6. Gerüchte

Die konkreten Hexenjagden wurden zumeist nicht von gelehrten Juristen, Theologen oder den Landesobrigkeiten initiiert, sondern von den Dorfgenossen der Verdächtigten vorangetrieben, entwickelten sich doch Hexereibezichtigungen im Allgemeinen aus dem überschaubaren Kontext dörflichen oder regionalen Zusammenlebens.

Der Verdacht gegen einen Menschen, eine Hexe oder ein Hexenmeister zu sein, bestand oft bereits lange Zeit, bevor er virulent wurde. Das kollektive Gedächtnis speicherte böse Worte, Drohungen, abweichendes Verhalten und damit scheinbar in Zusammenhang stehende Unglücksfälle bisweilen über viele Jahre. Die Furcht vor Verhexung und Schadenzauber durch den Nachbarn oder die Nachbarin konnte in der dörflichen Gemeinschaft aufflackern und wieder abflauen, oft in Bann gehalten durch volksmagischen oder volksreligiösen Gegenzauber. Der erst noch heimliche Verdacht äußerte sich bald in Klatsch und übler Nachrede. Fand er Konsens unter den anderen Dorfmitgliedern, konnte er sich vom allgemeinen Gerücht zur öffentlichen Beleidigung und Anschuldigung steigern. Die von Aggressivität und handgreiflicher Streitlust geprägte Kommunikationsstruktur innerhalb der dörflichen oder kleinstädtischen Gemeinschaften, in denen weniger der materielle Besitz, als vielmehr der unversehrte Leumund und die persönliche wie familiäre Ehre das oberste Gut darstellten, schaffte dabei eigene öffentliche Rituale der Beschuldigung und der Verteidigung.

Die Hexenfurcht konnte sich auf dem Land und manchmal auch in den Städten zu panikartigen, geradezu massenhysterischen Aktionen gegen angebliche Hexen und Hexenmeister steigern, zweifelten doch im 16. und 17. Jahrhundert nur wenige grundsätzlich an der Existenz der Teufelsdiener. Doch den Zeitgenossen war durchaus bekannt, dass sich der Verdacht nicht immer gegen die tatsächlichen, die ‚wahren Hexen' richtete, sondern dass auch Unschuldige - absichtlich oder unabsichtlich - belangt wurden. Diese komplexen Vorgänge ließen alle Möglichkeiten zu, die Prozesse aus egoistischen Motiven zu nutzen. So war es für Menschen, die tief im Teufels-, Hexen- und Wunderglauben ihrer Zeit verwurzelt waren, gleichwohl möglich, Hexereiverdacht zu steuern und Hexenprozesse zu nutzen und zu instrumentalisieren. RV/RB

Literatur: In diesem Band: Voltmer (Alchimie), Voltmer/Irsigler; Oestmann 2001; Levack 1999; Briggs 1998
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