Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921 ) aus Kronach , Juli 2004 :
1933 kamen wir ehemaligen "Roten Falken" in die Hitler-Jugend, und wir gewöhnten uns daran, bei den "Braunen zum Dienst zu gehen". Wir wurden von ihnen nicht als verkommene "Rote" gesehen, wir gehörten ganz einfach dazu und die ungute Vergangenheit war perdu. Weil dem so war, machten wir mit, wir verweigerten uns nicht (mehr), wir passten uns an und wir trugen plötzlich die braune Uniform der HJ. Das Braunhemd mit der Hakenkreuzbinde der HJ, dazu die schwarzen Breeches-Hosen und die dazu passenden Stiefel, die Langschäfter. Dabei waren erst wenige Wochen vergangen seit den Treueschwüren in Bad Zwischenahn und seit den heimlichen Treffs danach. Wobei aber um der Ehrlichkeit willen gesagt werden muss, dass nicht alle Ex-Falken sich in der HJ wiederfanden, es hatte durchaus auch einige, die sich verweigert hatten. Nicht zuletzt auf Veranlassung ihrer Eltern, die ihrer sozialdemokratischen Überzeugung wirklich treu blieben. Dazu gehörte auch die gesamte Familie Paulenz, in der ich nun keine Freunde mehr hatte, für die ich nun ein widerlicher Verräter war. Es geschah dann sehr bald, dass auch in dieser sozialistischen Familie zuerst der Vater, und dann auch der älteste Sohn verhaftet wurde. Als ich davon hörte, weil meine Mutter das erfahren hatte und es dann erzählte, war ich schon traurig, aber dann kam sehr schnell das Vergessen! Tja, so war das in der Zeit, auch bei mir.
Nach nur einigen Wochen Dienst in der HJ wurde dann festgestellt, dass ich in dem Verein wirklich noch nichts zu suchen habe, dass ich zum Jungvolk gehöre und dorthin überwiesen würde. Das passte mir nicht, da wollte ich nicht hin, das waren doch die "Kleinen", die dummen Pimpfe. Unter den Großen in der HJ hatte ich mich so wohl gefühlt, dass ich dort auch bleiben wollte, aber das ging nicht. Ich musste den für mich sehr bitteren Weg antreten zum Jungvolk in Aumund, um mich dort zu melden, bei meinem bisher "schlimmsten Feind", dem Fähnleinführer Karl-Henrich Lendroth, Sohn des SA-Sturmbannführers Karl Lendroth.
All das was ich aus meiner Kindheit und Jugendzeit schildere, ist mein wirkliches Erleben, ohne jede Schönfärberei oder Phantasie. Es sind das meine eigenen Erfahrungen, die sich in meiner Betrachtungsweise niederschlagen, entstanden in einem sehr abwechslungsreichen Leben, schon in der Kindheit. Es ist das eine sachlich fundierte Schilderung von mir, einem noch lebenden Zeitzeugen der seinerzeitigen Zeit. Diese Schilderungen sind in ihrer Gesamtheit keine Phantasien, auch wenn sie aus dem kindlichen Gemüt eines Knaben kommen, der am 3. Juli 1933 erst 12 Jahre "alt" wurde. Aber ich war in meinem kindlichen Alter schon frühzeitig sehr neugierig, sehr naseweis und furchtbar wissensdurstig. Diese Art hat sich dann in meinem ganzen Leben erhalten, und das habe ich nie bereut, auch wenn sich dabei oftmals Schwierigkeiten und Probleme ergaben, die schon sehr weh taten, die Schmerzen bereiteten im Inneren, aber auch am Körper selber.
Tja, schon im Jahre 1933 geschah es dann, dass ich einer von denen wurde, die ich gestern noch bekämpft hatte als ein "Roter Falke", der sein Ideal in der SAJ sah, aber jetzt ein Nazi-Pimpf wurde. Und ich wurde einer, der sich, wie viele andere, wohlfühlte im neuen Umfeld und im neuen Habitus, der sich nun auch gerne im Schmucke der neuen Uniform zeigte. Diese Uniform hatte ich schon bekommen, als ich meine ersten Gehversuche in der HJ machte. Ich hatte meine Mutter so lange bedrängt, bis sie mit mir, wenn auch noch etwas widerwillig in den neuen "Braunen Laden" in Vegesack ging, der sich in der Bahnhofstraße am Alten Markt befand, gegenüber der Buchhandlung Otto. Dieser Laden wurde geführt von einem Bekannten meiner Eltern. Er war ein SS-Mann geworden, gehörte zum SS-Sturm in Vegesack und führte diesen Laden, in dem alle Ausrüstungsstücke der Partei und ihrer Gliederungen gekauft werden mussten, weil nur dieser Laden autorisiert war, das gesamte "Braune Gut" zu verkaufen, in Vegesack und umzu. Die Partei hatte ihre eigenen Ausrüstungs - und Bekleidungsläden geschaffen, die entweder direkt von der Partei geführt wurden oder von einem bewährten PG, einem "Alten Kämpfer."
Meine Mutter war zwar zuerst nur schwer zu bewegen, mir diese Uniform zu kaufen, aber mein beständiges Bedrängen ließ sie dann doch weich werden, und wir gingen zu dem guten Bekannten, in den Braunen Laden in Vegesack. Inzwischen war es aber nun auch bei ihr so, dass sie keine besonderen Einwände mehr hatte, dass ich jetzt bei den "anderen" mitmachen wollte, bei den Nazis. Ihre Denkweise hatte sich, wie bei vielen Eltern schon ziemlich verändert, auch wenn sie mit dem "Kerl", diesem Österreicher noch nicht so richtig klar kam. Da sperrte sich in ihrem Inneren noch vieles, auch wenn sie die erzielten Erfolge als doch sehr gut ansah. Aber den "Kerl", den konnte sie noch nicht zu ihrem absoluten Idol machen, das änderte sich dann aber auch bei ihr, wie bei den anderen Mitmenschen. Immerhin sah sie aber ein, dass ich wohl doch so eine Uniform haben müsse, schließlich könne ich ja nicht anders aussehen, als die anderen! Und seit dem 30.Januar 1933 waren erst wenige Monate vergangen!
Die Uniform würde sicher viel kosten, aber sie sollte doch komplett sein, das war jedenfalls mein Wunsch. Der gute Bekannte im Braunen Laden wusste da zu helfen, denn den Käufern einer Uniform, gleich welcher Gliederung der Partei, wurde auf Wunsch ein Kredit eingeräumt, der in bequemen Raten abgetragen werden konnte.
Da ich zu dem Zeitpunkt noch bei der HJ in Vegesack war, musste es natürlich die HJ-Uniform sein, nicht die der Pimpfe im Jungvolk. Diese komplette Uniform bestand aus dem Braunhemd, dem dazugehörigen Halstuch, dem schwarzen Koppelzeug mit Schulterriemen, den schwarzen Breecheshosen, der Schirmmütze, der HJ-Hakenkreuzarmbinde, dem HJ-Gebietsabzeichen über dieser Binde und dem HJ-Abzeichen, der so genannten Pastille, weil es eine solch Form hatte. Der Clou der ganzen Kluft waren aber die schwarzen Langschäfter, die Marschstiefel. Nur gab es da für mich ein Problem, denn die im Laden befindlichen Langschäfter passten nicht über meine zu dicken Waden. Das wurde gelöst durch Maßnehmen und einige Tage später konnte die Sonderanfertigung in Empfang genommen werden. Fertig war nun dieser frischgebackene Hitlerjunge. Aus dem einstigen Angehörigen der Roten Falken war ein so ganz anderer Junge geworden, und der schämte sich nicht, sich jetzt wohl zu fühlen bei der stattgefundenen Metamorphose vom sozialistischen Jungen zum Nazi-Jungen. Und ich trug nun voller Stolz, die von mir, vor einigen Monaten noch verhasste braune Uniform - und das ohne Scham und Reue, die aber auch die nicht hatten, die nun auch "Nazi-Jungens" geworden waren und dazu beitrugen, dass die HJ mitsamt Jungvolk so viele Mitglieder bekam, für die nun neue Gefolgschaften und Fähnlein geschaffen werden mussten. Diese Neuzugänge waren nicht nur Kinder von Nazi-Eltern, oder anderer rechter Kreise, sie kamen auch aus dem Kreise der Eltern, die sich erst jetzt, zumindest gedanklich den Nazis zugewandt hatten. Das waren sehr viele aus dem bisherigen Roten Lager.
Am 3. Juli 1933, meinem 12. Geburtstag, schrieb meine Mutter mir in mein Poesie-Album, so etwas gab es auch für Jungens, aber dann schon "schöne Worte" über den Führer, der nun kein "Kerl" mehr war. Er war jetzt (schon) auch für sie der große, neue Führer des deutschen Volkes, der täglich bemüht war, seinem Volke zu dienen, und das im Interesse und zum Wohlergehen dieses Volkes. Nach nur wenigen Monaten "Drittes Reich", meinte nun auch sie, dass dieser große Mann zu achten und zu ehren ist. Meine Mutter war sicher nicht die einzige Mutter, die so dachte und empfand. Es waren inzwischen mehr Millionen die so dachten und empfanden, als die Partei an Mitgliedern hatte, die ja auch schon etliche Millionen waren.
Der "Dienst" in der HJ war etwas völlig anderes als das, was sich bei den Zusammenkünften in den Roten Falken abgespielt hatte. Das war ein wirklicher "Dienst", aufgebaut und ausgerichtet auf der Basis eines militärischen Drills, auch wenn vom Militär zu der Zeit noch keine Rede war. Es war eben so, dass in allen rechten Jugendorganisationen, auch bei den Pfadfindern, der Dienstbetrieb schon immer aufgebaut war auf einem militärischen Reglement, das war seit eh und je eine Selbstverständlichkeit gewesen in den meisten Jugendorganisationen. Wobei zu sagen ist, dass diese Art den Kindern und Jugendlichen absolut gefiel. Es machte förmlich Spaß, das alles mitzumachen, stramm zu stehen, sich auszurichten und Marschübungen zu machen aus denen sich dann die Kolonnen bildeten. Wir hatten auch nichts gegen die Kommandosprache unsere "Vorgesetzten", die noch dazu doch auch nur Jugendliche bzw. im Jungvolk Kinder waren. Das ganze militärische Drumherum wurde von uns gern mitgemacht, wer das heute anders darstellen will, der sagt nicht die Wahrheit, vor allem nicht, wenn er selber einmal dazu gehört hat. Ganz besonders gefielen immer wieder die Geländespiele, die Geländeübungen und die tollen Zeltlager. Das war bei aller Zackigkeit, doch sehr romantisch für uns Kinder. Das wurde in keinem Fall als eine Art von Vergewaltigung der Kinder durch die Nazis angesehen, auch nicht seitens der Eltern. Das war doch kaum anders, als das bisherige Geschehen in den Jugendorganisationen, gleich welcher Art und Richtung. Auch bei den Roten Falken und in der SAJ waren Geländespiele, Kartenlesen und dabei ein militärisches Verhalten im Gelände absolut üblich gewesen. Zwar nicht ganz so straff und eingedrillt, wie in der HJ, aber ein gewisser Druck war auch da normal, auch wenn man uns zu Pazifisten machen wollte, was aber auch auf den Widerstand der Männer vom Reichsbanner stieß, die doch selber sehr soldatisch auftraten und auch so empfanden. Wir machten mit Schwung und Begeisterung alles mit, auch Geländemärsche mit einem Tornister, dem Affen, auf dem Rücken.
Für uns Kinder war alles wie ein großes Abenteuer, wie eine zwar andere, aber sehr schöne Art unserer kindlichen Räuber - und Gendarmenspiele, und das fanden wir einfach toll!
Vor allem auch, weil das alles nicht mehr so kindlich, sondern nun männlich und soldatisch war! Und unsere Väter hatten gegen diese Art von Dienst auch nichts einzuwenden, der erinnerte sie an ihre eigene Soldatenzeit und sie meinten,, eine solche Erziehung sei nicht verkehrt, jedenfalls besser als das sonst so übliche Herumlungern von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren!
Da gab es aber noch etwas, was uns und ganz besonders mir sehr gut gefiel schon in der HJ und dann erst recht im Jungvolk. Das war die wirkliche Gleichheit aller Jungens, die in diesen Organisationen ihren Dienst verrichteten. Hier gab es keine Unterschiede, trotz dem unterschiedlichen Herkommen der Mitglieder. Kinder und Jugendliche aus allen Schichten und Kreisen taten hier gemeinsam ihren Dienst, dabei waren sie alle gleich, ob sie nun aus bürgerlichen Familien kamen oder aus Arbeiterfamilien, ob sie nun höhere Schüler oder nur Volksschüler waren, es gab keine hinderlichen Unterschiede, keine Sonderstellungen, der Status der Eltern zählte überhaupt nicht und ein jeder der Jungens konnte "Führer" werden, egal woher er kam. Alle hatten sich in gleicher Art dem Gehorsam zu unterwerfen, der zwar streng war, der aber auch keine Ungerechtigkeiten zuließ. Wenn ich das hier so schreibe, dann ist das keine Verherrlichung der HJ und des Jungvolks, es ist lediglich die Schilderung dessen, was uns damals bewegte, was in uns vorging, auch wenn sich dann mit zunehmendem Alter doch manches an dieser Einstellung und Meinung wieder geändert hat. Nur zuerst war es so, und wir hatten mit all dem keine Probleme, wir fühlten uns wohl in dieser, unserer neuen Haut.
Wir empfanden es als ganz prima, dass "unsere Führer" doch auch junge Menschen waren, es gab keine "Alten", keine Erwachsenen mit ihrem, für uns Kinder so unangenehmen Auftreten und Verhalten. Jugend wurde von Jugend geführt, das machte einen starken Eindruck auf uns. In der HJ war in dieser Zeit auch noch sehr viel von dem revolutionären Bestandteil der ersten Jugendbewegungen vorhanden. Schon vor dem 1. Weltkrieg, waren die aufkommenden Jugendbewegungen sehr aufmümpfig, in der bündischen Jugend, wie auch bei den Wandervögeln und den Naturfreunden. Von diesem Geist hatte sich vieles übertragen auf die HJ in ihren Anfangszeiten. Vor allem war es auch hier eine Antihaltung gegen die "Erwachsenen". Jugend wollte von Jugend geführt werden, und das war in der HJ der Fall. Bei allem Drill, gab es in der HJ einen unübersehbaren Widerstand gegen die "Alten". Jugend wollte frei sein von Bevormundungen, und aus diesem Geist heraus fühlten wir uns auch frei, trotz des Gehorsamsprinzips, das wir aber nicht als belastend oder als Unterdrückung ansahen. So seltsam das heute klingen mag, wir fühlten uns wohl in dieser für uns einzigartigen und großartigen Jugendorganisation, die nicht nur aus militärisch geprägtem Drill bestand. Zwar änderte sich das einige Jahre später, vor allem dann, als der Zwang der Jugenddienstpflicht entstand und eine jedes Kind, ein jeder Jugendliche, ob Knabe oder Mädchen, zwangsweise Mitglied werden musste. Aber zu meiner Zeit war es noch so, wie ich es hier schildere, so war damals die Wirklichkeit, bis dann später ein sehr grundlegender Wandel eintrat.
Wir waren auch sehr stolz, wenn wir im Jungvolk als Fähnlein durch die Straßen zogen, nicht mehr Krawall machend, wie die Pimpfe in der Zeit vor 1933, sondern als zackige Kolonne in tadelloser Ordnung, laut die Lieder der Jugend singend, die fast alle nicht nur in der bündischen Jugend, sondern auch zu einem großen Teil bei den Roten Falken gesungen worden waren. Das alles geschah nun unter den wohlwollenden Blicken der Erwachsenen, die uns zusahen und sogar unsere Fahne grüßten! Wir waren bei all dem ganz einfach nur stolz auf uns selbst und hatten keine schlimmen Gedanken in uns.
Was mich aber besonders bewegte, war die Tatsache, dass ich in der HJ und im Jungvolk keinen üblen und hässlichen Hänseleien mehr ausgesetzt war. Mein körperlicher Umfang, meine roten Haare und die vielen Sommersprossen waren kein Anlass, mich zu hänseln und zu verspotten. Ich war einfach nur der Werner Mork, wurde als solcher voll akzeptiert und erlebte keine Häme, die sich gegen mich gerichtet hätte. Es herrschte hier ein noch stärkerer Gemeinschaftsgeist, als der, den ich schon bei den Roten Falken erlebt hatte. Diese Gemeinschaft sollte ich besonders stark spüren, als ich ins Jungvolk musste und mich dann bei meinem "alten Feind" Karl-Henrich Lendroth meldete, dem zuständigen Fähnleinführer. Ich wurde, entgegen meinem Erwarten, nicht gehässig "begrüßt", wurde nicht etwa angepöbelt, sondern wurde von meinem Mitschüler aus der Zeit der Volksschule herzlich willkommen geheißen und voll und ganz als neues Mitglied von ihm, und seinem Bruder, der Jungzugführer vom 1. Jungzug war, in die Gemeinschaft des Fähnleins aufgenommen. Von einer Feindschaft war keine Rede mehr, und auch nicht von den beiderseitigen Gehässigkeiten aus der Zeit vor 1933. Ich wurde ein Pimpf, der ganz einfach dazu gehörte und ich fühlte mich sehr schnell wohl, machte gerne meinen Dienst und die seinerzeitige Schulfreundschaft war nun die Basis für eine gute Kameradschaft. Wobei wir fast alle, die in dem Fähnlein waren, uns von der gemeinsamen Schulzeit der Volksschule her kannten und nun wieder beisammen waren. Und uns alle trennte nicht die Unterschiedlichkeit der Schulen, die wir jetzt besuchten. Gymnasiasten und Volksschüler waren wirklich gute Kameraden, frei von Dünkel oder Neid.
Ich kannte keine Reue und keine Scham - warum auch? Ich, und die anderen aus dem Sozi-Lager taten doch nur das, was die Erwachsenen, unsere Eltern und gute Bekannte, auch taten. Die, die den Kindern immer ein Vorbild sein sollten verhielten sich so, dass wir der Überzeugung wurden, dass das 3. Reich das Reich ist, was sich alle Deutschen immer erträumt und gewünscht hatten, und nun war das die lebendige Wirklichkeit geworden, das war doch gut und richtig und erfüllte sehr viele mit wachsendem Stolz, im Inneren und im äußeren Auftreten. Diese Erwachsenen waren nun auch in vielerlei Arten von NS-Uniformen auf der Straße zu sehen, ob nun einzeln oder in Kolonnen. Die Partei hatte für jeden mit ihren vielen Gruppierungen etwas zu bieten, die braven Männern fanden vielfältige Aufgaben. Aber auch viele der lieben Frauen und Mütter entdeckten ihr Herz für Führer, Volk und Vaterland. Und die NS-Frauenschaft wurde eine beachtenswerte Organisation in der Partei. Viele dieser Mitglieder engagierten sich dann in der NS-Volkswohlfahrt, in der sie sich wirklich nützlich machten. Im Gegensatz zu den anderen Gruppierungen leistete die NSV eine sehr gute Arbeit, sie hat viel Gutes getan für Minderbemittelte und für kinderreiche Familien. Das ist, auch in diesem Fall, die Wahrheit, auch wenn sie nicht gerne gehört wird.
Die Sonntage gehörten nun auch nicht mehr nur der Familie, weil an Sonntagen Dienst gemacht werden musste, an dem die Männer der SA und der SS teilzunehmen hatten, wie aber auch die Politischen Leiter der Parteiorganisation. Aber nicht nur die, auch für die Jugend und die lieben Frauen gab es oftmals "Dienst" zu verrichten am Sonntag. Das Volk war nicht nur nun in Uniform, das Volk war nun auch ständig im Dienst, und es machte bereitwillig mit bei diesem Dienst. Mochte auch der eine oder andere mal murren, auch weil die Freundin oder die Frau nicht immer damit einverstanden waren, so gab es dennoch keinen Widerstand gegen das, was jetzt der notwendige Dienst am Volke war.
Tja, und ich machte meinen Dienst im Jungvolk, der stattfand auf dem mir altvertrauten Lobbendorfer Schulplatz, der nun uns als Dienstrevier zur Verfügung stand. Das war der Schulplatz auf dem ich einmal den Judenjungen Heinzi Herz vor der Brutalität seiner christlichen Mitschüler geschützt hatte. Auf dem Platz der Schule, in der mich dann meine Klassenlehrerin zur Strafe neben den Judenjungen setzte. Was war inzwischen geschehen? Was hatte sich inzwischen alles verändert? Nicht nur das eigene Umfeld, auch ich hatte mich verändert, und ich hätte mir eigentlich die Frage stellen müssen, ob ich auch jetzt einem Judenjungen geholfen hätte?
Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass das geschehen wäre, denn auch ich war inzwischen von dem "neuen Geist" so infiziert, dass ich nun Juden mit anderen Augen ansah und was ich dann, später in Bremen so mies in die Praxis umsetzte mit meinem Verhalten dem Onkel von Heinzi gegenüber, dem "Schuhjuden" Herz aus Vegesack. Auch ich wurde ein guter Gefolgsmann bzw. Gefolgsknabe dieses neuen Geistes und hatte auch dabei keine Scham. Ich war im Lager der Braunen angekommen, ich fühlte mich wohl in diesem Umfeld, so wohl, dass ich eines Tages auch ein "Führer" wurde. So begann mein Weg in die weiteren Jahre des 3. Reiches.
Mit meiner HJ-Uniform gab es zuerst etwas Ärger, weil die doch nicht zum Jungvolk passte, aber der legte sich dann, als ich meine Schirmmütze gegen das schwarze "Schiffchen" tauschte, anstatt der Armbinde dann auf dem Hemd das Abzeichen des Jungvolks trug und meine so schönen Breeches-Hosen auswechselte gegen die "vorgeschriebene" kurze, schwarze Kniehose, die bis "eine Handbreit über dem Knie" reichen musste. Da half kein Sträuben, das war so, wobei ich aber meine geliebten Langschäfter weiter tragen durfte und die als einziger in dem Verein.
Der Dienst war noch sehr gewöhnungsbedürftig, aber auch das klappte dann ganz gut. Es gab dabei Abwechslungen, wie lange Touren mit dem Fahrrad, und auch Gepäckmärsche mit dem Affen auf dem Rücken, gefüllt mit Ziegelsteinen, die insgesamt das erforderliche Gewicht von 15 Pfund haben mussten. Geländespiele, Geländebeschreibungen, Kartenlesen, Skizzen anfertigen und Orientierungsmärsche bei Tage und auch in den Abendstunden waren für uns Knaben sehr willkommene "Abenteuer", die der kindlichen Abenteuerlust doch wirklich gerecht wurden. Ganz toll kamen wir uns vor, wenn wir bei größeren Veranstaltungen und Kundgebungen auf einer Bühne standen und uns als Sprechchor betätigten, der intensiv vorher geprobt worden war. Da waren wir doch wer! Da fühlten uns ganz groß und waren sehr stolz, wenn uns dann der Beifall für die "tolle" Leistung entgegenschlug.
Ein Erlebnis besonderer Art war ein Kino-Besuch in Blumenthal, wo wir den Film "Hitlerjunge Quex" zu sehen bekamen. Es war an einem Tag im Spätsommer 1933, als das Fähnlein geschlossen nach Blumenthal marschierte um sich "unseren" Film anzuschauen.
Das war ein Film über den "Kampf" der HJ vor 1933, in dem das Leben und Sterben eines "guten, braven" Hitlerjungen gezeigt wurde, der meuchlings von den bösen Kommunisten umgebracht worden war. Wir hatten zwar selber schon einiges erlebt in der bewussten Zeit, aber doch nicht einen Mord an einem unschuldigen Jungen, der doch nur ein Hitlerjunge war. Jetzt, als neue Pimpfe im Jungvolk, bekamen wir bei diesem Film eine richtige Wut auf diese furchtbaren Kommunisten, nahmen dabei aber (wir Ex-Sozi-Kinder) zur Kenntnis, dass auch die HJ ihren "Blutzoll" im Kampf für ein neues Deutschland erbracht hatte. Tja, so war das mit der Veränderung in unserem Inneren. Und voller Stolz und Begeisterung wurde dann von uns das neue Lied der HJ gesungen: "Unsere Fahne flattert uns voran, unsere Fahne ist die neue Zeit, und die Fahne führt uns in die Ewigkeit, denn die Fahne ist mehr als der Tod!"
Mit diesem Stolz in der Brust marschierten wir von Blumenthal nach Aumund zurück, erfüllt von einem Selbstbewusstsein, das uns ein sehr eigenes Wertegefühl vermittelte. Schwachsinn? Ja, aus heutiger Sicht, aber wir empfanden unsere Gefühle damals nicht als einen Schwachsinn, sondern als ein gutes deutsches, nationales Empfinden, trotz oder auch wegen dem Liedertext, nachdem die Fahne über alles ging und mehr als das Leben bedeuten sollte.
Ich trug noch einen besonderen, einen sehr eigenen Stolz in mir, der darauf beruhte, dass ich mit meiner sehr großen körperlichen Länge von schon über 1,75 der Größte im Fähnlein und somit der rechte Flügelmann war, der direkt hinter dem Fähnleinführer und neben dem Jungzugführer marschierte, ich war dabei nicht zu übersehen und das war doch was!
Dann kam der Tag, an dem ich vom Fähnleinführer mein Fahrtenmesser "verliehen" bekam, den HJ-Dolch mit dem Abzeichen der HJ im Griff, der deutlich sichtbar am Koppel getragen wurde. Damit war ich nun ein echter Pimpf geworden mit der Verpflichtung, ein guter Hitlerjunge zu sein und mich als ein solcher immer zu bewähren. Man verstand es sehr gut, uns so zu beeinflussen, dass wir uns voll und ganz der NS-Ideologie unterordneten, dass wir wirklich Wachs wurden in den Händen derer, die uns in dem neuen Geist formten, und dazu gehörte auch der HJ-Film der uns mit dem neuen Bewusstsein erfüllte.
Bei meinem eigenen, guten Verhalten dauerte es nicht mehr lange, bis ich ein "Führer" wurde. Der Ex-Sozijunge wurde von seinem Ex-Feind, dem Fähnleinführer zuerst zum "Hordenführer" ernannt, dann kurze Zeit später zum "Jungenschaftsführer" und stellvertretendem Jungzugführer, Vertreter des Bruders von Karl-Henrich Lendroth, der den
1. Jungzug führte. Nun trug ich auch voller Stolz mein "Rangabzeichen", die rot-weiße Kordel mit der daran befindlichen Trillerpfeife zum Kommandogeben! Ich war voll integriert in die Kameradschaft und Freundschaft mit den ehemaligen Gegnern, den Lendroth's. Wir waren nur noch deutsche Jungens, wir kannten keine Gegensätze und keine trennenden Unterschiede mehr. Zwar hatte ich noch immer etwas gegen den Vater der beiden, den SA-Sturmbannführer Lendroth, was sich dann sogar noch verstärken sollte in dem neuen Lokal meiner Eltern, aber wir Jungens waren gute Freunde.
Für mich wurde diese Zeit besonders interessant, als ich auch hier meinem Hobby, dem Radio-Basteln intensiv nachgehen konnte, vor allem als ich Mitglied in der Nachrichten-Schar wurde.