Dieser Eintrag stammt von Horst Ahrens (*1928) aus Hamburg, September 2010:
/lemo/bestand/objekt/ahrens01 Ich bin 1928 in Hamburg geboren und dort aufgewachsen. 1941 kam ich durch die "erweiterte Kinderlandverschickung" (als Einzelreisender) zu meiner Tante nach Proskau, Kreis Oppeln (Oberschlesien). In Oppeln ging ich zur "Moltke-Schule", eine städtische Oberschule für Jungen. Am 12. Januar 1944 wurde ich zusammen mit meinen Klassenkameraden des Geburtsjahrganges 1928 nach Odertal (nahe dem Annaberg) zur "Heimat-FLAK" eingezogen. Ich war damals 15 Jahre und 33 Tage "alt". Wir Schüler wurden auf die vier Batterien der "FLAK-Untergruppe Odertal", FLAK-Gruppe OS-West verteilt. Ich kam in die Batterie 223/VIII. Wir hatten zunächst vier, später sechs russische Geschütze, Model 8,5 cm aus dem Jahr 1938. Das waren Kanonen, die 1941/42 von deutschen Truppen in Russland erbeutet und deren Seelenrohre später in deutschen Rüstungsbetrieben auf 8,8 cm "aufgebohrt" worden waren, sodass deutsche Munition verschossen werden konnte.
Ich war als "U 6" im Befehlsstand der FLAK-Batterie 223/VIII. Meine Aufgabe war es, die ermittelten "Zünderstellwerte" per Kehlkopfmikrofon an die Geschütze durchzugeben, damit dort die Uhrwerke der Granaten auf die richtigen "Laufzeiten" eingestellt werden konnten.
Am Freitag, den 7. Juli 1944 erlebten wir jungen Flakhelfer unsere Feuertaufe, die wohl niemand von uns je vergessen wird. Für alle Soldaten - und als solche fühlten wir uns - war die "Feuertaufe" ein wichtiges Ereignis. Diese erhielten wir in doppelter Hinsicht. An diesem Tag schossen unsere sechs Geschütze erstmals gegen den Feind. Nach Aufklärungsflügen war von den US-Amerikanern der erste Großangriff auf Oberschlesien auf den 7. Juli festgesetzt worden. Bei strahlender Sonne starteten in den Morgenstunden 189 Bomber vom Typ 'B-17' der 5. Division mit Ziel Heydebreck, 226 Bomber vom Typ 'B-24' der 49. und 55. Division in Richtung Blechhammer sowie 140 'B-24' der 304. Division in Richtung Odertal, insgesamt 555 Bomber.
So gegen 10.00 Uhr bekamen wir "Gefechtsschaltung". Wir eilten an die Geschütze und zu der "B 1". Sollte es dieses Mal tatsächlich losgehen? Alarm hatten wir ja schon mehrfach gehabt, es waren aber nur feindliche Aufklärer, auf die es sich nach Ansicht unserer Führung nicht zu schießen lohnte (sie flogen zu hoch für uns).
Um 10.08 Uhr wurde in der Oppelner Luftwarnzentrale die "Luftgefahr 30" bekannt gegeben: Der anfliegende Kampfverband befand sich somit nur noch 30 Flugminuten von Oppeln entfernt. Zwanzig Minuten später wurde der erste Bomberpulk 30 km südlich von Mährisch-Schönberg mit Kurs Nord und ein weiterer Pulk südlich von Troppau, ebenfalls mit Kurs Nord, geortet. Über das Angriffsziel konnte somit kein Zweifel bestehen.
Um 10.40 Uhr wurde Fliegeralarm ausgelöst.
/lemo/bestand/objekt/ahrens04 Auf große Entfernung sahen wir nun, von Südost kommend, die Punkte, die schnell größer wurden und sich mit ihren kurzen Kondensstreifen gut gegen den blauen Himmel abhoben. Dann hörten wir auch das auf- und abschwellende Gebrumm der viermotorigen Bomber. Es waren Pulks, die je 24 oder mehr Bomber umfassten. Im Nachhinein erfuhr ich, dass sie in Höhen von ca. 6.000 bis 7.000 m und mit einer Geschwindigkeit von ca. 360 km/h auf uns zuflogen. Zunächst schossen die Batterien um Heydebreck und Blechhammer, wir sahen die "Wattebällchen", d.h. die Explosionswolken der explodierenden FLAK-Granaten zwischen den anfliegenden Bombern.
Dann hieß es auch bei uns "Ziel aufgefasst". Die Rückmeldung kam von den Geschützen. Nun kam der Befehl: "Gruppenfeuer - Gruppe - Abschuss!" Unser Unglück war, dass bereits bei der dritten "Gruppe" das Geschütz "Emil" einen Rohrkrepierer hatte, eines von unseren neuen Geschützen. Die Granate war nur um eine Granatenlänge vorgedrückt worden und war dann explodiert. Bei dem Geschütz "Emil" war unter dem Seelen- und Mantelrohr ein "Schlitten", auf dem sich auch der Behälter für die "Bremsflüssigkeit blau" befand. /lemo/bestand/objekt/ahrens09 Dieser war durch die vorzeitige Explosion der FLAK-Granate eingedrückt worden, die ätzende Flüssigkeit stand unter Druck und spritzte durch Splitterlöcher in den Geschützstand. Der "Luftvorholer" war aus seiner vorderen Verankerung herausgerissen und nach oben abgeknickt. Seelen- und Mantelrohr waren an der beschriebenen Stelle zerfetzt, und es war ein Wunder, dass es in Bezug auf die Verletzungen der Geschützbesatzung nicht noch schlimmer gekommen war.
Gefallen war der "K 6" (LwH Pflüger). Ihm wurde durch einen großen Splitter, trotz des Stahlhelmes, das Gehirn weggerissen (das Gesicht war noch vorhanden). Links neben ihm stand der "K 1" (LwH Hoffmeister). Ihm wurde durch die aus dem Geschützrohr herausfliegenden Metallsplitter der rechte Arm zerfetzt. Er war ein unserer Batterie zugewiesener Hamburger Luftwaffenhelfer. Zudem gab es noch sieben Leichtverletzte. Nur der Ladekanonier ("K 3") und der Geschützführer blieben unverletzt. Unser Glück war es, dass bei allen Kameraden der Sturmriemen des Stahlhelmes sich oberhalb der Krempe und nicht unter dem Kinn befand. Sonst hätte es bei den Kameraden durch den Explosionsdruck sicherlich Genickbrüche gegeben.
Die verwundeten Kameraden wurden in das Reservelazarett "Kloster Annaberg" transportiert, wo sie ärztlich versorgt wurden. Der schwer verwundete Hamburger Kamerad erhielt im Lazarett am Annaberg das Verwundetenabzeichen in Silber und das "K.V.K." (Kriegsverdienstkreuz), unser gefallener Kamerad Pflüger in seiner Heimatstadt ein Begräbnis mit militärischen Ehren.
Im Großraum Oberschlesien wurden am 7. Juli 1944 insgesamt 25 US-Bomber abgeschossen. Die gesteckten Ziele erreichten 451 Bomber und belegten ihre Ziele mit Bomben verschiedenen Kalibers (Heydebreck mit 48, Blechhammer mit 429 und Odertal mit 221 to.). Die angegriffenen Werke in Blechhammer und Heydebreck hatten noch rechtzeitig eingenebelt werden können, so dass viele Bombenteppiche ihr Ziel verfehlten. Nach der Schätzung der Rüstungsinspektion VIII b in Kattowitz waren nach diesem Angriff zwei bis drei Monate notwendig, um die Koks- und Gasgewinnung wieder aufzunehmen. In Heydebreck wurden im Werk 218 Bombentrichter gezählt. /lemo/bestand/objekt/ahrens03 Lediglich in Blechhammer waren nur geringe Schäden entstanden, deren Behebung in etwa zehn Tagen erreicht werden sollte. Viele den Werken zugedachten Bomben hatten infolge der Vernebelung ihre Ziele verfehlt und die benachbarten Gemeinden Birken und Alt-Cosel, aber auch Odertal schwer getroffen. Die Zahl der Toten unter der Zivilbevölkerung (Odertal einbezogen) wird mit über 100 angegeben.
Das war nun unsere "Feuertaufe". Zum ersten Mal waren wir in einem echten "Kampfeinsatz". Geschossen wurde viel und diskutiert wurde nach unserer "Feuertaufe" nicht nur über das "warum" bei dem Rohrkrepierer. Gesprochen wurde auch darüber, dass unsere gen Himmel gesandten FLAK-Granaten eine Vielzahl von Flak-Geschoss-Splittern zurücksenden würden, zumal ja auch viele Granaten über unserer Batteriestellung explodiert waren und allenthalben FLAK-Splitter herumlagen.
/lemo/bestand/objekt/a_ahrens01 In den insgesamt 13 Monaten meiner Luftwaffenhelferzeit machten wir noch mehrfach einen "Stellungswechsel". Zuletzt waren wir in "Annahof" in Oberschlesien. Die Batterie war noch unfertig, als 1945 die Januar-Offensive der Sowjets begann. Wir Luftwaffenhelfer wurden (ohne Waffen) aus der Batterie herausgezogen. In mehreren Tagesmärschen durch tief verschneite Wälder marschierten wir ohne Feindberührung nach Neustadt/Oberschlesien, wo ich am 29. Januar 1945 als Luftwaffenhelfer nach Hamburg entlassen wurde.
1992 fing ich an, meine Klassen- und Luftwaffenhelferkameraden zu ermitteln. Bereits im folgenden Jahr fand das erste Treffen in Bad Orb statt. Seitdem treffen wir uns jährlich in einem anderen Ort. Die Zusammenkünfte, an denen auch unsere Ehefrauen teilnehmen, werden auf Wunsch meiner Kameraden von mir organisiert.