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2. Die Kiautschou-Bucht
als Teil des deutschen Kolonialreiches
Die Besetzung der Kiautschou-Bucht und die dortige Errichtung eines
deutschen Pachtgebietes am Ende des 19. Jahrhunderts vollzogen sich
in der Endphase kolonialer Erwerbungen des Deutschen Reiches.
Seit den 1840er Jahren hatte es in den deutschen Staaten vielschichtige
Strömungen gegeben, die die Effizienz von Kolonien analysierten, Gebietserwerbungen
forderten oder durch Auswanderungsaktivitäten sowie wirtschaftliche
Tätigkeiten in der Welt vorbereiten halfen. So organisierten Kolonialvereine
Auswanderungen von Deutschen in andere Kontinente oder forderten deutsche
Handelsunternehmen Reichsschutz für privatrechtlich erworbene Gebiete
in der Welt, ebenso zur Sicherung des Freihandels. Die von den geographischen
Gesellschaften geförderten Forschungsreisen brachten neue Erkenntnisse
über fremde Erdteile, die auch den Kolonialinteressen zugute kamen.
Nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 bestimmten vermehrt
sowohl wirtschaftspolitische Argumente (Rohstoffquellen, Absatzmärkte)
als auch nationale Überlegungen (Beteiligung an der Aufteilung der
Erde) sowie Fragen des rapiden Bevölkerungswachstums (Auswanderungen)
die Diskussionen um die Rolle Deutschlands als mögliche Kolonialmacht.
Obwohl Reichskanzler Otto von Bismarck (1871 bis 1890) die deutschen
Interessen überwiegend in Europa sah, wurden ab Mitte der 1880er Jahre
deutsche Unternehmungen in der Welt zuerst unter Reichsschutz gestellt
und kurze Zeit später - da ihnen die Selbstorganisation nicht gelang
- unter deutsche Souveränität. Letzteres war zumeist mit der Entsendung
von Militär (»Schutztruppen«) zur Bekämpfung von Widerständen aus
den einheimischen Bevölkerungen verbunden.
Die räumliche Verteilung der deutschen Kolonien konzentrierte sich
auf Afrika und auf die Südsee: 1884/85 Südwestafrika (heute Namibia),
Togo, Kamerun, Ostafrika (heute Tansania, Sansibar), auf Neu-Guinea
und benachbarte Pazifikinseln: Kaiser-Wilhelm-Land und Bismarck-Archipel
sowie weitere pazifische Inseln (1886). Der Besetzung der Kiautschou-Bucht
in China (1897) folgte noch vor der Jahrhundertwende die Eingliederung
weiterer Pazifikinseln in das deutsche Kolonialreich.
Im Gegensatz zur Kolonialpolitik Bismarcks war die Besetzung der Kiautschou-Bucht
Ausdruck einer neuen deutschen Weltpolitik und des »persönlichen Regiments«
Kaiser Wilhelms II. (1888-1918). Das Deutsche Reich hatte sich in
dieser Zeit des Hochimperialismus das politische Ziel gesetzt, bei
allen Angelegenheiten von weltpolitischer Bedeutung mitwirken zu wollen.
Daher erhob es auch den Anspruch, sich am Wettlauf der Großmächte
bei der Aufteilung der außereuropäischen Welt zu beteiligen und somit
seine Position als Weltmacht und europäische Macht zu verbessern.
Im Jahre 1898 schien die »verspätete Nation« Deutschland den »Kampf
um die Gleichberechtigung unter den Mächten« und einen »Platz an der
Sonne« gewonnen zu haben: Die Besetzung der Kiautschou-Bucht, das
Gesetz zum verstärkten deutschen Flottenbau, die Kaiserfahrt Wilhelms
II. ins Heilige Land und die Vorentscheidung zum Bau der Bagdadbahn
erfolgten in engem zeitlichen Zusammenhang. Diese Politik, die seit
1897 mit den Namen Bernhard von Bülow (Staatssekretär des Auswärtigen
Amtes) und Alfred Tirpitz (Staatssekretär des Reichsmarineamtes) verbunden
war, basierte auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens und fand
insbesondere beim neuen deutschen Mittelstand, im rechten Spektrum,
das sich auch über die Lobby-Verbände äußerte, aber ebenso im parlamentarischen
Raum Zustimmung. |
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