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Politische Broschüren
im Kalten Krieg
1967 bis 1963
(von Klaus Körner)

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"Berlin ist die Front"
Broschüre der SED, 1947        

Gleich einer Wasserscheide trennt das Jahr 1950 die unmittelbare Nachkriegszeit von der Welt der 50er Jahre. Alle richtungsweisenden Entscheidungen fielen in diesem Jahr: die Bereitschaft zur Wiederbewaffnung, die Zustimmung zur Europa-Integration und eine entschiedene Parteinahme im Kalten Krieg. Der Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950 löste eine geistigmoralische Wende in Westdeutschland aus. Das Gefühl, wieder als Partner gegen den Osten gebraucht zu werden, begünstigte die Ausbreitung einer kämpferisch-reaktionären Grundstimmung. Die Zeit der Einkehr und Besinnung nach 1945, für die der Journalist Axel Eggebrecht ein Symbol war, ging zu Ende.

          

Das große Medienereignis, das eine neue Phase des Kalten Krieges in Deutschland einleitete, war das Deutschlandtreffen der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) zu Pfingsten in Berlin. Schon das Motto "Freie Deutsche Jugend stürmt Berlin" ließ in West-Berlin die Befürchtung entstehen, ein kommunistischer Putschversuch stehe bevor. Tatsächlich beschränkte sich der Massenaufmarsch auf Ost-Berlin. Er sollte die Einheit, Geschlossenheit, Stärke und Jugendlichkeit der kommunistischen Bewegung in Deutschland demonstrieren. Auf dem 3. Parteitag der SED im Juli 1950 und einen Monat später auf dem Nationalkongreß der Nationalen Front wurden die Westdeutschen zum nationalen Widerstand gegen die anglo-amerikanischen "Imperialisten" aufgerufen. Kurzfassungen der pathetischen Reden wurden als Broschüren mit der Post nach Westdeutschland geschickt. Um eine Beschlagnahme durch die westdeutsche Postkontrolle zu vermeiden, wurde allen Briefen, die an westdeutsche Gerichte, Gemeinden oder Verwaltungsstellen gerichtet waren, Broschüren beigelegt. Eine andere Taktik bestand darin, schulklassenweise Briefe nach Vorlagen schreiben zu lassen, die dann an Westdeutsche geschickt wurden, deren Anschriften man aus Telefonbüchern herausgezogen hatte. "Diese Verängstigungs- und Einschüchterungspropaganda blieb bei vielen Deutschen nicht ohne Wirkung", heißt es in einem Bericht der US-Hochkommission. Gegen diesen neuen Feldzug der Kommunisten gegen das freie Deutschland müsse offensiv vorgegangen werden.

             

Bundeskanzler Adenauer hatte zwar in einem Brief an Innenminister Heinemann beanstandet, daß der Bürgermeister von Leipzig "in Beuel an der Brückenrampe Flugschriften verteilt hätte", seinem Gesamtdeutschen Minister Kaiser verbot er jedoch, Gegenschriften in die DDR zu expedieren, um die Sowjets nicht zu provozieren. Die Forderung des Berliner SPD-Publizisten Arno Scholz und seines CDU-Kollegen Ernst Lemmer nach einer politischen Offensive in die DDR von Westberlin aus ("Berlin ist die Front"), wurde vom Kanzler zurückgewiesen. So blieb die Aufgabe, den Kalten Krieg gegen die DDR von Berlin aus zu führen, zunächst Sache der Amerikaner. Sie finanzierten auch zu Pfingsten 1950 die Sonderausgabe der Berliner Jugendzeitschrift "Freundschaft", die vom Landesjugendring Berlin herausgegeben und an alle Teilnehmer des FDJ-Treffens verteilt wurde, die nach Westberlin kamen. Den Umschlag ziert ein Berliner Bär, der von einer europa-grünen Mauer ein Plakat abreißt, auf dem ein FDJ-Emblem abgebildet ist. In seiner linken Pranke hält der Bär ein Schild mit dem Buchstaben "F", womit die Forderung nach Freiheit ausgedrückt werden sollte. "Freiheit", so hatte schon der Kampfgruß des "Reichsbanners" in der Weimarer Republik gelautet.

          

Handzettel des VFFIn der zweiten Jahreshälfte von 1950 schossen in Westberlin Gruppierungen, Agenturen und Organisationen wie Pilze aus dem Boden, die sich die Bekämpfung des Kommunismus in der DDR zur Aufgabe gesetzt hatten. Etwa 50 dieser Vereine gab es bis Ende der fünfziger Jahre. Die Organisationen erfüllten dreierlei Funktionen: konkrete Hilfeleistungen für DDR-Bürger, Schriftenversand in die DDR und Nachrichtenbeschaffung aus der DDR. Das Geld kam vom US-Geheimdienst. Nach dem Wert der Nachrichten richtete sich die Höhe der Zuwendungen. "Das war ein hartes Geschäft nach der Devise "Ware gegen Geld", erinnert sich ein BND-Veteran. "Vergessen Sie nicht den "Leuchtturm-Effekt" unserer Arbeit", gibt ein früherer Mitarbeiter einer Berliner Organisation zu bedenken, "es mußte doch gezeigt werden, daß von Berlin aus Widerstandsarbeit in der Zone gemacht wurde".

            

Die bekanntesten Organisationen waren die "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit", der "Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen", das "Informationsbüro West", der "Heinrich Bär Verlag", in dem die Satirezeitung "Tarantel" erschien, sowie die Ostbüros der Parteien und Gewerkschaften. Im weiteren Sinne gehörten dazu der "Kongreß für kulturelle Freiheit", der die Kulturzeitschrift "Der Monat" herausgab, der Michael-Verlag, dessen Geschäftsführer im Hauptberuf militärische Aufklärung für die Amerikaner betrieb und das Verlagshaus der SPD-Zeitung "Telegraph". Der amerikanische Rundfunksender RIAS unterhielt einen umfangreichen Nachrichtenapparat in der DDR und arbeitete intensiv mit den Berliner Organisationen zusammen. So wurden regelmäßig Listen mit angeblichen Stasi-Spitzeln verlesen, die der Untersuchungsausschuß zusammengestellt hatte und auch in der Form gelber Flugzettel verbreitete. Mitarbeiter der Kampfgruppe gaben im RIAS Ratschläge für den Kampf gegen den Abschluß von Betriebs-Kollektivverträgen. Artikel der amerikanischen "Neuen Zeitung" zum selben Thema wurden als Sonderdrucke in die DDR geschickt.

             

antifschistisch-antikapitalistische Tarnschrift Die wirksamsten Schriften kamen wahrscheinlich vom Ostbüro der SPD. Zielgruppe des Ostbüros waren nicht nur Regimegegner, sondern auch schwankende oder oppositionelle SED-Mitglieder. Für sie wurden als Tarnausgaben die Zeitschriften "Einheit" und "Sozialdemokrat" hergestellt. In besonderen Ausgabestellen für Ostbewohner wurde etwa Wolfgang Leonhards "Die Revolution entläßt ihre Kinder" verteilt. Um den Transport über die Sektorengrenze zu erleichtern, hatte man das Buch verkleinert, auf Bibeldruckpapier gedruckt und mit dem Tarnumschlag "Karl Marx: Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte" versehen. Die Tarnung war nötig, weil die Verbreitung und auch schon der Besitz von westlichen "Hetzschriften" in der DDR hart bestraft wurden. Die Berliner Organisationen mußten besondere Vertriebsapparate aufbauen, um ihr Schriftgut zunächst über die Grenze zu schaffen. Dort wurde es dann, so die Zeitschrift "Tarantel", in Briefumschlägen mit falschen Absendern von Ministerien durch die Post versandt. Für den Postversand stellte die "Tarantel" besondere "schwarze" Briefmarken her, auf denen "Undeutsche undemokratische Diktatur" zu lesen stand. Die Verfolgung der Westschriften durch die DDR-Organe erzeugte den Reiz des Verbotenen und steigerte die Neugier darauf. So konnten die Restauflagen von Landser-Kriegsromanheften mühelos über In den mit Nachrichten unterversorgten, geschlossenen Grenzkioske in Westberlin an DDR-Bürger verkauft werden, weil sie als besonders gefährliches Seelengift galten.

          

Quantitativ erreichten die von Westberlin aus vertriebenen Schriften nur einen Bruchteil der Auflagenhöhe, in der die für den Westversand bestimmten Schriften der DDR produziert wurden. Doch die DDR konnte in dem im Prinzip offenen Meinungsmarkt der Bundesrepublik nicht Fuß fassen, weil die Mehrzahl der Westdeutschen das "Produkt DDR" für schlecht hielt. In den mit Nachrichten unterversorgten Meinungsmarkt der DDR einzudringen war zunächst ein technisches Problem. Die Aufnahmebereitschaft der Leser war sehr groß, weil sie das "Produkt Westdeutschland" für besser hielten als ihren Staat. Die DDR-Propagandisten versuchten stets, eine zentrale Lenkung und Ausrichtung des von Westberlin aus gegen sie gerichteten Kalten Krieges zu entdecken. Diese zentrale Lenkung gab es nicht, denn die Amerikaner befürworteten den Wettbewerb sehr verschiedener Schriftenproduzenten und Nachrichtenbeschaffer. Dennoch läßt sich feststellen, daß der von West-Berlin aus geführte Kalte Krieg politisch stärker links ausgerichtet war als der Bonner.

               

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