Ausstellungen

 

REIHE "FOTOGALERIE IM PEI-BAU"

Auf den Straßen von Berlin
Der Fotograf Willy Römer 1887 - 1979

Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums
Ansprechpartner DHM: Dr. Dieter Vorsteher

27. Oktober 2004 bis 27. Februar 2005
in der Ausstellungshalle von I.M.Pei

 

Die Ausstellung widmet sich folgenden Themen:

I. Arbeit und Handwerk
II. Hinter der Front 1916
III. Die Revolution 1918/19
IV. Straßenleben und Verkehr
V. Die Weimarer Republik 1918–1933
VI. Das Ende der Demokratie 1932/33
VII. Notzeiten • Inflation 1918–1923
VIII. Hofmusik • Ambulantes Gewerbe
IX. Kinder auf der Straße
X. Geschäftsleben
XI. Das alte Berlin
XII. Die moderne Großstadt
XIII. Die neue Zeit
XIV. Hinaus ins Grüne
XV. Berlin in Trümmern
XVI. Persönlichkeiten
XVII. Unterwegs in Europa


I. Arbeit und Handwerk


Aussterbendes Handwerk
„Berlins letzte Nagelschmiede, Nagelschmied am Amboss.“
Berlin, 1925 © ABZ

Willy Römer ist im Handwerkermilieu am nördlichen Rand der Berliner Innenstadt aufgewachsen. Alle seine Vorfahren waren Handwerker. Er selbst begann 1903 als Fünfzehnjähriger seine Lehre bei der Berliner Illustrations-Gesellschaft. Das war die erste Bildagentur in Deutschland, die eigens zur Herstellung von Pressefotos gegründet worden war. Zeitlebens hat Willy Römer sich für die handwerkliche Arbeit und das Kleingewerbe interessiert. Weit über das hinaus, was er den Zeitungen anbieten konnte, dokumentierte er die Arbeit in den Werkstätten. Er besuchte Betriebe, von denen er wusste, dass sie die letzten ihrer Art waren.

 

II. Hinter der Front 1916

Im Ersten Weltkrieg war Willy Römer von 1915 bis 1918 als Soldat an verschiedenen Fronten eingesetzt. Als er 1916 in Russisch-Polen stationiert war, konnte er bei längeren Kampfpausen die Truppe verlassen und die Bauern in den umliegenden Dörfer besuchen. Mitten im Krieg konnte er das Leben der Landbevölkerung dokumentieren. Sein besonderes Interesse galt der Arbeit und den Kindern. Es sind über 200 Negative aus dem Dorfleben erhalten und noch einmal über 100 von Straßen- und Marktszenen in den jüdisch geprägten Vorstädten von Warschau. Diese Fotos sind noch nie veröffentlicht worden, sie werden hier zum ersten Mal gezeigt.


III. Die Revolution 1918/19


Revolution in Berlin
Bewaffnete Arbeiter und Soldaten vor
dem Marstallgebäude.

Berlin, 6. Januar 1919 © ABZ
Als Willy Römer im November 1918 aus dem Krieg heimkehrte, war in Berlin bereits die Revolution im Gange. Römer nahm mit seiner Plattenkamera als Beobachter daran teil. Gleichzeitig übernahm er von einem Kollegen die Pressebildfirma Photothek. Er dokumentierte die Gefechte um das Berliner Stadtschloss zu Weihnachten 1918, die Januarkämpfe 1919 (die später von den Siegern als „Spartakusaufstand” bezeichnet wurden) und den blutigen Bürgerkrieg von oben im März 1919. Dabei geriet er selbst mehrfach in Gefahr. Einmal hat er seine eigene Verhaftung fotografiert, konnte aber das Negativ retten. Insgesamt hat Römer von den Ereignissen in Berlin über 200 Aufnahmen angefertigt. Einige davon sind zu Sinnbildern der Revolution geworden.

IV. Straßenleben und Verkehr

Zweisitziges Fahrrad eines Berliner Konstrukteurs
Berlin, 1919 © ABZ
Geboren am Silvesterabend 1887, war Willy Römer ein Sohn des 19. Jahrhunderts. In seiner Kindheit hatte es keine Autos, keine elektrischen Straßenlaternen, keine U- und S-Bahnen gegeben. Das Transportwesen wurde von Pferdefuhrwerken und Handkarren beherrscht. Der Verkehr lief – verglichen mit heute – gemächlich. Um die Jahrhundertwende setzte die Beschleunigung des Großstadtverkehrs und die Beleuchtung des großstädtischen Lebens ein. Willy Römer erlebte und dokumentierte den Übergang vom Pferd zum Auto. Er hatte seinen Spaß an der Vielfalt der oft skurrilen Fahrzeuge „Marke Eigenbau” und an den Neuerungen im Verkehrswesen.

 

V. Die Weimarer Republik 1918–1933

Willy Römer kann heute als Bildchronist der Weimarer Republik gelten. Er hat die Geschichte dieser ersten deutschen Demokratie von der Nationalversammlung in Weimar 1919 bis zum Reichstagsbrand 1933 begleitet und auf Glasnegativen dokumentiert. Während die Bildbestände und Negativ-Nachlässe vieler seiner Kollegen (zum Beispiel die der Pressefotografen Wilhelm Braemer, Walter Gircke, Alfred Groß, Otto Haeckel, Willi Ruge oder Hans Wolter) in den Bombenächten der Jahre 1943 bis 1945 vernichtet oder danach verstreut wurden, konnte das fotografische Werk von Willy Römer bis heute geschlossen gerettet werden.


VI. Das Ende der Demokratie 1932/33

Das Ende der Weimarer Republik war gleichzeitig das Ende der Pressebildfirma Photothek, die Willy Römer seit 1920 gemeinsam mit seinem Kompagnon Walter Bernstein betrieb. Walter Bernstein war jüdischer Abstammung. Die NS-Regierung verbot der deutschen Presse, Fotos von so genannten „Judenfirmen” zu beziehen. Damit war auch Römers wirtschaftliche Existenz vernichtet. Er musste die Firmenräume aufgeben und in eine kleinere Wohnung umziehen. Walter Bernstein erhielt Berufsverbot, konnte aber im Hinterzimmer einer befreundeten Firma noch eine Weile illegal arbeiten bis er 1938 starb. Willy Römer wurde im Zweiten Weltkrieg nach Posen dienstverpflichtet und musste dort für die Gau-Zeitung jener Partei arbeiten, die ihn Jahre vorher um seine Existenz gebracht hatte.


VII. Notzeiten • Inflation 1918–1923

Schon während des Krieges hatte die Berliner Bevölkerung hungern müssen. Nach der Niederlage verschärften sich die Ernährungskrise und die soziale Not. Im Umland von Berlin mussten die Felder bewacht werden, auch die Lebensmitteltransporte benötigten militärischen Geleitschutz. Willy Römer fotografierte den Kampf der Menschen um das tägliche Brot, die Suche nach Brennmaterial und die Plünderung von unbewachten Transporten. 1923 dokumentierte er die Folgen der galoppierenden Geldentwertung und schließlich die Geldvernichtung. Darüber hinaus war er Augenzeuge der politischen Ereignisse, der Demonstrationen und Kundgebungen, sowohl des rechtsradikalen Umsturzversuches vom März 1920 (Kapp-Putsch) als auch des kommunistischen Hamburger Aufstandes von 1923.

VIII. Hofmusik • ambulantes Gewerbe


„Der Gänsehirt ist da!“
Artist mit hölzernen Gänsen und
Drehorgelspieler im Hinterhof.
Berlin, 1930 © ABZ
Willy Römer war von kleiner Statur. Mit seiner großen Handkamera konnte er trotzdem nicht übersehen werden. Vermutlich hatte er keine Probleme, mit fremden Menschen zu reden, mit Menschen, die wie er als Händler und Gewerbetreibende, Gaukler und Straßenmusikanten, Leierkastenmänner und Obstverkäufer ihr Brot auf der Straße zu verdienen versuchten. Er dürfte mit ihnen gesprochen haben, um sie für eine Aufnahme zu gewinnen und sie als Darsteller einer Situation ins Bild zu setzen.


IX. Kinder auf der Straße


Berliner Jungen auf der Suche nach Lebensmitteln
Berlin, 1919
© ABZ
Willy Römers besonderes Interesse galt den Kindern. Die auf den Straßen und in den Höfen von Berlin spielenden Kinder mögen ihn an seine eigene Kindheit erinnert haben. Die Bilder zeigen, dass es für Kinder bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts noch möglich war, auf den Straßen zu spielen. Die Straße war für Großstadtkinder ein Lernraum, in dem sie etwas über die Stadt und die Gesellschaft erfahren konnten, in dem sie etwas für ihr Leben lernten. Was dem heutigen Betrachter mitunter idyllisch vorkommt, beschreibt allerdings auch einen Mangel: die Wohnungsnot und das Fehlen von Kindergärten, von Spiel- und Sportplätzen.

 


X. Geschäftsleben


Fischer beim Verkauf von
Silvester-Karpfen an der Spree

Berlin, 1930 © ABZ
Städte entstanden im Mittelalter oft an Märkten und an Flussübergängen. So war auch Berlin an der Furt einer Fernhandelsstraße über die Spree gegründet worden. Die kleinen Läden und die großen Warenhäuser, die Wochenmärkte und die fliegenden Händler bildeten gemeinsam das Wirtschaftsleben der großen Stadt, das Willy Römers mit seiner Kamera festhielt. Sein besonderes Augenmerk galt den ältesten Geschäften und denen, über die es etwas zu erzählen gab. Zwar hat er auch Innenräume von Banken und Börsen fotografiert, sein eigentliches Feld blieb jedoch die Straße und der Handel unter freiem Himmel.


XI. Das alte Berlin

Auch Berlin hatte einmal eine Altstadt, wie alle kleinen Provinz-Residenzen in Deutschland. Nachdem daraus ab 1871 die Hauptstadt eines Kaiserreiches geworden war, wurden die niedrigen Wohnhäuser und die barocken Stadtpaläste schrittweise abgerissen und durch hohe Verwaltungsbauten oder Geschäftshäuser ersetzt. Viele Bürger sahen das mit Wehmut, es entstand eine „Altstadt-Nostalgie”. Willy Römer dokumentierte, was zu seiner Zeit noch an historischen Bauten aus der Zeit vor 1870 übrig geblieben war. 1936 wurde – zeitgleich mit Römers Pressebildfirma – auch die älteste Gasse Berlins, der Krögel liquidiert. Willy Römer fotografierte den Abriss.
Alt-Berlin. Besucher des Krögelhofs blicken auf die Sonnenuhr
Berlin, 1905 © ABZ



XII. Die moderne Großstadt


Dachgarten des Warenhauses
Karstadt am Hermannplatz,
Blickrichtung Norden.

Berlin, 1930 © ABZ
Anfang des 20. Jahrhunderts wandelte sich Berlin allmählich zur modernen Großstadt. Seit der Jahrhundertwende war mit der Stadterweiterung auch der Massenverkehr ausgebaut worden. Verspätet folgte auch in Berlin die moderne Architektur mit den ersten Hochhäusern, die uns heute bescheiden vorkommen, damals aber jedes Mal eine Bildnachricht wert waren. Der fremdartige Anblick der modernen Architektur mit ihren glatten Fassaden und großen Fensterfronten bot einen Aufmerksamkeit erregenden Kontrast zum Stuck und Dekor der Gründerzeitbauten. Willy Römer suchte die Vergnügungsstätten, Sportpaläste und Rennbahnen auf. Er fotografierte alles, was im Großstadtleben als amerikanisch, also modern, erschien.



XIII. Die neue Zeit

Seit der Jahrhundertwende wurden die Menschen in den großen Städten ständig mit Neuerungen konfrontiert. Telefon und Telegrafie, Rundfunk und Film, Autoverkehr und Schnellbahnen verlangten den Menschen Umstellung und Anpassung ab. Frauen emanzipierten sich und ergriffen Berufe, die bis dahin Männern vorbehalten gewesen waren. Jede Neuigkeit wurde von den Pressefotografen aufmerksam registriert und in den Zeitungen diskutiert. Auch Willy Römer war von den Neuerungen fasziniert, vor allem von der Entwicklung der Luftfahrt.



XIV. Hinaus ins Grüne

Berlin war seit den Gründerjahren nicht nur Reichshauptstadt, sondern auch Industriemetropole und galt bald als „die größte Mietskasernenstadt der Welt”. Die Wohnungsverhältnisse waren katastrophal. Heinrich Zille stellte fest: „Man kann einen Menschen mit einer Axt erschlagen, aber man kann ihn auch mit einer Wohnung erschlagen.” Am Sonntag, für die Arbeiter der einzige freie Wochentag, strömten die Großstadtbewohner hinaus ins Grüne, um Licht, Luft und Sonne zu genießen. Willy Römer hat sie mit der Kamera begleitet: Kinderscharen beim Planschen, Jugendliche beim Baden, Wanderer im Grunewald, überfüllte Dampfer und Vorortzüge, Schrebergärten und Entefeste.

 

XV. Berlin in Trümmern

Als Willy Römer im Januar 1945 nach Berlin zurückkehrte, lagen Teile der Stadt schon in Schutt und Asche. Er erlebte am 3. Februar 1945 die Vernichtung seines früheren Wirkungsfeldes, des Berliner Zeitungsviertels und die Bombardierung mehrerer Häuser in seiner Nachbarschaft. Das Haus, in dem er selbst mit Frau und Tochter wohnte, wurde zwar von den Bomben verschont, aber durch die Erschütterungen stürzte in seinem Flur ein Regal mit Glasnegativen um. „Platte zerbombt” steht deshalb auf der Rückseite mancher Fotos.


XVI. Persönlichkeiten

Im Nachlass des Fotografen finden sich über 7.000 Porträts von Persönlichkeiten der Zeit, die zwischen 1918 und 1933 von Willy Römer und den Mitarbeitern seiner Firma Photothek aufgenommen wurden. Viele der Porträtierten mögen damals vielleicht wichtig gewesen sein, inzwischen sind sie überwiegend vergessen. Andere wurden weltberühmt. Wir zeigen eine Auswahl der von Willy Römer selbst aufgenommenen Porträts.
Alice Salomon (1872-1948), Ökonomin, Sozialpädagogin, Gründerin der Sozialen Frauenschule in Berlin-Schöneberg
Berlin, 1923 © ABZ

 

XVII. Unterwegs in Europa

Willy Römer hatte als junger Mann zwischen 1908 und 1912 bei seinem Lehrherrn Karl Delius in Paris gearbeitet. In den zwanziger Jahren besuchte er viele deutsche und europäische Groß- und Kleinstädte, um dort die prominenten Gebäude, das Leben und Treiben auf den Straßen zu fotografieren. Alkmaar und Amsterdam, Danzig und Kopenhagen, Hamburg und Leipzig, Würzburg und Wittenberg und viele kleinere Orte hat er in den zwanziger Jahren besucht und fotografiert.


ABZ: Agentur für Bilder zur Zeitgeschichte

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