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    Sabine Josefine Brand (sjbrand@dhm.de), Textilrestauratorin am DHM
    Zur Person und zum Leben des Friedrich von der Groeben (1645-1712) und zur wechselvollen Geschichte des sogenannten "Türkenzeltes" aus der Sammlung des Deutschen Historischen Museums in Berlin
   
   

Als Folge des vernichtenden Sieges über die Türken nach der Schlacht am Kahlenberg vor Wien 1683 wurde an einen der im Dienste Königs Johann III. Sobieski von Polen für die gegnerischen Parteien streitenden Offiziere als Kriegstrophäe neben anderen Beutegegenständen auch ein komplettes Zelt aus dem Osmanischen Reich übergeben:
Friedrich von der Groeben (1645-1712), Kommandant des ausländischen Regimentes unter Sobieski, wurde der neue Eigentümer des runden, im wesentlichen aus Baumwolle und Seide gefertigten Zeltes. Für den Gebrauchsaufbau war dieses große Objekt, das sich mehr als 300 Jahre später in Berlin befindet, zusätzlich mit tragenden Elementen aus Baumwolle, Leder, Holz und ein wenig Metall versehen.

Friedrich von der Groeben war nicht der erste seines Geschlechtes, welches im Mittelalter zunächst im anhaltinischen Raum und bald danach in märkisch-brandenburgischer Region beheimatet war, der sich insbesondere ab 1670 aktiv in die politisch-militärischen Fragen des polnischen Staates einbrachte. Schon sein Vorfahre Otto von der Groeben (1567-1649) erlangte als Anführer der Ständischen Opposition in Herzoglich Preußen Berühmtheit. Zugleich mit Friedrich waren in der zweiten Hälfte des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts um die 15 weitere Mitglieder der Familie von der Groeben im Dienste des Staates Polen oder seines Königshauses tätig. Der Verlauf der militärischen und gesellschaftlichen Karriere Friedrichs ist allerdings besonders hervorzuheben:

Friedrich von der Groeben wurde gegenüber allen weiteren Angehörigen seines Adelsgeschlechtes in besonderer Weise aktiv, indem er um das Jahr 1670 herum der fremdländischen oder auch "deutsch" bezeichneten Infanterie auf polnischem Staatsgebiet beitrat. Zu diesem Zeitpunkt wurde der von der polnischen Regierung, dem "Seym", gefällte Beschluss die noch im Staatsgebiet existenten militärischen Einheiten auszubauen, maßgeblich vom "Hetman" (Hauptmann/ Anführer) Johann Sobieski vorangetrieben. Besonders betroffen davon war die fremd- oder auch ausländische Infanterie. Selbige hatte sich aus alten Regimentern gegen 1672 schon zu einer Streitgruppe mit nunmehr verdoppelter Einheitenkapazität entwickelt. Erfahrung und Geschick für die anstehenden militärischen Aufgaben brachten Friedrich, dem Offizier, schon Anfang 1675 den Titel des Oberstleutnant und gegen Ende des gleichen Jahres den Rang des Oberst ein. Als sein Befehlsgeber avancierte im ungefähr gleichen Zeitraum der Senatsgroßmarschall und durch den Sieg über die Türken bei Chocim (1673) wiederholt militärisch sehr erfolgreiche Feldherr Johann Sobieski durch Wahl zum polnischen König Johann III. Sobieski.

In den folgenden Jahren beauftragte dieser König seinen untergebenen Regimentsführer der ausländischen Infanterie-Einheiten, Friedrich von der Groeben, verstärkt mit diplomatischen und somit durchaus gefahrvollen Reisen zu den Tataren oder den Türken. Die naheliegende und bestätigte Absicht dahinter war, möglichst viel über deren politische oder militärische Zielsetzungen zu erfahren. Die Tatsache, dass Friedrich immer wieder mit teilweise außergewöhnlich heiklen Missionen beauftragt wurde, lässt bei Berücksichtigung der überlieferten Quellen erkennen, dass er eine besondere Vertrauensposition bei Hofe innehatte. Besondere Vorteile, die ihm daraus erwuchsen, wie etwa höhere finanzielle Zuwendungen, sind nicht belegt, jedoch als wahrscheinlich anzunehmen.
Mit der Vertreibung der Türken vor Wien infolge der eingangs erwähnten entscheidenden Schlacht von 1683 nahm die Karriere des Friedrich von der Groeben ihren weiteren Verlauf: Im Jahre 1687 wurde er anerkennungshalber zum Generalmajor befördert und darüber hinaus von Sobieski noch bei vielen weiteren Militäroperationen größerer Bedeutung eingesetzt. Als Beispiele sollen hier die Vorkommnisse bei Esztergom, verschiedene Moldau-Feldzüge im Zeitraum 1684-1686 und die Einnahme der Festungen Soroka und Neamt im Jahr 1691 genannt werden. Friedrich brachte, 1693 zum Generalleutnant befördert, seinen Erfolg in polnischen Militärsdiensten bei ständiger Verstärkung seines Regimentes und Erweiterung seiner finanzadministrativen Verantwortung immer noch weiter voran. Auch nach dem Tode Johann III. Sobieski 1696 blieb er unter König August II. in polnischen Heeresdiensten, wenngleich gegen Ende dieser erfolgreichen Militärlaufbahn seine diplomatischen Aktivitäten in Form der Vertretung der Preußischen Interessen am polnischen Hofe (inzwischen nach Warschau verlegt) die vorrangige Bedeutung erhielten. Noch im Jahr 1709 findet sich in Kronheerverzeichnissen ein Hinweis auf die Infanterie des Generalleutnants von der Groeben, gerade drei Jahre vor seinem Tod und fast zeitgleich mit der Erwähnung seines Angehörigen Oberst Otto Friedrich von der Groeben (1656-1728) in Militärakten von 1710.

Die überaus erfolgreiche Tätigkeit des Grafen Friedrich von der Groeben in den Diensten des Königs von Polen hatten ihm lange schon zu Ansehen und Wohlstand verholfen: Gegen Ende seines Lebens verfügte Friedrich über vier Länderei-Majorate in Ostpreußen mit dem Hauptanwesen Groß-Schwansfeld im Kreis Bartenstein/ Bartoszyce im Ermland/ Warmia. Das dort beheimatete Gut der Adelsfamilie wurde und verblieb den überlieferten Informationen zufolge auf unendlich lange Zeit hin der Standort des vor Wien erbeuteten Zeltes.
Ob überhaupt und wenn ja, wie oft dieses Zelt in den folgenden mehr als 200 Jahren vor seinem nächsten großen und mit schriftlichen Zeugnissen nachgewiesenen Umzug aus Ostpreußen tatsächlich aufgestellt, vorgeführt oder gar benutzt wurde, ist leider nicht belegt. Zu vermuten ist eher, dass das Objekt über längere Strecken hinweg ein fast vergessenes Schattendasein geführt hat, nämlich unaufgebaut und an einem unspektakulärem Ort auf dem hochherrschaftlichen Anwesen gelagert. Dafür spricht nicht zuletzt sein für das Lebensalter relativ guter Erhaltungszustand trotz Verwendung von fast ausnahmslos organischem und somit weniger strapazierfähigem Herstellungsmaterial.

Um die letzte Jahrhundertwende herum ist aller Wahrscheinlichkeit nach der Zeitraum anzusetzen, an dem der allen militärischen Fragen und Gegenständen gegenüber sehr aufgeschlossene letzte Kaiser der Deutschen, Wilhelm II., von dem immer noch in Groß-Schwansfeld bewahrten, außergewöhnlichen Dokument hatte erzählen hören. Da er sich konsequenterweise auch um die Belange des in unmittelbarer Nähe des Berliner Stadtschlosses, seines Wohnsitzes, befindlichen Zeughauses als Sammlungs- und Bewahrungsort von zahl- und ruhmreichen Militaria-Objekten kümmerte, liegt die Vermutung nahe, dass er auch den Erwerb des Zeltes anregte. Die Verbindung zwischen Kaiserhaus und Hochadel, so auch mit dem Grafengeschlecht von der Groeben, war höchstwahrscheinlich über das traditionell verbindende Engagement für Militärangelegenheiten hinaus so ausgeprägt, dass von einem offenen Dialog zwischen Kaiser und der Familie von der Groeben bezüglich einer möglichen Übergabe des Türkenzeltes ausgegangen werden kann. Tatsächlich belegt ist die Überlassung des Objektes an die Arsenalsverwaltung und das bedeutet zu diesem Zeitpunkt aus der Verantwortung des Grafen Heinrich von der Groeben durch einen Eintrag in das Ankaufsbuch von 1907 mit dem Inventarnummer-Vermerk: 07.1077. Doch vermutlich wurde es zunächst einmal als großzügige Leihgabe behandelt. Denn wieder schriftlich nachgewiesen ist, dass die Sachverständigen-Kommission des Zeughauses im Jahr 1908 tagte und bei dieser Gelegenheit auch das gerade in das Haus übernommene Zelt zum Thema des endgültigen Ankaufs machte. Das Zeughaus unterstand als eine staatliche Einrichtung übrigens zu diesem Zeitpunkt dem Kriegsministerium und konnte sich somit der Anteilnahme, der Anregungen und der Unterstützung des Kaisers Wilhelm II. sicher sein. Schriftlich überliefert ist auch noch, dass das Zelt im Jahre 1922 schließlich für 20.000 Mark gekauft worden ist. Demzufolge war es vom Zeitpunkt der Übergabe 1907 bis zu Beginn der 20er Jahre lediglich als Leihgabe mit dem Ziel des Erwerbs in der Obhut der Zeughaus-Verwaltung. Irgendwelche Dokumente zur Bestätigung dieser Annahme liegen nicht vor. Ebenso existiert keine Abbildung des im Arsenalgebäude, gesicherten Informationen zufolge, vorübergehend aufgestellten Zeltes. Zu Beginn des Jahrhunderts wiederholt herausgegebene kleine Begleitschriften der Ausstellung blieben in ihren Beschreibungen sehr allgemein, d. h. ohne spezielle Benennung des Zeltes als Sammlungsobjekt oder andere sachdienliche Hinweise.

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden mit zunehmender Gefährdung des gesammelten Kulturgutes zahlreiche Kunst- und Geschichtsdokumente zu ihrem Schutze aus deutschen Institutionen ausgelagert. Sehr viele Sammlungsgegenstände des Zeughauses, das Türkenzelt eingeschlossen, wurden aus dem selben Grund im Jahr 1944 nach Graudenz/ Grudziadz in Westpreußen gebracht.
Mit Ende des Zweiten Weltkrieges verliert sich dort die Spur des Objektes, bis eine größere Rückführungskampagne in den Jahren 1958 und 1959 betreffend deutscher Kriegsgüter aus der Sowjetunion zurück in Richtung der Deutschen Demokratischen Republik das Zelt, von Moskau auf den Weg geschickt, wieder zu Tage brachte: Es war demzufolge zuvor von Westpreußen ein zweites Mal während seiner Existenz als Kriegsbeute weiter nach Osten und bis in die UdSSR verlagert worden, bis es gegen Ende der 50er Jahre wieder zum Bündnispartner Deutscher Nation in die DDR zurückgeleitet wurde. Allerdings war das Reiseziel aus der Autorin unbekannten Gründen nicht die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Ost-Berlin, mit dem Standort des inzwischen stark kriegsbeschädigten Zeughauses und früherem Bewahrungsort des Zeltes. Stattdessen wurde das Objekt, möglicherweise aufgrund eines Irrtums, an das Völkerkundemuseum/ Grassimuseum nach Leipzig geschickt. Dort lagerte es wieder in öffentlichkeitsunzugänglichen Räumen mehrere Jahrzehnte unaufgebaut, immer als geheime Staatsangelegenheit mit äußerster Diskretion behandelt, das heißt registriert, aber nicht konservatorisch bearbeitet oder sogar publiziert, bis 1989 in Europa der "Eiserne Vorhang" und in Berlin "die Mauer" fiel.
Wieder kam es im Laufe der folgenden Jahre zu etlichen Kulturgut-Rückführungen, und diesmal mit dem Beispiel des Türkenzeltes im Jahr 1992 von einem Staat deutscher Nation nach Jahrzehnten wieder in einen gemeinsamen deutschen Staat und zurück in die nicht mehr geteilte Großstadt Berlin. Aber auch dabei gab es eine Irrleitung, indem das Zelt von einem Völkerkundemuseum, Leipzig, nun zum Völkerkundemuseum in Berlin-Dahlem als eines von vielen Museumsinstitutionen der in West-Berlin ansässigen Stiftung Preußischer Kulturbesitz gesandt wurde. Dort eingetroffen wurde sehr bald anhand eines alten, am Objekt aufgefunden Inventar-Hinweises und nach Rücksprache mit dem Rechtsnachfolger des Zeughaus-Erbes, dem Deutschen Historischen Museum mit Sitz in Berlin, der richtige Standort des Objektes erkannt und das Zelt noch im gleichen Jahr wieder an seinen früheren Bewahrungsort gebracht.

In den jüngst vergangenen Jahren 1993-1999 ist der vorgefundene Erhaltungszustand des im textilen Hauptabteil noch nahezu vollständig erhaltenen Großobjektes weitestgehend untersucht und die Resultate im einzelnen in Schrift und Bild niedergelegt worden. Insbesondere wurden auch die Beschädigungen oder die Verluste genauestens dokumentiert, ob sie zum Beispiel die vielen tragenden Elemente aus Baumwolle, welche für die Gurte und Seile verwendet wurde, oder auch die verschollene, aber für den Aufbau des Zeltes elementare und daher in einer angebrachten Form zu ersetzende Mittelstange aus Holz betrafen.

Ein umfassendes Konzept zur konservatorisch-restauratorischen Bearbeitung des in Applikationstechnik gefertigten Textilobjektes wurde entwickelt. Und entsprechend werden gegenwärtig die erhaltenden Maßnahmen als Vorbereitung der beabsichtigten Neu-Präsentation dieses beeindruckenden Objektes wechselvoller Geschichte ab 2004, und dann wieder im Zeughaus, durchgeführt.

Berlin, im Juni 1999

     
    Quellen:
Dr. Januta Janicka, Die Familie von der Groeben und ihre Beziehungen zu Polen im 17. Jahrhundert, Manuskript, Thorn 1993.
Gesprächsaustausch mit Klaus von der Groeben, Kiel, 1993 / 1999.
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