Der Wunsch des Menschen nach "Unverwundbarkeit" führte
im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung zur Herausbildung verschiedener
Formen von Körperpanzerung. Die Wechselwirkung zwischen Waffen und
Körperrüstungen hatte auf beiden Seiten immer neue Formen und
Konstruktionen zur Folge.
Verbesserungen auf dem einen Gebiet zogen Weiterentwicklungen auf dem
anderen nach sich. Körperpanzerungen sollten ausreichend schützen
und die Beweglichkeit ihrer Träger nicht zu stark beeinträchtigen.
Aus Eisendraht gefertigte Kettengeflechte und Helme wurden ab dem 11.
Jahrhundert in Europa zum gebräuchlichsten Schutz der Reiter und
Kriegsknechte. In der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts fand die Armbrust
zunehmend Verwendung; Reiter benutzten im Kampf schwere Lanzen. Vor der
Wucht dieser Angriffe schützten die Kettenhemden nicht mehr in ausreichendem
Maße. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden deshalb die besonders
gefährdeten Körperstellen durch an den Kettenhemden befestigte
Eisenbleche geschützt. Brust- und Schulterstücke kamen in Gebrauch.
An den Beinen trug man Kniebuckel und Schienen. Der schwere Topfhelm wurde
durch die Hundsgugel und die Beckenhaube ersetzt, die mehr Sicht und besseren
Schutz boten.
Im Zuge fortschreitender handwerklicher Fertigkeiten und verstärkt
durch die kriegstechnischen Erfahrungen entwickelte sich aus diesen Eisenplatten
ein vollständiger Körperschutz. Besondere Schwierigkeiten entstanden
durch die eingeschränkte Beweglichkeit. Die anatomisch richtige Konstruktion
der Schultern, Arme oder Beinzeuge führte zwangsläufig zur Entwicklung
sog. Geschübe, d. h. untereinander beweglich verbundener Metallteile.
Auch das Muskelspiel der Arme und Beine mußte der Plattner berücksichtigen.
Sehr bald wurde der komplette Harnisch für den im Einzelkampf erprobten
Ritter zur unverzichtbaren Kriegsrüstung und gleichzeitig Zeichen
seines adeligen Standes. Mit dem Fortschreiten der Waffenschmiedekunst
gelang es, auch den Körper des Pferdes mit Stahlplatten zu bedecken
(Kat. Nr. 43). Gegen Ende des 15. Jahrhunderts
war es Ausdruck höchster Eleganz, wenn Mann- und Roßharnisch
in Stil und Verzierung eine Einheit bildeten. Solche Garnituren waren
besonders kostspielig und wurden deshalb nur von Fürsten oder anderen
hohen Herren getragen.
Die zum Gefolge der Ritterheere gehörenden Knappen trugen als Körperschutz
häufig nur einen Eisenhut und ein Kettenhemd. Für die städtischen
Aufgebote fanden ebenfalls nur einfache Rüstungen oder Teilrüstungen
Verwendung, wie das Beispiel Bernau (Kat. Nr.
40) belegt.
Führend in der Harnischproduktion war zunächst Italien, insbesondere
Mailand. Sehr bald entstanden Plattnerzentren auch in anderen Ländern.
Nationale Besonderheiten und verschiedene Stilrichtungen lassen sich allmählich
ausmachen. Im 15. Jahrhundert war der Plattenharnisch vollständig
ausgebildet und erreichte eine funktionelle Schönheit, wie sie für
das gotische Kunsthandwerk insgesamt charakteristisch war.
Als Helmtyp für diesen Harnisch eigneten sich besonders der Armethelm
und die Schaller. Da die Schaller die untere Gesichtshälfte nicht
bedeckte, wurde als besonderer Gesichtsschutz ein sog. Bart getragen,
der an der Harnischbrust festgesteckt und um den Nacken verschnallt wurde.
Charakteristisch für den gotischen Harnisch ist die geschiftete Brust
und der ebenso konstruierte Rücken. Hier greift eine Unterbrust,
die unterhalb des Halsausschnittes in einer Spitze ausläuft, über
die Brustplatte. Auf dem geschobenen Rücken ist die Schiftung gerade
umgekehrt aufgebaut, hier schiebt sich die obere Platte über die
untere. Die einzelnen Platten sind meistens mit Nieten beweglich verbunden.
Diese Konstruktion ergab eine geschickte Kombination aus erhöhter
Beweglichkeit und verstärktem Schutz.
Die Spitze der Brustschiftung ist oft als gotisches Blattwerk gestaltet,
und die Ränder sind herzförmig durchbrochen. Mittelgrat, feine
Kannelierungen und Riefelungen aller Teile sowie die Taillierung von Brust
und Rücken verstärken die schlanken Linien und heben die gotischen
Elemente der Rüstung hervor. Die Schultern bestehen aus geschobenen
Folgen. Den Achselschutz bilden bewegliche Achselscheiben. An den bis
auf die Brust herabreichenden Schultern ist die rechte weit ausgeschnitten,
um den Lanzenschaft durchzuführen, der auf dem Rüsthaken aufliegt.
Die spitzen Schnabelschuhe bedecken die Füße.
Vollständig erhaltene gotische Manns- und Roßharnische sind
äußerst selten. Zu den Besonderheiten der Zeughaussammlung
zählt ein Harnisch, der Stilelemente der Gotik und Renaissance vereinigt.
Den künstlerischen Wandel dieser Zeit, der sich innerhalb eines Jahrzehnts
vollzog, dokumentiert dieser um 1500 in Innsbruck geschaffene Harnisch
auf herausragende Weise (Kat. Nr. 44).
Schwere Niederlagen gegen schweizerische und flämische Fußkämpfer
und die Hussitenkriege führten zum allmählichen Verfall des
Rittertums und zum Aufkommen des Söldnerwesens. Beschleunigt wurde
dieser Prozeß durch die mit der Verbreitung der Feuerwaffen verbundenen
Wandlungen der Kriegstechnik und den wachsenden Einfluß des Geldes.
Für die Entwicklung der Harnische hatte dies eine noch deutlichere
Aufteilung in einfache Kriegsrüstungen und Prunk- bzw. Turnierrüstungen
zur Folge. Landsknechte trugen zum Schutz nur noch einzelne Rüstungsteile.
Einzig die schwere Reiterei hielt noch längere Zeit an den kompletten
Rüstungen für den Feldkampf fest.
Gerhard Quaas
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