Mit der Industrialisierung wuchsen die Städte. Geburtenüberschuss und Hungerkrisen führten zur Landflucht größerer Bevölkerungsteile. Ausmaß und Tempo der Urbanisierung nahmen in der zweiten Jahrhunderthälfte ein bis dahin unbekanntes Ausmaß an.
Neuartige Viertel wie die City mit Geschäfts-, Banken- und Bürovierteln entstanden neben Wohn- und Industrievororten. Die alten Kleinstrukturen wurden beseitigt und die Stadt dem modernen Güterverkehr erschlossen, die Innenstadt mit der Peripherie verbunden.

Im Zuge der Urbanisierung wurde die Großstadt von der Malerei als Thema aufgegriffen. Eisenbahn und Tram, Gas- und Stromversorgung sowie das von der Industrie bestimmte Leben stellten neue Motive für die bildende Kunst bereit.
Die Stadt wird als eine neue Landschaft verstanden, in der Technik und Zivilisation in Einklang miteinander stehen. Sie wirkt auf alle Sinne und gilt als eine ambivalente, aufregende Welt, die sowohl starke Faszination wie Ablehnung hervorruft.

 

"Die abfahrenden Züge, die, die ankommen - atemlos, verschlingen die Schienen, tauchen aus dem schwarzen Rachen auf, den die Bögen der Brücke vortäuschen.
Enorme Rauchwirbel, ausgespien von den Schornsteinrohren der Lokomotiven, füllen den Bildraum, schweben auf dem Geländer, berühren den Himmel, kriechen in die Häuserzeile. Ein Parfum von beißender Kohle entweicht von dort. Man riecht die Luft, betäubt vom Atem der Kolben und vom Husten der Maschinen. [...] Die "Impression" ist ausgezeichnet."

(Octave Mirbeau, Le Salon, 1895)


"Millionen Gasflammen und grelle elektrische Leuchtkugeln brutalisieren die kommende Nacht und blenden das Auge. Alle Straßen und Plätze menschenüberfüllt: Heerscharen von Arbeitern und Lastträgern und Tagelöhnern und allerlei traurig abgerackertes Volk drängt sich zwischen Wagen und Karren und Pferdebahnen [...] über die Brücken den Vororten zu."

(Michael Georg Konrad, Die Gesellschaft, 1892)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Victor Vignon (Villiers-Cotterêts 1847 - 1909 Meulan)
Die Seine in Paris, 1874
Öl auf Leinwand, 16 x 30
Stuttgart, Maier & Co. Fine Art

Die stimmungsvolle Flusslandschaft zeigt ein industrielles, zersiedeltes Randgebiet von Paris mit Fabrik- und Werftanlagen. Die schwimmenden Docks rechts waren seinerzeit die neueste Erfindung. Auch größere Schiffe konnten für Reparatur- und Anstricharbeiten mit den Docks ins Trockene gehoben werden.
Vignon war Schüler Camille Corots und später ein erfolgreicher Vertreter des Impressionismus.

Sowohl in der Pinselführung als auch aufgrund der gewählten Landschaftsmotive verweisen seine Bilder deutlich auf das Frühwerk Pissarros, mit dem er befreundet war. Neben Paris und der Seine waren es zumeist die kleinen ländlichen Gemeinden der Seine-Oise-Gegend, die Vignon in diesen Jahren naturalistisch und in luminösem Farbauftrag malte. In der Anlage folgt die Komposition Landschaftsbildern unter anderem von Corot, wo der Blick auf eine Straße den Bildraum perspektivisch erschließt. Bereits um die Jahrhundertmitte hatte das Industriemotiv bei den Malern der Schule von Barbizon Eingang gefunden. SB

Müllerschön/Meier 2002; Herbert 1982.
Bibliographie

 

Paul-César François Helleu (Vannes 1859 - 1927 Paris)
Der Bahnhof Saint-Lazare (La gare Saint-Lazare), um 1885
Öl auf Leinwand, 103 x 160
Private Collection, Courtesy James Roundell, London
Das Gemälde wurde von der Pariser "Compagnie des chemins de fer de l'Ouest", zu deren Bereich der Bahnhof gehörte, bestellt. Der Blick des Künstlers geht von der Pont des Batignolles in Richtung Pont de l'Europe und im Hintergrund auf das Dach des Bahnhofs. Die weißen Halbsäulen der Brücke und ihre Seitengitter wurden von den Impressionisten bei Darstellungen des Gare Saint-Lazare oft als Motiv aufgegriffen. Wie Emile Zola 1877 schrieb, sollten die zeitgenössischen Künstler die Poesie in den Bahnhöfen finden, so wie ihre Väter in Wäldern und Flüssen. Edouard Manet und Claude Monet hatten in den 70er Jahren die ersten Bilder des Gare Saint-Lazare geschaffen und damit eine rege Nachfolge bei den Impressionisten begründet. Der Bahnhof und die Eisenbahnen galten als Verkörperung modernen Lebens schlechthin.

Helleus Komposition stieß auf große Zustimmung unter den Kritikern, die dem Impressionismus gegenüber aufgeschlossenen waren. So schrieb Octave Mirbeau in seiner Salonbesprechung von 1885 über ein eng verwandtes Pastell Helleus: "Die abfahrenden Züge, die, die ankommen - atemlos, verschlingen die Schienen, tauchen aus dem schwarzen Rachen auf, den die Bögen der Brücke vortäuschen. Enorme Rauchwirbel, ausgespien von den Schornsteinen der Lokomotiven, füllen den Bildraum, schweben auf dem Geländer, berühren den Himmel, kriechen in die Häuserzeile. Ein Parfum von beißender Kohle entweicht von dort. Man riecht die Luft, betäubt vom Atem der Kolben und vom Husten der Maschinen. ... Die ›Impression‹ ist ausgezeichnet." SB

Octave Mirbeau, Le Salon, in: La France, 1.,9., 12. Mai 1895; Wilson-Bareau 1998.
Bibliographie

 

 

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DIE ZWEITE SCHÖPFUNG-
Bilder der industriellen Welt vom
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Eine Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums


31. Juli bis 21 Oktober 2002
im Martin-Gropius-Bau

Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel.: 030/ 25486-0
Stadtplan-Link (www.berlin.de)


Öffnungszeiten

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr

Verkehrsverbindungen
S- und U-Bahn Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof
Bus 200, 248, 348 Haltestelle Potsdamer Platz
Bus 129 Haltestelle Anhalter Bahnhof

Eintritt
6 ,- € incl. Audioführung, ermäßigt: 4,-€