Heimatliches Idyll
und kolonialer Herrschaftsanspruch:
Architektur in Tsingtau
von Christoph Lind
Die erhaltene Bebauung
der "Europ�erstadt" Tsingtau aus der deutschen Kolonialzeit vermittelt
dem heutigen Besucher einen nachhaltigen Eindruck von der fr�hen
architektonischen Gestaltung der Stadt: Viele kolonialzeitliche
Wohn-, Gesch�fts- und Verwaltungsbauten werden heute noch genutzt;
dies gilt ebenso f�r die drei gro�en Kasernenanlagen, die f�r die
Soldaten des III. Seebataillons errichtet worden waren. In urspr�nglich
gro�fl�chigen Vorg�rten einzelner Privath�user wurden zwischenzeitlich
teilweise weitere Bauten errichtet. Einige fr�here Gesch�ftsh�user
in der ehemaligen Prinz-Heinrich-Stra�e werden heute als Wohnh�user
genutzt, manche unter ihnen befinden sich in einem ausgesprochen
guten Erhaltungszustand.
Demgegen�ber wurden die Stadtteile Tapautau (Dabaodao), Taihsitschen
(Taixizhen) und Taitungtschen (Taidongzhen), die als Wohn- und Arbeitsquartiere
f�r die chinesische Bev�lkerung dienten, w�hrend der japanischen
Besatzungszeit bis 1922 und danach stark ver�ndert; ihre ehemalige
Gestaltung ist dem heutigen Zustand kaum noch abzulesen.
Im 1897 besetzten Gebiet befanden sich einige kleine chinesische
Ansiedlungen und das Hauptquartier des Generals Zhang, der sogenannte
Yamen. Diesem schlossen sich zwei kleinere Ortschaften - Ober-Tsingtau
und Unter-Tsingtau genannt - unmittelbar an. Sie wurden ebenso wie
der Yamen als provisorische Unterk�nfte f�r Soldaten und die westliche
Zivilbev�lkerung genutzt und entsprechend umgebaut, nachdem die
ehemaligen chinesischen Bewohner quasi zwangsenteignet worden waren.
Nach Beginn der Planungen f�r die westlich des Yamen zu errichtende
Verwaltungsstadt Tsingtau wurden auch die dortigen Bewohner umgesiedelt;
ihre Ortschaften wurden abgerissen. Bis auf einen noch erhaltenen
Tempel existierte dort keine alte Bausubstanz mehr, auf die sich
die Gestaltung der neu zu errichtenden Kolonialstadt Tsingtau h�tte
beziehen k�nnen.
F�r die Gestaltung der Bauten wurden nach und nach vom Reichsmarineamt
Architekten und Ingenieure angeworben, die bei den Tsingtauer Baubeh�rden
Anstellung fanden; sie machten kontinuierlich aktuelle Tendenzen
des Bauens in Deutschland in Tsingtau bekannt. Weiterhin werden
viele Anregungen auch �ber die damals publizierten Zeitschriften
nach Tsingtau gelangt sein und aktuelle Gestaltungsideen auch auf
diesem Weg Verbreitung gefunden haben. Unter dem Leiter der Bauabteilung
des Gouvernements, Baudirektor Strasser, kamen unter anderem die
Architekten Werner Lazarowicz, Curt Rothkegel, Heinrich Schubart,
die Regierungsbaumeister Stoessel und Mahlke und andere nach Tsingtau,
um f�r die Beh�rde zu arbeiten. Zu ihren Aufgaben geh�rten der Aufbau
der Infrastruktur sowie die Errichtung staatlicher und milit�rischer
Bauten. Quasi nebenberuflich nahmen sie auch Privatauftr�ge an;
Rothkegel und Schubart arbeiteten einige Jahre nach ihrer Ankunft
in Tsingtau nur noch im privaten Auftrag.
Neben am Ort schon etablierten chinesischen Bauunternehmen entstanden
unter deutscher Leitung die Baufirmen F. H. Schmidt, Paul Friedrich
Richter, Franz Xaver Mauerer und weitere, deren Angestellte zumeist
Chinesen waren. Einige Bauten wurden auch von den Ingenieuren dieser
Bauunternehmen entworfen.
Die Bauordnung, die seit Herbst 1898 g�ltig war, beinhaltete f�r
die einzelnen Stadtgebiete differenzierte Vorgaben, die in erster
Linie Hygiene und Bausicherheit, aber auch Grundst�cksausnutzung
und Geb�udeh�he betrafen; eindeutige stilistische Vorgaben f�r die
bauliche Gestaltung existierten demgegen�ber nicht.
Kurz nach dem offiziellen Baubeginn im Jahre 1898 war n�rdlich der
"Chinesenstadt" Tapautau, einem Wohn- und Gewerbegebiet, in dem
auch Deutsche lebten, eine Dampfziegelei errichtet worden, um der
Knappheit an Baumaterialien entgegenzuwirken. Dennoch mu�ten bis
weit nach der Jahrhundertwende Baustoffe wie Zement oder Bauholz
unter erheblichen Kosten importiert werden. Bis auf Hausteine aus
Granit, die zun�chst vorzugsweise f�r Sockelverkleidungen verwendet
wurden und die �berall in der Kolonie gebrochen werden konnten,
wurden orts�bliche chinesische Baustoffe, die preisg�nstig erh�ltlich
waren, von den meisten deutschen Architekten und Baufirmen gemieden.
Bis zum Inkrafttreten der Landordnung und der Bauordnung im Herbst
1898 - also vor dem planm��igen Aufbau der Stadt - wurden nur wenige,
sehr einfache Geb�ude in unmittelbarer N�he des Yamen errichtet,
die allesamt nicht erhalten sind. Gleichzeitig hatte man wegen der
Wohnungsnot einfache Holzh�user, sogenannte "Tropenh�user" aus Deutschland
importiert, die f�r den vor�bergehenden Gebrauch bestimmt waren.
F�r das provisorische Wohnhaus des Gouverneurs hatte man zwei dieser
Holzh�user zusammengesetzt, damit der Bau zumindest in seiner Dimensionierung
etwas repr�sentativer erschien.
�hnlich ambitioniert wie die Stadtplanung waren fr�he staatliche
Bauten wie die Iltiskaserne (1899-1901) und die ersten Unterkunftsbauten
der Bismarckkaserne (ab 1903), aber auch das gro�e Lazarett (1899-1905)
in enger Anlehnung an Vorbilder in Deutschland entstanden. Dabei
wurde dem Hygieneaspekt in besonderer Weise Rechnung getragen: Zur
besseren Bel�ftung der R�ume wurden den Kasernenbauten nach S�den
umfangreiche Verandenanlagen vorangestellt, die Raumgr��en lagen
�ber dem in Deutschland vorgeschriebenen Standard. Das Lazarett
entstand - wie auch die modernsten gleichzeitig in Deutschland errichteten
Krankenhauskomplexe - als Pavillonanlage mit baulich separierten
Abteilungen inmitten eines park�hnlichen Terrains, um ein H�chstma�
an Sicherheit vor Infektionen zu bieten. Zeigte sich die Au�engestaltung
der einzelnen Lazarettgeb�ude ausgesprochen schlicht, so waren bei
den Kasernenbauten weitaus vornehmere Bauformen in Anwendung gekommen:
Die langgestreckten Verandenfassaden der Iltiskaserne mit ihren
flachen D�chern �hneln mehr einem mediterranen Seebadhotel als einer
milit�rischen Mannschaftsunterkunft. Die aufwendig verblendeten
S�dfassaden der beiden ersten Mannschaftsunterk�nfte der Bismarckkaserne
mit ihren gotisierenden Bogenstellungen gehen bei weitem �ber das
an vergleichbaren Geb�uden in Deutschland �bliche hinaus. Deutlich
zeigt sich hier ebenfalls eine besondere Ber�cksichtigung hygienischer
und klimatischer Aspekte. Gleichwohl ist ablesbar, da� diese Baukomplexe
sowohl "Prototypen" einer zuk�nftigen, sehr prominent und aufwendig
gedachten, aber auch kostspieligen Bebauung darstellen sollten.
Aus finanziellen Gr�nden wurde bei sp�ter errichteten staatlichen
Bauten von derart aufwendigen Gestaltungen weitgehend abgesehen.
Als direkte Umsetzungen deutscher Vorbilder zeigen sich das Europ�ergef�ngnis
mit Gerichtsgeb�ude (1900), das Seemannshaus (1901 bis 1902) und
vor allem das Bahnhofsgeb�ude (1900-1901): Trotz seiner Funktion
als Endbahnhof der Schantung-Eisenbahn, die Tsingtau ab 1904 mit
der Provinzhauptstadt Tsinan (Jinan) verband, erinnerte das Stationsgeb�ude
mit hochgef�hrtem Dach eher an einen deutschen Kleinstadtbahnhof;
der Turm an der Geb�udeecke verst�rkte den malerischen Eindruck.
V�llig unzureichend f�r die Bed�rfnisse der heutigen Metropole Qingdao
wurde der Bahnhof 1990 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.
Dessen zur Stadt gerichtete Ostfassade ziert zwischenzeitlich eine
Nachbildung des kolonialzeitlichen Geb�udes. Ebenfalls orientiert
an deutschen Vorbildern entwarf Regierungsbaumeister Stoessel die
zwischen 1904 und 1905 errichtete Polizeistation.
Das erste Schulgeb�ude (1901) weist - wie auch das Hotel Prinz Heinrich
(1899) an der Seepromenade Kaiser-Wilhelm-Ufer - in seiner Au�engestaltung
chinesische Einfl�sse auf: Die Anlage des Konsolensystems an der
S�dfassade der Schule mit den dar�ber liegenden Kassettengefachen
gehen m�glicherweise auch auf das beauftragte chinesische Bauunternehmen
zur�ck. An den beiden Schmalseiten des Hotels befanden sich in Putz
aufgetragene Muster des gl�ckbringenden chinesischen Schriftzeichens
"shou" mit der Bedeutung "Langes Leben". Diese geh�ren zu den wenigen
Beispielen f�r gestalterische Anleihen aus der chinesischen Architektur.
Nach der Jahrhundertwende sind derartige Formen nur noch in Ausnahmef�llen
innerhalb der "Europ�erstadt" Tsingtau - beispielsweise in Form
der beiden Kapitelle am Eingangsportal des Gesch�ftshauses Siemssen
in der Prinz-Heinrich-Stra�e - zu beobachten.
In den europ�ischen Stadtquartieren wurden seit Bebauungsbeginn
sowohl bei staatlichen als auch bei privaten H�usern ausgedehnte,
nach S�den weisende Lauben oder Veranden hinzugef�gt: Sie sollten
f�r bessere Durchl�ftung der R�ume sorgen und als Schutz gegen sommerliche
Sonneneinstrahlung dienen. Bei einfacheren Bauten fanden vorangestellte
Holzveranden Verwendung, bei der Anlage repr�sentativerer Bauten
wie beispielsweise der Handelsh�user in der Prinz-Heinrich-Stra�e
wurden diese in den Kubus integriert. Dieses Bauprinzip zielte in
erster Linie auf die Hygiene ab und k�nnte sowohl durch die importierten
Tropenh�user zur vor�bergehenden Nutzung, als auch von der klimagerechten
Bebauung in S�dchina �bermittelt worden sein. Sp�testens nach dem
zweiten Winter vor Ort hatte man jedoch aufgrund exakter Wetterbeobachtungen
festgestellt, da� sich das Klima in Tsingtau bis auf die langen,
hei�en und schw�len Sommer nicht wesentlich vom Klima in Deutschland
unterscheidet.1 Dennoch pr�gten Lauben
und Veranden das Erscheinungsbild vieler bis 1905 errichteten Gesch�ftshausbauten.
In prominenter Lage errichtete die Deutsch-Asiatische Bank zwischen
1899 und 1901 am ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Ufer ihre Tsingtauer
Niederlassung. �hnlich wie bei deutschen Vorbildern orientierte
man sich bei der Gestaltung an der italienischen Renaissance; die
jedoch asymmetrisch strukturierten S�d- und Westfassaden wurden
mit durchg�ngig gef�hrten Veranden versehen. Die Kaiserliche Post,
die zun�chst in einem provisorisch hergerichteten Geb�ude des Yamen
untergebracht war, bezog im Jahre 1901 ihr neues Geb�ude an der
Prinz-Heinrich-Stra�e: Das dreigeschossige Geb�ude mit Sichtziegelfassaden
und auffallend hoch gef�hrtem Dach verf�gte an den Schauseiten ebenfalls
�ber Veranden, die jedoch zwischenzeitlich mit Fenstern verschlossen
wurden. Das gleichfalls an der Prinz-Heinrich-Stra�e gelegene Gesch�ftshaus
B�dicker, 1903 errichtet, zeigt eine symmetrische Fassadengliederung:
Zwei Giebelachsen flankieren den Mitteltrakt, der im Obergescho�
eine Veranda aufweist. Durch den asymmetrisch positionierten Eingang
gelangt man in einen Hinterhof, um den herum - wie auch bei einigen
weiteren Gesch�ftsh�usern Tsingtaus - sich Nebengeb�ude befinden.
In der darauffolgenden Zeit hat man dann viele dieser Veranden mit
Fenstern geschlossen, um weiteren Wohnraum zu gewinnen. Sicherlich
hatte sich herausgestellt, da� die Veranden nicht ausreichend nutzbar
waren. Die Verandenanlage des im Jahre 1903 in der Irenestra�e errichteten
Gesch�ftshauses Buroth zeigte - klimatisch unbegr�ndet - sogar nach
Norden. Bis 1905 entstanden weitere Nordveranden an Gesch�ftsh�usern.
Es wird somit deutlich, da� Lauben und Veranden nicht nur aus bauhygienischen
Gr�nden Anwendung gefunden hatten, sondern auch als ortstypische
Gestaltungselemente verstanden worden sind: In der ansonsten weitgehend
an deutschen Vorbildern orientierten Bebauung verleihen die Veranden
den Bauten eine exotische, "tropisch" anmutende Note, die sicherlich
bewu�t eingesetzt wurde, um einerseits die �rtliche Besonderheit
der weiten Entfernung von Deutschland architektonisch auszudr�cken,
andererseits durch die Verschmelzung mit deutscher Architektur einen
Gegenpol zur "Verandah-Style"-Bebauung der britischen Kronkolonie
Hongkong und anderer Konzessionsst�dte Chinas zu bestimmen: Dort
orientierte sich die Fassadengestaltung enger an klassizistischen
Vorbildern. Das Ziel war demnach die Etablierung eines genuin Tsingtau-typischen
Baustils, der deutsche Elemente mit klimatisch-exotischen, nicht
aber chinesischen Elementen verband. Baulicher H�hepunkt dieser
Bestrebung ist das von Regierungsbaumeister Mahlke entworfene und
zwischen 1903 und 1906 errichtete Gouvernementsgeb�ude, Verwaltungszentrum
und wichtigster Bau der jungen Kolonie: Der im Grundri� symmetrischen
Dreifl�gelanlage, die im Inneren weitgehend zeitgleich errichteten
Verwaltungsgeb�uden in Deutschland entspricht, wurde nach S�den
zum Meer gewandt eine repr�sentative Fassade hinzugef�gt, welche
die Bedeutung des Geb�udes zus�tzlich zu seiner �ber der Stadt thronenden
Lage unmi�verst�ndlich manifestiert: Die nur leicht hervortretenden
Eckrisalite sind ebenso wie der Mittelrisalit mit Granitquadern
mit teilweise bruchrauher Oberfl�che verblendet und verj�ngen sich
pylonartig nach oben. Zus�tzlich zum massiv und wehrhaft wirkenden
Materialcharakter des Granits vermittelt die gedrungene Form der
Risalite den Eindruck von festungsartiger Schwere; unterst�tzt wird
dieser wehrhafte Charakter durch die Rustika-Aureole des Haupteingangs,
der ebenso wie an ein Burgtor auch an das von Bruno Schmitz entworfene
V�lkerschlachtdenkmal bei Leipzig erinnert. Die Verbindungstrakte
zwischen den massiven granitverblendeten Risaliten sind mit auflockernden
Veranden versehen, die dem Geb�ude nun - im Gegensatz zu den Risaliten
- eine w�rdevolle Leichtigkeit verleihen. Die ausschlie�liche Schmuckfunktion
der Veranden zeigt sich eindrucksvoll in der Tatsache, da� diese
teilweise von den dahinter liegenden R�umen nicht begehbar sind!
Das Geb�ude wirkt somit durch den Kontrast von festungsartigen Formen
steinerner Schwere mit den offenen Bogenstellungen der Veranden.
Jedes einzelne verwendete Gestaltungselement w�re auch in Deutschland
denkbar, die Besonderheit ist die eigenwillige Kombination, die
sowohl Wehrhaftigkeit als auch elegante Bogenf�hrung miteinander
zu einer allseits verst�ndlichen Formensprache verbindet: Die architektonische
Selbstinszenierung der Kolonialmacht innerhalb des Verwaltungsgeb�udes
ist derart eindeutig formuliert, da� selbst auf die Anbringung von
Hoheitszeichen weitgehend verzichtet werden konnte. Ein kaum weniger
prominenter architektonischer Ausdruck deutscher Herrschaft zeigt
sich in der Anlage des 1905 bis 1907 errichteten Wohnhauses f�r
den Gouverneur. Neben gro�en Repr�sentationsr�umen umfa�te das Geb�ude
die Privatzimmer der Gouverneursfamilie. Der Architekt Werner Lazarowicz
entwarf das Geb�ude als Villa, die sich in Hanglage au�erhalb der
bis dahin errichteten Stadt befindet. Alle Schauseiten sind mit
Granitsteinen verschiedener Gr��e verblendet. Vereinfacht umgesetzte
historische Architekturzitate mit Vor- und R�ckspr�ngen des Fassadenverlaufs
und verschiedenartig gestalteten Granitfl�chen entwickeln sich zu
einem verspielt wirkenden Ganzen, einer romantisch-wehrhaften Kulisse,
in der sich die Position des Gouverneurs herrscherlich und wohlwollend
manifestiert.
Ebenso unter Nutzung der brachialen Wirkung bruchrauher Granitverblendungen
gestaltete der Leiter des Gouvernements-Hochbauamts, Strasser, die
Fassade der zweiten Gouvernementschule. In der Raumanordnung folgt
sie den Vorgaben, die gleichzeitig auch bei Schulbauten in Deutschland
umgesetzt worden sind.
In malerischer Lage auf einem H�gel �stlich der ehemaligen Bismarckstra�e
entstand zwischen 1908 und 1910 nach Pl�nen von Curt Rothkegel die
evangelische Christuskirche als Gotteshaus der deutschen Zivilgemeinde.
Dem tonnengew�lbten Betsaal sind weitere R�ume hinzugruppiert; an
der westlichen Geb�udeseite - zur Stadt gewandt - erhebt sich ein
Turm, der wie das gesamte Geb�ude �ber den Sockelbereich hinaus
mit einzelnen Granitsteinen in Teilbereichen versehen ist. �hnlich
wie auch in der Au�engestaltung des Gouverneurswohnhauses hat der
Architekt massiv wirkende, festungsartige Elemente mit leichten,
geschwungenen Formen - so beispielsweise die oberen Fensterabschl�sse
des Betsaals - zu einem malerischen, heimatlich-idyllischen, sich
aber auch wehrhaft gebenden Ganzen kombiniert.
Der H�hepunkt der Verwendung von Granitverblendungen wird erkennbar
am bis 1912 nach Pl�nen von Baudirektor Strasser und Heinrich Schubart
errichteten Observatorium, welches - weithin sichtbar oberhalb der
Stadt gelegen - vollst�ndig mit bruchrauhem Granit verkleidet ist
und zus�tzlich durch den massiv wirkenden Turm einen burgartigen
Charakter erh�lt.
Vollkommen anders zeigt sich demgegen�ber das zwischen 1911 und
1913 errichtete Hauptgeb�ude der Deutsch-Chinesischen Hochschule:
Die langgestreckte S�dfassade wird in ihrer Flucht nur durch den
Eingangsrisalit strukturiert. Der strenge Rhythmus der Geb�udeachsen
wird durch die gleichf�rmige Rahmung der Fenster aus Granitsteinen
- hier jedoch mit glatter Oberfl�che - zus�tzlich unterst�tzt. Zusammen
mit der betont blockhaften Wirkung des Geb�udekubus zeigt sich der
Bau in seiner Gestaltung reduziert und streng. Malerische Elemente,
die bei vielen fr�heren Bauten in Tsingtau als Gestaltungsschwerpunkte
zu erkennen sind, wurden beim Hauptgeb�ude der Deutsch-Chinesischen
Hochschule bewu�t vermieden.
Waren die vor beziehungsweise um die Jahrhundertwende errichteten
Wohnh�user in den der europ�ischen Bev�lkerung vorbehaltenen Wohngebieten
mit nur wenigen Ausnahmen durch ihren bisweilen verwinkelten Grundri�
und malerische Anbauten und Details als Umsetzung des sp�thistoristischen
Wohnhausbaus in Deutschland zu erkennen, so ist nach der Jahrhundertwende
innerhalb der Tsingtauer Wohnhausarchitektur eine Tendenz zu weniger
Ornament, einfacheren, weniger gest�ckten und gruppierten Geb�udekuben
und klareren Hausumrissen zu beobachten. Diese Entwicklung, die
keine ortsspezifische Tsingtauer Besonderheit darstellt, sondern
auf ann�hernd gleichzeitige Tendenzen in Deutschland reagiert, schreitet
in Tsingtau sehr konsequent voran: Das Bataillonshaus (1899), das
Wohnhaus des Kaiserlichen Richters (1899), die Wohnh�user Roland
Behn (1900), Kappler (1901) und Diederichsen (1903) sind in �hnlicher
Gestaltung auch in Deutschland denkbar; lediglich die h�ufige Anlage
von Veranden - teilweise als vorangestellte Holzkonstruktion, teilweise
laubenartig in den Kubus integriert - stellt eine Tsingtauer Besonderheit
dar. Sp�tere Wohnhausbauten, wie beispielsweise das Haus des Kaiserlichen
Oberrichters Crusen oder des Rechtsanwalts Zimmermann, verf�gen
�ber einen klareren Grundri�. Die Fassaden sind fl�chig gestaltet
und auf die Verwendung von Bauornament wurde weitgehend verzichtet.
Ma�voller umgesetzte Balkon- oder Verandenanlagen beziehungsweise
in den Kubus integrierte Lauben stehen nun stellvertretend f�r umfangreichere
Veranden an �lteren Wohnhausbauten in Tsingtau. Diese Tendenz zeigt
sich ebenso bei weiteren zwischen 1911 und 1914 errichteten Wohnh�usern
am Hohenloheweg, an der Alilastra�e und am westlichen Kaiser-Wilhelm-Ufer.
Obwohl von der Bauordnung nicht explizit ausgeschlossen, fand eine
Auseinandersetzung mit der chinesischen Architektur innerhalb der
"Europ�erstadt" nicht statt; lediglich an wenigen Bauten der ersten
beiden Jahre lassen sich chinesische Einfl�sse feststellen.
Dies gilt allerdings nicht f�r die Bebauung der �brigen Stadtgebiete:
Zwar war der architektonische Gestaltungsspielraum bei der Errichtung
von Wohn- und Gesch�ftshausbauten in Tapautau und den chinesischen
Arbeitervorst�dten Taihsitschen und Taitungtschen durch die Bauordnung
eingeschr�nkt, doch fanden sich dort bisweilen geschwungene, chinesisch
wirkende Dachformen, nicht aber Veranden, die das Bild der Europ�erstadt
pr�gten. �hnliches war auch an einigen Bauten zu beobachten, die
sich au�erhalb Tsingtaus befanden, wie beispielsweise bei den im
Hinterland gelegenen Bahnhofsgeb�uden der Schantung-Eisenbahn. Chinesische
Einfl�sse in der baulichen Gestaltung waren demnach nur dann gew�nscht,
wenn die Bauten in erster Linie von Chinesen genutzt worden sind,
wie beispielsweise am - nicht erhaltenen - Deutsch-Chinesischen
Seminar der Weimarer Mission oder den Unterkunftsbauten f�r chinesische
Bedienstete innerhalb der Europ�erstadt. Eine wichtige Ausnahme
bildete das weit au�erhalb der Stadt im Lauschan- (Laoshan-)Gebirge
gelegene Erholungsheim "Mecklenburghaus": Dort war ein deutsch-chinesischer
Mischstil zu erkennen, der den erholungssuchenden Reisenden innerhalb
eines nach deutschen Vorstellungen strukturierten Baus durch die
Au�engestaltung chinesisches Ambiente vermitteln sollte.
Grunds�tzlich l��t sich bei der Bebauung Tsingtaus von 1898 bis
1914 eine allm�hliche Abl�sung historistischer Bauformen und ein
�bergang zu einer funktionaleren Gestaltung der einzelnen Geb�ude
feststellen, der sich bis zum Ende der Kolonie fortgesetzt hat.
Dabei zeigen sich die staatlichen Bauten - wohl auch wegen der g�nstigen
finanziellen M�glichkeiten - durchg�ngig als ausgesprochen modern
und zeitgem�� und in ihrer Dimensionierung oftmals weit �ber das
ak-tuell Notwendige hinaus geplant. Auch an den privaten Bauten
ist unabh�ngig von ihrer jeweiligen Bestimmung die oben beschriebene
Tendenz abzulesen; sie wurden jedoch zumeist in bescheidenerem Rahmen
errichtet.
Zus�tzlich hatte man sich um die Etablierung eines als "ortstypisch"
verstandenen besonderen Formenrepertoires bem�ht: Eine besondere
Rolle kam der Verwendung umfangreicher Granitverblendungen zu. Der
Stein konnte in vielen Br�chen innerhalb der Kolonie gebrochen werden
und war daher preisg�nstig erh�ltlich. St�rker noch als im wilhelminischen
Deutschland zeigt sich die Verwendung von Granitverkleidungen in
Tsingtau als wichtiges architektonisches Ausdrucksmittel.
Obwohl klimatisch nicht notwendig, wurden bis etwa 1910 als bevorzugtes
Schmuckelement vielfach Veranden und Lauben - teilweise sogar an
Nordseiten der Geb�ude - errichtet, die der Gesamtbebauung eine
gewisse malerisch-exotische Note verliehen. Durch die Zusammenf�hrung
mit den in Deutschland etablierten funktionaleren Architekturformen
wirken sie jedoch anders als beim klassizistisch gepr�gten "Verandah-Style"
der weiter s�dlich gelegenen Hafenkolonien oder ausl�ndischen Handelsniederlassungen
an der chinesischen K�ste: Sie verf�gten nicht �ber dessen Breitenwirkung.
Ein weiterer grunds�tzlicher Unterschied zur nicht-chinesischen
Bebauung in Hongkong oder Shanghai war die durch die Bauordnung
vorgeschriebene Solidit�t der Tsingtauer Bauten. Diese mu�ten ein
hohes Ma� an Feuersicherheit, Festigkeit und Hygiene bieten. Die
Vorgaben wirkten sich zun�chst hemmend auf den Zuzug in die Kolonie
und deren wirtschaftliche Entwicklung aus, denn die Errichtung von
Bauten war in anderen Hafenkolonien und Konzessionsgebieten wesentlich
unproblematischer und kosteng�nstiger als im beh�rdlich streng verwalteten
Tsingtau. Die positiven Folgen dieser auf lange Sicht intendierten
Bestrebungen konnten sich w�hrend der vergleichsweise kurzen deutschen
Kolonialzeit bis 1914 nicht g�nzlich auswirken; sie sind aber am
heutigen, teilweise sehr guten Erhaltungszustand einzelner Bauten
abzulesen.
Im Ergebnis zeigte sich Tsingtau bis 1914 einerseits als eine architektonische
Inszenierung kolonialer Macht mit unverkennbar wilhelminischen Z�gen,
andererseits durch die gro�z�gige und fl�chige Landhausbebauung
als ein kleinst�dtisches Idyll. Durch den Verzicht auf �bernahme
chinesischer Bauformen innerhalb der "Europ�erstadt" entwickelte
sich keine eigenst�ndige multikulturelle Architektursprache, sondern
ein funktional-beschauliches Stadtbild, welches ma�geblich von aktuellen
Tendenzen der baulichen Entwicklung in Deutschland gepr�gt war.
Gegen�ber China - aber auch gegen�ber den anderen Kolonialm�chten
an der chinesischen K�ste - wurde Tsingtau von seinen damaligen
deutschen Bewohnern als deutsche "Musterstadt" verstanden, die eine
Vorbildfunktion f�r weitere Stadtneugr�ndungen und -erweiterungen
erf�llen sollte: "Bei der Bebauung unseres Pachtgebietes in China
hatte die Verwaltung erfreulicherweise alle Erfahrungen des zeitgem��en
St�dtebaus und der Grundst�cksnutzung zu Rate gezogen. Der Bebauungsplan
von Tsingtau war deshalb ein meisterg�ltiges Werk, das die Anerkennung
aller Fachleute fand. Unter der Mitwirkung t�chtiger Architekten
entstanden bald viele Privatbauten, die hier im fernen Osten als
Zeugen der deutschen Wohnbaukunst sich mit allen Ehren zeigen konnten."2
Stolz und Zufriedenheit �ber die architektonische Gestaltung Tsingtaus
�u�erte auch Wilhelm Schrameier, auf den in weiten Teilen die Tsingtauer
Landordnung zur�ckgeht, in einem nach der japanischen Eroberung
ver�ffentlichten Res�mee: "In seiner Gesamtheit wirkte das Stadtbild
freundlich und behaglich. Auch die Mehrzahl der �ffentlichen Geb�ude
verst�rkte den Eindruck. �berfl�ssiger Zierat an den H�usern galt
als geschmacklos; sie waren einfach, aber in der Anwendung mannigfacher
Formen nicht eint�nig. Allerdings ragten hier und da auch die kahlen,
get�nchten oder gar buntbemalten Brandmauern auf, durch deren Anbringung
ohne Not der denkende Architekt einen gewissen Gro�stadtnimbus,
die Herrlichkeit eines Berliner Vorortes, heraufzuzaubern sich verma߅
."3
Die aus der deutschen Kolonialzeit erhaltenen Bauten in Qingdao
zeigen sich in einer Urspr�nglichkeit, die an vielen vergleichbaren
Geb�uden in Deutschland wegen Umbauma�nahmen und Kriegszerst�rungen
nicht mehr zu erkennen ist. Innerhalb der heutigen modernen, von
der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung zeugenden Bebauung Qingdaos
wirken die erhaltenen Geb�ude der kolonialen "Europ�erstadt" als
Ensemble daher vielleicht noch etwas "deutscher" als in Deutschland.
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