Bericht von Friedrich Georgi (1917-1998); DHM-Bestand, Inv.-Nr.: Do2 96/3887
Am 20. Juli 1944 bestellte General Friedrich Olbricht seinen Schwiegersohn, Major Friedrich Georgi, zu sich und erläuterte ihm seine Beweggründe und die politische Notwendigkeit des Attentats auf Adolf Hitler. Georgi gelang es, den bereits von hitlertreuen Einheiten umstellten Bendlerblock zu verlassen. Zu seiner Dienststelle der Luftwaffe in Bernau zurückgekehrt, verfasste er einen persönlich gehaltenen Bericht über das letzte Treffen mit seinem Schwiegervater:
Bernau, 21.7.1944
0.10 Uhr.
Für den Fall, daß sich die Befürchtungen meines Schwiegervaters bewahrheiten sollten, was durchaus im Bereich des Möglichen liegt, will ich heute Nacht noch einen Bericht über das Erlebnis der letzten Stunden zu Papier bringen.
Gegen 21.00 Uhr am Donnerstag, den 20.7.44 rief mich Väterchen [=General Friedrich Olbricht, Chef des Allgemeinen Heeresamtes und Kopf der Verschwörer vom 20. Juli] an und bat mich, heute Nacht noch zu einer Aussprache in sein Büro in die Bendler-Straße zu kommen. Ich bat daraufhin General v. Axthelm um einen Wagen, da ich den Chef des Stabes, der im Kino war, nicht erreichen konnte. General von A. bestellte sofort persönlich den Wagen beim Adjutanten. Ich arbeitete noch an den dringendsten Sachen, diktierte etwas und wollte mich dann beim O.v.D. [=Offizier vom Dienst] abmelden. Dort erfuhr ich, daß der Chef aus dem Kino zurück sei. Als ich mich bei ihm abmelden wollte, teilte er mir mit, daß der General für alle das Betreten und Verlassen der Kaserne verboten habe. Ich fuhr daraufhin sofort zum General, erhielt seine Genehmigung und fuhr in die Bendlerstraße.
Dort traf ich Väterchen mit einigen Offz. [Offizieren] auf dem Flur und bekam Bescheid, in seinem Zimmer zu warten. - Nach kurzer Zeit kam V., holte mich in sein Zimmer, ließ mich setzen, setzte sich selbst an seinen Schreibtisch und sprach, nachdem er mir einen Cognac eingegossen und eine Zigarre angeboten hatte, sinngemäß etwa wie folgt:
Ich habe Dich hierher gebeten, um Dir ganz nüchtern einen Einblick in den Stand der Dinge zu geben, damit Du genau weißt, was los ist.
Heute Mittag bei der Lage ist auf den Führer ein Bombenanschlag verübt worden. Die Bombe hat der Graf Stauffenberg geworfen. Wir erhielten die Nachricht, der Führer sei tot, und waren in dem Glauben, daß die Bombe die erwartete Wirkung getan habe. Daraufhin übernahm der Feldmarschall von Witzleben die vollziehende Gewalt, die erforderlichen Befehle an die Wehrkreiskommandos gingen heraus, wir versuchten uns in den Besitz der Gewalt zu setzen.
Meine Beweggründe zu dieser Handlungsweise sind getrieben von der unendlichen Sorge um unser Vaterland, um das Schicksal unseres Volkes. Der Führer bekommt politisch keinen Frieden, der Feind steht vor den Toren, militärisch ist die Situation nicht mehr zu meistern. Es mußte daher so oder so gehandelt werden. Ich weiß, welche Folgen das für Evchen [=Eva, Ehefrau von General Olbricht], Rosemarie [=Rosemarie Georgi, Tochter von General Olbricht], Euren kleinen Jungen [=Rudolf Georgi, Enkel von General Olbricht] und Dich haben kann. Für mich ist die Situation trotzdem klar. Als Soldat fürchte ich den Tod nicht. Solche Entschlüsse fordern den Einsatz des ganzen Menschen, alles Persönliche tritt zurück und auch Ihr werdet das einsehen.
Während die befohlenen Maßnahmen anliefen, stellte sich heraus, daß der Führer nicht tot war. Ein Zurück gab es nun nicht mehr. Dazu war die Sache nun zu weit dekouvriert. Im übrigen mußte es auch so versucht werden. Der Feldmarschall Keitel versuchte nun durch FS. [Fernschreiben] die Aktion zu verhindern. Sein erstes Fernschreiben wurde abgefangen. Es zeigte sich jedoch nun, daß das Hauptquartier nicht nachrichtenmäßig abgeschlossen war. Es gingen Befehle heraus, daß die Befehle des Feldmarschall v. Witzleben keine Gültigkeit hätten. Auf diese Weise rückte sogar das Wachbataillon von hier wieder ab.
Hier hatten der Generaloberst Fromm und der General von Kortzfleisch auch von Anfang an nicht mitgemacht. Viele Offz. erklärten nun auf einmal, daß sie nun, nachdem der Führer nicht tot sei, nicht mitmachen könnten. Der Führer ernannte Himmler zum Befehlshaber des Ersatzheeres und übertrug dem SS-Führer Kaltenbrunner die vollziehende Gewalt. Die alarmierte Truppe bekam nun verschiedene Befehle und fragte laufend hier an, welche Befehle nun Gültigkeit hätten. - So ist die Situation.
Wir werden hier uns vielleicht noch einige Zeit halten, werden uns hier verteidigen. Vielleicht noch eine Nacht, vielleicht noch zwei, vielleicht sind wir aber auch schon in einer Stunde hier umstellt. Ich werde dann hier als Soldat zu sterben wissen. Ich sterbe dann für eine gute Sache, davon bin ich felsenfest überzeugt. Ich tue nicht mehr, als unendlich viele Offz. und Generale in diesem Krieg schon getan haben. Ich sterbe für Deutschland. Ich werde nicht allein sterben, wir sind hier zahlreich. Aber es gibt keine andere Möglichkeit. Stauffenberg war der Têten-Reiter, den kann man jetzt nicht im Stich lassen. Es wäre auch sinnlos, das Ende ist so und so das Gleiche. Sollen wir jetzt bekennen, daß wir gesündigt haben? Nein, wir haben das Letzte gewagt für Deutschland.
Vielleicht kannst Du mir nachher noch meine Pistole laden, ich weiß gar nicht wie man das macht.
Ja, so steht es!
Ich weiß nun nicht, ob ich Evchen noch einmal anrufen soll, aber das lasse ich besser. Du mußt nun für Evchen und Rosemarie sorgen. Ich gebe Dir noch einige Papiere von mir mit, etwas Geld und Sparbuch.
Grüße bitte die beiden von mir, ich danke ihnen unendlich. Ganz besonders danke ich Evchen für das, was sie mir gewesen ist, besonders nach dem Tode meines Jungen und auch jetzt in dieser schweren Zeit. Ich will Dir noch die Schlüssel zum Tiefkeller geben. Sonst ist im Haus alles so wie es war. Ich werde Malick noch anrufen, daß ich heute Nacht nicht nach Hause komme.
Hast Du nun noch irgendeine Frage?
- Ich verneinte und fragte lediglich, ob ich ihm nicht lieber hier etwas helfen könne. -
Nein, sieh man lieber zu, daß Du noch hier herauskommst, wer weiß, wie lange das noch möglich ist. - Der Führer wird nachher sprechen. - Also geh nun, laßt es Euch gut gehn.
In diesem Augenblick drangen etwa 6-8 Generalstabsoffz. mit gezogener Pistole und Maschinenpistole in V. Büro ein und verlangten von ihm Aufklärung, was nun los sei und wollten den Generaloberst Fromm sprechen. Dann wollten sie V. sprechen, da sie vom Generalstab im Hauptquartier gehört hätten, daß der Führer gar nicht tot sei und sie nun wissen wollten, was hinter der Sache steckte.
Graf Stauffenberg, der inzwischen eingetreten war, sagte, er wollte mal sehen, ob Fromm zu sprechen sei und ging heraus in das Vorzimmer, das ebenfalls von Offz. mit Maschinenpistolen besetzt war. In Begleitung von 2 Offz. die ihre Schußwaffen auf ihn richteten ging er ins Nebenzimmer. Väterchen schickte mich ebenfalls aus dem Zimmer, was jedoch durch die eingedrungenen Offz. verhindert wurde. Ich verabschiedete mich dann nochmals von Väterchen und Stauffenberg, der inzwischen zurückgekommen war, mit einem langen, festen Männerhändedruck, der mehr sagte als Worte hätten sagen können, und drängte mich mit Gewalt ins Vorzimmer. Stauffenberg kam hinter mir her, ging rasch ins Nebenzimmer, von 2 Offz. gefolgt. Dann schlug er die Tür plötzlich zu, es fiel ein Pistolenschuß, der eine allgemeine Schießerei zur Folge hatte. Der Korridor war frei, aus jeder Tür lugte ein Offz. hervor und schoß auf jede Bewegung auf dem Korridor. Väterchen befahl mir nochmals zu gehen - er war inzwischen noch einmal an die Tür seines Zimmers gekommen. Der Versuch, ihm meine Pistole auszuhändigen, wurde von den uns beide umringenden Offz. verhindert. Ich gab ihm nun durch die Offz. hindurch noch einmal - ein letztes Mal - fest die Hand und sah ihm tief in die Augen, wobei ich meinen Dank murmelte und ihm mit meinem Blick versprach, seinen letzten Wunsch, für Evchen und Rosemarie zu sorgen, zu erfüllen, soweit es in meiner Macht steht. Dann drängte ich mich aus dem Kreis der mich umringenden Offz. aus dem Vorzimmer heraus und ging aufrecht, langsam und festen Schrittes den Korridor entlang. In diesem Augenblick fiel kein Schuß, da ich mit Handanlegen an die Kopfbedeckung an den einzelnen Offz. vorbeiging, von denen mich keiner anhielt. Ich passierte ohne Zwischenfall die Wache und fuhr nach Bernau.
Ich glaube, daß ich meinen Schwiegervater das letzte mal gesehen habe. Er war auch in dieser Situation äußerlich völlig ruhig und von seiner typischen tief innerlichen Herzlichkeit und liebenswürdigen Freundlichkeit. Ich hoffe, daß ich das Übermaß des Dankes, das ich ihm schulde, am besten dadurch abstatten kann, daß ich seinen letzten Wunsch, für Evchen und Rosemarie zu sorgen, nach besten Kräften erfülle. Ich erwog den Gedanken, bei ihm zu bleiben und mit ihm in den Tod zu gehen. Ich habe es nicht getan, weil ich zu diesem Zeitpunkt in dem Glauben gewesen bin, daß ich leben muß, um für Eva und Rosemarie und meinen Sohn zu sorgen. Ob ich diesen Entschluß immer billigen werde, vermag ich nicht genau zu sagen. Die Ungewißheit unser aller Schicksal hätte beide Entschlüsse begründet. Man kann den richtigen Entschluß ja noch nachholen, falls es sich herausstellen sollte, daß mein jetziger Entschluß falsch gewesen ist.
Inzwischen hat der Führer gesprochen; der Versuch, die Sender noch zu besetzen ist demnach vereitelt worden. Über das Schicksal meines geliebten Schwiegervaters kann nun kaum noch ein Zweifel bestehen. Am 20.7. um 2305 Uhr habe ich ihm in wörtlicher Auffassung des Grußes "Auf Wiedersehen" gesagt. - Unsere Unterredung war soldatisch schlicht, preußisch, von Mann zu Mann und frei von jeder Sentimentalität. Dazu war die Stunde zu ernst. Auch in der Stunde des Abschieds blieb er der vorbildliche deutsche General, ruhig, gütig und würdig. Und so will ich diesen Bericht schließen mit den Worten, die er selbst eben gesagt hat:
"Ich weiß nicht, wie eine spätere Nachwelt mal einst über unsere Tat und über mich urteilen wird, ich weiß aber mit Sicherheit, daß wir alle frei von irgendwelchen persönlichen Motiven gehandelt haben und nur in einer schon verzweifelten Situation das Letzte gewagt haben, um Deutschland vor dem völligen Untergang zu bewahren. Ich bin überzeugt, daß unsere Nachwelt das einst erkennen und begreifen wird."
Friedrich Georgi
Major im Generalstab der Luftwaffe.
Bernau, 21.7.
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