> Kurt Elfering: Fahrt mit der HJ nach Langeoog 1938

Kurt Elfering: Fahrt mit der HJ nach Langeoog 1938

Dieser Eintrag stammt von Kurt Elfering (1922-2014) aus Schwerte, Mai 2011:

Der Sommer nahte, und es musste über den Urlaub nachgedacht werden. Ich war 16 Jahre alt und hatte noch Wachstumsschwierigkeiten, aber nicht der Größe nach, sondern bei der Breite gab es Schwierigkeiten. Durch die Hitlerjugend bot sich ein Erholungsurlaub auf der Insel Langeoog an. Ich meldete mich, musste die ärztlichen Untersuchungen über mich ergehen lassen, und nach einiger Zeit war der Erholungsurlaub geklärt.

Es sollte eine sechswöchige Erholung werden, und zwar in der Zeit von Mitte August bis Ende September. Wir hatten noch einige Wochen Zeit für die Vorbereitungen. Da es ja keine HJ-Fahrt war, brauchten wir uns auch nicht um den vormilitärischen Kram zu kümmern.

Am deutschen Himmel zeichnete sich schon wieder ein neues Wetterleuchten ab. In der Tschechoslowakei hörte man schon leichtes Donnergrollen. Die Sudetendeutschen im Egerland und in den Grenzgebieten hatten, wie man uns sagte, unter der tschechischen Herrschaft viel Unbill zu erleiden. Die deutschen Medien hatten wieder mal viel über das Schicksal der Deutschen im Ausland zu berichten. Der Egerländer Marsch tönte aus allen Lautsprechern. Das Wetterleuchten nahm zu, ohne dass wir uns beängstigt fühlten.

Die Ferien waren da, die Berufschulen geschlossen, und ich machte mich reisefertig. Die HJ-Uniform wurde angezogen, und die Zivilsachen mit der Wechselwäsche kamen in den Koffer. Im Dortmunder Bahnhof war der Treffpunkt, und unser Haufen wurde immer größer. Als der Zug nach Norddeich einlief, stellten wir fest, dass wir einen ganzen Wagen für uns hatten, und ein HJ-Führer uns begleitete. Der Wagen war zwar nicht voll belegt, aber so ungefähr 35 Personen waren wir.

In Norddeich wurde umgestiegen, und ein großes Fischerboot lag schon für uns bereit. Wir bestiegen das Boot, und es fiel uns erst später ein, dass alles so wunderbar organisiert war. Das Fischerboot war nämlich nur für uns da. Zwischen Juist und Norderney ging es zur Seeseite der Inseln nach Langeoog. Die Seefahrt hat uns mächtig Spaß gemacht. Einige sind sogar ein bisschen seekrank geworden.

Als wir auf der Insel eintrafen, geschahen wundersame Dinge. Wir wurden hier komplett neu eingekleidet: Eine neue Uniform mit Koppelzeug und Schuhen sowie die ganze Unterwäsche. Sogar Sportbekleidung bekamen wir. Es war so, als ob wir nackend der Nordsee entstiegen wären. Unsere Sachen wurden in der Kleiderkammer eingelagert, und am Sonntag durften wir unser Zivilzeug anziehen.

Das war für uns etwas ganz Sensationelles. Wir kamen uns vor, als seien wir zur Wehrmacht eingezogen worden. Die Leitung des Heimes hatten einige hohe HJ Führer. Nun waren wir Insassen des HJ-Kurheimes "Wiking". Der erste Tag verlief ganz normal. Als die erste Nacht beendet war, ging es los. Jetzt wurde es militärisch. Um sieben Uhr war Wecken. Nach dem Waschen raustreten zum Flaggenhissen. Vor dem Heim wurde angetreten. Unterführer machte dem Oberführer Meldung, dann wurde Die HJ-Fahne langsam und feierlich am Mast hochgezogen. Nach diesem Geschehen wurde noch ein entsprechendes Lied gesungen, z. B: "Vor uns marschieren mit sturmzerfetzten Fahnen die toten Helden der jungen Nation, und über uns die Heldenahnen - Deutschland, Vaterland, wir kommen schon!" Hiernach wurde weggetreten zum Frühstück. Danach hieß es Betten bauen und Zimmer aufräumen. Bis zehn Uhr etwas politischer Unterricht, dann das zweite Frühstück, (Knäckebrot mit Rohkost). Jetzt kam erst einmal der Inselarzt und machte eine Untersuchung, die aber keinen Einfluss auf uns hatte. Bis wir alle durch waren, war es Mittag. Die Mahlzeiten waren hervorragend, sogar mit Nachtisch. Nach dem Essen war bis halb drei Mittagsruhe. Wir brauchten nicht zu schlafen, sondern nur ruhen. In einer Hausbücherei konnten wir uns Bücher nach unseren Bedürfnissen ausleihen.

Um 1/2 3 ging es raus in die Natur zum Strand oder sonst irgendwo hin. Die Insel hatte einen Militärflugplatz, der für uns sehr wichtig war. Wir haben uns das Treiben dort oft angesehen. Was uns mächtig begeisterte, war das Flugzeug, welches einen Luftsack hinter sich herschleppte. Dieser war das Ziel für die Jagdflugzeuge, die im Querflug mit scharfer Munition den Sack treffen mussten.

Um 6 Uhr war dann Eintreffen im Heim. Waschen und saubermachen der Kleidung und dann Abendessen. Danach wieder draußen antreten und die Flagge einholen. Wieder mit Strammstehen und dem Absingen eines Liedes. Jetzt hatten wir bis zehn Uhr Feierabend und Ruhe. Das sah aber nur so aus, denn ohne dass wir es merkten, waren wir in politische Diskussionen verwickelt, und es ergaben sich zwanglose Unterhaltungen. In dem Tagesraum hatten wir auch ein großes modernes Radio stehen, welches sehr leistungsstark war, und mit dem wir auch viele Auslandssender hören konnten. Unsere Heimelite führte uns des öfteren ausländische Sender vor, um anschließend mit uns über die Nachrichten zu diskutieren. Jetzt merkten wir so langsam, dass hier eine regelrechte HJ-Schulung stattfand.

Da wir ja ein Radio hatten, bekamen wir auch jeden Tag mit, was sich in aller Welt so abspielte. So waren wir auch über das Sudetenproblem informiert. Mit unserer Heimleitung wurde natürlich auch hierüber diskutiert. Die Richtung dieser Diskussionen kann man sich ja vorstellen. Die ausländischen Nachrichten waren grundsätzlich falsch und sollten das nationalsozialistische Deutschland unterminieren. Bei den Diskussionen wurde uns die rechtliche Lage Deutschlands erklärt, und dass wir dazu berufen seien, die deutschen Probleme in Europa selbst zu lösen. Unser "Haus Wiking" mauserte sich zu einem HJ-Schulungsheim. Nur haben wir das erst viel später begriffen.

So gingen die Wochen dahin, und wir fanden die Zeit sehr schön. Manchmal ging es auch mit unserer Sportausrüstung zum Strand, und wir vergnügten uns mit Fußball- und sonstigen Ballspielen. Oft teilten wir uns auch in mehreren Gruppen und hatten unterschiedliche Programme. Eine wanderte durch die Dünen, die andere zog zum Flughafen, und meistens war ich dabei. So konnte es geschehen, dass vier Gruppen unterschiedlich unterwegs waren. Am Flughafen interessierte mich immer ein besonders schöner zweimotoriger silberner Vogel. Es war die Focke-Wulf "Weihe". Ich konnte davon träumen.

Da das Sudetenproblem immer mehr brodelte, spürten wir auf der Insel schon die ersten Auswirkungen. Einige Ferienheime wurden schon mit Flüchtlingen aus dem Egerland belegt. Nun merkten wir, dass sich folgenschwere Ereignisse anbahnten. Plötzlich Unruhe bei uns im Heim. Da bei uns auch Flüchtlinge eingewiesen wurden, mussten wir das Heim vorzeitig räumen. Wir bekamen unsere eigene Bekleidung zurück, und am nächsten Tag verließen wir die Insel, und eine Woche unserer schönen Zeit ging uns verloren, es ging wieder nach Hause.

lo