> Wolfgang Herchner: Ein Mann ein Raucher

Wolfgang Herchner: Ein Mann, ein Raucher

Dieser Eintrag stammt von Wolfgang Herchner (*1928) aus Hamburg, Juli 2002:

Januar 1944 wurden wir 15jährige Sekundaner von der Schulbank weg als Luftwaffenhelfer zur Flak eingezogen. Frisch eingekleidet und bepackt mit der ganzen Ausrüstung erreichten wir endlich nach einem längeren Marsch auf eisglatter Straße die Großbatterie mit einem Dutzend 10,5 Geschützen in Hamburg-Sülldorf.

Man stopfte uns zu jeweils zwölf Mann in eine der zahlreichen Steinbaracken und überließ uns unserem Schicksal. Jeder erkämpfte sich eines der doppelstöckigen Feldbetten und einen Spind und richtete sich ein so gut es ging. Zwei klägliche Deckenfunzeln erhellten das Chaos nur unzulänglich. Irgend jemand hatte, womit auch immer, den Kanonenofen angemacht. Langsam wichen Kälte und das klamme Gefühl. Der Spieß, der Hauptfeldwebel also, kam in die Unterkunft gepoltert und betrachtete etwas hilflos grinsend den in militärischer Habachtstellung erstarrten Haufen "Kindersoldaten".

"Heizt den Ofen nicht zu sehr, denn Funkenflug könnte den feindlichen Nachtaufklärern unsere Stellung verraten", schnarrte er im Unteroffizierston, "wenn es heute Nacht Alarm geben sollte, verteilt ihr euch auf die Geschütze"! Eine halbkreisförmige Wischbewegung seines rechten Armes sollte wohl die Gegend andeuten, in welcher wir die Kanonen zu suchen hätten. "Wecken ist um 6 Uhr morgens", fuhr er fort, "und dann will ich eine tadellos aufgeräumte Bude vorfinden", - militärischer Gruß und draußen war er.

Unsere reichlich gedrückte Stimmung war durch diesen Auftritt keineswegs besser geworden. Wieder wurde die Tür aufgerissen und ein älterer Flaksoldat knallte eine Kanne lauwarmen Muckefuck und ein paar Kommißbrote auf den Tisch. "Mehr ist nicht, die Küche hat schon dicht", war sein gefühlvoller Kommentar. "Hat einer von euch ´was zu rauchen?", fragte er uns hoffnungsfreudig. Fassungslos, ja empört erklärten wir ihm, daß ein deutscher Junge nicht rauchen würde, blöde Frage überhaupt! "Was, ihr raucht nicht", antwortete ungläubig mit dem Kopf schüttelnd der Soldat, "und das sollen Männer sein - armes Deutschland!"

Das letzte hätte er sich verkneifen sollen, denn jetzt reichte es uns endgültig! "Pah, wir keine Männer, Du wirst schon sehen, was wir für Kerle sind", riefen wir zornig hinter ihm her. Irgendeiner zauberte eine Tüte Pfefferminztee und ein paar Blätter Durchschlagspapier hervor und drehte sich mit entschlossener Miene einen "Glimmstengel". - Wir stürzten uns auf die Rauchutensilien und taten es ihm nach.

Während ich das hier niederschreibe, glaube ich fast die erstickenden Hustenanfälle nach den ersten Zügen zu hören, fühle das Kratzen im Rachen und das ekelhafte Brennen auf der Zunge. Es ging uns zwar nicht besser als vorher, aber wir hatten geraucht und waren jetzt also Männer zumindest im soldaten-philosophischen Sinne.

Der Kaffee-Ersatz und das Brot waren vertilgt, wir legten uns auf die Strohsäcke und schliefen bald ein. Nach einer knappen Stunde verließ der erste, Hand vor´m Mund und beide Arme fest in den Leib gepreßt mit grünlich-bleicher Gesichtsfarbe fluchtartig das Bett und rannte vor die Tür. Schwache Würgegeräusche drangen in das Barackeninnere. Jetzt stürzten, rasch aufeinander folgend, weitere Gestalten in gekrümmter Körperhaltung nach draußen, um es ihrem "Vorredner" gleich zu tun. Einige mußten den Vorgang jedoch abrupt unterbrechen und zur Latrine eilen, wo das Pfefferminzrauchen seine absolut unrühmliche Fortsetzung fand.

Daß ich selbst zu beiden Gruppen gehört habe, will ich nicht unerwähnt lassen. Mit dem innigen Wunsch lieber zu sterben, durch und durch krank, zitternd und blaugefroren krochen wir wieder in unsere Betten, begleitet von dem hämischen Grinsen der wenigen standhaft gebliebenen "Nichtraucher".

Das Wecken mit der Trillerpfeife am nächsten Morgen war brutal, ja physisch schmerzhaft, besonders im Kopf. Wir waren unausgeschlafen, verzweifelt, zerschlagen und hatten zu allem Überfluß auch noch selbst schuld. Deswegen oder trotzdem taten wir alles, was nach militärischem Drill von uns erwartet wurde. Krank war keiner, denn jetzt waren wir "Männer"!

lo