Dieser Eintrag stammt von Gertrud Mohr, Cord Diekmann und Christel Lohmann (info@cord-diekmann.de), den Enkelkindern Paul Diekmanns, Juni 2008:
Feldpostbrief, 6. Juni 1917
/lemo/bestand/objekt/pd13 Am Senséebach bei Fontaine, Mörser-Mebu, 6. Juni 17,
am Mittwochabend um 12 Uhr.
Mein heißgeliebtes, gutes Lieschen!
Stehe ich da heute nachmittag mit meinen beiden Zugführern - der 2. Zug liegt ein ziemliches Stück seitab im Felde - und sprechen davon, daß die Kompagnie in diesen Tagen soviel Glück gehabt habe mit Verlusten. Und dicht dabei findet man vor einer Stunde einen meiner besten Leute, beinahe kalt. Er hat sich nur ein Stückchen vom Mebu entfernt gehabt. Da hat ihn ein ziemliches Sprengstück eines Schrappnells gefaßt. Schulter u. Kreuz. Soeben trägt man ihn fort. Er ist vor kurzem von Belgien aus in Urlaub gewesen u. hat - geheiratet. Heute nachmittag stand er noch hier an meinem Mebu als Posten. Ich habe ihn immer gern gehabt. So etwas bringt die Gedanken sehr schnell wieder auf andere Wege. Ich hatte gerade von Frieden u. Heimkehr geträumt im Halbdunkel als mir der Tod des braven Niewalda gemeldet wurde. - Gar meist kommt nun ein Unglück nicht allein. Gott schütze uns!
Die Essenholer sind noch nicht zurück. Da ist auch die Post noch nicht da. Hoffentlich kommt von Dir etwas! Dann schreibe ich nachher weiter.
7. Juni, morgens 3/4 3 Uhr.
Post ist von Dir mal wieder nicht gekommen. Gewiß fehlt Dir nun oft an Zeit. Oder die Sachen verzögern sich. Du hast ja auch trotz meines regelmäßigen Schreibens scheinbar oft tagelang von mir nichts bekommen. Friedel schrieb. Dem scheint's in Rußland gut zu gefallen. Libau muß eine schöne Stadt sein. Dann schreibt mir aus Bückeburg vom Jäger-Ersatz-Bataillon mein Klassenkollege, der Präparandenlehrer Reuter aus Detmold. Kerngesunder, kräftiger Kerl! War vor 15 Jahren schon Unteroffizier. Er ist's heute noch u. hat also scheinbar auf alle Ehren u. Auszeichnungen verzichtet. Aber wie bringen solche Leute es nur dauernd fertig, sich zu drücken? Sie müssen sich doch selbst recht lumpig vorkommen! Stolz kann man auf solche Klassenbrüder nicht sein. Manhenke, Jost, Tempel u. Krüger waren andere Leute. Ich glaube, einem Reuter gegenüber könnte ich später mal sehr deutlich werden. Dann lebt da in Falkenhagen ein Paul Junker. Du kennst ihn. Einige Klassen jünger als ich. War mal in Belgien. Weit vom Schuß. Und erholt sich scheinbar nun. Arme Kerle! - Es ist sehr unruhig diese Nacht. - Morgen am Tage mehr. Gott befohlen!
Dein tr. Paul.
Feldpostbrief, 9. Juni 1917
Im alten Artilleriestollen, Höhe 60, den 9. Juni 1917,
am Sonnabendabend 1/2 12 Uhr.
/lemo/bestand/objekt/pd14 Mein Lieb!
Es geht mir schlecht. Scheinbar Magen- u. Darmkatarrh. Die Krankheit, an der wir so viele Leute liegen haben. Gestern Abend kam ich ziemlich erhitzt hier im Unterstande an. Der war feucht u. kalt, u. heute morgen hatte ich schon den tollsten Husten. Gleich nach unserer Ankunft kam dann ein engl. Angriff auf Rgt. 99, links. Meine Leute waren zur Küche. In dem schweren Artilleriefeuer waren mir 7 Leute versprengt worden, die nun erst heute Abend sich wieder einfanden. Heute morgen habe ich etwas geschlafen, wachte aber mit rasenden Kopfschmerzen wieder auf. Dazu Übelkeit u. völlige Appetitlosigkeit.
Und zu alledem noch eine böse Artillerieschießerei auf unsern Unterstand. Jeder Einschlag schmerzte beinahe körperlich. Dazu hatte der Unterstand nur einen Ausgang. Wenn der verschüttet wurde! Und richtig! 1/2 3 heute Nachmittag ein schwerer Schlag! Alle Kerzen aus. Und Schreien u. Stöhnen von Verwundeten u. Rufe nach dem Sanitäter. Gerade auf den Eingang war eine 15er Granate gegangen u. hatte den Posten verschüttet u. meinen Sanitätsgefreiten durch Balkensplitter arg verletzt. Wie tot brachten wir beide herunter. Der Sanitätsgefreite war erst heute morgen von der 11. Komp. gekommen, um meinen gestern in Urlaub gefahrenen Sanitätsunteroffizier zu vertreten. Der arme Mann ist nicht wieder zum Bewußtsein gekommen. Der Doktor war gerade hier, als er schlief u. hielt's für nicht so gefährlich. Aber gleich nachher sprang er auf u. raste furchtbar. Mit Gewalt haben wir ihn ins Bett drücken müssen. Schaurig klangen seine bayrischen Flüche! Soeben ist er zum Sanitätsunterstande gebracht. Schädelbruch. - Mein Posten behielt die Besinnung. Er hat Beckenquetschung und den rechten Arm gebrochen. Es ist schauderhaft! Natürlich hat das mein Befinden nicht gebessert. Der Weg nach Sandemont wird mir schwer werden. Das Pferd kommen zu lassen, darf man nicht wagen. Hoffentlich bin ich bald wieder auf der Höhe!
Gestern abend Heeresbericht über Ypern. Heute haben Engländer vor 99 Schild aufgesteckt: "Großer Sieg bei Wytchacte! 5000 Gefangene! Ergebt euch u. verbündet Euch mit uns!" Nach dem heutigen Bericht haben wir allerlei verloren. Aber ein Durchbruch scheint vorläufig verhindert. - Von Dir kam gestern Dein I. Kartenbrief vom 5. Juni. Herzl. Dank! Ich freue mich, daß es Dir gut geht. Auch über Helmchens Zeilen habe ich mich sehr gefreut. Ihr habt beide recht, Liesi! Ruhe u. Erholung tun mir not. Ich sehe auch zu, was sich machen läßt. Wenn's nicht mehr geht, mache ich Schluß. Und glaub mir, meine Sehnsucht nach Euch ist groß. Aber an regelrechten Urlaub darf ich noch nicht denken. Da bin ich noch nicht dran. Gott befohlen, Liesi! Und herzlichste Grüße u. Küsse! In treuer Liebe bin u. bleibe ich Euer
Vater.
Feldpostbrief, 25. Juni 1917
Im Hendecourt-Riegel, Nord, den 25. Juni 1917,
am Montagabend um 7 Uhr.
Mein liebes, gutes Lieschen!
Heute vor einem Jahre saß ich längst wieder auf der Bahn. Nein eben rechne ich aus, daß heute erst Montag war. Da war's also dem Tage nach 1 Jahr. Der Sonntag u. Montag sind doch eigentlich die traurigsten Tage im Kriege gewesen. - Soeben komme ich von Hellwege. Der liegt hier nicht sehr weit von mir. Er kam vorhin mit dem Hauptmann Kuhne hier vorbei, u. wir haben uns dann die ganze Stellung mal angesehen, die ich im Fall eines Angriffs zu besetzen habe. Es ist ein furchtbar langes Ende, das ich mit den paar Leuten meiner Züge zu besetzen habe. Wenn die Engländer vorn durchbrechen, müssen sie hier auf alle Fälle aufgehalten werden. Sonst geht unsere Artillerie auch verloren. - Hellwege geht's gottlob wieder etwas besser. Er ist von einer Mine an den Händen u. im Gesicht verwundet worden. Nicht schwer. Aber durch den furchtbaren Luftdruck haben wohl die Gehörnerven gelitten, u. vor allem haben ihm Erdklumpen geschadet, die ihm gegen Brust und Rücken geschlagen sind. Er hat beim Angriff am Ablösungstage am Unterstandseingange gestanden, als die Minen krepiert sind. Dicht vor ihm. 3 Leute neben ihm sind sofort tot gewesen. Der arme Leutnant Teipel ist auf dem Rückwege dicht bei Fontaine in einem Erdloche verschüttet worden u. erstickt. Seinen gleichfalls verschütteten Burschen hat er noch um Hilfe angefleht. Als der sich mit Hilfe zweier Leute herausgearbeitet gehabt hat, ist T. bereits tot gewesen. Heute Abend wird er beerdigt. Du hast manche Aufnahme da, die er gemacht hat.
Dein l. Brief vom 21.6. kam gestern Abend. Du hast damals meinen Brief vom 16.6. schon gehabt. Also funktioniert die Post einigermaßen. - Auffallend sind doch die vielen Brände in der Heimat. Und meist sind's doch große Höfe. Sind's doch Gefangene? Man kommt doch unwillkürlich auf den Gedanken. Du meinst, wir hätten sehr unter der Hitze zu leiden. Das hält man im Stollen schon aus. Und auch draußen in d. Granatlöchern ist das nicht so schlimm. Viel übler sind die kühlen Nächte. Da habe ich immer mit dem Spaten mitgearbeitet, damit ich warm blieb. Und unten im Stollen schlafe ich kaum mal 2 Stunden ununterbrochen. Der Kälte wegen. Ich habe hier ein jammervolles Loch. Ohne Treppenstufen. Das Lager sind 3 Bohlen. Weich liegt man da gerade nicht. Und warm auch nicht. Hier oben im Graben habe ich eine Sommerlaube. Das ist ein überdachtes Loch. Mit 2 Bohlen als Tisch u. einer Kiste als Stuhl. Am Tage geht's da. Aber nachts hältst Du es nicht aus. Statt der Tür schließt eine Zeltbahn wenigstens die obere Hälfte des Eingangsloches. - Da vorn geht's weiter wie bei uns: Täglich um 12 Uhr mittags u. 8 Uhr abds. Trommelfeuer. Gerade jetzt geht's wieder los. - Morgen Schluß! Gott befohlen u. herzl. Grüße u. Küsse!
Paul.
Feldpostbrief, 11. Juli 1917
Siegfriedstellung zwischen Fontaine-Bullecourt,
Kampfgraben 0 3, Mittwoch, 11. Juli 1917, abends 1/2 10 Uhr.
Mein liebes, gutes Lieschen!
Wahrscheinlich schläfst Du heute abend schon in Lippspringe. Ich bekam gestern nämlich schon Deine I. Zeilen vom Sonntagmorgen. Gut, daß Du Dich so schnell entschlossen hast. Am 15 oder 16 soll auch unsere Division hier abgelöst werden u. in Ruhe kommen. Vielleicht kommen dann endlich mal bessere Zeiten für uns. Und vielleicht gibt's dann auch mehr Urlaub. Da muß ich dann aber doch mein Lieschen wieder daheim haben. Erhol Dich also recht schnell, mach Dir keine Sorgen, u. bring mir rote Backen u. einige 30 Pfund Gewicht mit aus Lippspringe! Dann habe ich Dich mal so lieb noch! Geh fleißig spazieren, sei viel im Walde, lies gute Bücher, lausche der Musik und schreib mitunter auch mal!
Mir fliegen jetzt wieder die Tage. Draußen lacht die Sonne. Da ist man gern oben im Graben. Geschossen wird nicht allzuviel. Da besucht man auch mal die Nachbarn. Gestern war ich bei Bockermann links, heute bei Hollmann rechts. Da fand sich auch der Doktor ein, u. wir haben uns unsere Sorgen mitgeteilt über Deutschlands dunkle Zukunft. Was hat der Reichstag vor? Man ist gespannt. Soll England doch noch triumphieren? Hat Rußland noch Erfolge? Dann wehe uns! Und unsere traurige Ernte? Alle Urlauber erzählen mir dasselbe: Dürre, kein Futter für's Vieh, kein Korn für's Brot. Was soll da werden? Unsere U-Boote sollen's nun auch nicht mehr schaffen können? Gott stehe uns bei!
Mir gehts gottlob gut. Wer sorgt nun für unsere Jungen? Ob heute nähere Nachricht kommt? Herzlichste Grüße u. Küsse u. in treuester Liebe!
Dein dankbarer Paul.
Weitere Feldpostbriefe von Paul Diekmann:
Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg - Teil I (Mai bis Dezember 1915)
Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg - Teil II (Januar bis April 1916)
Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg - Teil III (Mai bis September 1916)
Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg - Teil IV (Oktober bis Dezember 1916)
Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg - Teil V (Februar bis Mai 1917)
Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg - Teil VII (November 1917)