Vorwort

 

Ein Vorwort zu einem Katalog früher deutscher Plakate muß nicht zuletzt von der Attraktion handeln, die das Medium in seiner Geniezeit auf wache Großstadtgeister ausübte. Wer damals Augen hatte, zu sehen, erkannte in der scheinbar ephemeren Gebrauchsgraphik den Widerschein einer künftigen Medienrevolution, welche die alten Grenzen zwischen Kunst und Leben, Geist und Ware verwischen würde. Weil es kaum jemanden gibt, der sich in diesem Niemandsland der Moderne traumwandlerisch besser auskennt als Walter Benjamin, soll dieser statt einer weiteren Vorrede zu Wort kommen. Benjamins Hommage an die visionäre Kraft des Plakates ist geschrieben im Exil, in das ihn die Nazis gejagt hatten wie jenen anderen Berliner Plakatfreund Hans Sachs, dessen legendäre Sammlung den Kern unserer Ausstellung bildet. »Vor vielen Jahren sah ich in einem Stadtbahnzuge ein Plakat, das, wenn es auf der Welt mit rechten Dingen zuginge, seine Bewunderer, Historiker, Exegeten und Kopisten so gut wie nur irgend eine große Dichtung oder ein großes Gemälde gefunden hätte. Und in der Tat war es beides zugleich [...] So sah es aus: Im Vordergrunde der Wüste bewegte ein Frachtwagen sich vorwärts, den Pferde zogen. Er hatte Säcke geladen, auf denen »Bullrich–Salz« stand. Einer dieser Säcke hatte ein Loch, aus dem Salz schon eine Strecke weit auf die Erde gerieselt war. Im Hintergrunde der Wüste trugen zwei Pfosten ein großes Schild mit den Worten »Ist das Beste«. Was tat aber die Salzspur auf dem Fahrwege durch die Wüste, Sie bildete Buchstaben und die formten ein Wort, das Wort: »Bullrich–Salz«. War die prästabilierte Harmonie eines Leibniz nicht Kinderei gegen diese messerscharfe eingespielte Prädestination in der Wüste? Und lag nicht in diesem Plakate ein Gleichnis vor, für Dinge, die in diesem Erdenleben noch keiner erfahren hat. Ein Gleichnis für den Alltag der Utopie.«*

Christoph Stölzl

Berlin, im Frühjahr 1992