> Werner Mork: "Korpsgeist" im Kriegsgefangenenlager Horazdovice

Werner Mork: "Korpsgeist" im Kriegsgefangenenlager Horazdovice

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Februar 2010:

Am 9. Mai 1945 geriet ich mit meiner Wehrmachtseinheit bei Horazdovice in Tschechien in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Wir waren wie erhofft den Russen entwischt und glaubten, dass wir wohl bald heim nach Deutschland kommen werden. Die deutsche Reichsgrenze war nicht weit vom Lager entfernt, da würde es doch leicht - so meinten wir in unserer sehr schlichten Naivität - uns ins Restreich abzuschieben. Am anderen Morgen stellten wir "Neuankömmlinge" fest, dass dieses Lager sich auf einem völlig freien Gelände befand, ohne jede Unterkunftsmöglichten. Es gab nur die nackte Erde des Wiesenbodens. Wir stellten bei näherem Hinschauen dann auch fest, dass wir uns in diesem Lager in der illustren Gesellschaft von sehr vielen deutschen Offizieren befanden. Alle Dienstränge waren vertreten, vorwiegend jedoch Stabs-Offiziere aller Ränge, bis hin zu Generalen. Auch sehr viele Kriegsverwaltungsräte, Intendanten und Zahlmeister aller Stufen waren hier versammelt, lauter "Eliten" der Etappe. Und diese Herren der Etappe wollten hier schon wieder den Ton angeben, so als ob sie nach wie vor die Befehlsgewalt in ihren Händen hätten.

Es gab aber auch einige Widerborstige unter den Landsern, zu denen auch ich gehörte. Ich war der Meinung, dass es doch nun vorbei sei mit Preußens Gloria und Herrlichkeit nach dem erfolgten totalen Zusammenbruch von Staat, Wehrmacht und Partei. Ich fühlte mich ab sofort nur noch als Obergefreiter a. D. und deswegen tat ich nun das, was aber von fast allen anderen als ungehörig angesehen wurde, was mich dann auch völlig unbeliebt machte in meiner Einheit. Ich demilitarisierte mich ganz einfach selber, ich entfernte das Hoheitsabzeichen mit dem Hakenkreuzadler von meiner Uniformjacke und auch die beiden Obergefreiten-Winkel. Das alles warf ich einfach weg, das Hoheitsabzeichen sogar regelrecht in den Dreck. Wie schlimm das war, bewies mir dann das Verhalten meiner bisherigen Kameraden. Ich war plötzlich ein Nestbeschmutzer geworden, fast ein Vaterlandsverräter - und ich wurde verachtet wegen dieser Ungehörigkeit. Ich wurde von allen geschnitten, um dann zu hören, dass ich noch immer Angehöriger der Wehrmacht sei, der ich in jeder Hinsicht noch voll unterstehen würde, trotz der Kapitulation. Und ich armer Tor war der Meinung gewesen, nun habe eben alles ein Ende. Schließlich waren wir doch von unserem Eid entbunden worden und damit doch auch eigentlich aus der Wehrmacht so gut wie entlassen, dachte ich! Aber dem sollte so nun nicht sein, ich war ein Verräter, einer, den man nun nicht mehr kannte. Ich war nur noch ein Lump und mir wurde sogar sehr eindringlich bedeutet und nahegelegt, mir einen Platz außerhalb des Kreises dieser Kameraden zu suchen, mich irgendwo anders auf dem Wiesengrund niederzulassen. Da hatte ich nun die Quittung für mein mal wieder völlig unsoldatisches Benehmen, für mein unmögliches Verhalten, für die ungehörige Eigenmächtigkeit der selber vorgenommenen Demilitarisierung. Ich war nun ein Geächteter, stand außerhalb des Kameradenkreises und musste dann noch froh sein, dass ich, wie die anderen vom Schreibstuben-Unteroffizier den vom Chef beglaubigten Auszug aus meinem Soldbuch bekam, bevor die Soldbücher den Amis übergeben wurden, weil sie es so wollten und was für mich ein Glücksfall werden sollte.

Nach nur einigen Tagen im Lager, wurde mir dann sehr deutlich, dass ich mich wirklich "völlig unmöglich" verhalten hatte. Die Herren Offiziere, vor allem die Herren Stabsoffiziere wollten wieder militärische Zucht und Ordnung einführen. Die Manneszucht sollte wieder hergestellt werden und die Achtung vor den Vorgesetzten. Die Herren hatten Klage darüber geführt, dass sie nicht geachtet, beachtet und vor allem nicht mehr militärisch gegrüßt würden, wobei es nicht ganz klar war, welchen militärischen Gruß sie damit meinten, den alten, oder den nach dem 20.Juli 1944 befohlenen neuen Gruß. Und sie wollten, dass morgens wieder richtig angetreten wird, Morgen-Appell und einer Abstellung von Soldaten als "Putzer" für diese Herren, so wie sie es doch gewohnt waren in ihren Offiziersrängen. Ferner sollten wieder Singstunden eingeführt werden, um mit dem Singen deutscher Soldaten- und auch Volkslieder den Amis zu zeigen, wessen Geistes deutsche Soldaten sind. Gerade in der bedrückenden Situation der Gefangenschaft sei es wichtig, dass der deutsche Soldatengeist erhalten bleibt, den Amerikanern bestes deutsches Soldatentum demonstriert wird. So dachten es sich diese "hohen Herren", die noch immer vom alten Geist beseelt waren, die nichts begriffen und gelernt hatten, für die noch immer alles so war wie vorher, auch jetzt in der Gefangenschaft und trotz der doch feststehenden Tatsache, dass es nun wirklich keine Wehrmacht mehr gab. Sie wollten dennoch so weitermachen in der altbewährten Zucht und Ordnung des deutschen Militärs. Also, zackig und knackig wie gewohnt und dazu: "Ein Lied", drei, vier und alles Unglück wird hocherhobenen Hauptes stolz und überlegen ertragen.

Den Amis würde man schon zeigen, wie sich deutsche Soldaten verhalten, auch wenn sie die Verlierer sind. Und dazu wurden selbstverständlich alle Dienstgrad-Abzeichen getragen, wie auch die deutschen Orden, die der, nun mausetote Führer verliehen hatte, die mit Hakenkreuz verzierten Orden, vom kleinen EK 2 bis hin zum Deutschen Kreuz in Gold und dem Ritterkreuz mit den vielen Zutaten, die zusätzlich verliehen worden waren.

Es gab aber außer mir noch einige andere Aufsässige, und die beschwerten sich nun bei den Amis über das, was die Herren wieder einführen wollten und auch über das Verhalten der Offiziere im Lager. Ich war nicht der einzige Lump und Verräter, da gab es noch etliche solcher üblen Kreaturen, so widerliche, undeutsche Typen! Der Erfolg war der, dass die amerikanische Lagerleitung sehr deutlich machte, wer im Lager das Sagen hat, alle "neu-militärischen" Versuche wurden untersagt. Von den Amis wurde dann ein Appell angesetzt, in dem nicht nur jeder militärischer Betrieb untersagt wurde, sondern auch die Order erging, dass alle Ränge und Dienstgrade, ohne jede Ausnahme, die Hoheitsabzeichen, die Dienstgradabzeichen, sowie alle Orden und Ehrenzeichen sofort nicht mehr tragen dürften. Das traf unsere tapferen deutschen Helden sehr hart. Verfügt wurde auch, dass es ab sofort keine "Grußpflicht" mehr gibt und damit brach nun die Kommisswelt dieser "Herren" völlig zusammen.

Tja, und ich, der Obergefreite a. D. hatte mit meiner Voreiligkeit doch richtig gehandelt, aber das änderte nichts daran, dass ich nicht mehr geduldet war im Kreise des Restes vom Stab des Regiments, ich musste mir eine neue, meine eigene Behausung suchen, möglichst weit entfernt von dem Verein. So begann mein sehr eigenes Lagerleben, das ganz schön beschissen wurde.


lo