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Völkerschlacht bei Leipzig

Die vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 andauernde Völkerschlacht bei Leipzig brachte nicht nur den Sieg der Verbündeten Österreich, Preußen, Russland und Schweden über Napoleon. Sie war mit weit über 500.000 Soldaten sowie mehr als 90.000 Toten und Verwundeten auch eine der größten und blutigsten Schlachten der europäischen Geschichte. Den 200. Jahrestag der Völkerschlacht nimmt das Deutsche Historische Museum zum Anlass, verschiedene Aspekte dieser bedeutenden europäischen Schlacht ab dem 22. August 2013 in der Sonderausstellung "1813 – Auf dem Schlachtfeld bei Leipzig. Ein Rundgang durch das Gemälde Siegesmeldung von Johann Peter Krafft" zu durchleuchten. 

Am 19. Oktober 1813 schrieb der eben erst zum Oberst beförderte preußische Offizier Karl von Müffling (1775-1851) in seinen Armeebericht: "So hat die viertägige Völkerschlacht von Leipzig das Schicksal der Welt entschieden". Von Müffling übertrieb: Bei Leipzig wurde nicht das Schicksal der Welt entschieden. Und sie markierte auch noch nicht das Ende der napoleonischen Hegemonie - dies erreichte erst die Schlacht bei Waterloo eineinhalb Jahre später. Aber durch diese bedeutende Niederlage Napoleons und den anschließenden Abfall der verbündeten Rheinbundfürsten, stand sie am Anfang vom Ende der Herrschaft Napoleons in Deutschland. Damit leitete die Völkerschlacht einen Prozess ein, an dessen Ende mit dem Wiener Kongress 1815 die territoriale Neuordnung Europas stand und der im selben Jahr geschlossenen Heiligen Allianz die monarchische Ordnung Europas wiederhergestellt wurde.

Die Völkerschlacht, so der Journalist Andreas Platthaus, war "die letzte Königsschlacht", also die letzte Schlacht, in der die Monarchen persönlich auf dem Feld standen und Befehle erteilten. Das waren neben Kaiser Napoleon I. (1769-1821) seine verbündeten Gegner Zar Alexander I. von Russland (1777-1825), Kaiser Franz I. von Österreich (1768-1835) und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1770-1840). Folgerichtig zielte Oberst Müffling mit dem Begriff Völkerschlacht auch auf die Heervölker absolutistischer Herrscher und keineswegs auf eine Schlacht, die von freiheitsdürstenden und sich nach nationaler Einheit sehnenden Völkern geschlagen wurde, wie patriotisch gesinnte Zeitgenossen den Begriff rasch umdeuteten. Richtig bleibt: In die Schlacht bei Leipzig waren fast alle damals in Europa existierenden Völker verwickelt.

Nach dem Scheitern Napoleons und seiner Grande Armée im Russlandfeldzug 1812 schloss Preußen zunächst im Februar 1813 ein Bündnis mit Russland und erklärte im März 1813 Frankreich den Krieg. Damit begannen die Befreiungskriege gegen Napoleon, denen sich nacheinander Schweden, England und schließlich auch Österreich anschlossen. Nachdem es Napoleon in der Schlacht bei Dresden am 26./27. August 1813 nicht gelungen war, die Hauptarmee der Alliierten vernichtend zu schlagen und seine Generäle in den Einzelschlachten bei Großbeeren (23.8.1813), an der Katzbach (26.8.1813), bei Kulm (29./30.8.1813), Dennewitz (6.9.1813) und an der Göhrde (16.9.1813) eine Niederlage nach der anderen erlitten, hatte er zunächst versucht, die Armeen der Verbündeten einzeln zu schlagen. Genau das wollten diese aber vermeiden und bezogen im Umkreis von Leipzig Stellung, um von Napoleon gemeinsam die Entscheidungsschlacht zu erzwingen.

Am Vorabend der Schlacht verfügten die alliierten Verbündeten Russland, Österreich, Preußen und Schweden über rund 360.000 Mann und Napoleon über rund 200.000 Mann, wobei noch nicht alle Truppen einsetzbar waren. Die Böhmische Armee unter dem Oberbefehlshaber der alliierten Truppen, Feldmarschall Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg (1771-1820), umfasste 194.430 Mann. Auf die Schlesische Armee unter Führung des preußischen Generals Gebhard Leberecht von Blücher (1742-1819) und seines Generalstabschefs August Neidhardt von Gneisenau (1760-1831) kamen 63.861 Soldaten. Die Nordarmee unter Führung des schwedischen Kronprinzen und ehemaligen französischen Marschalls Jean-Baptiste Bernadotte (1763-1844) vereinigte 67.416 Mann unter sich und die russische Reservearmee aus dem besetzten Polen unter Graf Levin August Theophil von Bennigsen (1745-1826) brachte es auf 33.875 Mann.

An der Schlacht waren Soldaten fast aller Völker Europas beteiligt: Auf napoleonischer Seite kämpften an die 20.000 Deutsche aus den Rheinbundstaaten, vornehmlich Sachsen, Baden, Hessen, Württemberger und Westphalen, rund 11.000 Polen, die Fürst Joseph Anton Poniatowsky (1762-1813) in Krakau in der Hoffnung auf ein unabhängiges Königreich Polen um sich geschart hatte, an die 7.000 Mann aus den Königreichen Italien und Neapel sowie Niederländer, Spanier und Kroaten aus den von Frankreich annektierten Gebieten. Der Koalitionsarmee gehörten neben Russen, Österreichern und Preußen auch Ungarn, Tschechen, Slowenen, Kroaten, Rumänen, Kalmücken, Baschkiren und Walachen aus den Vielvölkerstaaten Russland und Österreich an. Ab dem 17.Oktober stießen auch Schweden, die Reservetruppen aus dem russisch besetzten Teil Polens sowie das technisch neuartige britische Raketenbataillon hinzu.

"Die Ebenen von Leipzig werden abermals eine fürchterliche Schlacht erleben […]. Diese Schlacht wird mehrere Tage dauern, denn die Lage ist einzigartig und die Entscheidung von unendlichen Folgen", schrieb der Oberbefehlshaber der alliierten Truppen, Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg, am Vorabend der Völkerschlacht bei Leipzig an seine Frau – und er sollte recht behalten, sowohl was die Folgen als auch was die schrecklichen Ausmaße der Schlacht anbelangte.

Bis 1813 war Leipzig eine blühende Handels-, Messe- und Universitätsstadt mit rund 30.000 Einwohnern. Nach der Völkerschlacht war von dieser einst so blühenden Stadt nichts mehr erkennbar. Vom 16. bis zum 19. Oktober kämpften insgesamt über 550.000 Soldaten zunächst im Nordwesten und Südosten Leipzigs und am 19. Oktober auch in Leipzig selbst. Tagsüber schlugen sich die Truppen auf dem durch tagelangen Regen schlammigen und sumpfigen Boden, nachts kampierten sie zumeist auf freiem Feld und verbrannten für wärmende Feuerstellen alles, was sie in den nahegelegenen Wäldern, Dörfern und Scheunen finden konnten. In der Stadt wurde die Zahl der Lazarette auf 50 erhöht, Kirchen und öffentliche Räume dienten den Verwundeten als Notunterkünfte, aber auch diese reichten bald nicht mehr aus, so dass sich Verwundete und Tote auf den Straßen Leipzigs regelrecht stapelten. Tausende Tote wurden tagtäglich per Karren vor die Stadt gekarrt und dort in Massengräbern verscharrt.

Die eigentliche Schlacht begann am Samstag, den 16. Oktober 1813 an vier verschiedenen Standorten rund um Leipzig, brachte aber trotz erbitterter Kämpfe und immenser Verluste auf beiden Seiten noch keinen eindeutigen Sieger. Der 17. Oktober diente beiden Seiten mit wenigen Ausnahmen als Ruhetag und zur Aufstockung ihrer Truppen. Am 18. Oktober 1813 gelang es den zahlenmäßig überlegenen Verbündeten am späten Nachmittag, Napoleons Truppen bis vor die Leipziger Stadtmauern zu drängen. Um die vollständige Vernichtung seiner Truppen zu verhindern, blieb Napoleon nur der Rückzug. Schwarzenberg bereitete unterdessen für den 19. Oktober den konzentrischen Angriff auf Leipzig vor. Noch vor Ende der Kampfhandlungen erschienen gegen 13 Uhr die drei Monarchen Russlands, Österreichs und Preußens auf dem Leipziger Marktplatz zur Siegesfeier und Ehrung der siegreichen Generäle. Es wurde ein teuer erkämpfter Sieg: Allein am 16. Oktober waren auf alliierter Seite 38.000 und auf Napoleons Seite 23.000 Soldaten gefallen, nach der Schlacht waren es 54.000 auf alliierter Seite und 37.000 auf französischer.

Obwohl die Völkerschlacht im Gegensatz zu Waterloo 1815 keineswegs den entscheidenden Sieg über Napoleon oder dessen endgültige Entmachtung gebracht hatte, wurde sie rasch zum wirkmächtigsten nationalen Mythos Deutschlands und zum Volkskrieg verklärt. So wie Napoleon die sächsischen und württembergischen Überläufer während der Schlacht als Hauptursache für seine Niederlage deklariert hatte, verklärten national gesinnte sie als rein patriotisch motivierte Tat von Deutschen, die nicht mehr gegen Deutsche kämpfen wollten – dabei ging es ums nackte Überleben. Denn – zumindest das hatte die national aufgeheizte Propaganda eines Ernst Moritz Arndt (1769-1860) oder eines Theodor Körner (1791-1813) erreicht – die Überläufer wurden mit offenen Armen empfangen und nicht als Gefangene behandelt.

Und noch schneller vergaßen die Zeitgenossen – mit Ausnahme der Bewohner Leipzigs – das Grauen auf dem Schlachtfeld nach dem Ende der Kampfhandlungen. Allerorten fanden Siegesfeiern statt und die Uraufführung von Beethovens Sinfonie "Wellingtons Sieg" – eigentlich auf den Sieg der britischen über die französischen Truppen am 21. Juni 1813 im spanischen Vitoria komponiert –, wurde von den Zeitgenossen als Siegeshymne der Völkerschlacht intoniert. Über Jahrzehnte wurden Erinnerungsmedaillen geprägt oder aus auf dem Schlachtfeld gefundenen Kanonenkugeln gegossen.

Als die verbündeten Monarchen weder die Freiheitsideale noch die Rufe nach einer geeinten deutschen Nation erfüllten, wandelten sich die Gedenkfeiern zum 18. Oktober mancherorts in politische Demonstrationen national und liberal gesinnter Freiheitskämpfer, wie beim Wartburgfest vom 18. Oktober 1817. So teilte sich die Erinnerung an die Schlacht: Die einen verherrlichten sie als Geburtsstunde der deutschen Nation, als Volksbewegung für Einheit und Freiheit, die anderen feierten sie als Sieg über die Herrschaft Napoleons und die Revolution auf deutschem Boden. Erst mit dem 1894 begonnenen und zur Hundertjahrfeier 1913 eingeweihten Völkerschlachtdenkmal auf dem ehemaligen Schlachtfeld wurde dem Mythos der Völkerschlacht als Geburtsstunde der deutschen Nation das passende Denkmal gesetzt – der liberale Freiheitsgedanke blieb dabei allerdings auf der Strecke.

Nach dem Ersten Weltkrieg vereinnahmte die national und völkisch gesinnte Rechte den 18. Oktober ebenso wie später die Nationalsozialisten für Großveranstaltungen, die Deutschlands Größe und Volksgemeinschaft verherrlichten. In der DDR diente die Erinnerung an die Völkerschlacht dazu, die deutsch-russische Waffenbrüderschaft zu beschwören, während sie in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren zunehmend in Vergessenheit geriet.

Zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht wurde in zahlreichen Veranstaltungen nicht nur in und um Leipzig der europäische Erinnerungsort wieder in den Mittelpunkt gerückt.

Dorlis Blume
Oktober 2013

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