Die Fotografie der 20er Jahre erlaubte die Reproduktion der Wirklichkeit mit zuvor unerreichter Beweiskraft. Die Fotografen der Neuen Sachlichkeit orientierten sich am Objekt selbst, das die Maler der Avantgarde schrittweise in abstrakte Form- und Farbflächenaufgelöst hatten.

Voraussetzungen für die neue fotografische Ästhetik waren Verbesserungen der Apparate und Bildmaterialien. Standardisierung und Verkleinerung von Filmen und Gehäusen machten das Fotografieren in der Bevölkerung populär.

Durch die zunehmende Zahl von illustrierten Zeitungen verschob sich die Bedeutung des fotografischen Bildes. Dieses bekam einen selbständigen Nachrichtenwert. Unternehmen erkannten den Vorteil fotografischer Werbung und gehörten zu den aktivsten Förderern des "Neuen Sehens". Die Industriefotografie brachte auf modernste Weise die Schönheit der Form mit der wirtschaftlichen Leistung der Unternehmen in enge sinnfällige Verbindung.


 

"Sie kennen genau meine Meinung hinsichtlich der Fotografie. Ich würde es gerne sehen, wenn sie die Leute zur Verachtung der Malerei bringt, bis dann etwas anderes die Fotografie unerträglich macht."

(Marcel Duchamp, Antwort auf die Umfrage von Alfred Stieglitz "Kann eine Fotografie die Bedeutung eines Kunstwerks haben?", in: Manuscripts, Dezember 1922)

 

 

 

 

 

Albert Renger-Patzsch (Würzburg 1897 - 1966 Wamel)
1. Kauper, 1927
Vintage print, Silbergelatine, 23 x 17
Sammlung Ann und Jürgen Wilde, Sprengel Museum Hannover, Inv. D 3699

2. Landschaft bei Essen, im Hintergrund die Zeche "Rosenblumendelle", 1928/29
Vintage print, Silbergelantine, 27,7 x 37,9
Aachen, Kunst aus Nordrhein-Westfalen, Inv. KM 1278

Das Thema Industrie und Technik bildete zunächst in den 20er und 30er Jahren einen zentralen Aspekt im Werk von Albert Renger-Patzsch. Die Aufnahme Kauper (Kat. Nr. 125.1) zeigt einen Ausschnitt von einem der Hochöfen der Metallhütte Herrenwyk bei Lübeck, die 1907 an der unteren Trave mit zwei Hochöfen in Betrieb genommen wurde. ›Kauper‹ bezeichnet eine spezielle Bauart eines Winderhitzers am Hochofen, die nach dem englischen Erfinder Edward Alfred Cowper benannt wurde. Isoliert aus dem Kontext des Hochofenwerks konzentriert sich der eng gewählte Bildausschnitt auf den Schlot - flankiert von den Winderhitzern. Die architektonischen Formen, die durch die extreme Untersicht in ihrer steil aufragenden Erscheinung gesteigert werden, erscheinen im Gegensatz zu der Aufnahme von Germaine Krull (Kat. Nr. 124.1) in ihrem Aufbau statisch und sind genau in den Bildraum eingepasst. Kauper wurde in Renger-Patzschs Fotobuch Die Welt ist schön von 1928 unter der Rubrik ›Symbol‹ abgebildet. Durch Anschauung eines charakteristischen Ausschnitts sollte das Teilstück für das Ganze gesetzt, als Sinnbild erkannt und durch die Reduktion in seiner symbolhaltigen Einprägsamkeit gesteigert werden.

Diese Konzeption von Sachlichkeit, die die Gegenstände isolierte und mit einem Pathos der Erhabenheit ausstattete, weitete sich mit den Landschaftsaufnahmen vom Ruhrgebiet, die im Auftrag der Industrie entstanden, zu einer historischen Bestandsaufnahme. Illusionslos - oft melancholisch im Ausdruck - porträtierte Renger-Patzsch die Region und die Folgen von Zersiedelung, Konjunktur und Krise. Die industrielle Topographie zwischen den Städten wird dabei zur Metapher für die alles verändernde Kraft der Industrialisierung. Wie bei den Architektur- oder Maschinenaufnahmen spielen auch hier das Detail und der Raum bei der Wahl des Bildausschnitts eine entscheidende Rolle. Die räumlich wie ein Diorama ausgearbeitete, karge Landschaft bei Essen mit der Zeche "Rosenblumendelle" am Bildhorizont (Kat. Nr. 125.2) wirkt wie ein Guckkastenbild oder Interieur, dessen perspektivisch konstruierter Raum das ganze Bild erfasst. Die materielle Beschaffenheit von Erde, Schotter und Gras ist präzise wiedergegeben, Bäume, Häuser und Strommasten erscheinen isoliert nebeneinander angeordnet.

Die Aufnahmen Renger-Patzschs, die in der Regel den Menschen als Bezugspunkt ausschließen, stellen einen Ausschnitt der Wirklichkeit dar, der in seiner Auswahl von architektonisch-räumlichen Überlegungen bestimmt wird, die den Bildern letztlich ihre gliedernde Struktur geben. Unabhängig von der Wahl des Sujets konzentrierte sich Renger-Patzsch auf den formalen Aspekt und die materiellen Qualitäten der Objektwelt - objektiv und zeitlos galt es, diese mittels des Apparats zu fixieren, mit dem Ziel, den der Natur zugrunde liegenden Bauplan sichtbar zu machen. BS

 

 

Panoramaaufnahme des Ausstellungsraums:


 

Sie benötigen Quicktime VR, um die 360° Panoramen auf Ihrem Bildschirm betrachten zu können.
Klicken Sie auf die einzelnen Panoramabilder, um eine interaktives Panoramabild zu erhalten.

 

 

 

 

DIE ZWEITE SCHÖPFUNG-
Bilder der industriellen Welt vom
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Eine Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums


31. Juli bis 21 Oktober 2002
im Martin-Gropius-Bau

Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel.: 030/ 25486-0
Stadtplan-Link (www.berlin.de)


Öffnungszeiten

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr

Verkehrsverbindungen
S- und U-Bahn Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof
Bus 200, 248, 348 Haltestelle Potsdamer Platz
Bus 129 Haltestelle Anhalter Bahnhof

Eintritt
6 ,- € incl. Audioführung, ermäßigt: 4,-€