1. Bedrohte Ordnung
Die Jahrhunderte zwischen 1400 und 1700, in denen Teufelsglaube
und Hexenfurcht das Bewusstsein aller Bevölkerungsschichten
durchdrangen, waren eine Zeit mannigfacher Krisen. Wirtschaftliche
Depressionen, Seuchen und Kriegszüge bedrohten das Leben vieler
Menschen. Ungünstige Klimaverhältnisse führten vor
allem in den Jahrzehnten nach 1560 immer wieder zu Missernten und
ließen die Getreidepreise steigen. Schwere Hungersnöte,
die nicht nur die unteren Bevölkerungsschichten trafen, waren
die Folge. Die Anfälligkeit von Mensch und Vieh für Krankheiten
und Seuchen stieg. Schlechte Ernten, Teuerung und Hunger auf dem
Land trieben beschäftigungslos gewordene Tagelöhner, Knechte
und Mägde in die Städte, wodurch eine wellenartige Verbreitung
von Seuchen und Krankheiten gefördert wurde. Die existentielle
Abhängigkeit des Menschen von der agrarischen Produktion ließ
die Bedrohung der Lebensgrundlage durch Unwetter, Hagel, Blitzschlag,
Ungeziefer, Feuer oder Viehkrankheiten wie auch durch die verheerenden
Folgen der Kriegszüge katastrophenartige Dimensionen annehmen.
Möglichkeiten, die Ursachen des Unglücks zu erforschen
oder technische Mittel, die Gefahren zu bannen, gab es kaum. Der
Mensch war seiner Umwelt oftmals hilflos ausgeliefert.
Die Zeit der Hexenverfolgungen muss auch als
eine Zeit religiöser Krisen gelten. Reformation und Gegenreformation
führten zu einer tiefen Verunsicherung und verstärkten
die seit dem frühen 16. Jahrhundert ohnehin als Massenerscheinung
um sich greifenden Ängste vor dem nahen Ende der Welt. Obwohl
der Mensch fest im christlichen Glauben wurzelte, hatte sich parallel
zur christlichen Vorstellungswelt ein magischer Volksglaube erhalten,
der in Europa bis ins 19. Jahrhundert lebendig blieb. Gottes Schöpfung
und das Weltgericht bildeten den festen Rahmen eines als beseelt
vorgestellten Weltganzen, in dem alles mit allem geheimnisvoll verbunden
war und im Guten wie im Bösen Einfluss auf den Menschen nehmen
konnte. Zur äußeren Bedrohungen der Existenz durch Krankheit,
Unglück und Tod kam die Furcht vor der Bedrohung durch das
Wirken verborgener, dämonischer Kräfte und Mächte,
die für den Menschen ebenso real waren wie das tatsächlich
über ihn hereinbrechende Unglück.
Auch nach dem Ende der Hexenprozesse, als Hexen
und Teufel aus den Köpfen' der aufgeklärten Bildungsschichten
des 18. Jahrhunderts verschwunden waren, bestand der Hexenglaube
fort. Er gehörte insbesondere in ländlichen Regionen bis
weit ins 20. Jahrhundert hinein zur alltagsmagischen Vorstellungswelt
und bewahrte seine Funktion als Erklärungs- und Handlungsmuster
in Krisen- und Konfliktsituationen. Auch aus unserer Gegenwart ist
er nicht völlig verschwunden. SH
Literatur: In
diesem Band: Voltmer (Abläufe), Dies./Irsigler; Lanzinner 2001;
Schormann 2001; Behringer 2000; Freytag 2000a; Lorenz/Bauer 1995;
Scheffler 1994; Chmielewski-Hagius 1994
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