> Annelies Jandt: Hochzeit im Krieg 1940

Annelies Jandt: Hochzeit im Krieg 1940

Dieser Beitrag stammt von: Annelies Jandt (*1916) aus Pinneberg, September 2013. Der Text ist ein Auszug aus ihrem Buch "Unruhige Zeiten" (2013).

1939 wollte ich mit meinem späteren Mann Ernst eine Woche richtig Urlaub machen in Malter an der Talsperre. In der zweiten Nacht hörten wir durch die Wand laut im Radio Hitler sprechen: Der Krieg war ausgebrochen, es war der 1.September 1939. Wir mussten zurück nach Dresden, denn ich hatte mich beim Flugmeldedienst einzufinden. Da hatten wir Schichtdienst, dreimal acht Stunden, von 6-14 Uhr, 14-22 Uhr und 22-6 Uhr. Im Land waren viele Beobachtungsposten eingerichtet, die jedes Flugzeug an die Zentrale melden mussten. Das waren wir, ca. 20 Telefonplätze. Wir nahmen die Meldung auf und gaben den Zettel zur Leitstelle zum Auswerten, damit Luftabwehr in Gang gesetzt werden konnte. Die Räume waren in einem Luftschutzkeller unter dem Hauptpostamt. Bei dem großen Angriff auf Dresden sind dort alle Menschen umgekommen. - Ich absolvierte diesen Dienst nicht gern; als gefragt wurde, ob jemand Steno und Schreibmaschine könne, habe ich mich sofort gemeldet. Nun schrieb ich für die Offiziere ihre Berichte, Befehle und so weiter. Einer hatte in Chemnitz eine Strumpffabrik und schenkte mir zwei Paar Seidenstrümpfe! Ein anderer hatte eine Lederfabrik und schenkte mir ein Stück festes Leder, damit ich meine Schuhe besohlen lassen konnte. Solche Dinge konnte nicht mehr kaufen. Später kam ich zur Kompanie-Geschäftsstelle. Das Büro befand sich nicht im Bunker, und ich hatte normale Arbeitszeiten. Dort blieb ich bis zu meiner Heirat im September 1940.

Als wir uns zur Heirat entschlossen hatten, wollten wir uns erst verloben, wie es damals üblich war. Den Ostersonnabend hatten wir uns ausgesucht, es war der 24. März 1940. Dafür musste ich natürlich ein neues Kleid haben. Mit Mutti kaufte ich den Stoff: Schwarzer Tüll mit verschieden großen Samtpunkten und schwarzem Crepe de Chine als Unterkleid. Damit gingen wir zu Muttis Schneiderin, die mir ein schönes langes Kleid daraus nähte. Die Verlobung feierten wir in unserer Wohnung. Es war eine fröhliche Feier, bei der sich Ernsts und meine Eltern das erste Mal richtig kennenlernten. Ernst schenkte mir einen Bernsteinanhänger, den ich heute noch gerne trage.

Für meine Eltern und mich galt es nun, meine Aussteuer einigermaßen komplett zu machen. Das war gar nicht so einfach, denn wir hatten seit einem halben Jahr Krieg, und die meiste Wäsche gab es nur auf Bezugschein. Den musste man beantragen. Bei Heirat bekamen wir vier Bettgarnituren, sonst jede Person nur eine. Die Eltern und die Verwandten beantragten Bezugscheine, und da sie die Bettwäsche nicht unbedingt brauchten, konnten wir sie für mich kaufen. So war es auch mit der anderen Hauswäsche. Schließlich hatte ich am Ende keine Riesenaussteuer, aber es reichte. Nun kamen die Möbel dran. Ein Schlafzimmer aus poliertem Ahorn fanden wir und auch Küchenmöbel. Dazu gehörte ein Aufwaschtisch. Das war sehr wichtig. Den konnte man seitlich ausziehen, und hervor kamen zwei große Emailleschüsseln zum Abwaschen. Das schmutzige Geschirr konnte man erst mal hineinstellen und den Tisch wieder zuschieben. Auch Tisch und Stühle für das Wohnzimmer bekamen wir noch. Es war schwierig, in dieser Kriegszeit noch Möbel zu finden, die uns gefielen. Hergestellt wurden nur noch wenige, denn Holz wurde nicht mehr eingeführt, und außerdem wurden die meisten Leute eingezogen oder mussten für Rüstung oder Ausstattung der Wehrmacht arbeiten.

/lemo/bestand/objekt/jandt_02Mein Brautkleid aus weißem, gepresstem Pannésamt wurde wieder von unserer Schneiderin genäht, auch das blaue Kleid für das Standesamt. Dort gingen wir schon am Donnerstag, dem 12. September, hin. Die beiden Väter waren Trauzeugen. Nun waren wir schon ein Ehepaar. Am Freitagabend fand der Polterabend statt. Der große, mit Steinfliesen belegte Lichthof in unserem Haus eignete sich ideal dafür, Geschirr zu zerschmeißen. Ernst und ich hatten schon einen Riesenhaufen weggeräumt, da krachte es wieder. Aber siehe da, es waren die gleichen Scherben wie vorher. Walter, mein Cousin, hatte sie aus dem Mülleimer wieder herausgeholt!

Am nächsten Morgen hatte ich Kopfweh. Nach Tablette und Hühnerbrühe gingen sie tatsächlich weg und ich konnte für die Hochzeit in der Kirche mit langem, weißem Kleid, Schleier und Myrtenkranz geschmückt werden. Mit der Pferdekutsche fuhren wir zur Kirche. Dort waren die Verwandtschaft, Blumenstreukinder und Schleppenträger versammelt. Dann ordnete sich der Zug. Meine Cousine Rosel ging vor uns und trug zwei hellblaue Kissen zum Draufknien, ihr Bruder Dieter trug die Schleppe. Es war schon ein besonderes Gefühl, am Arm meines Mannes durch die Kirche zu schreiten und dann vom Pfarrer Aé getraut zu werden. Anschließend wurde in der Kaufmannschaft gefeiert. Auf dem Weg dahin fuhr uns die Kutsche wie üblich am Storchenbrunnen vorbei. Als Letzte trafen wir zur Feier ein. Leider konnte mein Bruder Herbert nicht dabei sein. Er war in Frankreich beim Arbeitsdienst und hatte keinen Urlaub bekommen. Das Brautpaar verließ dann heimlich das Fest, denn wir wollten am nächsten Morgen zeitig mit dem Zug nach Berlin fahren, wo unsere neue Wohnung auf uns wartete.

In Berlin wurde ich nicht wieder eingezogen und habe mich natürlich nicht gemeldet. Erst genoss ich es, nicht arbeiten gehen zu müssen. Da aber immer mehr Frauen zur Arbeit in Rüstungsbetrieben verpflichtet wurden, bin ich, um das zu vermeiden, zur Fernseh-GmbH gegangen und wurde für halbe Tage eingestellt. Ich arbeitete bei Ernst im Labor. Das hat mir sehr gefallen. Ich habe viel Neues gelernt, es war mir nie langweilig. Zum Beispiel lernte ich Schaltungen lesen und Versuchsaufbauten zusammenlöten. Wenn sie nicht mehr benötigt wurden, habe ich Widerstände und Kondensatoren wieder sauber mit dem Lötkolben getrennt und in kleine Fächer geordnet. Manchmal habe ich viele Vektorrechnungen getätigt. Heute könnte ich das gar nicht mehr. Wenn die Ingenieure Berichte schreiben mussten, diktierten sie mir diese in die Maschine.

Sonntags fuhren wir von Berlin-Zehlendorf gern mit den Rädern weg. Dann schlichen wir uns heimlich hinten aus dem Haus, damit Ernst nicht irgendetwas für die Partei machen musste (Geld einsammeln, kaputte Bäume zählen usw.). Im Sommer fuhren wir oft an den Schwielowsee zum Schwimmen. Da er frei liegt, war immer etwas Wind, und es gab keine Mücken. Die mochte ich schon damals nicht. Schlimm waren dann später die nächtlichen Luftangriffe. Fast jede Nacht heulten die Sirenen. Das bedeutete: Schnell anziehen, Licht aus, Verdunklung hochziehen, Fenster auf, Notkoffer schnappen und ab in den Keller. Dort hörten wir die Flugzeuge, in der Ferne Bomben fallen. Dann Stille. Nach ein bis zwei Stunden tönten die Sirenen Entwarnung und man konnte ins Bett gehen. Es kam vor, dass nach kurzer Zeit das Theater wieder losging. Das Schlimmste, was bei uns passierte, war eine Luftmine, die ca. 100 m entfernt niederging. Bei uns hatte sie Fenster und Schranktüren auf- und zugeschmettert, Blumentöpfe umhergewirbelt, aber es war nichts Erhebliches kaputt gegangen.

 

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