Als
Folge des vernichtenden
Sieges über die Türken
nach der Schlacht am
Kahlenberg vor Wien 1683
wurde an einen der im
Dienste Königs Johann
III. Sobieski von Polen
für die gegnerischen Parteien
streitenden Offiziere
als Kriegstrophäe neben
anderen Beutegegenständen
auch ein komplettes
Zelt aus dem Osmanischen
Reich übergeben:
Friedrich von der Groeben
(1645-1712), Kommandant
des ausländischen Regimentes
unter Sobieski, wurde
der neue Eigentümer des
runden, im wesentlichen
aus Baumwolle und Seide
gefertigten Zeltes. Für
den Gebrauchsaufbau war
dieses große Objekt, das
sich mehr als 300 Jahre
später in Berlin befindet,
zusätzlich mit tragenden
Elementen aus Baumwolle, Leder,
Holz und ein wenig Metall
versehen.
Friedrich von der Groeben
war nicht der erste seines
Geschlechtes, welches
im Mittelalter zunächst
im anhaltinischen Raum
und bald danach in märkisch-brandenburgischer
Region beheimatet war,
der sich insbesondere
ab 1670 aktiv in die politisch-militärischen
Fragen des polnischen
Staates einbrachte. Schon
sein Vorfahre Otto von
der Groeben (1567-1649)
erlangte als Anführer
der Ständischen Opposition
in Herzoglich Preußen
Berühmtheit. Zugleich
mit Friedrich waren in
der zweiten Hälfte des
17. und zu Beginn des
18. Jahrhunderts um die
15 weitere Mitglieder
der Familie von der Groeben
im Dienste des Staates
Polen oder seines Königshauses
tätig. Der Verlauf der
militärischen und gesellschaftlichen
Karriere Friedrichs ist
allerdings besonders hervorzuheben:
Friedrich von der Groeben wurde gegenüber allen weiteren Angehörigen
seines Adelsgeschlechtes in besonderer Weise aktiv, indem er um das
Jahr 1670 herum der fremdländischen oder auch "deutsch" bezeichneten
Infanterie auf polnischem Staatsgebiet beitrat. Zu diesem Zeitpunkt
wurde der von der polnischen Regierung, dem "Seym", gefällte
Beschluss die noch im Staatsgebiet existenten militärischen Einheiten
auszubauen, maßgeblich vom "Hetman" (Hauptmann/ Anführer)
Johann Sobieski vorangetrieben. Besonders betroffen davon war die fremd-
oder auch ausländische Infanterie. Selbige hatte sich aus alten Regimentern
gegen 1672 schon zu einer Streitgruppe mit nunmehr verdoppelter Einheitenkapazität
entwickelt. Erfahrung und Geschick für die anstehenden militärischen
Aufgaben brachten Friedrich, dem Offizier, schon Anfang 1675 den Titel
des Oberstleutnant und gegen Ende des gleichen Jahres den Rang des Oberst
ein. Als sein Befehlsgeber avancierte im ungefähr gleichen Zeitraum
der Senatsgroßmarschall und durch den Sieg über die Türken bei Chocim
(1673) wiederholt militärisch sehr erfolgreiche Feldherr Johann Sobieski
durch Wahl zum polnischen König Johann III. Sobieski.
In den folgenden Jahren
beauftragte dieser König
seinen untergebenen Regimentsführer
der ausländischen Infanterie-Einheiten,
Friedrich von der Groeben,
verstärkt mit diplomatischen
und somit durchaus gefahrvollen
Reisen zu den Tataren
oder den Türken. Die naheliegende
und bestätigte Absicht
dahinter war, möglichst
viel über deren politische
oder militärische Zielsetzungen
zu erfahren. Die Tatsache,
dass Friedrich immer wieder
mit teilweise außergewöhnlich
heiklen Missionen beauftragt
wurde, lässt bei Berücksichtigung
der überlieferten Quellen
erkennen, dass er eine
besondere Vertrauensposition
bei Hofe innehatte. Besondere
Vorteile, die ihm daraus
erwuchsen, wie etwa höhere
finanzielle Zuwendungen,
sind nicht belegt, jedoch
als wahrscheinlich anzunehmen.
Mit der Vertreibung der
Türken vor Wien infolge
der eingangs erwähnten
entscheidenden Schlacht
von 1683 nahm die Karriere
des Friedrich von der
Groeben ihren weiteren
Verlauf: Im Jahre 1687
wurde er anerkennungshalber
zum Generalmajor befördert
und darüber hinaus von
Sobieski noch bei vielen
weiteren Militäroperationen
größerer Bedeutung eingesetzt.
Als Beispiele sollen hier
die Vorkommnisse bei Esztergom,
verschiedene Moldau-Feldzüge
im Zeitraum 1684-1686
und die Einnahme der Festungen
Soroka und Neamt im Jahr
1691 genannt werden. Friedrich
brachte, 1693 zum Generalleutnant
befördert, seinen Erfolg
in polnischen Militärsdiensten
bei ständiger Verstärkung
seines Regimentes und
Erweiterung seiner finanzadministrativen
Verantwortung immer noch
weiter voran. Auch nach
dem Tode Johann III. Sobieski
1696 blieb er unter König
August II. in polnischen
Heeresdiensten, wenngleich
gegen Ende dieser erfolgreichen
Militärlaufbahn seine
diplomatischen Aktivitäten
in Form der Vertretung
der Preußischen Interessen
am polnischen Hofe (inzwischen
nach Warschau verlegt)
die vorrangige Bedeutung
erhielten. Noch im Jahr
1709 findet sich in Kronheerverzeichnissen
ein Hinweis auf die Infanterie
des Generalleutnants von
der Groeben, gerade drei
Jahre vor seinem Tod und
fast zeitgleich mit der
Erwähnung seines Angehörigen
Oberst Otto Friedrich
von der Groeben (1656-1728)
in Militärakten von 1710.
Die überaus erfolgreiche
Tätigkeit des Grafen Friedrich
von der Groeben in den
Diensten des Königs von
Polen hatten ihm lange
schon zu Ansehen und Wohlstand
verholfen: Gegen Ende
seines Lebens verfügte
Friedrich über vier Länderei-Majorate
in Ostpreußen mit dem
Hauptanwesen Groß-Schwansfeld
im Kreis Bartenstein/
Bartoszyce im Ermland/
Warmia. Das dort beheimatete
Gut der Adelsfamilie wurde
und verblieb den überlieferten
Informationen zufolge
auf unendlich lange Zeit
hin der Standort des vor
Wien erbeuteten Zeltes.
Ob überhaupt und wenn
ja, wie oft dieses Zelt
in den folgenden mehr
als 200 Jahren vor seinem
nächsten großen und mit
schriftlichen Zeugnissen
nachgewiesenen Umzug aus
Ostpreußen tatsächlich
aufgestellt, vorgeführt
oder gar benutzt wurde,
ist leider nicht belegt.
Zu vermuten ist eher,
dass das Objekt über längere
Strecken hinweg ein fast
vergessenes Schattendasein
geführt hat, nämlich unaufgebaut
und an einem unspektakulärem
Ort auf dem hochherrschaftlichen
Anwesen gelagert. Dafür
spricht nicht zuletzt
sein für das Lebensalter
relativ guter Erhaltungszustand
trotz Verwendung von fast
ausnahmslos organischem
und somit weniger strapazierfähigem
Herstellungsmaterial.
Um die letzte Jahrhundertwende herum ist aller Wahrscheinlichkeit nach
der Zeitraum anzusetzen, an dem der allen militärischen Fragen und Gegenständen
gegenüber sehr aufgeschlossene letzte Kaiser der Deutschen, Wilhelm
II., von dem immer noch in Groß-Schwansfeld bewahrten, außergewöhnlichen
Dokument hatte erzählen hören. Da er sich konsequenterweise auch um
die Belange des in unmittelbarer Nähe des Berliner Stadtschlosses, seines
Wohnsitzes, befindlichen Zeughauses als Sammlungs- und Bewahrungsort
von zahl- und ruhmreichen Militaria-Objekten kümmerte, liegt die Vermutung
nahe, dass er auch den Erwerb des Zeltes anregte. Die Verbindung zwischen
Kaiserhaus und Hochadel, so auch mit dem Grafengeschlecht von der Groeben,
war höchstwahrscheinlich über das traditionell verbindende Engagement
für Militärangelegenheiten hinaus so ausgeprägt, dass von einem offenen
Dialog zwischen Kaiser und der Familie von der Groeben bezüglich einer
möglichen Übergabe des Türkenzeltes ausgegangen werden kann. Tatsächlich
belegt ist die Überlassung des Objektes an die Arsenalsverwaltung und
das bedeutet zu diesem Zeitpunkt aus der Verantwortung des Grafen Heinrich
von der Groeben durch einen Eintrag in das Ankaufsbuch von 1907 mit
dem Inventarnummer-Vermerk: 07.1077. Doch vermutlich wurde es zunächst
einmal als großzügige Leihgabe behandelt. Denn wieder schriftlich nachgewiesen
ist, dass die Sachverständigen-Kommission des Zeughauses im Jahr 1908
tagte und bei dieser Gelegenheit auch das gerade in das Haus übernommene
Zelt zum Thema des endgültigen Ankaufs machte. Das Zeughaus unterstand
als eine staatliche Einrichtung übrigens zu diesem Zeitpunkt dem Kriegsministerium
und konnte sich somit der Anteilnahme, der Anregungen und der Unterstützung
des Kaisers Wilhelm II. sicher sein. Schriftlich überliefert ist auch
noch, dass das Zelt im Jahre 1922 schließlich für 20.000 Mark gekauft
worden ist. Demzufolge war es vom Zeitpunkt der Übergabe 1907 bis zu
Beginn der 20er Jahre lediglich als Leihgabe mit dem Ziel des Erwerbs
in der Obhut der Zeughaus-Verwaltung. Irgendwelche Dokumente zur Bestätigung
dieser Annahme liegen nicht vor. Ebenso existiert keine Abbildung des
im Arsenalgebäude, gesicherten Informationen zufolge, vorübergehend
aufgestellten Zeltes. Zu Beginn des Jahrhunderts wiederholt herausgegebene
kleine Begleitschriften der Ausstellung blieben in ihren Beschreibungen
sehr allgemein, d. h. ohne spezielle Benennung des Zeltes als Sammlungsobjekt
oder andere sachdienliche Hinweise.
Nach dem Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges wurden
mit zunehmender Gefährdung
des gesammelten Kulturgutes
zahlreiche Kunst- und
Geschichtsdokumente zu
ihrem Schutze aus deutschen
Institutionen ausgelagert.
Sehr viele Sammlungsgegenstände
des Zeughauses, das Türkenzelt
eingeschlossen, wurden
aus dem selben Grund im
Jahr 1944 nach Graudenz/
Grudziadz in Westpreußen
gebracht. Mit
Ende des Zweiten Weltkrieges
verliert sich dort die
Spur des Objektes, bis
eine größere Rückführungskampagne
in den Jahren 1958 und
1959 betreffend deutscher
Kriegsgüter aus der Sowjetunion
zurück in Richtung der
Deutschen Demokratischen
Republik das Zelt, von
Moskau auf den Weg geschickt,
wieder zu Tage brachte:
Es war demzufolge zuvor
von Westpreußen ein zweites
Mal während seiner Existenz
als Kriegsbeute weiter
nach Osten und bis in
die UdSSR verlagert worden,
bis es gegen Ende der
50er Jahre wieder zum
Bündnispartner Deutscher
Nation in die DDR zurückgeleitet
wurde. Allerdings war
das Reiseziel aus der
Autorin unbekannten Gründen
nicht die Hauptstadt der
Deutschen Demokratischen
Republik, Ost-Berlin,
mit dem Standort des inzwischen
stark kriegsbeschädigten
Zeughauses und früherem
Bewahrungsort des Zeltes.
Stattdessen wurde das
Objekt, möglicherweise
aufgrund eines Irrtums,
an das Völkerkundemuseum/
Grassimuseum nach Leipzig
geschickt. Dort lagerte
es wieder in öffentlichkeitsunzugänglichen
Räumen mehrere Jahrzehnte
unaufgebaut, immer als
geheime Staatsangelegenheit
mit äußerster Diskretion
behandelt, das heißt registriert,
aber nicht konservatorisch
bearbeitet oder sogar
publiziert, bis 1989 in
Europa der "Eiserne
Vorhang" und in Berlin
"die Mauer"
fiel.
Wieder kam es im Laufe
der folgenden Jahre zu
etlichen Kulturgut-Rückführungen,
und diesmal mit dem Beispiel
des Türkenzeltes im Jahr
1992 von einem Staat deutscher
Nation nach Jahrzehnten
wieder in einen gemeinsamen
deutschen Staat und zurück
in die nicht mehr geteilte
Großstadt Berlin. Aber
auch dabei gab es eine
Irrleitung, indem das
Zelt von einem Völkerkundemuseum,
Leipzig, nun zum Völkerkundemuseum
in Berlin-Dahlem als eines
von vielen Museumsinstitutionen
der in West-Berlin ansässigen
Stiftung Preußischer Kulturbesitz
gesandt wurde. Dort eingetroffen
wurde sehr bald anhand
eines alten, am Objekt
aufgefunden Inventar-Hinweises
und nach Rücksprache mit
dem Rechtsnachfolger des
Zeughaus-Erbes, dem Deutschen
Historischen Museum mit
Sitz in Berlin, der richtige
Standort des Objektes
erkannt und das Zelt noch
im gleichen Jahr wieder
an seinen früheren Bewahrungsort
gebracht.
In den jüngst vergangenen Jahren 1993-1999 ist der vorgefundene Erhaltungszustand
des im textilen Hauptabteil noch nahezu vollständig erhaltenen Großobjektes
weitestgehend untersucht und die Resultate im einzelnen in Schrift und
Bild niedergelegt worden. Insbesondere wurden auch die Beschädigungen
oder die Verluste genauestens dokumentiert, ob sie zum Beispiel die
vielen tragenden Elemente aus Baumwolle, welche für die Gurte und Seile
verwendet wurde, oder auch die verschollene, aber für den Aufbau des
Zeltes elementare und daher in einer angebrachten Form zu ersetzende
Mittelstange aus Holz betrafen.
Ein umfassendes Konzept
zur konservatorisch-restauratorischen
Bearbeitung des in Applikationstechnik
gefertigten Textilobjektes
wurde entwickelt. Und
entsprechend werden gegenwärtig
die erhaltenden Maßnahmen
als Vorbereitung der beabsichtigten
Neu-Präsentation dieses
beeindruckenden Objektes
wechselvoller Geschichte
ab 2004, und
dann wieder im Zeughaus,
durchgeführt.
Berlin, im Juni 1999