Am 4. November 1901 gründeten Eltern, ehemalige Schüler und Lehrer des Steglitzer Gymnasiums bei Berlin den "Wandervogel - Ausschuß für Schülerfahrten". Die daraus entstehende Wandervogelbewegung wurde zum Hauptbestandteil einer sich am Anfang des Jahrhunderts herausbildenden eigenständigen Jugendbewegung in Deutschland.
Schon 1896 begeisterte der Student und Stenographielehrer Hermann Hoffmann-Völkersamb (1875-1955) Schüler des "Gymnasium Steglitz" für das Wandern und das einfache Leben in der Natur. Auf den Fahrten verpflegten sich die Schüler selbst und kampierten im Freien oder in der Scheune. Einer dieser Schüler war Karl Fischer (1881-1941). Er übernahm die Führung der Wandergruppe, nachdem Hoffmann-Völkersamb im Jahr 1900 in den Diplomatischen Dienst nach Konstantinopel gegangen war. Nach dem Abitur bemühte sich Fischer, einen rechtlich-institutionellen Rahmen zu finden, der es ihm als nun außenstehenden ehemaligen Schüler ermöglichte, die Schülerfahrten weiter führen zu können. Er warb unter Eltern und geachteten Bürgern für die Gründung eines Wander-Vereins, denn das preußische Vereinsgesetz erlaubte es den Jugendlichen nicht, Vereine zu gründen oder außerschulischen Vereinen beizutreten. So entstand am 4. November 1901 im Steglitzer Ratskeller der "Wandervogel - Ausschuss für Schülerfahrten". Fischer vertrat als "Geschäftsführer" des Vereins zusammen mit den von ihm ernannten Wanderführern die Schüler. Eltern, Lehrer, erwachsene Berater und Freunde repräsentierten den Verein als "Alte Herren" gegenüber Schule, Behörden und Presse. Den Namen "Wandervogel" hatte ein Gründungsmitglied auf einem Grabstein entdeckt: "Wer hat euch Wandervögeln / die Wissenschaft geschenkt / dass ihr auf Land und Meeren / die Flügel sicher lenkt...".
In den folgenden vier Jahren betrieb Fischer die Ausweitung des Wandervogels. Dabei wurde er tatkräftig von im Vorstand vertretenen Erwachsenen unterstützt. So leitete ein ehemaliger Lehrer des Steglitzer Gymnasiums, der Reformpädagoge Ludwig Gurlitt (1855-1931), einen positiven Bericht an das preußische Kultusministerium, das den Wandervogel daraufhin amtlich anerkannte.
Fischer begeisterte seine Mitwanderer für die Idee, die Gruppe nach dem Vorbild von wandernden Schülern im Mittelalter zu organisieren. Der Neuling hieß "Scholar", das bewährte Mitglied "Bachant". Als selbsternannter "Oberbachant" übernahm Fischer autoritär das Kommando. Er führte neue Umgangsformen ein wie den Gruß "Heil", übernommen von den österreichischen deutschvölkischen Studenten, und einen Erkennungspfiff. Auf die Fahrten nahm man Musikinstrumente mit, insbesondere die Zupfgeige, auch Gitarrenlaute genannt. Fischer regte auch eine einheitliche "Kluft" der Wandervögel an. Im Gegensatz zum in der Kaiserzeit üblichen Matrosenanzug trugen die Scholaren und Bachanten Pelerinen (Regenumhänge) und Kniebundhosen mit Wollstrümpfen. Anstelle der weißen Stehkragen traten geknotete rote Halstücher. Kleidung und Verpflegung trugen die Wandervögel in Rucksäcken und führten einen "Wanderstecken" mit, der vom Stochern im Holzfeuer ordentlich angerußt sein musste. Neben die Schülermütze trat immer mehr die Wandervogelmütze, bestehend aus grünem Tuch mit goldenen und roten Streifen. Diese drei Farben des Wandervogels kehrten in einer durch das Knopfloch zu ziehenden grün-gold-roten Schnur wieder. Die bunten Wandervogelmützen dienten zum Einen der Kennzeichnung als soziale Gruppe, aber auch, um sich gegenüber Bauern und Wirten "ausweisen" zu können, auf deren Scheune oder Schuppen die Wandervögel angewiesen waren. Die Wandervogeljugend rekrutierte sich überwiegend aus Gymnasiastenkreisen und der bürgerlichen Schicht. Somit ging es bei der einheitlichen Kluft nicht um eine Nivellierung der Klassenunterschiede.
Der junge Schriftsteller und Wandervogelmitbegründer Hans Blüher (1888-1955) umschrieb die Frühzeit des Wandervogels in schwärmerischen Tönen: "Steglitz wurde der Mutterboden einer Jugendbewegung, die sich fast zehn Jahre lang ganz im Kleinen und Privaten hielt, die sich das Ideal der fahrenden Schüler aus dem Mittelalter holte, um daran in der neuen Zeit gesund und selbstherrlich zu werden, die sich dann auf einmal ziemlich plötzlich erhob, als die Sterne günstig standen, und in romantischer Begeisterung in wenigen Jahren sich über ganz Deutschland ergoss, so dass zu Tausenden und Abertausenden die vom Alter gekränkte Jugend durch die Wälder brauste."
Interne Unstimmigkeiten über die Ausrichtung des Wandervogels und den autoritären Stil Fischers führten zum Austritt der Kritiker und zur Auflösung des Ur-Wandervogels im Juni 1904. Zahlreiche Abspaltungen und Neugründungen wie der "Steglitzer Wandervogel e.V.", der "Altwandervögel", der "Jungwandervogel" oder der "Wandervogel. Deutscher Bund für Jugendfahrten" entstanden. Aber die Idee, in der Freizeit gemeinsam "auf Fahrt" zu gehen, fand rasch auch über Steglitz hinaus Verbreitung, und der "Wandervogel" gab einer ganzen Jugendbewegung ihren Namen.