Dieser Eintrag stammt aus Tagebuch-Aufzeichnungen von Karl Deutmann aus Adlershof bei Berlin. Deutmann war während des Krieges bei Mannesmann im Werkschutz tätig und beschrieb in seinem Tagebuch den Kriegsalltag mit Luftangriffen auf Berlin und zunehmenden Versorgungsschwierigkeiten. Aus dem Bestand des Deutschen Historischen Museums.
Juni 1945
M.S. ist eine Abkürzung und bedeutet: Mannesmann-Stahlblechbau. In diesem traurigen Betrieb arbeitete ich als Werkschutzmann fünf harte Kriegsjahre und vier Monate. Abgestumpft, Tag und Nacht, Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Von Parteigenossen, Drückebergern, Schiebern, Denunzianten, Angebern, Stümpern und Berliner Großmäulern umgeben. [...]
Bei den Ostarbeitern befand sich eine bildschöne Kaukasierin. Sie hatte große schwarze Sammetaugen und in ihrem Blick lag etwas kindlich Rührendes, eine verhaltenen Zärtlichkeit und ein Schrei nach Liebe als Inhalt eines armen, leidvollen, entbehrungsreichen Lagerlebens.
In diese Augen sah ein Wachschutzmann, der alter Soldat und Familienvater war, als Mensch enttäuscht und vom Leben beiseite geschoben, auch wohl keine glückliche Ehe lebte. Er hatte ihr tief in die Augen gesehen und es kam alles, wie es kommen mußte. Er hatte in der Nähe des Lagers, in welchem sie wohnte, ein kleines Wachhäuschen. Dort hat sie ihn wohl besucht. Und dann kam ein kleiner, neidischer Geist, ein Kamerad, der alles beobachtet und sich den Rest von Ausländern erzählen lassen hatte und verriet alles.
Er kam ins Verhör, denn der intime Verkehr mit Ausländerinnen war dem Wachschutz streng verboten und wurde bestraft von der Gestapo. Am anderen Morgen lag er sterbend in seinem Häuschen, nachdem vorher ein Schuß gefallen war. Einige Tage lang hatten die käffenden Hunde Stoff. Dann ging alles wieder seinen alten Gang. Das Mädchen mit den hungrigen Sammetaugen aber wurde in ein anderes Lager versetzt.
Es war ein junger Belgier bei uns beschäftigt, der in der Tischlerei arbeitete. Er hatte ein volles, rotwangiges Gesicht wie Milch und Blut, eine zarte Haut, große blaue Augen und goldblondes, zurück gekämmtes, langes Haar. Besonders aber fiel er durch sein freundliches, etwas schwermütiges Wesen auf.
Die Frauen, deutsche und Ausländerinnen, rissen sich um ihn. Eines Tages fand man ihn in Berlin erhängt auf. Er hinterließ zahllose Bräute mit seinen 19 Jahren, drei davon waren schwanger. Eine davon fand bei der Beschießung Adlerhofs kurz vor dem Einmarsch der Russen den Tod durch eine Granate. Sie war Ukrainerin, wohnte in einer Baracke und hatte sich den Tod ihres Liebsten besonders zu Herzen genommen.