-Bau

Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel.: 030/ 25486-0
Stadtplan-Link (www.berlin.de)


Öffnungszeiten

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr

Verkehrsverbindungen
S- und U-Bahn Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof
Bus 200, 248, 348 Haltestelle Potsdamer Platz
Bus 129 Haltestelle Anhalter Bahnhof

Eintritt
6 ,- € incl. Audioführung, ermäßigt: 4,-€