Tagebuchaufzeichnungen und Brief von Leutnant Leopold von Stutterheim (1894-1914) aus Braunschweig sowie ein Brief von Hauptmann von Frobel (DHM-Bestand, Sammlung Dokumente II, Inv.-Nr.: Do2 93/368)
Tagebucheintrag, Sommer 1914
Erzherzog Franz Ferdinand ist mit seiner Gemahlin, der Herzogin von Hohenberg, erschossen worden. Der Täter war ein Serbe. Ich kann nichts darüber schreiben. Mir ist der Tod fast jetzt, nach 8 Tagen, noch unfaßbar. Über die Worte seines greisen Oheims hinweg: "So ist mir nichts erspart geblieben" müssen wir sagen: So ist uns auch, uns Deutschen, der große Vorkämpfer im Kampf gegen die östliche Flut geraubt! Wer wird nun die Welt regieren? Bismarck ist tot, Franz Ferdinand ist tot, ringt sich noch einmal Wilhelm II. zu einer solch ernsten, arbeitsamen Lebensauffassung und Energie durch? Wir bitten darum den Gott Deutschlands, des ganzen Germaniens!
Tagebucheintrag, 28. Juli 1914
Es ist so schön. Ich machte Bestellungen über Wäsche, Pistolen u.s.w., schreibe Briefe an alle, die ich lieb gehabt, und befinde mich dauernd in gehobener Stimmung. Wenn ich aber nachts mich, während es draußen regnet, immer tiefer in die Decken schlage und denke, vielleicht ein Vierteljahr weiter, litauisches Schneegestöber, Zeltbahnen nasser Mantel - Aber daran dürfen wir nicht denken. Ich habe noch nicht Weib und Kind.
Tagebucheintrag, 30. Juli 1914
Frühstückstafel im Schloß: Auf einmal meldet ein Kammerdiener: "S. Majestät haben die Mobilisierung der Armee u. Flotte befohlen." Maria Theresia blickte ernst auf uns herab. Der Park lag draußen in tiefer Ruhe. Hoch sprangen die Wasser. Langsam gingen die Posten. Der Herzog sagte nur: "Ein historischer Moment". Darum drehte sich dann ruhig ohne Aufregung die weitere Unterhaltung. Dann befahl mir der Herzog, beim Generalkommando anzufragen.
Gebe Gott, was er will, nur gebe er uns das Beste, sei es Unglück oder Glück.
Tagebucheintrag, 4. August 1914
Wir stehen allein, Österreich, Deutschland. Feinde ringsum, Serbien, Frankreich, Rußland, England, Belgien, Feinde. Ob wir Sieger bleiben werden, wir wissen es nicht. Wir lügen uns nichts vor. Wir vertrauen nur unserer Stärke. Wir kämpfen, daß unsere Mütter und Schwestern uns einst froh entgegenjauchzen und in zehn Jahren auf Scharen von blonden blauäugigen Kindern schauen, die alle Lücken wieder ersetzt haben, und da wir jetzt unmöglich ganze Arbeit tun können, die germanische Weltmacht der höchsten Weltmacht begründen. Wir kämpfen für unsere Frauen und unsere Kinder, daß sie ein schönes freies Leben ohne Armut führen können, sich entwickeln, wie wir es durften. 1864, 1866, 1870 waren es nur praktisch erreichbare Ziele, diesmal handelt es sich um das Ideal der höchsten Kultur der Welt.
Wir wollten keinen Krieg! Wenn ich nun bleibe, so ist es auch recht. Meine Jugend war schön. Ich bin dankbar für mein Leben. Kehre ich zurück, so will ich froh den zweiten Teil des Lebens das Dankweitergeben erfüllen.
"Lebe wohl, du süße Heimat.
Liebe Heimat, kehr zurück.
Deutsche Treue, deutsche Frauen,
Deutscher Kaiser.
Sie leben Hurrah!
Und nun als letztes: Hurrah! Du Eisenbraut!"
Brief Stutterheims an seine Mutter, 4. August 1914
Mutter, wir siegen. Das weiß ich jetzt, wo ich diesen heiligen Ernst, diese einmütige Ruhe sehe. Auch für Euch, wenn es anders kommen sollte, gilt das Wort: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Denn der Tod ist der Übel größtes nicht. Es kann der Tod neues Leben erwecken, und erst recht kann er das in diesen Zeiten. Aber wir wollen nicht sterben, denn noch mehr Nutzen hat das Vaterland von uns, wenn wir leben bleiben und danach wieder einen schönen, herrlichen Frieden genießen. Doch wenn es mich trifft, so ist es auch gut. Für Eure Sicherheit, daß Ihr ein ruhiges Leben führt, würde ich gern bleiben. Aber daran denke ich nicht, ich will leben bleiben, um möglichst viel meinem Vaterland dienen zu können. Also als Sieger werde ich wieder Euch umarmen. Tut Eure Pflicht, seid ruhig, ernst! Und wenn dies nicht so kommt, so seid glücklich in ernster, stiller, einsamer Arbeit an unserem Volk. Und nun noch eine Fabel. Als eine Äffin, die viele Kinder hatte, einer Löwin sagte voll Hohn, die nur einen Sohn hatte: "Wieviel Kinder hast Du?" Da sagte die Löwin: "Eins, aber einen Löwen."
Der Löwe will ich sein.
Und nun mit Gott für Euch, für mein Volk!
Brief von Hauptmann von Frobel, Kompanie-Chef im Braunschweiger Inf. Regt.92, an Stutterheims Mutter, Aachen 30. 9. 1914
In der Nacht vom 21. Auf den 22. August waren wir für wenige Stunden in dem Dorfe Bouillet untergebracht. Morgens um 2 Uhr am 22. 8. traten wir den Vormarsch an, um bald die Sombre zu überschreiten. Nicht lange nachdem wir den Fluß überschritten hatten, kamen wir in ein Dorf, wie wir später erfuhren, Roselies. Als die Kompanien des Bataillons in Marschkolonnen im Dorfe waren - die Spitze hatte das Dorf schon fast durchschritten -, erhielten wir plötzlich rasendes Feuer aus allen Häusern, Gärten, Hecken und wo sonst sich eine Gelegenheit für den Feind bot. Es herrschte vollkommene Dunkelheit, so daß man immer nur das Aufblitzen der feindlichen Schüsse sah. Ich ordnete an, daß sich die Kompagnie in dem freien Raum zwischen den Häusern hinlegen sollte. Hier lagen wir etwa eineinhalb Stunden, immerfort vom Feind beschossen. Erfolg hatte der Feind hierbei so gut wie gar nicht. Ich selbst erhielt einen leichten Streifschuß und mußte mich auf wenige Minuten von der Kompagnie entfernen. Wir warteten nun sehnsüchtig das Anbrechen des Tageslichts ab, um dann endlich gegen den Feind vorgehen zu können. Als es endlich langsam hell wurde, erhielt die Kompagnie Feuer aus einem einsam gelegenen weißen Hause und bekam den Befehl vorzugehen. Ich schickte den 3. Zug dagegen vor. Inzwischen hatten sich auf dem auf der Höhe halbrechts vor uns liegenden Walde Franzosen entwickelt und nahmen das Feuer gegen den Ort auf. Ich entwickelte den Zug Ihres Herrn Sohnes, der, zunächst gedeckt hinter einer Hecke liegend, das Feuer erwiderte. Im Verein mit anderen Kompagnien und dem gegen das weiße Haus angesetzten Zug wurde nun der Angriff gegen die auf der Höhe liegenden Franzosen angesetzt. Unter Benutzung der zahllosen Hecken, die das Gelände durchzogen, arbeiteten sich die Schützen bis an einen kleinen, vor uns liegenden Steilabfall heran. Hier fanden sie vollkommene Deckung, konnten aber selbst im Augenblicke nicht schießen. Ihr Herr Sohn, der inmitten seiner Leute in voller Deckung lag, richtete sich einen Augenblick etwas auf, um über den niedrigen Steilabfall hinwegsehen zu können und dabei nach dem Feinde Ausschau zu halten. In dem Augenblick, den er dazu benötigte, traf in das feindliche Geschoß. Die Kugel traf ihn in den Hals und gewiß die Schlagader. Ihr Herr Sohn sagte in dem Augenblick: "Grüßen Sie meine guten Eltern". Dann sank er in sich zusammen und war sofort tot.