|
Internierte
Russen und andere „feindliche Ausländer“
Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 wurden
die russisch-polnischen Saisonarbeiter schlagartig zu „feindlichen
Ausländern“, sie wurden während des Krieges
kollektiv der Spionage und Sabotage verdächtigt und standen
unter Beobachtung. Aus den militärisch „besonders
gefährdeten“ Grenzgebieten wurden sie ins Landesinnere
abgeschoben. Während sie in den Jahren zuvor zum Ende
der Erntesaison unter Rückkehrzwang gestanden hatten,
wurden sie nun zwangsweise im Deutschen Reich festgehalten.
Mehr als 300.000 Saison- und Industriearbeiter fielen unter
dieses Rückkehrverbot.
|
Telegramm des Oberpräsidenten
von Koblenz an den Regierungspräsidenten |
|
|
|
Düsseldorf
zum Verbleib russischer Saisonarbeiter
Koblenz, 4. August 1914. Maschinenschriftlich, gestempelt
20,0 x 23,0 . Landesarchiv Nordrhein-Westphalen
Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Reg. Düsseldorf
15004, Bl. 13
|
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen besonders der wehrfähigen
Auslandspolen wurden seit Kriegsbeginn verschärft, sie
hatten den Status von Zivilgefangenen. Die Androhung von militärischer
Schutzhaft sowie von „Kost-, Licht-, und Bettentziehung“
sollte „widerspenstige Polen“ gefügig machen.
Bei Kriegsende befanden sich über eine halbe Million
russisch-polnische Arbeiter in Deutschland.
Ostjuden und Antisemitismus
Der steigende Arbeitskräftebedarf in der deutschen Kriegswirtschaft
führte dazu, dass ab 1915 in zunehmendem Maße auch
jüdische Arbeiter aus Russisch-Polen eingesetzt wurden.
So gestattete ein Erlass des Innenministers vom Dezember 1915
die Vermittlung russisch-jüdischer Arbeiter, bekräftigte
aber gleichzeitig gängige Vorurteile. Die jüdischen
Arbeiter gäben zu steter Klage Anlass, sie seien körperlich
ungeeignet, benähmen sich aufsässig und hetzten
ihre Mitarbeiter zur Unzufriedenheit auf, hieß es in
dem Schreiben. Ein großer Teil der jüdischen Arbeiter
war das Opfer wahlloser Zwangsrekrutierungen, Probleme bei
der Arbeit waren vor allem dieser Tatsache zuzuschreiben.
Ostjüdische Arbeiter waren seit Kriegsbeginn zum Gegenstand
einer sich verschärfenden antisemitischen Agitation geworden,
ein Beispiel ist die einflussreiche Schrift des Politikers
Georg Fritz, der dem radikal-nationalistischen „Alldeutschen
Verband“ angehörte.
|
Die Ostjudenfrage.
Zionismus und Grenzschluß |
|
|
Georg Fritz
Münschen: J.F. Lehmanns Verlag, 1915
Druck, 20,5 x 13,8
Berlin Staatsbibliothek - Preußischer Kulturbesitz,
15990
|
|
In seiner Schrift forderte Fritz eine Einwanderungspolitik
auf der Grundlage von Rassen- und Volkszugehörigkeit.
Die Aufnahme von ‚Ostjuden’
im Deutschen Reich müsse gestoppt werden, weil diese
Menschen „sittlich verkümmert“ und „rassefremd“
wären.
Der Anteil der ‚Ostjuden’
an der deutschen Gesamtbevölkerung betrug zu Beginn der
20er Jahre verschwindende 0,1 Prozent. Trotzdem war das Schreckbild
von ‚ostjüdischen’
Zuwanderer-strömen in der gesellschaftlichen Diskussion
sehr präsent.
Kriegsgefangene
Seit 1915 rekrutierten deutsche Truppen in den besetzten
Gebieten Russisch-Polens und Belgiens ausländische Arbeitskräfte.
Die Zahl ›freiwilliger‹ Meldungen blieb hinter
den Erwartungen zurück. Immer häufiger griffen die
deutschen Behörden zu Zwangsmitteln. Während des
Weltkriegs arbeitete etwa eine Million ausländischer
Zivilarbeiter in Deutschland. Die meisten Kriegsgefangenen
in Deutschland mussten Zwangsarbeit leisten. Sie wurden in
Landwirtschaft und Industrie eingesetzt. Kurz vor Kriegsende
lag ihre Zahl bei 1,5 Millionen. Die meisten stammten aus
Russland.
|
Bekanntmachung über die
Verpflichtung von Kriegsgefangenen zur Arbeit gemäss
Haager Konvention von 1907 (Dreisprachig Französisch/Englisch/Russisch) |
|
|
|
Merseburg, 8. Februar 1916, Druck, 31,6 x 57,4 (aufgeschlagen)
Berlin, Deutsches istorisches Museum, DG 90/696 (MfDG)
|
Die amtliche Bekanntmachung informierte Kriegsgefangene auf
Englisch, Französisch und Russisch, dass sie nach der
Haager Landkriegsordnung zum Arbeitseinsatz verpflichtet werden
konnten. Kriegsgefangene durften nicht zu Arbeiten mit direktem
Bezug zu Kriegsunternehmungen eingesetzt werden, doch diese
Bestimmungen wurden in Deutschland meist unterlaufen. Eines
der größten Gefangenenlager befand sich in der
Lüneburger Heide im heutigen Niedersachsen.
|
Totenbuch des Kriegsgefangenenlazaretts
Soltau / Hannover |
|
|
|
Soltau, 30. August 1914 – 1921
Handschriftlich, 33,0 x 43,0 (aufgeschlagen)
Bad Fallingbostel, Kreisarchiv Soltau-Fallingbostel
|
Zu den häufigsten Todesursachen im Lager zählten
Tuberkulose und Lungenentzündung. Unterbringung und Krankenversorgung
waren mangelhaft, oft starben die Gefangenen am Tag oder wenige
Tage nach ihrer Einlieferung ins Lazarett. Die Soltauer Kriegsgefangenen
wurden im Bergbau und in den Salzminen eingesetzt. Ehemalige
Lagerinsassen berichteten, dass sich Internierte selbst Verletzungen
zugeführt hätten, um nicht in den extrem gesundheitsbelastenden
Kaliwerken arbeiten zu müssen.
Die Berichte von ehemaligen Kriegsgefangenen verdeutlichen
die katastrophalen Bedingungen in Soltau. Sie haben über
die untenstehenden Buttons die Möglichkeit die Berichte
eines belgischen und eines englischen Soldaten zu hören.
Auszüge
aus den Erinnerungen des ehemaligen belgischen Kriegsgefangenen
Ernest de Laminne
Aus: Chevalier Ernest de Laminne, Notes et Impressions
de captivité. Contribution à l’histoire
de la Kultur, Liège, 1919, S. 135-137
Übersetzung: Mathilde Reumaux, Rosmarie Beier-de
Haan
|
.mp3,
3.574 KB |
Auszüge
aus den Erinnerungen des ehemaligen britischen Kriegsgefangenen
Ernest Walwyk
The Papers of E Walwyk
London, Imperial War Museum, Department of Documents
Übersetzung: sydem Berlin |
.mp3,
2.926 KB |
|