Aus der Sammlung des Deutschen Historischen Museums Deutschsprachiger Erstdruck der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung
vom 4.Juli 1776
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Willi Paul Adams
Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika (Teil 3) |
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lll. Vorstufen der Unabhängigkeitserklärung, 1774/75 Die Mehrheit des Kontinentalkongresses verlangte mehr Autonomie als Galloways Plan vorsah und erklärte sich am 14. Oktober 1774 nur bereit, dem Parlament von Westminster die Regulierung des Außenhandels zum Vorteil aller Regionen des Empire zu überlassen, keinesfalls aber die Besteuerung. Der Krone gestanden sie ein Veto der Handelsgesetzgebung zu. Der Kontinentalkongress begründete seine Forderungen mit einer Grundsatzerklärung, die verfassungsrechtliche Grundsätze der englischen Whigs von 1688 verband mit den universal gültigen natürlichen Rechten eines freien Menschen. Erklärte die "Unerträglichen Gesetze" für verfassungswidrig, weil sie gegen die Rechte und Freiheiten der oder des people of America verstießen. Bei diesem Wortgebrauch machte sich der Kontinentalkongress hier, wie später in der Unabhängigkeitserklärung, die beiden Bedeutungen von people: >Bevölkerung< und >Volk< zunutze. Als Quelle der Rechte der Amerikaner nannte er nicht nur die englische Verfassung , deren Schutz die Auswanderer ab 1608 ungeschmälert über den Atlantik mitgenommen und deren Gültigkeit ihnen die königlichen Gründungsurkunden mehrfach bestätigt hätten. Er berief sich auch auf "die unveränderlichen Gesetze der Natur" und verkündete: die Bewohner der englischen Kolonien in Nordamerika seien "berechtigt zu Leben, Freiheit und Eigentum, und sie haben niemals einer fremden Macht ein Recht darauf abgetreten, ohne ihre Zustimmung über eines dieser drei Güter zu verfügen." Es war nur logisch, dass dieser Grundgedanke der Whig-Doktrin über den Ursprung und die Aufgabe gerechter Herrschaft zwanzig Monate später in der Präambel der Unabhängigkeitserklärung wiederkehren sollte. In schlichter und klarer Sprache erweiterte die Grundsatzerklärung die Rechte von Engländern zum Anspruch aller auf free government, d.h. "ein dem Volk innewohnendes Recht, an der Gesetzgebung mitzuwirken." Dreizehn der vom Parlament seit 1763 für die Kolonien erlassenen Gesetze verstießen nach dem Urteil des Kontinentalkongresses gegen diese Prinzipien. Um die Widerrufung der Gesetze von 1774 zu erzwingen, rief der Kontinentalkongress am 20. Oktober 1774 zum Boykott englischer Waren und zum Verzicht auf den Export amerikanischer Waren in britische Häfen in der Karibik und andernorts auf. Auch der Import von Sklaven sollte ab 1. Dezember eingestellt werden. Revolutionäre Überwachungsausschüsse auf der Ebene von Gemeinden, Landkreisen und Kolonien erzwangen im Winter 1774/75 durch die Einschüchterung von Kaufleuten und Käufern die weitgehende Einhaltung der Boykott-"Association." Der relativ gewaltlose Widerstand ging am 19. April 1775 mit den Scharmützeln von Lexington und Concord außerhalb Bostons endgültig über in den offenen Bürgerkrieg. Aufständische Miliz belagerte Boston ab April 1775 und zwang die Königliche Marine zum Rückzug nach New York. Bald zeigten sich die beiden kapitalen Fehler der Strategen des harten Kurses in London: Die exemplarische Bestrafung von Massachusetts isolierte die Kolonie nicht, sondern löste Solidarität aus; und viel weniger königstreue Kolonisten als erwartet eilten zu den Fahnen. Ein zweiter und von nun ab permanenter Kontinentalkongress der zunächst zwölf widerstandsbereiten Kolonien setzte ab Mai 1775 in Philadelphia die Koordination von Widerstand und Verhandlungen fort. Keine der Kolonien südlich von Neuschottland versuchte im Alleingang, sich mit dem König oder seiner Armee zu arrangieren. Ein dem prominenten Delegierten Pennsylvanias, Benjamin Franklin, zugeschriebenes Aperçu verweist auf das elementare Nationalbewusstsein der interkolonialen Elite zu dieser Zeit: "Entweder wir halten zusammen oder hängen einzeln." George Washington aus Virginia, Besitzer einer Tabak- und Weizenplantage, ernannte der Kongress am 15. Juni 1775 zum Oberkommandierenden der Boston belagernden Truppen. Um mehr Unterstützung im ganzen Land für den Dienst in der Miliz und in der Kongressarmee zu gewinnen und um den zögernden Teil der politisch aktiven Kaufleute, Handwerker und Plantagenbesitzer zu mobilisieren, verabschiedete der Kontinentalkongress am 6. Juli 1775 eine "Erklärung der Ursachen und Notwendigkeit, zu den Waffen zu greifen." Thomas Jefferson und zwei weitere Mitglieder des Vorbereitungsausschusses dieses unmittelbaren Vorläufers der Unabhängigkeitserklärung konnten zwölf Monate später auf diese Erfahrung zurückgreifen. Der Gedankengang und einzelne Formeln beider Erklärungen stimmen teilweise überein, weil beide Erklärungen die Grundüberzeugungen der amerikanischen Whigs in der Schlussphase des Machtkampfes wiedergeben. Die Erklärung des bewaffneten Widerstands postuliert die gottgegebene Freiheit des Menschen von uneingeschränkter Gewalt, schließt damit Kolonialherrschaft implizit als diskriminierend aus und misst Regierungsgewalt an der Erfüllung ihrer Aufgabe: "Achtung vor unserem großen Schöpfer, Grundsätze der Menschlichkeit und zwingende Schlüsse des gesunden Menschenverstandes müssen jeden davon überzeugen, der darüber nachdenkt, dass Regierungsgewalt organisiert worden ist, um das Wohlergehen der Menschheit zu befördern und dass sie ausgeübt werden sollte, um diesen Zweck zu erfüllen." Die Kolonisten seien daher berechtigt, ihre Freiheit zu verteidigen und mit Waffengewalt den Versuch zurückzuweisen, sie zu versklaven. Dutzende von Verstößen gegen die Rechte der Kolonisten seit 1763 wurden dann im Detail aufgezählt. Die Konklusion verwarf "bedingungslose Unterwerfung" und "Sklaverei" zugunsten von gewaltsamem Widerstand und fügte trotzig hinzu: "Unsere internen Ressourcen sind groß, und im Notfall ist zweifellos auch auswärtige Hilfe zu erhalten." Um der britischen Armee das St. Lorenz-Tal als Aufmarschgebiet streitig zu machen, versuchte eine amerikanische Armee von etwa eintausend Mann von September bis Dezember 1775 erfolglos, Montreal und Quebec auf die Dauer zu besetzen; ein zweiter Versuch im Frühjahr 1776 schlug ebenfalls fehl. Ohne massive militärische Unterstützung durch Frankreich, das zeigte sich immer deutlicher, war die britische Armee nicht aus den amerikanischen Kolonien zu vertreiben, und offene militärische und diplomatische Hilfe würde der französische König erst leisten, wenn die Kolonien aus dem englischen Imperium unwiderruflich ausgeschieden waren. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung vollzog der Kontinentalkongress am 6. April 1776, als er die amerikanischen Häfen öffnete für alle Schiffe außer britischen. Die wirtschaftliche Unabhängigkeitserklärung war damit vor der politischen erfolgt. Das Ende des staatlich gelenkten Merkantilsystems begann als Kriegsmaßnahme. Der schottische Aufklärer Adam Smith veröffentlichte seine umfassende Begründung der Vorteile des Freihandels im gleichen Jahr. In der kühlen Sprache des Wirtschaftstheoretikers und -historikers wies Smith in The Wealth of Nations auch auf die Nachteile gegängelter Kolonialwirtschaften hin. Der Unabhängigkeitsflügel im Kontinentalkongress wurde durch den Umschwung der öffentlichen Meinung im Frühjahr 1776 gestärkt. Eine außergewöhnlich zündende Flugschrift propagierte im Januar 1776 die Lossagung von England: In Common Sense fasste Thomas Paine, ein erst kürzlich aus England übersiedelter Journalist, radikaler Whig und Republikaner, alle Argumente für die sofortige Unabhängigkeit in mitreißender Agitationsprosa zusammen. Er erklärte die britische Erbmonarchie für unvereinbar mit Volkssouveränität und Gleichheitsprinzip und die vielleicht einst ausgewogene britische Verfassung für irreparabel korrumpiert. Ein Kolonist mit "gesunder Vernunft" müsse erkennen, dass die Zeit reif sei für die Gründung einer sich selbst regierenden amerikanischen Nation: "Unter der gegenwärtigen Bezeichnung >britische Untertanen< können wir im Ausland weder empfangen noch angehört werden. Die Sitte aller Höfe ist gegen uns und wird es solange sein, bis wir uns durch eine Unabhängigkeitserklärung anderen Nationen gleichstellen." Paines auch in den Zeitungen der anderen Kolonien in Ausschnitten und auch auf Deutsch veröffentlichtes Pamphlet und die Entgegnungen, die es auslöste, trieben die Polarisierung der öffentlichen Meinung in den Kolonien voran. Noch am 15. Mai 1776 verließen mehrere Delegierte den Kontinentalkongress aus Protest gegen die Empfehlung an die Abgeordnetenhäuser und Konvente der Kolonien, bei der Besetzung öffentlicher Ämter keine Eide mehr auf die Krone ablegen zu lassen. Virginias Abgeordnetenhaus instruierte am 15. Mai 1776 seine Delegierten in Philadelphia, für die Erklärung der Unabhängigkeit zu stimmen. Daraufhin legte am 7. Juni 1776 Richard Henry Lee aus Virginia dem Kongreß die eingangs zitierten drei Beschlüsse vor. Die Diskussion über diesen endgültigen Schritt und die Umstimmungsversuche in Philadelphia und in Konventen und Legislativen der einzelnen Kolonien zog sich bis zur Abstimmung am 2. Juli 1776 hin. Auch auf einige dieser vorbereitenden Beschlüsse auf Einzelstaatsebene konnten die Autoren der Unabhängigkeitserklärung zurückgreifen. So beschloss z.B. die Delegiertenversammlung der Revolutionsausschüsse Pennsylvanias am 24. Juni 1776 (in zeitgenössischer Übersetzung in Henrich Millers Pennsylvanischer Staatsbote vom 28. Juni), nunmehr seien " die gegenseitigen verbindungen von pflicht und huld zwischen dem König und seinen unterthanen ... aufgelöset durch die eigenmächtige herrschaft" des Königs. Auch die Pennsylvanier fühlten sich verpflichtet, ihren Schritt vor der Öffentlichkeit Europas zu erläutern: "Wir sprechen die nationen von Europa an und berufen uns auf den grossen Schiedsrichter und Regierer der Reiche der welt, zeuge für uns zu seyn, daß diese Erklärung ihren ursprung nicht hatte in ehrgeiz oder in einer ungedult [sic] unter rechtmäßiger gewalt, sondern daß wir dazu sind getrieben worden in gehorsam zu den ersten grundsätzen der natur, durch die unterdrückungen und grausamkeiten des vorerwähnten Königs und Parlaments von Großbrittannien." Unmittelbaren Einfluss auf den Wortlaut der Unabhängigkeitserklärung scheint die am 12. Juni 1776 verabschiedete Grundrechteerklärung Virginias gehabt zu haben. Jefferson hatte selbst einen Entwurf für die Verfassung seines Heimatstaats aus Philadelphia nach Virginia geschickt, und er kannte den von George Mason geschriebenen Entwurf der Bill of Rights. Da die Grundannahme der Whig -Theorie gerechter Regierung -die Vorstellung vom Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag unter gleichberechtigten Bürgern - den logischen Ausgangspunkt beider Erklärungen bildet und diese Ideen seit über zehn Jahren intensiv in hunderten von Zeitungsartikeln und Flugschriften diskutiert worden waren, ist die Parallelität der Gedankenführung und die Ähnlichkeit des Wortlauts nichts Erstaunliches. Die Virginier hatten zur Begründung ihres Grundrechtkatalogs beschlossen:
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WILLI PAUL ADAMS, Professor der Geschichte Nordamerikas am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin, ist u. a. Herausgeber des Fischer Weltgeschichtsbandes Die Vereinigten Staaten von Amerika (1977), des dtv-Bandes Die Amerikanische Revolution und die Verfassung (1987) und, zusammen mit Angela Adams, Übersetzer des UTB-Bandes Die Federalist-Artikel von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay (1994). |
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