»Voor
een' vryen Staet«
Die Niederlande, das Reich und »Tyrannen«
in den Krisenjahren 1572 und 1672 |
|
Gorch
Pieken |
»...
wenn ein Land/ oder Volk Ursache hat, den großen Gott
zu verherrlichen,/ dann ist es unser liebes Vaterland ...
wenn wir unser tiefes Elend sehen/ und die körperliche/
wie auch geistige Sklaverei,/ in der unsere Väter unter
dem Antichristen/ und der spanischen Tyrannei gewesen waren/
und unter der sie leiden mußten ...
Schließlich haben uns die letzten Jahre gelehrt,/
nicht nur, wie er uns beschirmt hat; sondern je größer
unsere Not geworden ist,/ desto mehr hat der Herr uns zum
Nutzen seine Wunder gezeigt/ und sein Bestes für uns
getan. Wer muß nicht denken/ mit Alteration/ an das
traurige Jahr 1672/ und an den elenden Zustand unseres lieben
Vaterlandes in dieser/ und in der noch folgenden Zeit? Als
nicht nur die zwei mächtigen Könige von England
und Frankreich, neben verschiedenen Reichsfürsten,/
zur selben Zeit/ den Krieg gegen dieses Land anmeldeten;
sondern auch die feindlichen Ströme bis in das Herz
unseres Landes durchbrachen ..., derweil auch der Weiseste/
... nicht anders konnte urteilen,/ als daß der Todestag/
für diese florierende und berühmte Republik gekommen
war; da schien nun kein anderer Weg zu unserem Erhalt mehr
zu sein,/ als sich in die Gewalt unserer triumphierenden
Feinde zu geben; in der Weise,/ wie einst unsere Väter
in der Zeit ihrer größten Bedrückung meinten,/
ihren Feinden mit Schiffen zu entkommen/ und mit Frauen
und Kindern andere Länder zu suchen ..., so hörte
man nun schier nichts anderes, als zu kapitulieren/ und
sich mit den Feinden zu vergleichen,/ um durch einen Akkord
sich zu ihren Füßen zu werfen/ und ihre Herrschaft
zu erleiden.«36
|
|
Der
Devolutionskrieg und seine weitreichenden Folgen
Der
Angriff Ludwigs XIV. auf die Niederlande scheint unverständlich,
wenn in der »spanischen Erbfolgefrage der eigentliche
Dreh und Angelpunkt« seiner 54 Regierungsjahre vermutet
wird.37
Tatsächlich sind die Gründe für diesen Krieg
in einem anderen, nur vier Jahre zuvor beendeten Konflikt
gegen Spanien zu suchen. Im sogenannten Devolutionskrieg
wurden die traditionell guten Beziehungen zwischen Frankreich
und den Vereinigten Provinzen der Niederlande nachhaltig
beschädigt. Am 21. Mai 1667 hatte der gutaussehende
28jährige König von Frankreich in Begleitung seines
Bruders Philippe de Orléans sowie von Ministern,
Generalen und Höflingen an der Spitze eines 25.000
Mann starken Heeres die Grenze zu den südlichen Niederlanden
überschritten. Seinen Anspruch auf einen Großteil
der zehn spanischen Provinzen begründete Frankreich
mit dem Brabanter Devolutionsrecht, das die Erbfolge von
Töchtern aus erster Ehe noch vor den Söhnen einer
zweiten Verbindung festlegte.
|
Als
ältestes Kind des 1665 verstorbenen Philipp IV. von
Spanien war demnach die Gattin Ludwigs XIV., Maria Theresa,
vor ihrem Halbbruder Karl (II.) erbberechtigt. In ganz
Europa und insbesondere beim Schwager der französischen
Königin, dem mit ihrer jüngeren Schwester verheirateten
Kaiser Leopold I., stieß diese Auffassung auf heftigen
Widerstand, da sich Ludwig auf ein privates Recht stütze,
von dem keine Souveränitätsansprüche abgeleitet
werden könnten. Proteste allein vermochten jedoch
nicht, die bewaffnete Einforderung aller an Maria Theresa
devolvierten Besitzungen zu verhindern. Eine Stadt nach
der anderen kapitulierte vor dem jungen König und
seiner Königin, die in einer Kutsche zusammen mit
Ludwigs Mätressen, Mlle. de La Vallière und
der schönen Mme. de Montespan, die Kampagne begleitete.
Am 27. August öffnete die wichtige südniederländische
Stadt Lille dem französischen Belagerungsheer ihre
Tore. Unmittelbar nach diesem Erfolg sandte der König
eine große Kavallerieabteilung anrückenden
spanischen Entsatztruppen entgegen. Noch bevor die Spanier
von der Einnahme der Stadt erfahren und ihren Rückzug
einleiten konnten, sollten sie von den Generalen Créqui
und Bellefonds gestellt werden. Am Kanal von Brügge
kam es zur einzigen Feldschlacht des Krieges, in deren
Verlauf das gegnerische Heer unter Befehl des Grafen Marsin
eine schwere Niederlage erlitt. Ludwig bedauerte es ein
wenig, an diesem bedeutenden Treffen nicht teilgenommen
zu haben, mit dem die Kämpfe in den südlichen
Niederlanden beendet wurden.38
Der Verlauf des Krieges war bezeichnend für einen
Mann, dessen entschlossenes Handeln das Resultat wohlkalkulierter
Planungen war. Die Politik des jungen Königs wurde
maßgeblich von Ratgebern beeinflußt, die noch
Ludwigs politischer Ziehvater ausgewählt hatte -
Kardinal Mazarin. Als Premierminister, der erfolgreich
den Dreißigjährigen Krieg mit dem Habsburger-Kaiser
beendet und die Monarchie gegen die Adelsrevolten der
Fronde gestärkt hatte, genoß er das Vertrauen
des Königs. Über das Erreichen seines Mündigkeitsalters
hinaus beließ Ludwig den Kardinal im Amt. Mit dem
Abschluß des Pyrenäenfriedens sprengte Mazarin
1659 endgültig die Umklammerung Frankreichs durch
das Haus Habsburg. Nach seinem Tod übernahm Ludwig
1661 die Alleinherrschaft, ohne je wieder die Regierungsgeschäfte
aus der Hand zu geben. Ihm zur Seite standen der 64jährige
Michel Le Tellier als erfahrener Verwaltungsexperte und
Kriegsminister und der für Finanzen verantwortliche
Jean Baptiste Colbert. Großen Einfluß besaß
der legendäre Marschall Turenne. Seine wechselvolle
Laufbahn hatte den 55jährigen Protestanten zur Zeit
der Fronde gegen und für die Monarchie kämpfen
lassen, bis er schließlich auf seiten der Bourbonen
noch vor dem Prinzen Condé zum ersten Feldherrn
des Königreiches aufstieg. Schließlich gab
es noch Le Telliers 26jährigen Sohn, den Marquis
de Louvois, der sich mit seinem Vater die Pflichten im
Kriegsministerium teilte.
Nach den Jahren einer erfolgreichen, aber defensiven Politik
des Kardinalministers Mazarin entwickelte sich Frankreich
unter Ludwigs persönlichem Regiment zu einer expansiven
Macht.
|
Ludwig
XIV.
Als
oberster Richter und Friedensbringer ist Ludwig
XIV. durch das Lilienszepter und durch den Krönungsornat
gekennzeichnet. Durch die in der Krönung
übernommene Verpflichtung des Königs
gegenüber Gott und gegenüber seinem
Volk werden Frieden und damit das Aufblühen
der Wissenschaften und Künste garantiert.
Weil der Monarch die »Plus belle couronne
de l'Univers« trägt, kann er Lorbeerkränze
für hohe Leistungen auf diesen Gebieten verteilen.
Der König ist mit den weißen Strümpfen
und der Pumphose des Chevalier de l'Ordre de Saint
Esprit bekleidet, dessen Großmeisterkollane
er über seinen Hermelinkragen gelegt hat.
Als ein Abbild des Himmels galt der Krönungsmantel,
dessen Weite und Länge mit dem Recht seines
Trägers verbunden wurde, über ein Reich
zu herrschen, das sich von Jerusalem bis nach
Portugal und von Schottland bis nach Tunis erstreckte.
Die goldgestickten Lilien wurden mit Sternen verglichen
und waren ein Symbol für die göttliche
Berufung der französischen Könige seit
dem frühen Mittelalter.
|
|
Kardinal
Mazarin
|
Kompetent
und vorbehaltlos unterstützte Louvois die neue
französische Politik der Aggression und Eroberung.
Das erklärt sein vorzügliches Verhältnis
zum König und beider Übereinstimmung in
allen wichtigen Sachfragen der Wehrpolitik. Zusammen
mit Ludwig reiste er im Februar 1668 in die Franche-Comté,
deren spanische Garnisonen durch eine überraschende
Winteroffensive des Prinzen Condé bedrängt
wurden. Gerade noch rechtzeitig erreichte der König
den Belagerungsring um Dôle, das wenig später
als letzte große Stadt des Landes zur Aufgabe
gezwungen wurde. Ludwig schloß in diesen Tagen
die erfolgreiche Kampagne mit dem sicheren Gefühl,
»daß Mazarin stolz auf ihn gewesen wäre«39.
Doch der Krieg wurde nicht auf den Schlachtfeldern
und in den Laufgräben vor belagerten Zitadellen
entschieden, sondern hinter den verschlossenen Türen
der Ministerien eines an den Kämpfen gar nicht
beteiligten Staates: Am 23. Januar hatten Großbritannien
und die Vereinigten Niederlande in Den Haag ein
Abkommen unterzeichnet, mit dem sie sich zur Durchsetzung
des Friedens in den spanischen Niederlanden verpflichteten.
Wirtschaftliche Gründe zwangen beide Staaten
in mindestens gleichem Maße wie Sicherheitsinteressen
zu diesem Schritt. Als Großmacht von nur geringem
geographischem Umfang beanspruchten die Generalstaaten
mit den südlichen Niederlanden einen militärstrategischen
Puffer zur aufstrebenden Macht Frankreichs. Die
Verdoppelung der französischen Tarife auf alle
ausländischen Waren und die Vergünstigungen
für flämische Exilanten in Frankreich
ließen erahnen, wie sich der um die spanischen
Niederlande erweiterte französische Markt nach
innen schützen und nach außen profilieren
würde. Für den Wohlstand der Generalstaaten
und damit für die Sicherheit der Republik war
diese Frage von gleicher Bedeutung wie die militärische
Präsenz Frankreichs an den Grenzen zur niederländischen
Föderation. Das Bündnis der Seemächte
sollte die Erbberechtigungsfehde der katholischen
Kronen beilegen, indem Frankreich nur die Wahl zwischen
den von Holländern und Engländern formulierten
Friedensoptionen oder Krieg eingeräumt wurde.
|
|
|
| |
Weigerte
sich Ludwig, auf den größten Teil seiner Eroberungen
zu verzichten und einem Rückzug seiner Armee zuzustimmen,
sollte Frankreich wieder auf die Grenzen des Pyrenäischen
Friedens zurückgedrängt werden. Erst das um
Schweden zur Tripelallianz erweiterte Bündnis zwang
den französischen König zur Aufgabe seiner weitgesteckten
Ziele. Als am 2. Mai 1668 der Friede zu Aachen unter dem
massiven Druck militärischer Rüstungen geschlossen
war, ahnten die Generalstaaten nichts von der Tragweite
dieser politischen Hypothek. Die spanischen Habsburger
mußten sich im Tausch gegen die Franche Comté
zur Aufgabe von zwölf Plätzen in Brabant und
zur Übernahme aller den Seemächten entstandenen
Kosten verpflichten. Die territorialen Vorteile aus dem
Friedensvertrag konnten jedoch die Kränkung des französischen
Hofes nicht auffangen, dessen junger König den vermeintlichen
Ansehensverlust nicht verwand. Für Ludwig verhinderte
die »Krämerrepublik« die Festigung und
Demonstration seiner Macht durch einen Sieg über
das gebrochene spanische Weltreich, der wichtig für
sein »Prestigeverlangen«, sein »Bedürfnis
nach ›gloire‹« war.40
|
Schlacht
am Kanal von Brügge
Auf
einem Schimmel sprengt Ludwig XIV. von rechts
in Begleitung zweier Kavaliere vor, des Marquis
von Créqui und des Prinzen von Condé.
Einem anderen Reiter, bei dem es sich um den Marquis
von Bellefonds handeln könnte, gibt der König
Befehle.
Die Gemälde Adam Frans van der Meulens sind
weder reine topographische Ansichten (Veduten),
noch Landschaftsgemälde, noch Historienbilder,
sondern beziehen ihren Reiz und ihre Bedeutung
aus der Vereinigung dieser drei Elemente.
|
|
Kriege der
Dynasten wurden als Sache der Ehre und der heroischen
Selbstbehauptung geführt und waren keine Angelegenheit
finanziellen Kalküls oder eines materiellen Vorteils.
Einem sportlichen Wettstreit gleich, führten die
regierenden Häupter Europas Kriege, bei denen es
wohl um einen Erfolg auf dem Schlachtfeld, nicht aber
um die Niederringung des Gegners ging. Ein Fürst,
schrieb Ludwig in seinen Memoiren, sei von der Begierde
nach Ruhm erfüllt. Anders, fuhr er fort, verhalte
es sich bei Leuten mittleren Standes, von denen die
Ständestaaten regiert würden. »Die
Entscheidungen,
die in ihren Ratssitzungen gefällt werden, beruhen
auf keinem anderen Grundsatz als dem der Nützlichkeit.«
Diese Gremien, äußerte er, hätten kein
Herz, das vom Feuer schöner Leidenschaften entzündet
werden könne. Die Freude, die aus edlen Taten entspringe,
die Schande, die auf Feigheit folge, die Dankbarkeit
für Wohltaten und treue Dienste alles das verflüchtige
sich durch die Teilung der Herrschaft unter viele. Nur
der Eigennutz regiere den einzelnen wie den Staat: »Er
allein ist die Regel, die
ihr Verhalten bestimmt.«41
Tatsächlich bildete das individuelle Gewinnstreben
der Niederländer die Grundlage ihrer Außenpolitik
und Machtentfaltung. Rentabilitätskriterien bestimmten
persönliches und staatliches Leben. Zeit verlor
in ihrer rationalisierten Bedeutung als Marktwert den
verschwenderisch hedonistischen Charakter der höfischen
Gesellschaft. Das Tempo floß in die Kalkulation
jeder politischen Entscheidung. Im Frieden wie auch
im Krieg bestimmte es als maßgebliche Komponente
zum Geldwert den Handlungsrahmen eines bürgerlichen
und handeltreibenden Gemeinwesens.
|
Das
Verhaltensleitbild »Produktivität«, nicht
die Inszenierung eines triumphalen Lebensgefühls,
bestimmte einen ergebnisorientierten und selbstbewußten
neuen Gesellschaftstypus. In der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts hatten sich die Niederlande »eindeutig
zum militärisch, wirtschaftlich und geistig führenden
Land unseres Kontinents« entwickelt.42
Unbeschadet von den krisenhaften Umbrüchen in Handel
und Wirtschaft oder den Agrarkrisen des 17. Jahrhunderts,
erlebte die »europäische Vorreitergesellschaft
am Atlantiksaum« 43
ihr Jahrhundert, das »Gouden Eeuw«. Als stärkste
See und Handelsmacht der damaligen Zeit befuhr die niederländische
Republik alle großen Meere. In einem 1664 verfaßten
Memorandum warnte Colbert seinen König vor dem schrankenlosen
Ehrgeiz der Niederländer, die sich
anschickten, den Welthandel gänzlich zu beherrschen,
um Europa politisch zu dominieren.44
Erst in der statthalterlosen Zeit wurde die Republik zum
Schiedsrichter des frühneuzeitlichen Mächtesystems.
»Als die Niederlande noch von Fürsten regiert
wurden, zählten sie kaum mit in der Welt. Nun aber,
nachdem sie frei geworden sind, haben sie ein unvergleichlich
größeres Gewicht und scheinen Krieg und Frieden
in der Christenheit von ihren Entscheidungen abzuhängen.«45
|
Holländisches
Interieur mit Familie
»Ein
Volk ist in dem Maße frei, wie es in
der Lage ist, seinen eigenen Wohlstand abzusichern,
wobei die Menschen gewiß um so mehr
in der Lage sind, für ihre Sicherheit
zu sorgen, je mehr Macht sie aufgrund ihres
Reichtums besitzen.«
(Baruch de Spinoza) Es ist dieses Bewußtsein,
das die Malerei der Innenräume verherrlicht.
Sie offenbart dem restlichen Euopa das behagliche
Gefühl eines sicheren Zuhauses freier
Bürger.
|
|
|
|
|
Nach
dem unerwartet frühen Tod des holländischen
Statthalters und Kapitän Generals Wilhelm II. von
Oranien berieten die Generalstaaten im Januar 1651 über
eine Neuordnung der Grundlagen des »achtzigjährigen
Baus von dieser Republik«.46
Im Anschluß an die Beratungen wurde auf eine Neubesetzung
der von den Oraniern beanspruchten Ämter verzichtet.
Der Geist dieser Tage und die Aufbruchstimmung der ersten
statthalterlosen Zeit fanden ihren Widerhall in zahlreichen
Schriften. Die beste Herrschaftsform war demnach die,
in der dem unbeschränkten Eigensinn des Menschen
Grenzen gesetzt wurden. Nur die demokratische Staatsform
biete eine Gewähr für den Ausgleich der gesellschaftlichen
Kräfte, ohne den ein Mächtiger Opfer seiner
eigenen ungezügelten Leidenschaften wird. Die Monarchie
wird als monolithischer Block von den Emotionen eines
Despoten beherrscht, wohingegen in der Republik ein
hohes Maß von Uneinigkeit die Passionen der Fraktionen
und ihrer Wortführer neutralisiert. Nur in einem
Staat mit repräsentativem System wird das gemeine
Wohl der Bevölkerung als oberstes Gesetz gewahrt.
Verfolgt auch der Mensch ausschließlich seine
eigenen Belange, zwingt ihn die Kompromißfindung
in der Demokratie zu einer von der Mehrheit sanktionierten
Schlußfolgerung im Interesse des Staatsganzen.
Die Übereinstimmung von Gemeinwohl und Staatsinteresse
im bürgerlichen Verständnis der »raison
d'état« führte zur synonymen Verwendung
der Begriffe »Staat« und »Common Wealth«.
Mit dem Wegfall des Statthalteramtes gewann Holland
die faktische Leitung im niederländischen Bundesstaat.
Als wohlhabendste Provinz der Union von Utrecht, die
mehr als 57 Prozent des gemeinsamen Haushaltes aufbrachte,
bestimmte sie in Person ihres Ratspensionärs die
außenpolitischen Leitlinien der Republik.
|
Johan
de Witt
|
Untrennbar
mit dem Schicksal der ersten statthalterlosen
Zeit ist die Geschichte des Mannes verknüpft,
der seit 1653 bis zum Entscheidungsjahr 1672 Ratspensionär
der Staaten von Holland war Johans de Witt. Der
Architekt des »Tripel Concerts« begriff
das mit England geschlossene Bündnis als
Kernstück des Aachener Friedens. Mit dem
französischen Rückmarsch aus den besetzten
Gebieten überzog Europa eine trügerische
Ruhe, die Holland mit diplomatischen Mitteln zu
stabilisieren versuchte. Den Generalstaaten war
daran gelegen, den Dreibund mit England und Schweden
um andere Staaten zu erweitern. Doch die Aufnahme
der schweizerischen Kantone, des Herzogs von Braunschweig
Lüneburg, Dänemarks oder des Kurfürsten
von Brandenburg scheiterte nicht nur an den Einsprüchen
Englands, sondern auch an einer halbherzigen Außenpolitik.
Während Ludwig XIV. in Den Haag seinen Friedenswillen
beteuerte und die traditionell guten Beziehungen
beider Staaten beschwor, stellte Frankreich einem
erklärten Feind der Republik, dem Bischof
von Münster, in Aussicht, »schon bald
über diese Händler viel Ruhm zu gewinnen,
deren Stolz und kommerzieller Profit unerträglich
wird«.47
Tatsächlich hatte Ludwig nach dem erzwungenen
Aachener Vertrag nur »die Bestrafung dieser
Perfidie auf einen späteren Zeitpunkt«
verschoben.48
Diesem Entschluß lagen nicht nur die Motive
einer höfischen Kultur zugrunde. Die Niederwerfung
der Republik war eine Voraussetzung für die
weitere Machtentfaltung Frankreichs, für
die Erringung der Vorherrschaft in Europa.
|
|
Mittelfristig
wurden daher von Frankreich die Sprengung der Tripelallianz
und die Isolierung der Niederlande angestrebt. Nicht nur
die Loslösung Englands und Schwedens aus dem Dreibund
war beabsichtigt. Die politische Umklammerung sollte weiter
ausholen und auch Reichsfürsten miteinbeziehen. Dies
war zugleich eine strategische Notwendigkeit, weil bei
einem Angriff auf die Niederlande spanisches Gebiet umgangen
werden sollte und der Aufmarsch gegen die Republik durch
das Maas und Rheintal erfolgen mußte. Neben dem
kriegerischen Bischof von Münster, Christoph Bernhard
von Galen, der bereits 1665 einen Angriff auf die Niederlande
gewagt und verloren hatte, galt als sicherer Alliierter
Frankreichs der wittelsbachische Kurfürst von Köln:
Max Heinrich war nicht nur von den Geldzahlungen aus Paris
abhängig, sondern auch von einem Ratgeber, der den
französischen Interessen verpflichtet war Prinz Wilhelm
von Fürstenberg. Im Namen des Kurfürsten, aber
im Auftrag der französischen Krone, führte er
alle wichtigen Bündnisverhandlungen im Reich. Am
Hof der bayerischen Wittelsbacher wurden die Gespräche
um einen Punkt ergänzt, der weit über den bekannten
Anlaß hinausreichte und einen Eindruck von den Ansprüchen
der französischen Monarchie vermittelt. In München
wurde nicht nur der anstehende holländische Krieg,
sondern auch die Nachfolge des kinderlosen Kaisers Leopold
verhandelt. Von dem Habsburger sollte die Reichskrone
auf Ludwig übergehen und nach dessen Tod auf das
Haus Bayern.49
Ergebnislos verliefen hingegen die Unterhandlungen mit
Friedrich Wilhelm von Brandenburg, dessen wachsende Bedeutung
im Mächtekonzert ihn zu einem umworbenen Partner
machte. Für den kalvinistischen Kurfürsten galt
als Haupt- und Mittelpunkt der »res publica Christiana«
die Republik der protestantischen Vereinigten Niederlande,
die zudem das mächtigste Bollwerk des reformierten
Glaubens war.50
Aber auch aus dynastischen Gründen war dem Kurfürsten
an einem guten Verhältnis zu den Generalstaaten und
an der territorialen Integrität der Republik gelegen.
|
Christoph
Bernhard von
Galen, Bischof von Münster
|
Kurfürst
Maximilian
Heinrich von Köln
|
Wilhelm
Egon von Fürstenberg
|
Für
die Söhne Friedrich Wilhelms aus seiner Ehe mit der
oranischen Prinzessin Luise Henriette bestanden gute Aussichten,
Wilhelm III. zu beerben. Dem Urenkel Wilhelms des Schweigers
und letzten Oranier schien wegen seiner schwachen Gesundheit
nur ein kurzes Leben vorbestimmt zu sein. Die in Hofkreisen
bekannte Homosexualität des jungen Mannes ließ
zudem hoffen, daß sich der Prinz zu keiner schnellen
und einfachen Familienplanung entschließen würde.51
Das Erbe umfaßte nicht nur große Besitzungen
in den Niederlanden und das Fürstentum Oranien, sondern
eröffnete auch die Anwartschaft auf das Statthalteramt
in verschiedenen Provinzen. Noch bestimmender für
das Verhältnis Friedrich Wilhelms zu den Generalstaaten
waren die eigenen Erfahrungen und Erlebnisse seiner frühen
Studienjahre in den Niederlanden. »Sein Lebenswerk
erinnert überall an das holländische Beispiel.«52
In Fragen der Wirtschaft und Kultur, des Militärs
und der Staatsfinanzen orientierte er sich an den Vereinigten
Provinzen. Die besondere Bedeutung, die der Kurfürst
»Seefahrt und Handlung« als »fürnehmste
Säulen eines Etats«53
beimaß, ließ ein gutes Verhältnis zu
der führenden Handelsmacht Europas angeraten sein.
Die enge Bindung Brandenburgs an die mächtige Republik
beschrieb der kurfürstliche Gesandte Paul Fuchs als
ein Gebot des aufstrebenden Kurstaates: »Es ist
kein Potentat in der Welt, insonderheit von Ew.Chf.D.
Benachbarten, der nicht von des Chur Hauses Brandenburgk
Macht und Wachsthumb jaloux ist und viele lieber dessen
Ab als Zunehmen sehen sollte; bloss alleine der Staat
hat davon keine Jalousie, besonderen ist vielmehr propter
commune Interesse religionis, libertatis et securitatis
gehalten, desselben Prosperität und Erhaltunge zu
wunschen und zu befordern.«54
|
Wilhelm
III. von Oranien
|
Die
Bedrohung der Generalstaaten wurde weder in Den Haag
noch allgemein in Europa wahrgenommen. Das vermeintlich
sichere Bündnis der Seemächte schien in
ausreichender Weise den Frieden zu garantieren. Der
sich im Glanz ihrer Waffen widerspiegelnde Hegemonialanspruch
der französischen Monarchie mußte den natürlichen
Widerstand Großbritanniens hervorrufen. Tatsächlich
aber hatten der englische König Karl II. und
Ludwig XIV. am 1. Juni 1670 in einem weit über
dieses Datum hinaus geheimgehaltenen Abkommen den
Zeitpunkt ihres Angriffs auf die Niederlande festgelegt.
Der Vertrag regelte auch die französische Hilfe
bei Karls geplantem Übertritt zur katholischen
Kirche, den dessen Bruder, der Herzog von York, schon
vollzogen hatte. Vor allem versprach sich der König
von dieser Allianz eine Stärkung der Monarchie
in Großbritannien. Außerdem erhoffte er
sich von einem Feldzug gegen die Niederlande Genugtuung
für die vielen seit seiner Thronbesteigung 1660
erfahrenen englischen Niederlagen zur See. Der Krieg
sollte auch zur Durchsetzung der dynastischen Ansprüche
seines Neffen Prinz Wilhelm von Oranien geführt
werden, selbst wenn Karl dabei große Gebiete
jener Provinzen für sich beanspruchte, die der
Sohn seiner Schwester Mary als Statthalter regieren
wollte. Nur ein kleiner Kreis von Höflingen war
eingeweiht, nicht einmal das englische Parlament ahnte
etwas von dem Bündnis der Könige. Aufgeschreckt
wurde Europa hingegen durch Ludwigs handstreichartige
Besetzung Lothringens drei Monate später. Herzog
Karl IV. war ein entschiedener Gegner des französischen
Königs. Unter allen Prinzen Europas gab es keinen,
der Ludwig verhaßter war als gerade dieser stolze
Fürst. |
|
Als
Relikt einer vergangenen Zeit, in der große Feudalherren
sich vor keinem Thron beugten und Königen gleich
Hof hielten, auch wenn sie dafür ihr Land und das
anderer plündern mußten und selbst dann noch
nicht die Zuneigung ihrer Untertanen verloren, stellte
Karl jede klarstrukturierte Ordnung absolutistischer Prägung
in Frage. Pracht und Glanz dieses Lebens von mittelalterlichem
Zuschnitt, das der lothringische Hofmaler Claude Deruet
in dekorativen Bildern festgehalten hat, erloschen mit
dem Einmarsch der französischen Truppen in die Residenzstadt
Nancy.
|
Ein
Turnier zu Ehren
Neptuns
|
Nicht
einmal im Winter 1671 nahm der niederländische Gesandte
in London Johan Boreel Anzeichen wahr, die für einen
baldigen Waffengang Großbritanniens sprachen. Noch
im März 1672 schrieb er, daß er nicht glaube,
daß es zum Krieg kommen würde.55
Wenn auch Londons bekundeter Bündnistreue deutliche
Zeichen einer französisch englischen Verständigung
gegenüberstanden, so ahnte niemand ihr tatsächliches
Ausmaß. Allenfalls die englische Duldung eines Krieges
gegen die Niederlande wurde in Erwägung gezogen.
Eine aktive Teilnahme des Inselreiches an diesem Unternehmen
widersprach der englischen Forderung nach einem Gleichgewicht
der Kräfte. Einen Angriff des französischen
Königs glaubte man in Den Haag bei der angenommenen
Neutralität Englands und mit Unterstützung der
skandinavischen Kronen erfolgreich abwehren zu können.
Als sich auch der König von Schweden im April 1672
in die Allianz gegen die Republik reihte, hielt nur noch
Friedrich Wilhelm von Brandenburg in einer unverstandenen
Treue zu den Vereinigten Provinzen. Am 6. Mai wurde ein
Bündnisvertrag geschlossen, der den Großen
Kurfürsten im Falle eines Angriffs zur Bereitstellung
einer Armee von 20.000 Mann verpflichtete. Die Niederlande
übernahmen dem Vertrag zufolge die Hälfte der
erforderlichen Werbegelder und Soldzahlungen.
|
Aus
urheberrechtlichen Gründen können zu diesem Abschnitt
nicht alle im Magazin enthaltenen Bilder gezeigt werden.
Gleichwohl sind die Bilddaten im Impressum angeführt
. Das Magazin ist im Museumsshop zum Preis von 7,40 Euro
erhältlich. |
|
|