Die Dampfmaschine sorgte an jedem Standort für Antriebsenergie; sie machte die Fabriken von Wind- und Wasserkraft unabhängig. Dies führte - zuerst in England - zur Verstädterung der Industrie. Die Unternehmen konzentrierten sich an verkehrsgünstig gelegenen, mit Kohle- und Erzvorkommen gesegneten Produktionsstandorten.

Die Zeitgenossen gewannen den Eindruck, daß in den Fabrikstädten die Gewalten der Industrie mit denen der Natur konkurrierten. Der Essayist Thomas Carlyle verglich das Rauschen der Spindeln in den Spinnereien von Manchester mit dem Donnern der Niagara-Fälle.

Die Verstädterung der Industrie hatte Konsequenzen für die Kunst: Die dargestellten Fabriken beherrschen den Bildraum nun vollständig; sie werden nicht mehr durch Bäume, Wiesen oder Flüsse, sondern durch Rohre, Abraumhalden oder Bahntrassen eingerahmt. Diese Tendenz zeigte sich zuerst bei Aquarell und Druckgraphik.


 

Hast thou heard, with sound ears,
the awakening of a Manchester,
on Monday morning,
at half-past five by the clock;
the rushing-off of its thousand mills,
like the boom of an Atlantic tide,
ten-thousand times ten-thousand spools and spindles
all set humming there, -
it is perhaps, if thou knew it well,
sublime as a Niagara, or more so.

Thomas Carlyle, Chartism, 1839

 

 

 

 

 

 

 

Thomas Hornor (Hull 1785 - um 1844)
Walzwerk, Merthyr Tydfil (Rolling Mills, Merthyr Tydfil), um 1817
Aquarell, 28 x 48
Cardiff, The National Museum & Gallery of Wales, Inv. NMW A 3553

Hornor schuf zwischen 1817 und 1819 sieben aufwendige Alben mit Ansichten aus dem Süden von Wales. Die offenbar für einen wohlhabenden Abnehmerkreis bestimmten Bände enthielten jeweils den gleichen Satz an Aquarellen, die der Künstler manuell reproduzierte.
In Merthyr Tydfil (Glamorgan) siedelten sich vier Unternehmen an, die mit Hilfe des Puddelverfahrens schmiedefähiges Eisen herstellten. In Walzwerken und Gießereien produzierten sie daraus Schienen, Zahnräder und andere Erzeugnisse. Hornor wählte für sein Aquarell das 1784 gegründete Eisenwerk von Penydarren aus.

Der Künstler betont die große Ausdehnung des Fabrikhofs, indem er ihn aus der Froschperspektive darstellt. Ähnlich wie beim Walzwerk in Lendersdorf (Kat. Nr. 58), das nach britischen Vorbildern konzipiert wurde, ist die Längsfassade nicht geschlossen, sodass ein Blick auf die Walzgerüste möglich wird. Der von der Fabrik in den Nachthimmel ausstrahlende Feuerschein, der nur durch die harten Schatten der Dachstützen und Schornsteine gebrochen wird, symbolisiert die Beherrschung der Naturgewalten durch den Menschen, die "neu- und fremdartige Erhellung der Welt" (Klaus Herding). Tagsüber wirkte das von hochgradig kontaminierten Produktionsrückständen umgebene Eisenwerk keineswegs malerisch. Hornors Kollege John George Wood beschrieb die Fabrik- und Wohnanlagen von Merthyr Tydfil 1813 als "smoking ruins of same vast city, a prey to the devouring element". AS

Wood 1813, Bd. 2, S. 59 (Zitat); Klingender [1947] 1974, S. 115f.; Wagner 1979, S. 89-92; Herding 1987, S. 450 (Zitat); Paulinyi 1991, S. 385.
Bibliographie

 

Penry Williams (Merthyr Tydfil 1798 - 1885 Rom)
Das Eisenwerk von Cyfarthfa bei Nacht (Cyfarthfa Ironworks at Night), 1825
Aquarell, 15,2 x 21,5
Merthyr Tydfil, Cyfarthfa Castle Museum & Art Gallery, Inv. CCM 1048.995

Die Familie Crawshay, die seit drei Generationen führend in der walisischen Eisenindustrie tätig war, suchte einen Maler, der die künstlerische Dokumentation ihres Besitzes übernehmen konnte. Ihre Wahl fiel auf Perry Williams, den Sohn eines Fassadenmalers in Merthyr Tydfil, der durch seine zeichnerische Begabung auf sich aufmerksam gemacht hatte. Der junge Mann, der zuvor selbst als Fabrikarbeiter tätig gewesen war, wurde 1822 zur Ausbildung an die Royal Academy in London geschickt. Ab 1827 finanzierten ihm seine Gönner einen längeren Italienaufenthalt.
Das Eisenwerk von Cyfarthfa, eines der vier in Merthyr Tydfil entstandenen Unternehmen, existierte seit 1765 und befand sich seit 1794 im alleinigen Besitz von Richard Crawshay. Als er 1810 starb, war Cyfarthfa der größte


Eisenproduzent Großbritanniens, wahrscheinlich sogar der Welt. Im Auftrag der Erben malte Williams das Walzwerk, eine geräumig wirkende Halle mit einer für die damalige Zeit sehr fortschrittlichen eisernen Dachkonstruktion. Die für die Herstellung des Stabeisens benötigten Walzgerüste sind links und in der Mitte im Hintergrund zu sehen. Rechts befindet sich ein Puddelofen. Die - im eigenen Werk produzierten - Architekturelemente nehmen einen ebenso prominenten Platz ein wie der Arbeitsvorgang. Von der Dynamik des Produktionsprozesses ist in dieser nüchternen Darstellung, die die Rationalität unternehmerischen Handelns betont, nur wenig zu spüren. AS

Wagner 1979, S. 94-97; Atkinson/Barber 1987, S. 49f.
Bibliographie

 

 

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DIE ZWEITE SCHÖPFUNG-
Bilder der industriellen Welt vom
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Eine Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums


31. Juli bis 21 Oktober 2002
im Martin-Gropius-Bau

Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel.: 030/ 25486-0
Stadtplan-Link (www.berlin.de)


Öffnungszeiten

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr

Verkehrsverbindungen
S- und U-Bahn Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof
Bus 200, 248, 348 Haltestelle Potsdamer Platz
Bus 129 Haltestelle Anhalter Bahnhof

Eintritt
6 ,- € incl. Audioführung, ermäßigt: 4,-€