7. Phantasien
Vom 15. bis weit ins 18. Jahrhundert, als die
Hexenverfolgung in Europa legal und Hexerei ein Strafdelikt war,
gewann das Thema "Hexen" großen Einfluss auf die
Kunst und Literatur, der bis ins 20. Jahrhundert andauerte. Besonders
die Bildende Kunst nahm sich des Stoffes an, der mit der Ausgestaltung
von Hexensabbat, Hexenflug und Dämonenwesen der künstlerischen
Einbildungskraft reichlich Nahrung bot. Sowohl die autonomen künstlerischen
Darstellungen als auch die eng mit den schriftlichen Zeugnissen
verbundenen Illustrationen der Traktate und Flugblätter des
16. und 17. Jahrhunderts haben die Vorstellung vom Hexenwesen wesentlich
mitgeprägt. Beide Darstellungstypen können als sich gegenseitig
beeinflussende Manifestationen einer sozialen und emotionalen Realität
aufgefasst werden und sind Teil des Hexerei-Diskurses ihrer Zeit.
Indem sie Aufschluss über virulente Ängste und Phantasien
geben, eröffnen sie einen Zugang zu den Vorstellungen ihrer
jeweiligen Gegenwart. Bemerkenswert ist, dass den Darstellungen
selbst oft nicht zu entnehmen ist, ob sie das Hexenbild affirmativ
bestätigen oder ob sie kritisch zum Hexenglauben Stellung beziehen,
wie es z. B. bei den Textillustrationen zu Ulrich Molitors Von Hexen
und Unholden ) oder Francisco de Goyas Hexenszenen der Fall ist.
Erst die Rekonstruktion des jeweiligen Kontextes kann daher Aufschluss
über den historischen Hintergrund der Darstellungen geben.
Mit der Systematisierung des Hexenwesens im
15. Jahrhundert richtete sich
der Verdacht der Hexerei zunehmend gegen das weibliche Geschlecht,
das aufgrund seiner Natur für die Anfechtungen des Teufels
besonders anfällig sei. Durch Buhlschaft mit dem Teufel erlangt
die ihrem Wesen nach lüsterne Frau magische Macht, um über
eine männerdominierte Gesellschaft durch Impotenz- und Unfruchtbarkeitszauber,
Liebeszauber, Besessenheit und Wetterzauber Verderben zu bringen.
Obwohl das Verdachtsmuster vor allem gegen Ende des 16. und im Verlauf
des 17. Jahrhunderts immer wieder durchbrochen und ebenso Männer
der Hexerei bezichtigt wurden, haben die europäischen Hexenverfolgungen
mehr Frauen als Männer das Leben gekostet. Die Zuspitzung des
Vorwurfs der Hexerei auf die Frauen lässt sich auch an den
bildlichen Darstellungen ablesen.
Viele Künstler der Zeit waren mit den Topoi
der frauenfeindlichen Hexenlehre vertraut, wie sie Heinrich Kramer
(Institoris) und andere vertraten. Vor allem die Lüsternheit
der Hexe regte die Künstler zu erotischen Darstellungen an.
Die nicht für die Öffentlichkeit bestimmten, eindeutig
sexuell konnotierten Hexenszenen spiegeln Männerphantasien,
aber auch -ängste wider. Junge unbekleidete Frauen bieten sich
in aufreizenden erotischen Posen als Objekte der Trieberfüllung
an, während die alten, abstoßend hässlich gezeichneten
Frauen eher das Schreckbild weiblicher Macht verkörpern. Die
Frau wird, um das im Rahmen der christlichen Lehre verdammenswerte,
als sündhaft betrachtete sexuelle Wünschen des Mannes
zu kompensieren, zur Hexe dämonisiert, die das männliche
Begehren erzwingt, um den Mann zu verderben.
Im 19. und 20. Jahrhundert folgen die Hexendarstellungen
zunehmend ästhetischen Überlegungen und lösen sich
vom überkommenen Hexereibegriff, wie er sich im Kontext der
wissenschaftlichen Hexenliteratur herausgebildet hatte. Einzelne
Aspekte werden isoliert und der Akzent ganz allgemein auf eine erotische
oder dämonische Stimmung verschoben. Ende des 19. Jahrhunderts,
im fin de siècle, wird das Bild der Hexe zur erotischen Angst-
oder Wunschphantasie der femme fatale säkularisiert, während
im 20. Jahrhundert das Hexenhafte vollends zur subjektiven Künstlerphantasie
gerät. Als positiv besetzter Gegenentwurf zur bürgerlichen
Welt meint es nur mehr abstrakt im weitesten Sinne das Triebhafte,
Wilde, das nicht selten mit der Natur in eins gesetzt wird. SH
Literatur: Schild
1998; Brauner 1995; Ausst. Kat. Karlsruhe 1994; Ausst. Kat. Brüssel
1989; Davidson 1988; Schade 1983; Stelzl 1983; Ausst. Kat. Paris
1973
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