»Voor een' vryen Staet«
Die Niederlande, das Reich und »Tyrannen«
in den Krisenjahren 1572 und 1672
Gorch Pieken

 

»Ehrsame, hier habt ihr Herzog Alba auf seinem tyrannischen Thron»

Die wechselvolle Geschichte des niederländischen Aufstandes begleitete ein Bild, das über viele Jahrzehnte sehr populär war und das noch heute häufig als Gleichnis für den 80jährigen Befreiungskrieg veröffentlicht wird. Die älteste erhaltene Umsetzung des beliebten Bildthemas wurde als Handzettel in Städten an Passanten verteilt oder auf belebten Plätzen heimlich hinterlegt.22 Der Druck eines unbekannten Stechers war 1569 für einen außerhalb der niederländischen Grenzen lebenden Leserkreis bestimmt. Bis auf eine kurze französische Zusammenfassung sind der Titel und der größte Teil der Beschriftung in Deutsch verfaßt. Offensichtlich war der Stich für ein im Umfeld niederländischer Emigranten lebendes deutsches Publikum gedacht. Der mit den Ereignissen vertraute Graveur war sicherlich ein Flüchtling, der vermutlich in der berühmten niederländischen Künstlerkolonie von Köln tätig war.23 Mindestens fünf teilweise leicht veränderte Versionen sind bekannt und dienten als Vorlage für eine Reihe von Gemälden. Zu den frühesten Werken gehört auch die Tafel des Deutschen Historischen Museums. Die Schrift unten rechts heißt übersetzt: »Ehrsame, hier habt ihr Herzog Alba auf seinem tyrannischen Thron«. Vor dem Spanier knien aneinandergekettet die 17 niederländischen Provinzen. Sechs von ihnen sind an ihrem Wappen als Personifizierung von Brabant, Flandern, Zeeland, Gelderland, Holland und, halb verdeckt, Utrecht zu erkennen. Weiter rechts befindet sich eine Gruppe von Männern, die statt auf Beinen auf Pfählen stehen und sich den Mund zuhalten: »Oberkeit«, so der deutschsprachige Stich von 1569, »ist in steine seulen Verwandelt, ist stumm Und mat worden; darfft Nit reden um wegen ire gueter.« Die Regenten der niederländischen Städte haben Angst, sich zu bewegen oder zu sprechen, um einer Anklage vor dem »Blutrat« zu entgehen, die mit dem Verlust ihres Besitzes enden könnte. Deutlich ist die Kritik des Emigranten an den Regierenden herauszuhören, die untätig die Knechtung der Niederlande hinnehmen.24 Neben den Ratsherren stehen mit bedecktem Haupt Angehörige des Adels. Obwohl sie den größten Abstand zum Thron Albas wahren, bleiben auch sie teilnahmslose Zuschauer. Eine Maueröffnung gibt den Blick auf den Brüsseler Marktplatz frei. Um zwei Blutgerüste steht eine große Menschenmenge, die der Hinrichtung von vier Männern beiwohnt. Auf dem mit schwarzem Tuch ausgeschlagenen Schafott werden die Grafen Egmont und Horne25 und auf dem anderen vermutlich Antoon van Stralen und Jan Casembrood, Herr von Bakkerzeele, enthauptet. In zwei Drucken verweist ein Stuhl neben dem Henker auf den Antwerpener Altbürgermeister und Bankier van Stralen, den die Folter so entstellt hatte, daß er nur noch im Sitzen hingerichtet werden konnte. Mehr als drei Monate nach den Grafen wurde er am 24. September 1568 zusammen mit Bakkerzeele, dem Sekretär Egmonts, zur Richtstatt gebracht. Das Blut der vier Männer füllt einen Fluß, aus dem Margarete von Parma mit einem Netz die konfiszierten Besitzungen herausfischt. Ein weiteres Opfer steht, die Hände vor dem Bauch verschränkt oder gebunden und mit offenem Kragen, auf den Stufen zu Albas Thron. In einer anderen frühen Tafel aus dem belgischen Schloß Belœil, die Pieter Breughel d. Ä. zugeschrieben wird, bleibt dieser Mann namenlos, wie er auch über die Druckgraphik nicht zu identifizieren ist.

 

Die 17 niederländischen Provinzen vor Herzog Alba

»Und Ihr, o Brabant!, o Flandern!, o Ritterschaft und aufrechte Bürgerschaft von Holland, Zeeland, Utrecht und so vielen anderen Provinzen!, wie seid Ihr unwürdig aus dem Schoß des Überflusses gestoßen, um von Henkern und Bluthunden zerrissen zu werden! Und Ihr, o Egmondt!, o Hoorn!, Pyladen des Staates, wie schnöde wurde Euer Vertrauen mit Mißtrauen, Eure Treue mit Treulosigkeit vergolten!« (Wilhelm I. von Oranien)
[Die Schrift unten rechts heißt übersetzt: »Ehrsame, hier habt ihr Herzog Alba auf seinem tyrannischen Thron«.]

Spätere Versionen bezeichnen ihn als Bakkerzeele, während an seiner und van Stralens Stelle auf dem Schafott neben Egmont und Horne die Batenburg Brüder enthauptet werden. Der mit entblößtem Hals für das Richtschwert vorbereitete Gefangene ist von Männern umgeben, die der deutschsprachige Stich umschreibt als »Die blutige mörderische Spanische inquisition Sampt der gantze rhat Und papistiche hauff«. Zwei von ihnen, rechts von Alba, tragen ähnliche pelzverbrämte Mäntel wie die auf Pfählen stehenden Regenten. Obwohl diese Kleidung bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht mehr modern war, diente sie in bildlichen Darstellungen noch lange zur Hervorhebung von Ratsherren.26 Der sich zu Alba vorbeugende Mann ist der Vorsitzende des Blutrates Juan de Vargas, bei dem anderen handelt es sich um dessen engen Mitarbeiter im »Conseil des Troubles«, den Halbspanier Lodewijk del Río.

Der zwischen beiden stehende Geistliche wird in späteren Darstellungen als Maarten Rijthoven, Bischof von Ypern, kenntlich gemacht. Dieser eher moderate Kirchenfürst überbrachte Egmont das Todesurteil und begleitete ihn auf seinem letzten Weg.27 Von hinten legt Bruder Cornelius seine Hand auf die Schulter del Ríos. Der Franziskanermönch war für sein ausschweifendes Leben und seine unkeuschen Vorlieben bekannt. Man begegnet ihm in vielen protestantischen Drucken der Zeit als Sinnbild für den Verfall der alten Kirche.28 Auf der anderen Seite des Throns steht Kardinal Granvelle. Mit einem Blasebalg bläst er Alba Haß und Mordlust ins Ohr. Beide werden vom Teufel überragt. Über den Herzog hält dieser eine weltliche Krone und über den Kardinal die päpstliche Tiara. Die Unterschrift auf der deutschen Vorlage erklärt den Grund: »Hie Gibt der Teuffel eim leden Sein lohn nach Dem er verdient Hat mit ungleiche Kroonen.« Die drei links um Granvelle stehenden Männer gehören nicht zum ursprünglichen Bildprogramm der Graphik. Selbst über die teilweise sehr ausführlichen Legenden der Gemälde sind sie nicht zu identifizieren. Ihre Kleidung und ihr Platz hinter dem Thron kennzeichnen sie vermutlich als Angehörige des Hofstaates. Auch die Hutfedern des auf die 17 Provinzen weisenden Granden lassen diesen Schluß zu, sie ähneln denen des Herzogs. Vor den Füßen Albas liegen verstreut die zerrissenen Rechte und Privilegien der niederländischen Staaten. Auf dem Boden neben dem Thron steht eine rote Spardose. Sie ist ein Hinweis auf die Geldgier der Spanier und als eine Anspielung auf den Streit um den zehnten Pfennig zu verstehen. Daher ist die Büchse kein Bestandteil der vor 1571 entstandenen Stiche. Vom Herzog abgewandt schaut ein kleiner Hund aus dem Bild. Er hat nichts gemein mit den Bluthunden späterer Gemälde, die auch in R. C. Hoofts »Niederländischen Historien« erwähnt werden. Vielleicht symbolisiert er das Vertrauen Egmonts und Hornes, das die Spanier mit Mißtrauen beantworteten, und die Treue zum König, die mit Treulosigkeit vergolten wurde.29 In einem Verlies links vom Thronbaldachin erleiden Protestanten die Folter: »Hie ist wie man die Evangelisten Zwingt, streckt und auffhenckt Mit grosser marter das sie andere solten anzegen«, beschreibt der Druck von 1569. Am rechten Bildrand werden verschiedene Todesstrafen vollstreckt. Eine unbekleidete Frau steht auf einem Scheiterhaufen, ein Baum dient als Galgen. Weder der König von Spanien noch der Prinz von Oranien sind auf der Tafel abgebildet. Das über dem Thron prangende Wappen mit dem Goldenen Vlies ist das des eisernen Herzogs. Zur Entstehungszeit des Stiches galt Philipp II. noch als der »gute, jedoch schlecht informierte Monarch«, der für die Politik seines Gouverneurs nicht verantwortlich war. Die Rebellion der Niederländer richtete sich gegen das tyrannische Unrechtsregime Albas und wurde nicht als Aufstand gegen den rechtmäßigen König verstanden. Erst 1581 vollzog Wilhelm den endgültigen Bruch mit Philipp. Während er diesen als Fürsten und als Person angriff, begab er sich auf die Suche nach einem neuen Landesherrn.30 Zu unbestimmt war die Rolle des Prinzen, um ihn in das Bildprogramm von 1569 mit aufzunehmen. Nach der verheerenden Niederlage in der Schlacht von Jemgum und dem mißglückten Feldzug in Brabant 1568 mußte Wilhelm nicht nur vor den Spaniern, sondern auch vor seinen Gläubigern fliehen. Vier Jahre konnte er keine Armee aufstellen, und erst 1573 schloß er sich der entschiedensten Partei des Aufstandes an, indem er zum Kalvinismus übertrat. Auch später wurde die Komposition um keine wesentlichen Elemente ergänzt.

Die in Deutschland als Warnung vor Spanien konzipierte Graphik entwickelte sich in wenigen Jahren zur wichtigsten Ikone des niederländischen Befreiungkrieges. Die bei weitem größte Gruppe der bekannten Gemälde entstand nach einer Adriaen Pietersz van de Venne zugeschriebenen Zeichnung. Die 1622 vermutlich von Willem Jacobszoon Delff gestochene Graphik diente als Propagandablatt in einem innenpolitischen Streit. Es ging um Krieg oder Frieden. 40 Jahre nach dem Tode Albas sollte die Erinnerung an das tyrannische Regiment des Herzogs und an die verlorene Einheit der 17 niederländischen Provinzen einen neuen, gegen Spanien geführten Feldzug rechtfertigen helfen. Die um Mauritz von Oranien gruppierte Kriegsfraktion verhinderte 1621 eine Verlängerung des zwölfjährigen Waffenstillstands mit Spanien. Der Prinz konnte sich gegen die Friedenspartei durchsetzen und die Vereinigten Provinzen im Bündnis mit den deutschen Protestanten in den Dreißigjährigen Krieg führen. Im Kampf um Macht und Einfluß hatte der langjährige und angesehene Leiter der niederländischen Politik, der holländische Landadvokat Johan van Oldenbarnevelt, nicht nur den Streit, sondern auch sein Leben verloren. Aus dem Jahr seiner Hinrichtung 1619 datiert ein Stich mit dem Titel »Abbild der alten und der neuen Zeit«. Die obere Hälfte des Druckes ist umklappbar: Schlägt man diesen Teil nach unten, werden aus dem am Tisch sitzenden Alba der holländische Landadvokat und aus Kardinal Granvelle der Advokat von Utrecht und enge Vertraute Oldenbarnevelts, Gillis van Ledenberg. Aus dem Schafott mit der Enthauptung der Grafen Egmont und Horne wird der Platz für die Hinrichtung Oldenbarnevelts. Die Graphik ist ein Beleg für die Popularität des Bildprogramms von 1569. Die einzelnen Elemente der Darstellung waren so bekannt, daß sie ohne Erläuterung in ganz andere und neue Zusammenhänge gebracht wurden.31 Unabhängig vom wieder aufgenommenen Krieg gegen Spanien sollten die nach Delffs Stich entworfenen Gemälde an die mühevollen Anfänge der Staatsgründung erinnern und gemahnen. Auftraggeber waren oft die Nachfahren des gegen Alba rebellierenden Adels, wie Floris I. van Pallandt, Graf van Culemborg, und Philipp van Marnix van Sint Aldegonde. Von den 23 bislang bekannten Gemälden gehören vier zu einer dritten Gruppe.32

 

Abbild der alten und der neuen Zeit

 

In diesen Bildern ist die allegorische Vorstellung auf wenige Elemente reduziert und um einen Tisch mit dem tagenden Blutrat ergänzt. Diese sehr freie Umsetzung des Vorbildes legt den Nachdruck vor allem auf die Wiedergabe einer klassischen Monumentalarchitektur.33 Ungewöhnlich war dieses Verfahren nicht, wurde doch das Architekturbild durch die Allegorie aufgewertet, die noch vor der Genremalerei rangierte.34 Glaubt man der Signatur und Datierung eines Gemäldes aus dem belgischen Schloß Ooidonk, so ist dieses Bild zusammen mit einer im Bijlokemuseum von Gent aufbewahrten Tafel die letzte bekannte Fassung des Bildprogramms von 1569. Beide Bilder stammen von der Hand desselben Künstlers, der möglicherweise Jan Molenaer hieß und zumindest die Ooidonk Tafel 1671 vollendet haben soll.35 In unmittelbarer Nähe zum Thron befindet sich im Genter Bild ein in morgenländische Tracht gekleideter Mann mit Turban. War zur Zeit Philipps II. eine Allianz mit den Osmanen noch ungewöhnlich, verweist dieses Bild vielleicht auf einen anderen Monarchen, der solche Skrupel nicht kannte und im berühmten Katastrophenjahr 1672 zur Vernichtung der niederländischen Republik ansetzte - König Ludwig XIV. von Frankreich.

 

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