Die Ausstellung widmet sich folgenden
Themen:
I. Arbeit und Handwerk
II. Hinter der Front 1916
III. Die Revolution 1918/19
IV. Straßenleben und Verkehr
V. Die Weimarer Republik 1918–1933
VI. Das Ende der Demokratie 1932/33
VII. Notzeiten • Inflation 1918–1923
VIII. Hofmusik • Ambulantes Gewerbe
IX. Kinder auf der Straße
X. Geschäftsleben
XI. Das alte Berlin
XII. Die moderne Großstadt
XIII. Die neue Zeit
XIV. Hinaus ins Grüne
XV. Berlin in Trümmern
XVI. Persönlichkeiten
XVII. Unterwegs in Europa
I. Arbeit und Handwerk
Aussterbendes Handwerk
„Berlins letzte Nagelschmiede,
Nagelschmied am Amboss.“
Berlin, 1925 ©
ABZ
|
Willy Römer ist im Handwerkermilieu am nördlichen
Rand der Berliner Innenstadt aufgewachsen. Alle
seine Vorfahren waren Handwerker. Er selbst begann
1903 als Fünfzehnjähriger seine Lehre
bei der Berliner Illustrations-Gesellschaft.
Das war die erste Bildagentur in Deutschland,
die eigens zur Herstellung von Pressefotos gegründet
worden war. Zeitlebens hat Willy Römer sich
für die handwerkliche Arbeit und das Kleingewerbe
interessiert. Weit über das hinaus, was er
den Zeitungen anbieten konnte, dokumentierte er
die Arbeit in den Werkstätten. Er besuchte
Betriebe, von denen er wusste, dass sie die letzten
ihrer Art waren. |
II. Hinter der Front 1916
Im Ersten Weltkrieg war Willy Römer
von 1915 bis 1918 als Soldat an verschiedenen Fronten
eingesetzt. Als er 1916 in Russisch-Polen stationiert
war, konnte er bei längeren Kampfpausen die Truppe
verlassen und die Bauern in den umliegenden Dörfer
besuchen. Mitten im Krieg konnte er das Leben der Landbevölkerung
dokumentieren. Sein besonderes Interesse galt der Arbeit
und den Kindern. Es sind über 200 Negative aus
dem Dorfleben erhalten und noch einmal über 100
von Straßen- und Marktszenen in den jüdisch
geprägten Vorstädten von Warschau. Diese Fotos
sind noch nie veröffentlicht worden, sie werden
hier zum ersten Mal gezeigt.
III. Die Revolution 1918/19
Revolution in Berlin
Bewaffnete Arbeiter und Soldaten
vor
dem Marstallgebäude.
Berlin, 6. Januar 1919 ©
ABZ |
Als Willy Römer im November 1918 aus dem Krieg heimkehrte,
war in Berlin bereits die Revolution im Gange.
Römer nahm mit seiner Plattenkamera als Beobachter
daran teil. Gleichzeitig übernahm er von
einem Kollegen die Pressebildfirma Photothek.
Er dokumentierte die Gefechte um das Berliner
Stadtschloss zu Weihnachten 1918, die Januarkämpfe
1919 (die später von den Siegern als „Spartakusaufstand”
bezeichnet wurden) und den blutigen Bürgerkrieg
von oben im März 1919. Dabei geriet er selbst
mehrfach in Gefahr. Einmal hat er seine eigene
Verhaftung fotografiert, konnte aber das Negativ
retten. Insgesamt hat Römer von den Ereignissen
in Berlin über 200 Aufnahmen angefertigt.
Einige davon sind zu Sinnbildern der Revolution
geworden. |
IV. Straßenleben
und Verkehr
Zweisitziges Fahrrad eines Berliner
Konstrukteurs
Berlin, 1919 ©
ABZ |
Geboren am Silvesterabend 1887,
war Willy Römer ein Sohn des 19. Jahrhunderts.
In seiner Kindheit hatte es keine Autos, keine
elektrischen Straßenlaternen, keine U- und
S-Bahnen gegeben. Das Transportwesen wurde von
Pferdefuhrwerken und Handkarren beherrscht. Der
Verkehr lief – verglichen mit heute –
gemächlich. Um die Jahrhundertwende setzte
die Beschleunigung des Großstadtverkehrs
und die Beleuchtung des großstädtischen
Lebens ein. Willy Römer erlebte und dokumentierte
den Übergang vom Pferd zum Auto. Er hatte
seinen Spaß an der Vielfalt der oft skurrilen
Fahrzeuge „Marke Eigenbau” und an
den Neuerungen im Verkehrswesen. |
V. Die Weimarer Republik
1918–1933
Willy Römer kann heute als Bildchronist
der Weimarer Republik gelten. Er hat die Geschichte
dieser ersten deutschen Demokratie von der Nationalversammlung
in Weimar 1919 bis zum Reichstagsbrand 1933 begleitet
und auf Glasnegativen dokumentiert. Während die
Bildbestände und Negativ-Nachlässe vieler
seiner Kollegen (zum Beispiel die der Pressefotografen
Wilhelm Braemer, Walter Gircke, Alfred Groß, Otto
Haeckel, Willi Ruge oder Hans Wolter) in den Bombenächten
der Jahre 1943 bis 1945 vernichtet oder danach verstreut
wurden, konnte das fotografische Werk von Willy Römer
bis heute geschlossen gerettet werden.
VI. Das Ende der Demokratie
1932/33
Das Ende der Weimarer Republik war
gleichzeitig das Ende der Pressebildfirma Photothek,
die Willy Römer seit 1920 gemeinsam mit seinem
Kompagnon Walter Bernstein betrieb. Walter Bernstein
war jüdischer Abstammung. Die NS-Regierung verbot
der deutschen Presse, Fotos von so genannten „Judenfirmen”
zu beziehen. Damit war auch Römers wirtschaftliche
Existenz vernichtet. Er musste die Firmenräume
aufgeben und in eine kleinere Wohnung umziehen. Walter
Bernstein erhielt Berufsverbot, konnte aber im Hinterzimmer
einer befreundeten Firma noch eine Weile illegal arbeiten
bis er 1938 starb. Willy Römer wurde im Zweiten
Weltkrieg nach Posen dienstverpflichtet und musste dort
für die Gau-Zeitung jener Partei arbeiten, die
ihn Jahre vorher um seine Existenz gebracht hatte.
VII. Notzeiten •
Inflation 1918–1923
Schon während des Krieges hatte
die Berliner Bevölkerung hungern müssen. Nach
der Niederlage verschärften sich die Ernährungskrise
und die soziale Not. Im Umland von Berlin mussten die
Felder bewacht werden, auch die Lebensmitteltransporte
benötigten militärischen Geleitschutz. Willy
Römer fotografierte den Kampf der Menschen um das
tägliche Brot, die Suche nach Brennmaterial und
die Plünderung von unbewachten Transporten. 1923
dokumentierte er die Folgen der galoppierenden Geldentwertung
und schließlich die Geldvernichtung. Darüber
hinaus war er Augenzeuge der politischen Ereignisse,
der Demonstrationen und Kundgebungen, sowohl des rechtsradikalen
Umsturzversuches vom März 1920 (Kapp-Putsch) als
auch des kommunistischen Hamburger Aufstandes von 1923.
VIII. Hofmusik •
ambulantes Gewerbe
„Der Gänsehirt ist
da!“
Artist mit hölzernen
Gänsen und
Drehorgelspieler im Hinterhof.
Berlin, 1930 © ABZ |
Willy Römer
war von kleiner Statur. Mit seiner großen
Handkamera konnte er trotzdem nicht übersehen
werden. Vermutlich hatte er keine Probleme, mit
fremden Menschen zu reden, mit Menschen, die wie
er als Händler und Gewerbetreibende, Gaukler
und Straßenmusikanten, Leierkastenmänner
und Obstverkäufer ihr Brot auf der Straße
zu verdienen versuchten. Er dürfte mit ihnen
gesprochen haben, um sie für eine Aufnahme
zu gewinnen und sie als Darsteller einer Situation
ins Bild zu setzen. |
IX. Kinder auf der Straße
Berliner Jungen auf der Suche
nach Lebensmitteln
Berlin, 1919 ©
ABZ |
Willy Römers besonderes Interesse galt den Kindern.
Die auf den Straßen und in den Höfen
von Berlin spielenden Kinder mögen ihn an
seine eigene Kindheit erinnert haben. Die Bilder
zeigen, dass es für Kinder bis in die dreißiger
Jahre des 20. Jahrhunderts noch möglich war,
auf den Straßen zu spielen. Die Straße
war für Großstadtkinder ein Lernraum,
in dem sie etwas über die Stadt und die Gesellschaft
erfahren konnten, in dem sie etwas für ihr
Leben lernten. Was dem heutigen Betrachter mitunter
idyllisch vorkommt, beschreibt allerdings auch
einen Mangel: die Wohnungsnot und das Fehlen von
Kindergärten, von Spiel- und Sportplätzen. |
X. Geschäftsleben
Fischer beim Verkauf von
Silvester-Karpfen an der Spree
Berlin, 1930 ©
ABZ |
Städte entstanden im Mittelalter oft an Märkten
und an Flussübergängen. So war auch
Berlin an der Furt einer Fernhandelsstraße
über die Spree gegründet worden. Die
kleinen Läden und die großen Warenhäuser,
die Wochenmärkte und die fliegenden Händler
bildeten gemeinsam das Wirtschaftsleben der großen
Stadt, das Willy Römers mit seiner Kamera
festhielt. Sein besonderes Augenmerk galt den
ältesten Geschäften und denen, über
die es etwas zu erzählen gab. Zwar hat er
auch Innenräume von Banken und Börsen
fotografiert, sein eigentliches Feld blieb jedoch
die Straße und der Handel unter freiem Himmel. |
XI. Das alte Berlin
|
Auch
Berlin hatte einmal eine Altstadt, wie alle kleinen
Provinz-Residenzen in Deutschland. Nachdem daraus
ab 1871 die Hauptstadt eines Kaiserreiches geworden
war, wurden die niedrigen Wohnhäuser und
die barocken Stadtpaläste schrittweise abgerissen
und durch hohe Verwaltungsbauten oder Geschäftshäuser
ersetzt. Viele Bürger sahen das mit Wehmut,
es entstand eine „Altstadt-Nostalgie”.
Willy Römer dokumentierte, was zu seiner
Zeit noch an historischen Bauten aus der Zeit
vor 1870 übrig geblieben war. 1936 wurde
– zeitgleich mit Römers Pressebildfirma
– auch die älteste Gasse Berlins, der
Krögel liquidiert. Willy Römer fotografierte
den Abriss. |
Alt-Berlin.
Besucher des Krögelhofs blicken auf die Sonnenuhr
Berlin, 1905 ©
ABZ |
XII. Die moderne Großstadt
Dachgarten des Warenhauses
Karstadt am Hermannplatz,
Blickrichtung Norden.
Berlin, 1930 ©
ABZ |
Anfang des 20. Jahrhunderts wandelte sich Berlin allmählich
zur modernen Großstadt. Seit der Jahrhundertwende
war mit der Stadterweiterung auch der Massenverkehr
ausgebaut worden. Verspätet folgte auch in
Berlin die moderne Architektur mit den ersten
Hochhäusern, die uns heute bescheiden vorkommen,
damals aber jedes Mal eine Bildnachricht wert
waren. Der fremdartige Anblick der modernen Architektur
mit ihren glatten Fassaden und großen Fensterfronten
bot einen Aufmerksamkeit erregenden Kontrast zum
Stuck und Dekor der Gründerzeitbauten. Willy
Römer suchte die Vergnügungsstätten,
Sportpaläste und Rennbahnen auf. Er fotografierte
alles, was im Großstadtleben als amerikanisch,
also modern, erschien. |
XIII. Die neue Zeit
Seit der Jahrhundertwende wurden die
Menschen in den großen Städten ständig
mit Neuerungen konfrontiert. Telefon und Telegrafie,
Rundfunk und Film, Autoverkehr und Schnellbahnen verlangten
den Menschen Umstellung und Anpassung ab. Frauen emanzipierten
sich und ergriffen Berufe, die bis dahin Männern
vorbehalten gewesen waren. Jede Neuigkeit wurde von
den Pressefotografen aufmerksam registriert und in den
Zeitungen diskutiert. Auch Willy Römer war von
den Neuerungen fasziniert, vor allem von der Entwicklung
der Luftfahrt.
XIV. Hinaus ins Grüne
Berlin war seit den Gründerjahren
nicht nur Reichshauptstadt, sondern auch Industriemetropole
und galt bald als „die größte Mietskasernenstadt
der Welt”. Die Wohnungsverhältnisse waren
katastrophal. Heinrich Zille stellte fest: „Man
kann einen Menschen mit einer Axt erschlagen, aber man
kann ihn auch mit einer Wohnung erschlagen.” Am
Sonntag, für die Arbeiter der einzige freie Wochentag,
strömten die Großstadtbewohner hinaus ins
Grüne, um Licht, Luft und Sonne zu genießen.
Willy Römer hat sie mit der Kamera begleitet: Kinderscharen
beim Planschen, Jugendliche beim Baden, Wanderer im
Grunewald, überfüllte Dampfer und Vorortzüge,
Schrebergärten und Entefeste.
XV. Berlin in Trümmern
Als Willy Römer im Januar 1945
nach Berlin zurückkehrte, lagen Teile der Stadt
schon in Schutt und Asche. Er erlebte am 3. Februar
1945 die Vernichtung seines früheren Wirkungsfeldes,
des Berliner Zeitungsviertels und die Bombardierung
mehrerer Häuser in seiner Nachbarschaft. Das Haus,
in dem er selbst mit Frau und Tochter wohnte, wurde
zwar von den Bomben verschont, aber durch die Erschütterungen
stürzte in seinem Flur ein Regal mit Glasnegativen
um. „Platte zerbombt” steht deshalb auf
der Rückseite mancher Fotos.
XVI. Persönlichkeiten
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Im
Nachlass des Fotografen finden sich über
7.000 Porträts von Persönlichkeiten
der Zeit, die zwischen 1918 und 1933 von Willy
Römer und den Mitarbeitern seiner Firma Photothek
aufgenommen wurden. Viele der Porträtierten
mögen damals vielleicht wichtig gewesen sein,
inzwischen sind sie überwiegend vergessen.
Andere wurden weltberühmt. Wir zeigen eine
Auswahl der von Willy Römer selbst aufgenommenen
Porträts. |
Alice Salomon
(1872-1948), Ökonomin, Sozialpädagogin,
Gründerin der Sozialen Frauenschule in Berlin-Schöneberg
Berlin, 1923 ©
ABZ |
XVII. Unterwegs in Europa
Willy Römer hatte als junger Mann
zwischen 1908 und 1912 bei seinem Lehrherrn Karl Delius
in Paris gearbeitet. In den zwanziger Jahren besuchte
er viele deutsche und europäische Groß- und
Kleinstädte, um dort die prominenten Gebäude,
das Leben und Treiben auf den Straßen zu fotografieren.
Alkmaar und Amsterdam, Danzig und Kopenhagen, Hamburg
und Leipzig, Würzburg und Wittenberg und viele
kleinere Orte hat er in den zwanziger Jahren besucht
und fotografiert.
ABZ: Agentur für Bilder zur Zeitgeschichte
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