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Mit dem Anwerbeabkommen
mit Italien 1955 kamen die ersten ‚Gastarbeiter’
nach Deutschland. Ihre Zahl stieg zu Beginn der 60er Jahre
stark an, 1964 war die Millionengrenze erreicht. Während
in der Bundesrepublik die Wirtschaft boomte, herrschte in
den Entsendeländern häufig Arbeitslosigkeit. Die
meist noch ungebundenen Männer und Frauen hofften, nach
einigen Jahren im Ausland mit besseren Chancen zurückzukehren.
Die Bundesanstalt für Arbeit richtete Vermittlungsstellen
in den Entsendestaaten ein, um die Bewerber auf ihre fachliche
und gesundheitliche Eignung zu prüfen. Nach der Gesundheitsprüfung
wurden die Bewerber ihrem zukünftigen Arbeitgeber zugeteilt,
eine Wahlfreiheit gab es dabei nicht. In Krisenzeiten verloren
die ‚Gastarbeiter’ als Erste ihren Arbeitsplatz.
Die ausländischen Beschäftigten arbeiteten vor allem
als Ungelernte in der Industrie. Zunächst waren die Arbeitgeber
für ihre Unterbringung verantwortlich. Die ‚Gastarbeiter’
lebten bis Anfang der 1970er Jahre meist in Baracken und Wohnheimen,
in denen das Leben reglementiert war.
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Werbeblatt für
Wohnheimbetten |
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Schulte KG Wiesbaden
Um 1970
Druck, 29,3 x 30,0s
Delmenhorst, Museen der Stadt Delmenhorst, Fabrikmuseum
Nordwolle,
3.3 (Bildarchiv)
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„Wo schlafen ihre neuen Gastarbeiter?“ fragt
der Werbeprospekt und bietet gleichzeitig die Lösung
des Problems: In soliden Stahlrohrbetten, die sich zum Platz
sparenden Etagenbett erweitern lassen. Umrahmt von den Nationalfahnen
der klassischen Entsendeländer wird das Bild eines dunkelhaarigen,
südländischen Mannes gezeigt, der der Vorstellung
vom typischen ‚Gastarbeiter’ entspricht. Wie das
Passfoto auf einer Arbeitsgenehmigung ist das Bild in den
Ecken durchgestanzt.
Die Unterbringung in Mehrbettzimmern in Wohnheimen gehört
zu den kollektiven Erfahrungen der meisten Migranten und Migrantinnen.
Das Foto zeigt Wolfsburger ‚Gastarbeiter’ zu Beginn
der 60er Jahre beim Kochen in ihrem Heim. Bei gleichzeitigem
Schichtende reichten die angebotenen Kochstellen meist nicht
aus.
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Kochgelegenheit für „Gastarbeiter“ |
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Wolfsburg, 1962. Photographie
Wolfsburg, Stiftung AutoMuseum Volkswagen
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In den Wohnheimen unterlagen die Bewohner strengen Reglements. So
heißt es in einer Hausordnung: „Es ist streng
verboten, die Möbel zu verrücken. [...] Es ist nicht
erlaubt, angezogen im Bett zu liegen. [...] Es ist nicht erlaubt,
Fotografien oder Zeitungsausschnitte auf den Mauern oder Möbeln
der Zimmer anzuheften.“ Männer und Frauen waren
getrennt untergebracht, gegenseitige Besuche auf den Zimmern
verboten.
Die gesetzlich vorgeschriebenen Standards für Wohnheime
waren niedrig. Immer wieder sorgten Berichte über verschmutzte
und nur provisorisch eingerichtete ‚Gastarbeiter’-Unterkünfte
für Aufsehen.
1973 beendete die Bundesregierung im Zuge der wirtschaftlichen
Rezession die Neuanwerbung ausländischer Arbeitskräfte.
Dieser „Anwerbestopp“ bewirkte zunächst das
Gegenteil: Viele Migranten fürchteten, nach einer Ausreise
keinen neuen Arbeitsvertrag in Deutschland zu bekommen. Daher
blieben sie und holten ihre Familienangehörigen nach
Deutschland.
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