Dieser Eintrag stammt von Dorothea Günther (*1914) aus Berlin, Juni 2010:
/lemo/bestand/objekt/guenther06 1936 während der Olympischen Spiele kamen viele Ausländer nach Berlin. Ich übernahm es, Gruppen von Engländern und Dänen durch Berlin zu führen. Anfangs standen uns die Ausländer skeptisch gegenüber, weil sie dachten, alle Deutschen seien Nazis. Aber bald stellten sie fest, dass der Nationalsozialismus gar nicht so stark in Erscheinung trat. Sie konnten ja nicht wissen, dass ihnen ein freundliches, offenes Deutschland präsentiert wurde, das allerdings mit der Realität nichts zu tun hatte. Sie erlebten beispielsweise nie, mit welchem Aufwand und mit welcher Huldigung selbst ein eher unbedeutender Gauleiter wie Ernst Wilhelm Bohle vom Fußvolk begrüßt wurde, wenn er dahergeschritten kam. Eine Kollegin von mir beim "Verband Deutscher vereine im Ausland" (VDV) pflegte zu murmeln, die sollten sich doch "keinen Fleck in´ Frack" machen, wenn er mit seinem Tross vorüberrauschte. Eine andere Kollegin hingegen, ein ältliches Fräulein, schaute ihm hingerissen nach und ließ sich anschließend lang und breit über seine "glänzende Erscheinung" aus.
Mit den Ausländern haben wir viel diskutiert, ohne dass sich eine Ideologie dazwischen schob. Abends gingen wir besonders gern in den Zigeunerkeller am Kurfürstendamm, weil dort, angeheizt durch ungarischen Wein, eine besondere Atmosphäre herrschte. In unvergessliche Erinnerung hat sich mir die Nacht eingeprägt, als wir mit einer Gruppe Engländer auf dem S-Bahnsteig Westkreuz Lamthwalk tanzten und sangen.