Dieser Eintrag stammt von Helene Bornkessel (*1920) aus Hamburg, September 2006:
In meiner Klasse kamen schon 1932 einige Jungen in der HJ-Uniform in die Schule. Andere trugen Abzeichen der SPD oder KPD: Morgens gab es, bis der Lehrer kam, heftige politische Grölereien. "Parteipolitik ist in der Schule verboten", rief der Lehrer dazwischen und der Unterricht begann.
Am Tag nach der Machtübernahme begann der Schulleiter mit dem Unterricht. "Wir haben heute einen denkwürdigen Tag. Adolf Hitler ist Reichskanzler geworden. Prägt euch diesen Tag gut ein. Ihr werdet noch lange daran denken." Dann gab es schulfrei.
Ich konnte mir einen Schlitten borgen und den Tag am Voßberg nutzen. Wir hatten reichlich Schnee, Raureif und einen blauen sonnigen Himmel. Diesen Anblick habe ich mir eingeprägt (sollten wir doch?). Danach wurde es ruhiger in der Klasse. Es wurden nur noch gemeinsame Parolen besprochen und Nazilieder gesungen. Dass der Vater des Kommunisten abgeholt wurde, flüsterte sich herum.
Zum 1. Mai sollten wir einen Aufsatz schreiben. Der sollte aber nichts mit der Natur zu tun haben. "Ihr dürft auch Sätze aus den Zeitungen verwenden", verkündete der Schulleiter. Aufsätze waren nicht mein Fall, und eine Zeitung hatten wir auch nicht, auch mehrere Nachbarn nicht. Eine Straße weiter bekam ich dann eine Zeitung. Da stand in großen Lettern beschrieben, wie aus dem ehemaligen Kampftag ein Feiertag für die Arbeiter wurde. Ich schrieb einige Sätze ab und fand als Schlusssatz: "Vaterland in tausend Jahren kam dir solch ein Frühling kaum".
Nach einigen Tagen bekamen wir die Arbeit zurück. Mein Aufsatz wurde als erster vorgelesen und war vom Schulleiter mit einer 1 benotet. Ich war stolz, es war die erste 1 in meiner Schulzeit, außer im Turnen.
Hinterher wurde ich von den Klassenkameraden gerügt: So was schreibt man doch nicht! Auch als ich meine 1 stolz im Familienkreis und bei Nachbarn zeigte, wurde ich gerügt. Ich verstand es nicht, der Schulleiter war doch zufrieden?
Im Sommer organisierte der Schulleiter dann noch einen Ausflug. Mit Lastwagen sollte es nach Lübeck und Travemünde gehen. Hierfür sollten die Hitlerjungen Hakenkreuzfahnen sichtbar an den Wagen anbringen. Und das taten sie auch mit Begeisterung. Naziparolen grölend kamen wir von der Fahrt zurück. Etliche Eltern waren entsetzt, aber der Schulleiter wurde bald darauf an eine große namhafte Schule versetzt. Diese bekam dann den Namen "Hermann Göring Schule". Von dort kam ein unscheinbarer Schulleiter zu uns an die Dorfschule Tonndorf. Ihm wurden viele Schwierigkeiten in den Weg gelegt, vor allem von den Hitlerjungen: Er ließ sich selten aus der Ruhe bringen.
Einige Jahre nach dem Krieg erfuhr ich, dass es eine Strafversetzung war. Der unscheinbare Schulleiter kam 1945 an seine Schule zurück. Wo ist der andere geblieben?