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EINLEITUNG

Seit einigen Jahren ist der Begriff »Nation« wieder in aller Munde. Das hat wohl damit zu tun, daß sich mit dem Fall des »Eisernen Vorhangs« und dem Zusammenbruch der Nachkriegsordnung die Menschen verstärkt der Frage zuwandten, was denn ihr eigenes Land in dem vielbesprochenen europäischen Zusammenhang darstelle. Nicht nur auf Politik und Wirtschaft, sondern auch und vor allem auf die Geschichte kam die Frage nach den konstituierenden Elementen der Nation zu.

Nationen sind keine naturwüchsigen Gebilde; sie müssen vielmehr als Ergebnisse politischer Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Wandels und kultureller Veränderungen begriffen werden. Nation ist mit Ernest Renan »eine große Solidargemeinschaft, getragen von dem Gefühl der Opfer, die man gebracht hat, und der Opfer, die man noch zu bringen gewillt ist. Sie setzt eine Vergangenheit voraus und muß in der Gegenwart zu einem greifbaren Faktor zusammenzufassen sein: der Übereinkunft, dem deutlich ausgesprochenen Wunsch, das gemeinsame Leben fortzusetzen.«

Die Vergewisserung einer gemeinsamen Geschichte ist demnach ein gewichtiges Element für das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl und für die kollektive Identität. Doch diese geschichtliche Identität konstituiert sich aus erfundener, erträumter, konstruierter Tradition.

In allen Nationen wurden mit historischen, nicht selten legendenhaft ausgeschmückten Ereignissen Brücken von der Vergangenheit zur Gegenwart geschlagen. Mit Aufständen und Revolutionen, mit Schlachten und Kriegen, mit Siegen und Niederlagen wurde eine scheinbar von jeher vorhandene, die nationale Gemeinschaft bestimmende Sehnsucht nach nationaler Unabhängigkeit, staatlicher Souveränität sowie kollektiver und individueller Freiheit begründet.

Selbstbestimmung und Freiheitsdrang, Kriege, aber auch das Christentum dienten zur Versicherung der nationalen Identität. Nicht zuletzt ist es die Suche nach dem Ursprung, nach dem Anfang und dem nationalen Herkommen, die alle Nationen beschäftigte, und die als Beginn der nationalen Existenz angesehenen Ereignisse verdeutlichen die Irrealität des Konstruktes »Nation«.

Die Ausstellung vergleicht die Geschichtsmythen von 16 europäischen Nationen im 19. Jahrhundert zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg. Sie konzentriert sich dabei vor allem auf die bildende Kunst; sie widmet sich aber auch dem Kunstgewerbe und der Volkskunst, den Schulbüchern oder den illustrierten Geschichten, die in besonderer Weise für die Verankerung der nationalen Geschichtsbilder im kollektiven Bildgedächtnis verantwortlich waren.

Das 19. Jahrhundert brachte zwar das Nationalbewußtsein hervor, aber nicht immer den Nationalstaat. Wenn wir also von polnischer, tschechischer oder österreichischer Nation sprechen, werden wir der Staatlichkeit des 19. Jahrhunderts nur bedingt gerecht. Trotzdem haben wir uns entschieden, den heute geläufigen Namen zu wählen, zumal sich in ihm das im 19. Jahrhundert entstandene und sich entwickelnde nationale (Selbst-) Bewußtsein widerspiegelt.

Zu unserem Bedauern muß Rußland in dieser Ausstellung fehlen, da die Leihgebühren für einzelne Objekte unser Ausstellungsbudget überstiegen. In diesem Zusammenhang verweisen wir unsere Besucherinnen und Besucher auf den Begleitband zur Ausstellung.

Aus technischen Gründen ist das Internet nicht in der Lage, eine Fülle von Sonderzeichen zu erkennen. Wir bitten die Leser dieser Seiten, diesen Umstand zu entschuldigen.

Falls wir nicht alle Rechtsinhaber ermittelt haben, haben diese die Möglichkeit, sich an das Deutsche Historische Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin zu wenden.

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