Der Kalte Krieg
und die DDR
(von Hermann Weber) |
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Vom Juniaufstand
1953
zum Bau der Mauer 1961 |
Wie sehr innere Probleme der DDR auf
das "Konto" des Kalten Krieges abgeschoben wurden, beweist die SED-Agitation
nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953. Die vom Tod Stalins (5. März 1953) schockierte
SED-Führung wurde von Stalins Nachfolgern rasch zu einem gemäßigteren "Neuen
Kurs" gezwungen. Doch das Kopieren des sowjetischen Systems, der sogenannte Aufbau
des Sozialismus, hatte in der DDR bereits eine Krisensituation verursacht. Die
Verschlechterung der Lebenslage sowie die politischen Schikanen hatten massiven Unwillen
hervorgerufen. Die rigorosen Erhöhungen der Arbeitsnormen wurden trotz des "Neuen
Kurses" nicht zurückgenommen. So bildeten der langangestaute Mißmut der
Arbeiterschaft, der plötzliche Schwenk der SED zum "Neuen Kurs", aber auch die
Verunsicherung des SED-Funktionärskorps nach Stalins Tod sowie das Problem der
Normenerhöhungen Nährboden und Ausgangspunkte für die Streiks und den Aufstand vom 17.
Juni 1953. Der Protest sprang von Ost-Berlin aus rasch über zum Arbeiteraufstand in der
ganzen DDR. In mehr als 250 Orten kam es zu Streiks und Demonstrationen. Der Aufstand
konnte nur durch Verhängung des Ausnahmezustands und den Einsatz von sowjetischen
Armee-Einheiten niedergeschlagen werden. Die SED-Führung aber behauptete, der spontane
Arbeiteraufstand sei ein "faschistischer Putsch" gewesen. Eine Entschließung
des ZK der SED vom 26. Juli 1953 wollte - ganz im Stil der Propaganda des Kalten Krieges -
weismachen, eine "von den Amerikanern organisierte und unterstützte faschistische
Untergrundbewegung" sowie "Agenten des Ostbüros der SPD" hätten von
West-Berlin aus den "faschistischen Putsch" in der DDR geleitet. An diesem
Beispiel wird deutlich, wie die SED-Demagogie die zugespitzte Lage im Kalten Krieg
ausnutzte, um vom eigenen Versagen abzulenken und für die inneren Schwierigkeiten der DDR
den "äußeren Feind" verantwortlich zu machen.
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Trotz der Krise von
1953 hatten sich die Grundzüge des Herrschaftssystems
der DDR verfestigt und blieben unangetastet. Als
Machthebel dienten dem Regime: 1. der eigene Parteiapparat
(d.h. hauptamtliche Parteifunktionäre und ehrenamtliche
Helfer), 2. der Staatsapparat (Regierung, Verwaltung,
Kultureinrichtungen, Armee, Medien), 3. die Organe
der Justiz und der Staatssicherheit, die Verfolgungsmaßnahmen
ausführten sowie 4. die Massenorganisationen und
Blockparteien, die als "Transmissionsriemen"
die Verbindung zu allen Bevölkerungsschichten herzustellen
und diese anzuleiten hatten.
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Grundsätzlich
benutzte die SED zur Herrschaftssicherung drei Methoden, die sie von der UdSSR Stalins
übernommen hatte. Erstens: Gegner wurden mit Terror niedergehalten. Der
Staatssicherheitsdienst und die Justiz richteten sich gegen eine Minderheit, die aktiv
eine Änderung des Systems anstrebte. Die Überwachung schuf zudem eine Atmosphäre der
Angst, die auch der Disziplinierung der SED diente. Zweitens:
Die Methode der "Neutralisierung". Sie sollte
"unpolitische" Menschen , die weder Gegner noch Anhänger einerseits von der
Bundesrepublik als abschreckendes des Systems waren, bei wachsendem Wohlstand sowie einem
Mindestmaß an persönlichem Freiraum passiv halten. Drittens: Die Ideologie des
"Marxismus-Leninismus". Sie fungierte als Bindeglied der herrschenden Eliten und
sollte durch Indoktrination zugleich neue Anhänger gewinnen helfen. Diese Verhältnisse
zeigen, daß der Kalte Krieg für die DDR mehr war als nur eine
Propagandaauseinandersetzung mit dem Westen oder der Versuch - etwa mit Hilfe der KPD -
auch in der Bundesrepublik zu agieren. Nicht zuletzt gelang es unter Hinweis auf den
"drohenden Atomkrieg", innere Probleme zu verdecken und den Stalinismus in der
noch jungen DDR zu etablieren.
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Der Kalte Krieg
hat außerdem wesentlich beigetragen zum Zusammenrücken der Führungseliten gegenüber
dem "Feind". Während die SED-Diktatur einerseits von der Bundesrepublik als
abschreckendes Beispiel herausgestellt wurde, um die Politik in ausgefahrenen Bahnen zu
halten, haben restaurative Tendenzen in der Bundesrepublik andererseits den Machthabern
der DDR eine ideologische Propagandawaffe an die Hand gegeben, mit der diese versuchten,
ihre eigene Elite zusammenzuhalten.
So wie der Ost-West-Konflikt bewirkte, daß Westdeutschland trotz der
NS-Vergangenheit rasch in das westliche Bündnis einbezogen wurde, so förderte er, daß
die DDR früh in die östliche Gemeinschaft unter Führung der UdSSR integriert und
"gleichberechtigt" wurde. Schon in der `Prager Erklärung` vom 22. Oktober 1950
solidarisierten sich die kommunistisch regierten Staaten Osteuropas mit der DDR. Diese
Einbindung in den Ostblock wurde in den folgenden Jahren zunehmend intensiviert.
Schließlich hatte die DDR ihrerseits schon im Juni 1950 die Oder-Neiße-Grenze in einem
Vertrag mit Polen anerkannt, der den Weg zur Beendigung der Kriegsfolgen ebnete.
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Die Ansätze der Sowjetführer
nach Stalins Tod 1953, den Kalten Krieg abzumildern,
blieben nicht ohne Auswirkungen auf die DDR. Vor
allem aber ergaben sich aus der sowjetischen "Entstalinisierung"
Modifizierungen der Politik und ihrer Methoden.
Abgeschwächt wurden die schlimmsten Verfolgungsmaßnahmen
der frühen fünfziger Jahre. Nach dem XX. Parteitag
der KPdSU 1956 und der Anti-Stalin-Rede Chruschtschows
kam auch die SED nicht länger umhin darauf zu reagieren.
Sie unterstützte nun ebenfalls die Politik der Koexistenz
unterschiedlicher Systeme, freilich ohne ihren Propagandakrieg
wesentlich einzuschränken. Dem Personenkult um Stalin,
dem sie seit 1949 in überschwenglicher, unerträglicher
Weise gefrönt hatte, schwor sie offiziell ab, und
sie versprach nun eine "Festigung der Gesetzlichkeit".
Die SED gab 1956 zu, daß frühere politische Strafurteile
"in ihrem Strafmaß zu hoch" gewesen waren.
Doch da die USA versucht hätten, "aus dem Kalten
Krieg einen Atomkrieg auf deutschem Boden entstehen
zu lassen", seien die überharten Urteile gegen
"Spione, Agenten, Terroristen und Saboteure
und auch Hetzer" ... "notwendig und geboten"
gewesen. ("Neues Deutschland" vom 21.6.1956.
Das Dokument ist abgedruckt bei Karl-Wilhelm Fricke
- Warten auf Gerechtigkeit, Köln 1971, S.231 ff.
Fricke hat sich in zahlreichen Werken mit den Verfolgungen
und dem MfS befaßt.)
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Die brutalen
stalinistischen Methoden zur Durchsetzung der SED-Diktatur wurden so als
"verständliche" Maßnahme im Kalten Krieg umgedeutet und gerechtfertigt. Allein
dies zeigt schon, daß die Ulbricht-SED nicht bereit war, stalinistische Strukturen oder
Mechanismen aufzugeben. Auch die "Rehabilitierung" der früher gemaßregelten
SED-Führer war 1956 von solchen Halbheiten geprägt. Beispielhaft für die
Aufrechterhaltung stalinistischer Praktiken waren schließlich die Prozesse gegen Harich
und Janka noch 1957. Die SED folgte der sowjetischen Politik der Abkehr von Stalin nur
sehr zögerlich. Sie nutzte weiterhin den Kalten Krieg, um die Alleinherrschaft zu
festigen. Mit ihrer These, die "Partei hat immer recht", versuchte sie die
frühere, vor allem aber die aktuelle Politik zu verteidigen
Ulbricht kam es vor allem auf die Sicherung der Macht an. Sein Versuch,
mit einem "Deutschlandplan" die Probleme nach außen zu verlagern, zeitigte
keinen Erfolg. Die wirtschaftliche Misere, die Kollektivierung der Landwirtschaft, ein
härterer politischer Kurs der SED, aber auch Berlin-Drohungen Chruschtschows führten
1960/61 zu einer allgemeinen Krise der DDR. Die Flüchtlingszahlen stiegen rapide an;
allein im Juli 1961 flüchteten 30 000 meist junge und qualifizierte Menschen in den
Westen. Um ein Ausbluten des Landes zu verhindern, entschied sich die DDR-Führung für
die völlige Abriegelung ihrer West-Grenze.
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Diesem Plan
stimmte am 5. August eine Konferenz der kommunistischen Parteichefs der
Warschauer-Pakt-Staaten zu. In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 versperrten
Volkspolizei, Betriebskampfgruppen und NVA die quer durch Berlin verlaufende
Sektorengrenze mit Stacheldrahtverhauen und Steinwällen, in den folgenden Tagen wurde
eine Mauer errichtet. Die Propagandamaschinerie der DDR stellte die Motive für den
Mauerbau in gewohnter Weise auf den Kopf: nach ihrer Lesart war die Mauer nicht gebaut
worden, um die Massenflucht von DDR-Bürgern zu verhindern, vielmehr sollte der
"antifaschistische Schutzwall" die DDR gegen den Westen schützen, war mit dem
Mauerbau der "Frieden in Europa gerettet" worden. Um das "Einsperren"
der Bevölkerung ideologisch verschleiern und "legitimieren" zu können, mußte
der Kalte Krieg und die "drohende Gefahr" des Umschlagens in einen heißen Krieg
als Argumentationsmuster herhalten.
An dieser Version hat die SED bis zum Ende der Diktatur festgehalten.
Obwohl der Wunsch der Menschen nach Reisefreiheit stets als Faktor der Instabilität der
DDR wirkte, wurde noch 1986 zum 25. Jahrestag des Mauerbaus im Jargon des Kalten Krieges
behauptet, 1961 sei der "Weltfrieden aufs äußerste bedroht" gewesen und den
"gefährlichen Machenschaften" der Imperialisten sei am 13. August "ein
Riegel vorgeschoben" worden. ("Einheit", 43. Jg., August 1986, S.676)
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