> Irma Weinknecht: Meine Zeit im Reichsarbeitsdienst 1942

Irma Weinknecht: Meine Zeit im Reichsarbeitsdienst 1942

Dieser Eintrag stammt von Irma Weinknecht (*1923 ) aus Göttingen , November 2007 :

Als ich im Frühjahr 1942 mein Abitur gemacht hatte, konnte man zu dieser Zeit nicht mit dem Studium anfangen, sondern musste zunächst den halbjährigen Arbeitsdienst ableisten. Alle großen Ideen, die man als junges Mädchen hatte - ich wollte Theaterwissenschaften studieren - mussten dahinter zurückstehen. Es begann damit, dass man auf dem Gesundheitsamt dafür untersucht wurde, wobei es sich nach meiner Erinnerung vor allem darum drehte, ob eine Schwangerschaft bestand. Da man mich in jeder Hinsicht für "tauglich" befand, konnte es kurz danach losgehen. Es stand überhaupt nicht zur Debatte, ob ich eigentlich dorthin wollte - es war ein klarer Befehl. Ich konnte mir nicht mal eine Vorstellung machen, wo dieses Lager, dem ich zugeteilt war, überhaupt lag: Calbe an der Milde über Bismarck. Bismarck kannte ich nur als Politiker, aber doch nicht als Bahnhof.

In der Bahn traf ich noch zwei weitere Maiden,( so war nun meine Dienstbezeichnung,) die das gleiche Ziel hatten. Da uns ein Zug vor der Nase wegfuhr, landeten wir viel zu spät in dem Lager. Im Dunkeln führte uns die Führerin in die 4.K - was sollte das nun heißen? (Es bedeutete die 4. Kameradschaft in einer Baracke.) Zwölf Maiden schliefen in dem großen Barackenraum, der mit lauter Doppelbetten ausgerüstet war. Im Dunkeln kletterte ich mühsam in das obere Bett auf einen prall gestopften Strohsack, ohne Kopfkissen und nur mit einer Decke und hatte die ganze Nacht Angst, heraus zu fallen. Am nächsten Morgen erhielten wir alle die Uniform: blaue Kleider mit weißer Schürze, dazu dicke Stiefel für die Landarbeit und ein rotes Kopftuch.

In der ersten Zeit verliefen die Tage unter ständiger Hetze, es wurde wohl daran gedacht, uns ganz einheitlich damit zu formen: morgens Frühgymnastik, nach dem Frühstück Singen, Hauswirtschaft und allgemeine Informationen. Für einige auch Garten- und Küchenarbeit… wie gut, dass die Tage später, als wir unsere verschiedenen Dienststellen antraten, mit weniger Hetze abliefen. Für mich völlig neu: der morgendliche Fahnenappell, zu dem alle antreten mussten. Für mich war das Eindrücklichste dabei, weniger die dummen Sprüche, sondern die Weite des Himmels, später auch mal Maikäfer, die gegen den Mast stießen oder einfach die Stille der Natur am frühen Morgen. Vorschrift war dabei, dass ausnahmslos alle daran teilnehmen mussten. An eine Szene erinnere ich mich, dass die Mizzi friedlich noch im Bett lag. "Warum sind Sie nicht beim Fahnenappell angetreten?" fragte sie die Führerin danach voller Ärger. "Ich konnte doch nicht, ich hatte mir doch die Füße schon gewaschen!"

Und was musste ich alles lernen: dass man seine Stiefel auch unter den Sohlen putzt, wie man sich bei Tisch benimmt, wie man mit Blumen die Tische schmückt und vor allem, dass man sich beim Waschen völlig ausziehen muss. Dazu saß eine Führerin 4 Wochen lang vor dem Waschraum, damit keine Maid sich nur mit Gesicht und Händen begnügte! Dann hatten es auch die allerletzten Maiden begriffen! Obwohl ihre Mütter ihnen gesagt hatten, dass sie während ihrer Regel ja nicht mit Wasser in Berührung kommen dürften! Und das dann bei dem doch sehr heißen Außendienst auf dem Acker.

Aber für mich ging es durchaus nicht gleich auf den Acker, zu den Bauern. Vorerst musste ich im Haus geschult werden, denn auch Hausarbeiten konnte ich nicht fachgerecht ausführen. Woher sollte ich wissen, wie mein ein Beet umgräbt? Wissen, wie man in der Gulaschkanone Kaffee kocht? (Ich warf die nötigen Packungen - für 150 Portionen Kaffee - In das heiße Wasser und wunderte mich, dass der Kaffee anbrannte) Als ich mir bei der großen Wäsche die Finger blutig rieb, schickte man mich in die Küche zum Kartoffeln schälen. Wie heizt man einen Ofen? Wie deckt man den Tisch korrekt, ordnet die Blumen nach Vorschrift... Lauter Erfahrungen, die ich in meinem ganzen Leben nicht mehr gebrauchte. Dafür fehlte - nach heutiger Sicht - die Anleitung, wie man in kleinen Familienportionen kochte und wie man preiswert einkaufen konnte. Ich glaube allerdings, dass die anderen Maiden damit keine Probleme hatten.

Ganz anders wurde es allerdings, als nach 4 Wochen auch für mich ein Bauerhof als Arbeitsstätte ausgewählt wurde: hier nutzte auch mein guter Wille nichts. Ich sollte als erstes mit aufs Feld, Kartoffeln legen, nachdem ich die stinkenden Reste der vergangenen Kartoffelernte aussortiert hatte. Zum Acker brachte sie der Bauer mit dem Pferdewagen, dann wurden die Jutesäcke umgebunden und mit den Saatkartoffeln gefüllt - für ein Stadtmädchen eine furchtbar schwere Last! Ich konnte das Tempo nicht halten, was mir einige unfreundliche Bemerkungen einbrachte, so dass ich heilfroh war, als die Arbeit nach 5 Stunden beendet war - doch nun kam noch der letzte große Schreck: ich sollte das russische Panjepferd zum Wagen bringen. Wie geht man mit einem störrischen Gaul um?! "Nicht mal das können Sie!"

Ich habe nie mehr gewagt zu sagen, dass mein Vater Akademiker war - das machte mich wieder erneut verdächtig: "…also was Besseres." Von da an gab ich auf solche Fragen die Antwort: "Er ist auf dem Büro." Das war genehmigt. Voller Schrecken denke ich an das Essen gemeinsam in der Küche: alle aßen aus der gemeinsamen Schüssel, leckten danach den Löffel ab und legten ihn wieder in die Schublade. Als ich mich zum Abwaschen anbot, gab`s wieder Ärger. "Sie sind wohl zu fein…"

Beim Brotbacken war ich nicht in der Lage, die große Menge Teig zu kneten, und die große Wäsche fiel mir entsetzlich schwer: anscheinend wusch man nur alle Halbjahr, die Wäsche war auch entsprechend dreckig. Ich musste sie in einem Holzzuber auf dem Hof waschen, der nur wenige Zentimeter hoch mit Lauge gefüllt war, man bog sich also für jedes Wäschestück in Knöcheltiefe hinab, um es gegen die Holzwand zu schlagen. Jegliche Maschine auf dem Bauernhof war noch unbekannt. Wenn ich es mir heute überlege, dann war eine zarte Abiturientin für einen derartigen Einsatz absolut ungeeignet - genau genommen war ich eher eine Belastung als nur eine noch so geringe Hilfe.

Aber jeden Morgen gab es nach dem Fahnenappell, dem Frühsport und Kaffee noch eine weitere Schulung: hier ging es um politische Themen. Das Leben des Führers, die Geschichte der Partei, die Rangstufen im Arbeitsdienst. Themen, die mir gleichgültig waren. Und dann erst die Geschichte der Deutschen: im meinem Tagebuch hatte ich mir notiert, dass an einem Vormittag von Hermann dem Cherusker bis zum 1.Weltkrieg vorgetragen wurde. Die arme Führerin, sie kann doch nicht so dumm gewesen zu glauben, dieses Thema nun "bearbeitet" zu haben. Jedenfalls nehme ich an, dass außer mir alle anderen 6 Abiturientinnen - unsichtbar - den Kopf schüttelten! Diese innere Verbundenheit von uns Abiturientinnen sah man allerdings sehr kritisch an: man hatte schon in jeder "Kameradschaft" nur eine von uns untergebracht, was aber natürlich nicht eine Freundschaft in der Freizeit verhinderte. Also wurden wir sieben in verschiedene Lager verteilt, damit wir nicht die Gemeinschaft mit allen anderen Maiden störten.

Allerdings das morgendlich Singen fand meinen ungeteilten Beifall: wir sangen Volkslieder, natürlich auch die Lieder aus dem Nationalsozialismus aber auch ganz einfache Lieder vom Dorf, und die wurden alle so oft wiederholt, dass mir der Text und die Melodie bis heute bekannt sind - ich brauche keine Liederbücher mehr An eine Arbeitsstelle erinnere ich mich bis heute: nach dem absoluten Versagen beim Bauern gab man mir den Auftrag, bei der pensionierten Lehrerin zu arbeiten, also in einem Stadthaushalt. Ich trat also pünktlich an und wurde kritisch betrachtet - ob ich mich in einem kleinen Haus wohl geschickt anstellte? Zu Anfang gab es Kaffee und Brot, am gedeckten Tisch mit Teller, Messer und Gabel!

Aber schon kam die erste kritische Frage: was isst unser Führer denn zum Frühstück? Das müsse ich als junges Mädchen doch wissen! Nun wurde ich auch von ihr als dumm erklärt, aber woher sollte ich das wissen?! Dann kam abwaschen, Staub wischen und wischen dran - zur leidlichen Zufriedenheit fiel das aus, so dass sie mir sogar ihre ungezählten Nippes-Sachen anvertraute. Und die hatten das sogar heil überstanden. Im Garten hieß es nun, die Schnecken vom Kohl zu lesen und vom Obstbaum die frischen Eierpflaumen zu pflücken. Einige durfte ich sogar mit ins Lager nehmen für die Kameradinnen - eine seltene Gunst. Ähnlich ging es mir beim Bäcker, der mich mit Kuchen fütterte und die Reste mitnehmen ließ. Der Abschied fiel mir fiel mir schwer von der alten Lehrerin.

Wann konnte ich schon mal einen Auftrag zur Zufriedenheit ausführen?! Vielleicht auf meiner letzten Stelle, wo der Bauer nicht eingezogen wurde, weil er Epileptiker war. Dass ich davor keine Angst hatte, sondern sofort auf seine Ankündigung reagierte, wenn er rief: "Mädchen, mich malheurt´ mal wieder!!!" brachte mir auch mal Lob ein, denn versuchte ich zu helfen, in dem ich ihn fort vom Vieh und vom Pflaster schob, ehe er stürzte. Wozu ein Strohballen dann gut war!

Als wir am 1.11.1942 nicht entlassen, sondern in der Kriegshilfsdienst verlegt wurden, es war ja nun totaler Krieg, musste man vom Dorfarzt untersucht werden, der auch mir die Bescheinigung gab, dass ich völlig gesund sei. Auf meine Klagen, dass ich Beschwerden im Oberbauch hätte, reagierte er kurz: "Drückebergerei gibt´s nicht!" und übersah dabei, dass ich eine ausgeprägte Gelbsucht hatte. Die wurde dann im Kriegshilfsdienst festgestellt.

lo