Hans Carossa 1878-1956

Dichter, Schriftsteller, Arzt

Hans Carossa studiert wie sein Vater Medizin und lässt sich als Arzt nieder, veröffentlicht aber auch bald erste literarische Arbeiten. Er schreibt Gedichte, Romane, Essays – häufig mit autobiografischem Bezug. In Briefen und Tagebuchaufzeichnungen zeigt sich Carossa distanziert bis ablehnend dem NS-Regime gegenüber, lässt sich von ihm jedoch immer wieder vereinnahmen. Für Verfolgte des NS-Regimes setzt er sich schriftlich – zum Beispiel bei Baldur von Schirach – ein. In der Bundesrepublik ist Carossa zunächst weiterhin erfolgreich und angesehen, heute werden seine Bücher nicht mehr aufgelegt.

  • 1878
    15. Dezember: Hans Carossa wird in Tölz (heute: Bad Tölz) als Sohn des Medizinstudenten Karl Carossa und der Lehrerin Maria Voggenreiter geboren. Da sein Vater bei seiner Geburt noch studiert, können die Eltern erst 1883 heiraten. Carossa wird zeitweise bei Pflegeeltern untergebracht.
  • 1897-1903
    Auf Wunsch der Eltern Studium der Medizin mit anschließender Promotion in München, Würzburg und Leipzig. In München steht er in Kontakt mit den Dichterkreisen um Rainer Maria Rilke und Frank Wedekind.
  • 1904
    Er übernimmt die Praxis seines Vaters in Passau.
  • 1906

    Seine Verlobte Valerie Endlicher bringt den gemeinsamen Sohn Hans Wilhelm (1906-1968) zur Welt.

  • 1907

    Heirat mit Valerie Endlicher.
    Er veröffentlicht den Gedichtband „Stella Mystica“.

  • 1910

    Carossas „Gesammelte Gedichte“ erscheinen beim Verlag Insel in Leipzig.

  • 1913

    Die Prosadichtung "Doktor Bürgers Ende" wird veröffentlicht. Dieses Werk erzählt in Form von Tagebuchaufzeichnungen die Geschichte des Dr. Bürger, der sich in eine seiner Patientinnen verliebt, die aber trotz aller seiner Bemühungen an Tuberkulose stirbt. Daraufhin begeht Dr. Bürger Selbstmord. Wegen der Tragik der Handlung und erzähltechnischer Parallelen wird "Dr. Bürgers Ende" auch als "Carossas Werther" bezeichnet.

  • ab 1914
    Carossa lässt sich als Arzt in München nieder. Gleichzeitig ist er schriftstellerisch tätig.
  • 1916-1918
    Als Bataillonsarzt wird er an Ost- und Westfront eingesetzt. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs wird er in Frankreich schwer verwundet und nach Kriegsende aus dem Militärdienst entlassen.
  • 1922

    Die Autobiografie "Eine Kindheit" erscheint. Bis zu seinem Tod wird Carossa noch drei weitere Autobiografien verfassen. Damit trägt er wesentlich zu der Entwicklung des autobiografischen Romans in Deutschland bei.

  • 1924
    Veröffentlichung des "Rumänischen Tagebuchs", in dem Carossa Erlebnisse aus seiner Zeit als Bataillonsarzt an der Ostfront verarbeitet. Der Krieg wird als verhängnisvoll, aber dennoch mit einem verborgenen Sinn behaftet dargestellt. Trotz der täglichen Konfrontation mit Verwundung und Tod stellt Carossa den Krieg als solches niemals in Frage.
  • 1928
    "Verwandlungen einer Jugend", seine zweite autobiographisch geprägte Erzählung, erscheint.
    Carossa wird mit dem Dichterpreis der Stadt München ausgezeichnet.
  • ab 1929

    Nach Aufgabe seiner Praxis ist Carossa nunmehr freier Schriftsteller. Den größten Teil seines Lebens verbringt er in Bayern, dessen Menschen, Mythen und Folklore häufig in seinen Werken auftauchen, beispielsweise in den Autobiografien „Eine Kindheit“ und „Verwandlungen einer Jugend“. Seine humanistisch geprägte Erziehung kommt in seinem Werk, mit dem er sich selbst die Tradition Goethes fortsetzen sah, deutlich zum Ausdruck. Trotz der Erkenntnis der Existenz des Bösen versucht Carossa, die Welt als ordnende und heilende Schöpfung eines gütigen Gottes zu verstehen und darzustellen.

  • 1931

    Der Roman "Der Arzt Gion" erscheint. Ähnlich wie in "Doktor Bürgers Ende" steht auch hier ein Arzt im Mittelpunkt, der sich in seine Nachbarin verliebt, nachdem diese durch die Begegnung mit einer sterbenskranken Patientin eine tiefgreifende persönliche Veränderung erfährt.
    Er erhält den Gottfried-Keller-Preis.

  • 1933

    Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bleibt der sowohl im In- als auch im Ausland anerkannte Carossa im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern und Schriftstellerinnen in Deutschland. Sein Werk gilt als literarische Nische, in der eine künstliche, friedvolle Welt existiert, die mit den Realitäten im NS-Regime nichts gemeinsam hatte.
    Carossa lehnt die Berufung in die „Preußische Akademie für Sprache und Dichtung“ab, nachdem diese von den Nationalsozialisten übernommen und in „Deutsche Akademie der Dichtung“ umbenannt wird.
    Aufgrund seiner Bekanntheit im In- und Ausland werden vom NS-Regime wiederholt Versuche unternommen, Carossa propagandistisch zu instrumentalisieren.

  • 1936
    Sein Roman "Geheimnisse des reifen Lebens" erscheint.
  • 1938

    Juni: Carossa hält in Weimar die Rede „Wirkungen Goethes in der Gegenwart“, in der er seine hohe Verehrung für den Dichter zum Ausdruck bringt.
    August: Er erhält den Frankfurter Goethe-Preis. Durch diese Auszeichnung gewinnt er auch im Ausland weiter Anerkennung.
    September: Teilnahme am Reichsparteitag der NSDAP.

  • 1939

    Er nimmt in Italien den Premio San Remo an.

  • 1941

    Carossa veröffentlicht seine dritte Autobiografie "Das Jahr der schönen Täuschungen".
    Tod seiner Eherau Valerie.
    Oktober: Er nimmt den Posten als Präsident der nationalsozialistisch geprägten „Europäischen Schriftsteller-Vereinigung“ in Weimar an. Bis zum Ende der Vereinigung 1943 entzieht sich Carossa seiner Präsidentschaft durch Nichterscheinen auf den Jahrestreffen.
    Finanziell ist Carossa sehr erfolgreich, seine Einnahmen haben sich im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht.

  • 1943

    Er heiratet Hedwig Kerber (1895-1956), die er seit 1927 kennt und mit der er die zu diesem Zeitpunkt bereits dreizehnjährige Tochter Eva (1930-2021) hat.

  • 1944

    Auf der von Joseph Goebbels initiierten „Gottbegnadeten-Liste“ (Sonderliste, Schrifttum) steht Carossa an erster Stelle – vor Gerhart Hauptmann, Erwin Guido Kolbenheyer (1878-1962), Hanns Johst, Agnes Miegel (1879-1964) und Ina Seidel (1885-1974).

  • 1946

    Carossa verfasst für den in Nürnberg angeklagten Baldur von Schirach ein Entlastungsschreiben.
    Die „Aufzeichnungen aus Italien“ erscheinen, in denen Carossa Eindrücke von verschiedenen Italienreisen aus den Jahren 1925 bis 1943 schildert.

  • 1951

    In dem Buch „Ungleiche Welten“ setzt er sich mit dem Leben in der Zeit des Nationalsozialismus und dem als schicksalhaft beschriebenen NS-Regime auseinander.

  • 1953

    Carossa erhält das Große Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.
    Auch in der Nachkriegszeit erfreut er sich weiterhin großer Popularität.

  • 1955

    Seine letzte Autobiografie „Der Tag des jungen Arztes“ wird veröffentlicht.

  • 1956

    22. Februar: Tod seiner zweiten Ehefrau Hedwig.
    12. September: Hans Carossa stirbt in Rittsteig bei Passau.

Sarah Laubenstein, Oliver Schweinoch
31. Oktober 2023

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