Um- und Neubau (1998 - 2004)

 

 

Urban Theatre - I.M.Peis Ausstellungsbau

Ausstellungsneubau von I.M. Pei
Urban Theatre -
I. M. Peis - Ausstellungsbau


Von
Ulrike Kretzschmar,
Abteilungsleiterin Ausstellungen und
Baureferentin des Deutschen Historischen Museums

Dieser Artikel stammt aus dem Begleitbuch zur Ausstellung I. M. Pei - Museumsbauten mit dem Titel:
"I. M. Pei - Der Ausstellungsbau für das Deutsche Historische Museum, Berlin", 96 Seiten, ca. 160 größtenteils farbige, z.T. großformatige Abbildungen , Prestel Verlag, München, Preis 15,- €.

Als am 23. Mai 2003 das von dem Architekten Ieoh Ming Pei entworfene, nördlich des Zeughauses gelegene Wechselausstellungsgebäude feierlich eröffnet wurde, ging die langjährige und wechselvolle Planungszeit des Deutschen Historischen Museums erfolgreich zu Ende. Politischer Widerstand gegen das Projekt eines nationalen Geschichtsmuseums in Berlin, der Fall der Mauer im November 1989 und eine Verlagerung des geplanten Standortes kennzeichnen die über 16 Jahre dauernde Bauge-schichte des Deutschen Historischen Museums: Von einer geradlinigen Entwicklung, die direkt von der Idee zum fertigen Gebäude geführt hätte, kann hier keine Rede sein.

Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Berlin unterzeichneten am 28. Oktober 1987, anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin, im Reichstagsgebäude die Gründungsvereinbarung für die Einrichtung des Deutschen Historischen Museums. Zu diesem Zeitpunkt war für das neue Museum noch ein ganz anderer Bauplatz vorgesehen. Kaum ein kulturpolitisches Vorhaben der Bundesrepublik Deutschland hat so viele heftige und kontroverse Debatten in der Fachwelt und in der Presse ausgelöst wie der Plan, in West-Berlin ein historisches Museum zu bauen. Diese Debatten bezogen sich auf Konzeption und Standortwahl gleichermaßen. Das von der Regierung ins Leben gerufene Geschichtsmuseum ist eine von drei Kulturinstitutionen, die der Bund in den 80er Jahren gründete. Es sollte das westliche Pendant zu dem seit 1952 bestehenden Museum für Deutsche Geschichte im damaligen Ost-Berlin sein und zugleich das in Bonn geplante Haus der Geschichte der Bundesrepublik ergänzen.
Noch bevor erste konzeptionelle Überlegungen angestellt wurden oder der Name festgestanden hätte, war die Idee eines Geschichtsmuseums in Berlin eng mit der Diskussion über ein geeignetes historisches Gebäude in der Stadt verbunden. Keines der Gebäude, die damals in Erwägung gezogen wurden - etwa der Martin-Gropius-Bau, die Zitadelle Spandau, der Reichstag oder die Kongresshalle -, stand jedoch wirklich zur Verfügung oder war für das Projekt geeignet. Mit dem Entschluss der Bundesregierung, einen Neubau zu finanzieren, fiel im Sommer 1986 auch die Entscheidung für den Standort: im Spreebogen, gegenüber dem Reichstag. (1) Für die Realisierung des neu zu gründenden Museums war damals eine Gesamtfläche von rund 36.000 m² Hauptnutzfläche vorgesehen.
Anlässlich des Ausgabekolloquiums im Architektenwettbewerb am 25. August 1987 bezeichnete Bauminister Dr. Oscar Schneider den Bau des Deutschen Historischen Museums als "eine der verantwortungsvollsten und reizvollsten Aufgaben, zu denen wir bis zum Ende dieses Jahrhunderts einladen können". (2)
Den Wettbewerb gewann im Juni 1988 der Mailänder Architekt Aldo Rossi (1931-1997). Er entwarf für den Spreebogen eine ganze Anthologie alteuropäischer Architekturformen - Kolonnade, Turm, Basilika, Fabrik, Rotunde - als eine zusammenhängende Museumslandschaft.

Die heftige Kontroverse um das Vorhaben "Deutsches Historisches Museum" hielt weiter an. Als nach den Berliner Wahlen im Januar 1989 ein Regierungswechsel stattfand, wurde das Kulturprojekt der Bundesregierung in den Koalitionsverhandlungen unversehens zum Politikum. Unterstützung kam jedoch von Seiten des ehemaligen Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, der sich eindeutig für das Deutsche Historische Museum aussprach. In seinem Gratulationsschreiben an den neuen Regierenden Bürgermeister hielt er es "nicht für wünschenswert, wenn Berlin sich von diesem Vorhaben, auf das sich auch das internationale Interesse konzentriert, ausschlösse". (3)
Der Mauerfall im November 1989 unterbrach die Diskussionen bis auf weiteres und veränderten alle bis dahin erarbeiteten Pläne von Grund auf. Bereits Ende August 1990 beschloss die Regierung der DDR, das im Zeughaus befindliche Museum für Deutsche Geschichte "nicht als selbständige Einheit fortzuführen" und gab die Institution im September 1990 auf. Mit dem Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wurden das Zeughaus und seine Sammlungen dem Deutschen Historischen Museum zur temporären Nutzung übergeben. Diese Zusammenlegung machte das Museum zur ersten gesamtdeutschen Kultureinrichtung. Nach dem Hauptstadtbeschluss von 1991, der den Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin beinhaltete, war dann 1992 klar, dass an eine Realisierung des Rossi-Baus am geplanten Standort nicht zu denken war. Heute steht auf dem ins Auge gefassten Bauplatz am Spreebogen das Bundeskanzleramt der Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank. Schultes hatte 1988 den dritten Preis des Museumswettbewerbes gewonnen.

Die Räumlichkeiten, die das Zeughaus bot, entsprachen nicht dem ursprünglichen Raum- und Funktionsplan, der in den Jahren 1985 bis 1987 von einer Sachverständigenkommission für das Projekt entwickelt worden war. Das wissenschaftlich begründete Konzept des Deutschen Historischen Museums hatte allein für die Dauerausstellung 16.000 m² und für die Wechselausstellung 5.000 m² gefordert. Eine Reduktion auf das im Zeughaus-Komplex Machbare war unumgänglich. Museum und Sachverständigenkommission akzeptierten die notwendige Verringerung auf etwa die Hälfte des ursprünglich geforderten Raumprogramms.
Der neue Standort im Herzen Berlins, an der Prachtstraße Unter den Linden, vis-à-vis der Museumsinsel, wog jedoch alle Einschränkungen auf. Das historische Zeughaus mit seiner Ausstellungsfläche von ca. 7.500 m² war nun für die zukünftige Dauerausstellung vorgesehen. Für die benötigten Wechselausstellungsflächen sollte ein neues Gebäude in unmittelbarer Verbindung zum Hauptgebäude geschaffen werden. Platz hierfür bot allein das an das Zeughaus angrenzende Grundstück, auf dem Ende der 50er Jahre die Depot- und Werkstattgebäude des Museums der Deutschen Geschichte errichtet worden waren. (4)
Für die schwierige Aufgabe, ein kleines und versteckt gelegenes Grundstück in einen attraktiven Ort zu verwandeln, der sich zwischen zwei prominenten Schinkelbauten - der Neuen Wache und dem Alten Museum - sowie dem Zeughaus, dem einzigen erhaltenen profanen Barockgebäude Berlins souverän behaupten würde, konnte die Bundesrepublik den Architekten I. M. Pei gewinnen.
Berühmt geworden ist der sinoamerikanische Architekt in den siebziger und achtziger Jahren durch seine meisterliche Verbindung von Alt und Neu: Mit der National Gallery in Washington, mit dem Museum of Fine Arts in Boston und vor allem mit seinem großartigen Entwurf für die Erweiterung und Renovierung des Grand Louvre in Paris stellte er sein geniales Können unter Beweis. Peis Fähigkeit, für seine Bauten eine dem jeweiligen Ort angemessene Sprache zu finden und eben nicht nur durch eine "typische Handschrift" aufzufallen, machte ihn zum idealen Architekten auch für das Deutsche Historische Museum.

Seit er Ende 1990 aus seiner Firma Pei, Cobb, Freed & Partners ausschied, nimmt er nur noch wenige ausgesuchte Projekte an. Mit einem Lächeln und Augenzwinkern verweist Pei stets auf sein Alter, um sein wählerisches Verhalten zu begründen. Die erste Kontaktaufnahme mit dem Büro von I. M. Pei erfolgte Anfang Mai 1995. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, in Berlin ein Museum zu bauen, reagierte er interessiert, aber auch zurückhaltend. Im Herbst kam es dann zu einem ersten Treffen mit dem damaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. Das gemeinsame intensive Gespräch über die Probleme der neuen Hauptstadt Berlin beeindruckte I. M. Pei nachhaltig. Wie schon vor seinem Ja zum Louvre-Projekt, zog er in den kommenden Monaten systematisch Erkundungen über die Bauaufgabe sowie über das architektonische und politische Umfeld ein. Erst danach wollte er eine definitive Antwort geben. Mehrmals besuchte Pei in dieser Zeit Berlin - zweimal sogar "inkognito", da er ungestört und unbeeinflusst von den Kommentaren anderer sein wollte, um sich ein persönliches Bild vom Standort und der damit verbundenen Aufgabenstellung zu machen. Dabei erkannte er die "Schlüsselrolle" des Platzgefüges Neue Wache - Kastanienwäldchen - Zeughaus - Inselbrücke - Museumsinsel. Dieses Ensemble, so seine tiefste Überzeugung, könne für den flanierenden Fußgänger zu einer unvergleichlichen Attraktion werden. Pei war bereit, diese Herausforderung anzunehmen.
Am 26. Juni 1996 gab der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages seine Zustimmung zu einem Neubau für die Wechselausstellungen des Deutschen Historischen Museums und stellte die erforderlichen Mittel bereit. Die direkte Beauftragung I. M. Peis wurde ausdrücklich begrüßt.

Der aufwändigen Prozedur eines Wettbewerbes, wie er bei öffentlichen Bauten zwar nicht zwingend vorgeschrieben, aber üblich ist, hätte sich Pei auch keinesfalls unterworfen. Schon lange beteiligt er sich nicht mehr an Auslobungen. Auch die Aufträge für seine spektakulärsten Museumsbauten - in Paris, in Washington und in Shigaraki/Kyoto, wo er das Miho Museum erbaute, waren Direktaufträge.
Sein Hauptmotiv für die Übernahme der Aufgabe war nicht allein die große Wertschätzung für den Architekten Schinkel, dessen Detailgenauigkeit für I. M. Peis eigene Werke beispielhaft wirkt und der Umstand, dass sich zwei seiner Bauten in unmittelbarer Nähe zum Baugrund befinden, sondern vor allem die Tatsache, dass Pei in der neuen Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands arbeiten konnte. Während der Planungsarbeit für den Neubau führten wir in seinem New Yorker Büro viele Gespräche miteinander, in denen er sich sehr für die Ereignisse im November 1989, für die Wiedervereinigung und das Zusammenwachsen von West- und Ost-Deutschland interessierte.
Besonders aufmerksam verfolgte er die Auseinandersetzungen über die "offenen Vermögensfragen", in denen es vor allem um die Rückgabe von Grundstücken bzw. die Entschädigung von Alteigentümern ging. Pei sah hier Parallelen zu seinem persönlichen Leben: Er selbst hatte sich in den vorangegangenen Jahren immer wieder erfolglos bemüht, das großväterliche Anwesen in Suzhou/China mit seinem prächtigen Garten für die Familie zurückzugewinnen. Diese war von den Kommunisten im Zuge der Bodenreform enteignet worden. Heute ist das Anwesen ein öffentlicher Park.
Bei einem unserer zahlreichen Gespräche stellte ich ihm die Frage, warum er eigentlich vornehmlich im Ausland und nur noch selten in Amerika arbeite. Er antwortete darauf, dass er die Geschichte und Eigenheiten Amerikas kenne. Ihn interessiere bei einem Auftrag nicht allein der Bau mit seiner Funktion und seiner Einbindung in die Umgebung, sondern auch die politische Geschichte des Auftraggeberlandes und die Mentalität der dort lebenden Menschen. Für Pei wird der Entwurf eines Gebäudes so im wahrsten Sinne des Wortes zu einem "Gesamtkunstwerk". Diese analytische Herangehensweise, bei der er stets bestrebt ist, Zeit, Ort und Zweck in eine ideale Balance zu bringen, bestimmt den persönlichen Stil seiner Arbeiten.

Mit dem Auftrag für das Deutsche Historische Museum in Berlin kehrt I. M. Pei zurück zu den Wurzeln der klassischen Moderne. Auch baut er zum ersten Mal in Deutschland, in der Stadt, die seine Lehrer Walter Gropius und Marcel Breuer wesentlich prägte. Für ihn schließt sich damit gewissermaßen ein Kreis: 1934 verließ Pei als 17-Jähriger China, um in Amerika seine Ausbildung zu beginnen. Nach einer kurzen Zeit an der University of Pennsylvania in Philadelphia ging er 1935 an das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston und studierte zunächst Bauingenieurwissenschaften; bald darauf wechselte er zur Architektur. In den ersten Jahren seines Studiums beschäftigte er sich intensiv mit Le Corbusier, weil er in dessen Arbeiten den notwendigen Wandel der Architektur von der Welt der traditionellen Schönen Künste hin zur Moderne verwirklicht sah. Von Le Corbusier bezog er wichtige Inspirationen für etwas Neues. Pei erinnert sich an ihre erste persönliche Begegnung: "Ich werde Le Corbusiers Besuch im MIT im November 1956 nicht vergessen, schwarz gekleidet und mit seiner dicken Brille. Die zwei Tage mit Le Corbusier, oder 'Corbu' wie wir ihn nannten, waren vielleicht die wichtigsten Tage in meiner Architektenausbildung." (5) 1942 setzte Pei sein Architekturstudium an der Harvard Graduate School of Design fort, wo er auf Walter Gropius und Marcel Breuer traf. Der Bauhaus-Gründer Gropius war dort im Jahr 1938 Direktor geworden und hatte eine Gruppe von Architekten und Künstlern der Bauhaus-Schule mitgebracht. Mit Breuer verband Pei bis zu dessen Tod im Jahr 1981 eine sehr enge Freundschaft.
Für seine Abschlussarbeit bei Walter Gropius erarbeite Pei 1946 seinen ersten Museumsentwurf. Als Thema wählte er ein zweistöckiges Kunstmuseum in Shanghai. Dies war der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Museumsbauten, die er seither gestaltete. Gropius bezeichnete den ersten Entwurf für Shanghai als die beste Studentenarbeit, die jemals in seiner Meisterklasse erbracht wurde. "Sie zeigt deutlich, dass ein fähiger Designer an grundlegenden Traditionen festhalten kann, ohne eine progressive Konzeption des Entwurfes zu opfern." (6)
I. M. Pei, dem fernöstliche Tradition und westliche Moderne gleichermaßen nahe stehen, hat in seinen späteren Werken die strenge Sachlichkeit des Bauhauses übernommen, sie zugleich jedoch mit eleganten Formen weiterentwickelt. Er gilt heute als Vollender der klassischen Moderne.

Die anfängliche Kritik der Fachwelt an der Vergabe eines öffentlichen Gebäudes ohne vorangegangenen Wettbewerb verstummte schnell, als I. M. Pei der Öffentlichkeit am 17. Januar 1997 seinen Entwurf vorstellte. Pei hatte mit seiner ersten Präsentation viel erreicht: die Zustimmung der Denkmalpfleger wie auch die der Befürworter moderner Architektur in alter Umgebung.
"Pei´s Entwurf fügt sich in das kleinmaßstäbliche Straßenraster hinter dem Zeughaus ein, aber bildet dennoch mit großer Eleganz einen völlig eigenständigen Kristallkörper, der ohne historisierende Ansprechungen auskommt" (7) und "Pei, als Magier des Raumes gepriesen, ist es in Berlin gelungen, Alt und Neu sensibel zusammenzufügen und eine abseitige Restfläche zum Blickfang zu adeln" (8) , so urteilte die Presse begeistert.
Pei verstand es, die Enge des Grundstückes sowie die strikten Auflagen der Denkmalpflege - deutliche Unterordnung in der Bauhöhe gegenüber dem Zeughaus, Bewahrung der Sichtachsen von Mollergasse und Straße Hinter dem Zeughaus -, die aus der sensiblen Nachbarschaft zu den umliegenden historischen Gebäuden resultierte, in einen Vorzug umzuwandeln. Die Tatsache, dass der Neubau nur wenige Schauseiten für Fassaden aufweisen kann und in ihm zudem viel Nutzfläche untergebracht werden musste, war eine weitere Herausforderung. Pei wählte für das nur knapp 2.000 m² große Grundstück einen in seiner Grundform als Dreieck beschriebenen Baukörper, dessen geometrische Strenge durch eine geschwungene, nach Südwesten vorgelagerte Wandscheibe gelockert wird. Zwischen Ausstellungsbau und Zeughaus vermittelt ein beinahe gebäudehohes Glasfoyer, aus dessen geschwungener Fassade sich ein gläserner Treppenturm als Blickfang entwickelt.
Das Gebäude mit seinen 4.500 m² Nutzfläche beherbergt im 1. UG, das gesamte Baugrundstück ausnutzend, den Hauptausstellungsraum. In den darüber liegenden drei Etagen befinden sich weitere Präsentationsräume unterschiedlicher Größe und Höhe, so dass auf insgesamt 2.700 m² Fläche maximal vier verschiedene Ausstellungsthemen gezeigt werden können. Ein kleines Auditorium mit 57 Plätzen, ein Museumsladen, mehrere kleine Werkstatträume sowie ein komplettes 2. UG für Zwischendepot und Technikbereiche runden das Raumprogramm ab.
Dass das im Januar 1997 vorgestellte Modell sowie die anlässlich des ersten Spatenstiches am 27. August 1998 präsentierte Computersimulation zum Neubau nicht zu viel versprachen, konnten das Fachpublikum und die Öffentlichkeit bereits vier Jahre später beim Richtfest am 16. April 2002 mit eigenen Augen sehen.

Transparenz, Bewegung und Licht sind die Mittel, mit denen I. M. Pei das Gebäude zum öffentlichen Ort macht: "Sehen und gesehen werden". Durch die vordere Glasfassade sind die inneren Bewegungen wie durch ein Schaufenster zu erblicken. Gleichzeitig wird dem Museumsbesucher die bisher vernachlässigte Nordfassade des Zeughauses, wie in einen Rahmen gefasst, durch die Glashalle präsentiert. Der angeschlossene gläserne Treppenturm, am Abend ein leuchtender Anziehungspunkt, ist der einzige Bereich, der sich hinter der gewaltigen Masse des barocken Zeughauses herauslöst und der bereits von der Straße Unter den Linden aus zu erkennen ist. Die Wendeltreppe des Turmes ragt aus dem Volumen der Glashalle heraus und inszeniert zwischen Innen- und Außenraum eine bewusste Darbietung des historischen Umfeldes. I. M. Pei hat mit dieser Blickachse zum Zeughaus und zum Forum Fridericianum eine architektonische Korrespondenz zwischen den Bauwerken der Vergangenheit und der Gegenwart geschaffen.
Das Volumen der Glashalle fordert den Besucher in nahezu pira-nesischem Sinne auf, das Museum mit seinen unterschiedlichen Raumbezügen und vertikalen Erschließungsmöglichkeiten aus immer neuen Perspektiven zu erkunden. Vom Verbindungsgang, der aus dem Schlüterhof kommend bereits erdgeschossig den Durchblick zum Neubau ermöglicht, öffnet sich im Untergeschoss ein großer Luftraum, der den ungestörten Blick bis in den Himmel freigibt. Diese atemberaubende Großzügigkeit hat ihren Ursprung in den eng gesteckten denkmalpflegerischen Vorgaben, die Pei auf elegante Weise berücksichtigt hat. Von den Rolltreppen, Freitreppen, Brücken und Galerien aus fällt der Blick immer wieder auf die gegenüberliegende Fassade des Zeughauses. "Urban theatre" - so bezeichnete Pei selbst seinen Museumsbau, von dessen verschiedenen Ebenen sich beeindruckende Perspektiven in den städtischen Raum eröffnen.
Die Ausstellungsräume liegen in einem mit Naturstein verkleideten, weitgehend geschlossenen Baukörper. Sie sind aus konservatorischen Gründen überwiegend fensterlos, der Bezug zur Grundgeometrie, dem Dreieck, bleibt jedoch überall erhalten. Lediglich im 2. Obergeschoss gibt es auf Wunsch von I. M. Pei Einschnitte in den monolithischen Körper: Ein gebogenes Fenster fokussiert die Neue Wache mit dem umgebenden Kastanienwäldchen; eine Dachterrasse und ein gläserner Erker schaffen den Blickbezug zur Museumsinsel.
Dieser, auch durch die Verwendung von Naturstein sehr skulptural wirkende und mit seinen zahlreichen Überschneidungen, Vor- und Rücksprüngen terrassenartig ausgebildete Baukörper wird von der über vier Geschosse reichenden offenen Glashalle umgriffen. Auf der Ostseite, unmittelbar an das Verwaltungsgebäude des Deutschen Historischen Museums angrenzend, ist ein schmaler, L-förmiger Baukörper eingestellt, in dem sich das Auditorium und Restaurierungswerkstätten befinden. Auch hier begrenzen die der Grundgeometrie folgenden Wände reliefartig die Glashalle.

Mit seinen Materialien passt sich das Gebäude den gegenüberliegenden klassizistischen Bauten an und setzt doch gleichzeitig ein Zeichen der zeitgenössischen Moderne.
Die Außenfassaden der geschlossenen Baukörper sowie die Wände in der Glashalle sind mit einer Natursteinverkleidung aus fein geschliffenem französischem Kalkstein ("Magny Le Louvre") mit geschlossener Verfugung versehen. Die tragenden Geschossdecken wurden aus so genanntem "Architekturbeton", einem speziell eingefärbten Beton gefertigt, dessen Struktur durch eine fein gemaserte Holzverschalung aus "Oregon Pine" herausgearbeitet wurde. Der an der Oberfläche geflammte nordamerikanische Granit "Mason" mit beige- und rosafarbenen Einsprenkelungen bedeckt die Böden des Ausstellungsbaues sowie des Schlüterhofes und verbindet beide Gebäude auch durch diese Materialwahl miteinander. Glasfassade und Brüstungen wurden aus eisenoxidarmem und daher besonders weißem Glas hergestellt.
In den Ausstellungsbereichen wurde auf eine besonders flexible Versorgungstechnik geachtet: Die Böden sind als Doppelböden ausgeführt, in denen die gesamte Lüftungs- und Elektrotechnik geführt wird. Die quadratischen Bodenplatten, deren Oberfläche aus Eichenparkett besteht, können gegen Platten mit Elektroauslässen ausgewechselt werden, so dass die Stromversorgung an jeder beliebigen Stelle des Raumes gewährleistet ist.
Beleuchtet wird das Gebäude durch Downlights. Die Akzentbeleuchtung in den Ausstellungsräumen erfolgt über Lichtschienen, die dem Dreiecksraster des Gesamtkonzeptes folgen. Lediglich im 2. OG sind diese Dreiecke als Tetraeder ausgebildet, um die Decke des höchsten Raumes durch eine zusätzliche Dreidimensonalität zu akzentuieren.

Besucher können den Neubau von der Straße Unter den Linden und von der Museumsinsel aus durch einen eigenen, an den Treppenturm anschließenden Haupteingang betreten. Ebenso können sie aber den Weg durch das Zeughaus nehmen. Man überquert den nach einem Entwurf von I. M. Pei mit Glas überdachten Innenhof, den Schlüterhof, und gelangt durch den ins Zeughaus eingeschnittenen, hoch überwölbten Verbindungsgang im Nordflügel über eine Rolltreppe in die große, lichtdurchflutete Glashalle. Dieser Einschnitt hat zur Folge, dass der Rundgang durch die Dauerausstellung nicht unterbrochen werden muss, und zudem ermöglicht er es, unter Terrain zu kommen, da das Zeughaus nicht unterkellert ist. Mit der Überdachung des Schlüterhofes knüpft Pei an den Bauzustand nach 1880 an, als nach dem Deutsch-Französischen Krieg das Zeughaus im nördlichen Teil für eine Ruhmeshalle umgestaltet wurde. (9)
Pei sah den Zeughaushof immer als einen Ort der Begegnung, der mit Leben gefüllt werden sollte. Er stellte sich hier einen mit Bäumen begrünten Innenhof vor, in dem die Studenten der nahe gelegenen Humboldt-Universität tagsüber ins Café gehen und abends Musik hören können. Seine Idee scheiterte jedoch an der Ablehnung der Denkmalpfleger, die den Hof mit den Masken der Sterbenden Krieger von Andreas Schlüter in seiner Gestaltung erhalten wollten, und so auch den Charakter des "Steinernen Berlins".
Pei hat für die Wechselbeziehung zwischen Neubau und Zeughaus den Begriff "hand-in-glove-reciprocity" gefunden. Die funktionale und gestalterische Raumverbindung zwischen dem barocken Schlüterhof und dem modernen Erweiterungsbau bietet in der Tat zahlreiche verlockende Nutzungsmöglichkeiten.

Bei der Realisierung des Entwurfes stellte I. M. Pei sehr hohe Ansprüche bezüglich der Qualität von Material, Verarbeitung und Ausführung. Diese ästhetische Kompromisslosigkeit des Architekten war für die Projektmitarbeiter, die Fachplaner, die Bauverwaltung und die ausführenden Baufirmen eine große Herausforderung. Aber gerade die Ausführungspräzision und die strenge Materialauswahl sind das Geheimnis von Peis Meisterwerken aus Glas und Stein.
Im Laufe des Entstehungsprozesses gab es immer wieder Hindernisse technischer, personeller oder politischer Art, die es zu überwinden galt; manchmal schien die Situation so verfahren und ausweglos zu sein, dass ein Scheitern des Projektes zu befürchten war.
Nur der beharrliche Einsatz aller Beteiligten führte zu dem großartigen Ergebnis, das am 28. Februar 2003 bei der Schlüsselübergabe bewundert werden konnte.
In einem Interview wurde Pei einmal gefragt, was für ihn der schönste Augenblick bei einem Projekt sei. Er antwortete: "Was ich am meisten genieße ist das sich Erinnern an den Prozess des Überwindens der Schwierigkeiten, an all die Probleme, denen ich gegenüber stand und an all die Hilfe, die ich von verschiedenen Menschen erhalten habe, besonders von meinen Projektmitarbeitern und Kunden". (10) Für Pei ist daher der intensive Dialog mit seinen Auftraggebern sehr wichtig und ausschlaggebend auch für das Gelingen eines Bauwerkes.
Diese enge, persönliche Zusammenarbeit mündet meist in eine sehr freundschaftliche Beziehung zwischen Architekt und Auftraggeber. Man wird im Laufe des Projektes gleichsam Mitglied einer Großfamilie. Auch nach Fertigstellung der Projekte pflegt I. M. Pei einen engen Kontakt zu seinen "clients", der selbst nach vielen Jahren nicht abreißt. Dies gilt auch für unser Berliner Projekt. Im gemeinsamen Ringen um das bestmögliche Ergebnis enstand in den vergangenen Jahren ein sehr herzliches Verhältnis zu I. M. Pei und seinem Büro.

Anmerkungen:

(1) Nach intensiven Überlegungen, bei denen kurzfristig als mög-liche Bauplätze des Museums auch das Gelände des Völkerkunde-museums (westlich des Martin-Gropius-Baus), das Areal des ehe-maligen Anhalter Bahnhofs, das südlich des Bendlerblocks gelegene Grundstück an der Stauffenbergstraße und vor allem auch das Gebiet, auf dem einmal das Prinz-Albrecht-Palais lag, in Betracht gezogen wurden, brachte 1986 ein städtebaulicher Wettbewerb die Lösung.
Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Perspektiven, S. 669

(2) Ebenda, S. 670

(3) Gratulationsschreiben von Willy Brandt an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, 17.3.1989. Archiv der Senatskanzlei, Berlin.

(4) Schon damals waren diese Gebäude als Erweiterungsbauten für Ausstellungen geplant gewesen. Als aber Ende der fünfziger Jahre die Entscheidung fiel, dass die im Krieg erbeuteten Kunstschätze aus der Sowjetunion wieder zurückgebracht werden sollten, mussten die Gebäude noch während der Bauphase in De-pot- und Werkstatthäuser umgewandelt werden.

(5) Gero von Boehm, Conversations with I. M. Pei, S. 36

(6) Carter Wiseman, I. M. Pei. A profile in American Architec-ture, S. 44 ff.

(7) Berliner Zeitung, 17.1.1997

(8) Frankfurter Allgemeine Zeitung,20.1.1997

(9) Regina Müller, Das Berliner Zeughaus. Die Baugeschichte, S. 165 ff.

(10) Gero von Boehm, Conversations with I. M. Pei, S. 57


Literatur

- Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Per-spektiven. Hg. von Christoph Stölzl, Berlin 1988

- Gero von Boehm: Conversations with I. M. Pei. Light is the key. München 2000

- Carter Wiseman, I. M. Pei. A profile in American Architec-ture. New York ²2001

- Regina Müller, Das Berliner Zeughaus. Die Baugeschichte. Berlin 1994


Dieser Artikel stammt aus dem Begleitbuch zur Ausstellung I. M. Pei - Museumsbauten mit dem Titel:
"I. M. Pei - Der Ausstellungsbau für das Deutsche Historische Museum, Berlin", 96 Seiten, ca. 160 größtenteils farbige, z.T. großformatige Abbildungen , Prestel Verlag, München, Preis 15,- €.

 

 

 

Links

Link: Ulrike Kretzschmar, Abteilungsleiterin Ausstellungen und Baureferentin des DHM:
Urban Theatre - I.M.Peis - Ausstellungsbau
Link: I.M. Pei - Biographie, Preise und Auszeichnungen
Link: I.M. Pei - Wichtige Museums- und andere öffentliche Bauten
Link: Geschichte des Um- und Neubaus
Link: Technische Daten
Link: Dipl. Ing., M.Sc. Christiane Flasche (Projektarchitektin I.M. Pei):
Künstlerisches Konzept des Architekturbüros I.M. Pei
Link: Bilder des Neubaus
Link:

Der Architekt I.M. Pei im Internet (www.pcfandp.com)