Im September 1941 trat eine von Reinhard Heydrich im Namen des Reichsministers des Innern unterzeichnete "Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden" in Kraft: Alle im Deutschen Reich lebenden Juden, die ihr sechstes Lebensjahr vollendet hatten, durften sich nun nicht mehr ohne einen an der linken Brustseite ihrer Kleidung aufgenähten handtellergroßen "gelben Stern" in der Öffentlichkeit zeigen. In schwarzer Schrift hob sich das Wort "Jude" deutlich vom gelben Stoff des Sterns ab. Diese so genannte Kennzeichnungspflicht von Juden im Deutschen Reich war in gewisser Weise der Endpunkt von Entrechtung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung und markiert den Übergang zur letzten Stufe der Verfolgung: zu den Deportationen in die Ghettos und Vernichtungslager.
Dem nationalsozialistischen "Judenstern" lag eine völlig andere Intention zugrunde als den gelben Flecken, Sternen oder Ringen und Judenhüten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Im Unterschied zu den Kennzeichnungen an der Kleidung von Juden in einer von Kleiderordnungen geprägten ständischen Gesellschaft ging es dem "Führer und Reichskanzler" Adolf Hitler bei der "Kennzeichnungspflicht" der Juden darum, ihnen in ihrer ohnehin schon nahezu ausweglosen Situation durch diese Form der öffentlichen Stigmatisierung den "letzten Stoß" zu versetzen. Mit seiner Zustimmung zum "Judenstern" hatte Hitler bis in den August 1941 gewartet. Als nach dem Überfall auf die Sowjetunion in den rückwärtigen Frontabschnitten der vormarschierenden Wehrmachtseinheiten schon unzählige Juden den mordenden "Einsatzgruppen" zum Opfer gefallen waren, schien jegliche Form von Rücksichtnahme nicht mehr erforderlich. Mit dem am 23. Oktober 1941 vom Reichssicherheitshauptamt unter Heinrich Himmler verhängten generellen Ausreiseverbot für Juden saßen nun auch die noch circa 200.000 in Deutschland lebenden Juden in einer tödlichen Falle. Schon wenige Tage vor Verhängung des Ausreiseverbots hatte am 18. Oktober 1941 der erste Deportationszug aus Berlin den Bahnhof Grunewald verlassen.
Die Ausgestaltung des "Judensterns" hatte Hitler dem Reichspropagandaminister und Gauleiter der Reichshauptstadt Berlin Joseph Goebbels überlassen. Unter Umgehung der chaotisch ungeordneten Zuständigkeiten der obersten Reichsbehörden hatte Goebbels seit langem Hitlers Zustimmung zur "Kennzeichnungspflicht" von Juden erbeten. Goebbels' Wunsch, "seine" Reichshauptstadt Berlin möglichst schnell "judenfrei" zu bekommen, hat dabei neben seinem brennenden Antisemitismus die entscheidende Rolle gespielt. Mit zunehmender Intensivierung von Unterdrückung und Ausgrenzung des jüdischen Bevölkerungsteils nach 1933 zogen viele Juden aus Kleinstädten und Dörfern in die mehr Schutz durch ihre Anonymität versprechenden Großstädte und insbesondere nach Berlin. Mit der "Kennzeichnungspflicht" mussten sich Juden nun auch hier als "Sternenträger" zu erkennen geben. Drakonische Strafen wie die Einlieferung in ein Konzentrationslager wurden beim kleinsten Versuch verhängt, den "Judenstern" zu verdecken.
Die Lage der jüdischen Bevölkerung in Berlin hatte sich bereits im Frühjahr 1941 verschärft, als der Generalbauinspektor Albert Speer mit der Zwangsräumung "jüdischen Wohnraums" und "Entsiedelung von Juden" für die geplante Umgestaltung von Berlin zur "Welthauptstadt Germania" begann. Die von Speers Umbauplänen betroffenen Juden wurden zunächst in "Judenhäuser" verbracht und von dort aus in die Vernichtungslager deportiert. Mit der zunehmenden Bombardierung deutscher Städte fiel es Juden immer schwerer, bewohnbaren Raum legal zu beziehen oder illegalen Unterschlupf zu finden. Diskriminierende Beschränkungen wie die unzureichende Versorgung mit Lebensmittelkarten, das Verbot, außerhalb bestimmter Zeiten einzukaufen, das weitgehende Verbot öffentliche Verkehrsmittel sowie selbst Parkbänke zu benutzen machten aus der jüdischen Bevölkerung in ihrer zu einem großen Teil angestammten Heimat immer mehr eine gehetzte Minderheit, die sich kaum noch auf die Straße traute.
Die von Goebbels gleichgeschaltete Presse suggerierte, dass die im September 1941 verhängte "Kennzeichnungspflicht" von dem allergrößten Teil der "arischen" Bevölkerung gutgeheißen und geradezu euphorisch begrüßt werde. Fest steht, dass viele überzeugte Antisemiten sich mit der nationalsozialistischen Judenpolitik bis hin zu den "Deportationen in den Osten" einverstanden erklärten. Aber es gab bei etlichen Menschen in Deutschland auch einen Rest von Anstand und Scham angesichts des entwürdigenden Umgangs mit den Juden. Viele kleine Zeichen und Gesten der Unterstützung verfolgter Juden sind überliefert. Den Verfolgten mochten diese kleinen Zeichen von Solidarität einen Rest Hoffnung geben, an der radikalen Umsetzung der NS-Vernichtungspolitik hingegen vermochten sie so gut wie nichts zu ändern.
Einführung der Kennzeichnungspflicht für Juden im Deutschen Reich sowie in den besetzten Gebieten (B) und den verbündeten Staaten (V)
Datum |
| Staat |
1. Dezember 1939 |
| Generalgouvernement Polen |
22. Mai 1941 |
| Kroatien (V) |
ab 6. Juli 1941 sukzessive |
| Sowjetunion (B) |
Juli 1941 |
| Rumänien (V) |
1. September 1941 |
| Slowakei (V) |
1. September 1941 |
| Protektorat Böhmen und Mähren |
19. September 1941 |
| Deutsches Reich |
14. Oktober 1941 |
| Luxemburg (B) |
1. Mai 1942 |
| Niederlande (B) |
7. Juni 1942 |
| Belgien (B) |
7. Juni 1942 |
| Frankreich (B) |
4. September 1942 |
| Bulgarien (V) |
4. September 1942 |
| Mazedonien (von Bulgarien besetzt) |
12. Februar 1943 |
| Griechenland (B) |
5. April 1944 |
| Ungarn (B) |