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1. Der Auftritt vor dem Rathaus
Schöneberg
1.1. Die Reden der Politiker I
1.2. Impressionen
1. Der Auftritt vor dem Rathaus Schöneberg
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Rathaus Schöneberg in Berlin |
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Um ca. 11.45 Uhr kam die Wagenkolonne
Kennedys am Rathaus Schöneberg, Amtssitz des Regierenden
Bürgermeisters an. Vom etwa vier Meter hohen Podest,
welches extra zu diesem Anlass über dem Eingangsbereich
des Rathauses errichtet wurde, sollte John F. Kennedy
eine der vielleicht wichtigsten Reden im Verlauf seiner
politische Karriere halten. In der berühmten Rede,
die klare Signale an die Sowjetunion richtete und Berlin
als eine Insel der Freiheit darstellte, sollten die
Worte "Ich bin ein Berliner"
fallen, die von Berlin aus in die Welt gingen und besonders
den Berlinern bis heute unvergessen geblieben sind.
Kennedys Besuch hatte für Berliner wie andere Deutsche
unschätzbare Bedeutung. In seiner Rede bekundete
er, dass die Teilung Deutschlands und Europas sich gegen
die Geschichte richtete und die Freiheit des geeinten
Deutschland wichtigstes/oberstes Ziel der Westmächte
bleibe. In den nächsten Schritten konnte es nur
darum gehen, Versuche der militärischen Entschärfung
mit einer Politik der Entspannung und Verbesserung zu
verbinden und dabei im Interesse des deutschen Selbstbestimmungsrechts
zu handeln. Berlin und Deutschland standen symbolisch
für Kapitalismus und Kommunismus in Europa und
eine letztendliche Einigung konnte nur in gegenseitigem
Einvernehmen erfolgen.
Bereits früh am Morgen hatten
sich Menschen am Rudolph-Wilde-Platz vor dem Rathaus
versammelt um einen guten Blick auf den gastierenden
amerikanischen Präsidenten zu erhaschen und ihre
Dankbarkeit durch Anwesenheit zum Ausdruck zu bringen.
Mit Plakaten, selbst gemalten Schildern, Tüchern
standen sie um die Mittagsstunde zu Tausenden dicht
gedrängt und erwarteten Kennedy. In späteren
Schätzungen ist von einer halben bis einer Million
Berliner Bürger die Rede, die sich am Platz versammelten.
Bis März 1963 stand nicht fest,
ob der amerikanische Präsident auf seiner Deutschlandreise
auch nach Berlin kommen würde. Das deutsche Außenministerium
hatte diese Frage für die Medien bis zu diesem
Zeitpunkt unbeantwortet gelassen. Als die amerikanische
Regierung Mitte März bekannt gab, dass Kennedy
Berlin besuchen würde, jubelte die deutsche Presse.
Nun standen die Bürger auf den Dächern, winkten
aus Fenstern und sogar die Balkone gegenüber dem
Rathaus waren überfüllt.
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Kennedys Weg zum Rathaus führte
über das Brandenburger
Tor und dem Grenzübergang Checkpoint Charlie
vorbei, wo er Gelegenheit hatte, einen Blick über
die Mauer zu werfen und wo er sich direkt mit der Grenze
auseinandersetzen musste. Er zeigte sich im Anschluss
sichtlich berührt und ließ auch eine kurze
Begegnung mit den begeisterten Berlinern an der Friedrichstraße
stattfinden. Als die Wagenkolonne am Rathaus ankam,
jubelte auch hier das Volk. Die Politiker hatten im
Rathaus jedoch zunächst die Gelegenheit, sich kurz
frisch zu machen und zu sammeln.
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Im Amtszimmer
des West-Berliner Bürgermeisters Willy Brandt übte
Kennedy seine Rede, die er
auf Din-A-5 Karten vorbereitet hatte, und besonders
seinen später berühmten Ausspruch "Ich
bin ein Berliner", bevor er gemeinsam mit Adenauer
und Brandt gegen 13.00 Uhr vor die Menge trat. Minutenlange
Sprechchöre und ein tosender Jubel der Begeisterung
stellte sich ein. Brandt
beschrieb den Besuch Kennedys in Berlin später
als den unbestrittenen Höhepunkt seiner Deutschlandreise.
Die entgegengebrachte Wärme und Herzlichkeit der
Berliner und Berlinerinnen war für beide Politiker
überwältigend.
Millionen von Menschen in ganz Deutschland
waren Zeugen dieses historischen Moments. Vor der Tribüne
waren zwei Podeste aufgestellt worden, auf denen sich
die Vertreter der Presse drängelten. Die Position
der Podeste direkt gegenüber, bzw. leicht versetzt
von der Tribüne war einige Wochen vor Kennedys
Besuch von seinen Beratern festgelegt und eingefordert
worden, um Kennedy durch die Kameras bestmöglich
einzufangen. Dem Protest der Berliner am Vorabend gegen
den Aufstellungsort der Podeste ist es zu verdanken,
dass sie um einige Meter zurückversetzt wurden.
Wie der ganze Besuch in Berlin, so war auch dieser Teil
des Protokolls minutiös geplant. Durch die Radio-
und Fernsehübertragungen konnten alle Bürger
Deutschlands Zeuge von Kennedys fulminanter und schlüssige
Rede werden.
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Zuerst sprach Otto
Bach, Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses,
der Kennedy begrüßte. Er brachte seine Dankbarkeit
für den Besuch zum Ausdruck und erwähnte die
politischen Symbole, auf die Kennedy auf seiner Tour
bereits aufmerksam geworden war: die Kongresshalle,
das Luftbrückendenkmal und die von den Amerikanern
gespendete Freiheitsglocke im Turm des Schöneberger
Rathauses. In einer Anspielung auf das verhängte
Brandenburger Tor wies er darauf hin, dass die Berichterstattung
der Medien auch vor den Hindernissen des Ostteils der
Stadt nicht halt machen würde.
Im Anschluss kam Bundeskanzler Adenauer
zu Wort, dessen Ansprache sehr kurz ausfiel. Im freundschaftlichen
Ton bedankte er sich für Kennedys Besuch in Deutschland
und Berlin. An diesem Tag habe "eine Volksabstimmung
stattgefunden, die unüberhörbar ist in der
ganzen Welt."
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Damit sprach er wohl die Idee einer
Volksabstimmung der Berliner über ihre Zugehörigkeit
zu West-Deutschland an, die in den Jahren zuvor immer
wieder in der Politik diskutiert wurde. Weiterhin erinnerte
er an die Berliner Luftbrücke und Lucius D. Clay,
bevor er vom Rednerpult zurücktrat.
Kennedys Rede
wurde immer wieder von Begeisterungsrufen und Applaus
unterbrochen. Nachdem er sich bei Adenauer und Brandt
bedankte und General Clay würdigte, folgte gleich
im ersten Teil der Rede zum ersten Mal der "stolzeste
Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: Ich
bin ein Berliner." In Lautschrift, hatte Kennedy
sich dafür auf einer Kartei-Karte notiert: Ish
bin ein Bearleener'. In einer witzigen Geste bedankte
er sich bei Heinz Weber, dem Übersetzer, dass dieser
seine Deutsch ins Deutsche übersetzte. Nach Aussage
des Historikers Andreas Daum gehört dieser Satz
"zu den gelungensten Sätzen politischer Rhetorik
der amerikanischen Außenpolitik, des 20. Jahrhunderts,
ja der Moderne überhaupt."
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Der Ursprung des Ausspruches Ich
bin ein Bürger Roms' - im original civis
Romanus sum', führt zurück in die Zeit vor
Christus, wo diese Aussage eines Individuums meinte,
ein römischer Bürger mit den entsprechenden
Rechtsansprüchen zu sein, und damit die Zugehörigkeit
zu einem bestimmten Reich bedeutete. In der Antike entwickelte
sich der Ausspruch zu einem Ausdruck des Stolzes auf
das römische Gemeinwesen. Mit dem Rückgriff
auf dieses Zitat, zitierte Kennedy sich selbst - über
ein Jahr zuvor hatte er eine fast gleiche Formulierung
bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der
amerikanischen Stadt New Orleans verwendet: Ich
bin ein Bürger der Vereinigten Staaten'. In Berlin
wollte er ebenfalls etwas Besonderes sagen, um sich
für die ihm entgegengebrachte Ergriffenheit und
Wärme zu bedanken. Mit dem Ausspruch betont er
die Zugehörigkeit zu einer Stadt - der Stadt Berlin,
die er am Ende seiner Rede wiederholt und diesmal durch
leichte Abwandlung in ein individuelles und ganz persönliches
Bekenntnis, ausgesprochen vom Präsidenten der Vereinigten
Staaten, sogar noch steigert - er verknüpft den
universellen Wunsch nach Freiheit mit der Nachkriegs-Identität
von Berlin im Kalten Krieg: "Alle freien Menschen,
wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser
Stadt West-Berlin, und deshalb bin ich als freier Mann
stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein
Berliner!'".
In weiteren Verlauf der Rede machte
Kennedy deutlich, dass Berlin eine verteidigte Insel
der Freiheit sei und er klagte die kommunistische
Welt an. "Die Mauer ist die abscheulichste
und stärkste Demonstration für das Versagen
des kommunistischen Regimes." Er wies darauf hin,
dass die westlichen Alliierten es nie nötig gehabt
hatten, eine Mauer aufzubauen, um die eigenen Leute
daran zu hindern, woanders hinzugehen. Freiheit sei
unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt sei, dann
seien nicht alle frei. Wenn der Tag der Freiheit käme,
dann könnten die Berliner Stolz sein, 20 Jahre
die Front gehalten zu haben. Nach seinem Abschluss-Ausspruch
und dem darauf folgenden, nicht enden wollendem Applaus
kam Brandt an die Reihe.
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Dessen Ton war ebenfalls ernst. Er
bedankte sich und würdigte Clay, wies auf die deutsch-amerikanische
Freundschaft und die gleichen Interessen, Ideale und
Entschlossenheit hin. Als Regierender Bürgermeister
Berlins grüßte er die Menschen im Ostteil
der Stadt und versicherte ihnen, dass man nicht aufgeben
würde. Zu Kennedy gewandt, äußerte er
den Wunsch nach friedlicher Veränderung. "Wir
sehen die großen Erwartungen der Strategie des
Friedens, wie sie der Präsident vor und während
seiner Deutschlandreise entwickelt hat. Dazu und zum
Bau des neuen Deutschland möchten wir unseren Beitrag
leisten. Dies wird der Weg der Selbstbestimmung sein."
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Im Anschluss leitete Brandt zur dramatisch inszenierten
öffentlichen Eintragung des Präsidenten
in das Goldene Buch über, die in einem Moment
der feierlichen Stille erfolgte. Brandt schloss seine
Rede mit der Inschrift der Freiheitsglocke, die während
der Unterzeichnung läutete: Möge diese
Welt mit Gottes Hilfe eine Wiedergeburt der Freiheit
erleben.' Während die Freiheitsglocke läutete,
kehrte für einen Moment Stille auf dem Platz
ein.
Allein, die Glocke hatte große Symbolkraft:
Sie war ein Geschenk der USA an Berlin. Nachdem sie
einige Wochen zuvor in verschiedenen US-Bundesstaaten
präsentiert wurde und von Lucius D. Clay innerhalb
des so genannten Kreuzzuges für die Freiheit
nach Berlin gebracht wurde, erfolgte im Oktober 1950
die Einweihung im Schöneberger Rathaus. Die Inschrift
entstammt der "Gettysburg Address" des amerikanischen
Präsidenten Abraham Lincoln, in welcher er die
Einheit von Nord- und Südstaaten und eine freiheitliche
Zukunft der USA beschwor. Als Symbol für die
"geistige Luftbrücke" zwischen Amerika
und Deutschland und für den westlichen Freiheitswillen
wurde die Freiheitsglocke ritualisiert und popularisiert.
Sie hatte zusätzliche Dynamik in die vergangene
Berlin-Politik gebracht und das Rathaus Schöneberg
zu einem auch in Amerika bekannten Erinnerungsort
werden lassen.
Kennedys Besuch in Berlin war im wahrsten
Sinne des Wortes eine Grenzerfahrung
und hatte besondere Bedeutung. Mit seiner Rede und seinem
Besuch hatte er Berlin noch einmal explizit als Stadt
Amerikas deklariert, als ein Grenzposten in feindlicher
Umgebung. Die sonst von Kennedy in seiner Politik propagierte
und zu überwindende Grenze zu Neuem und Besseren,
des New Frontier, war an
dieser Stelle geschlossen. Mit seinem Berlin-Besuch
wollte Kennedy auf das Eingegrenztsein aller freiheitlichen
Grundwerte in West-Berlin aufmerksam machen und die
Mauer als Symbol dafür darstellen. Die Mauer sollte
versinnbildlichen, was er während seiner Deutschlandreise
unter anderem negativ zum Ausdruck bringen wollte -
die moralische Unterlegenheit und Unmenschlichkeit des
als Besatzungsmacht fungierenden kommunistischen Systems.
So bediente sich Kennedy in seiner Schöneberger
Rede im Zuge der Emotionen eines äußerst
scharfen Tons, den er in der späteren Rede an der
Freien Universität relativierte. Bevor die Tour
jedoch über Steglitz nach Zehlendorf weiterging,
hatten Kennedy, Adenauer und Brandt bei einem gemeinsamen
festlichen Gastmahl im Brandenburg-Saal des Schöneberger
Rathauses die Gelegenheit, sich über die beeindruckenden
und unvergesslichen Szenen auszutauschen.
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John F. Kennedys letzter Besuch in
Berlin blieb über den Tod hinaus untrennbar mit
seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus verbunden.
Aufgrund seiner Symbolkraft wurde der Rudolph-Wilde-Platz
nach Kennedys Ermordung ihm zu Ehren nach dem Präsidenten
umbenannt. Eine Gedenktafel am Eingang, wie auch die
Sonderveröffentlichung "Ein
großer Tag in der Geschichte unserer Stadt",
herausgegeben vom Berliner Landesamt für Presse
und Information, erinnern unter anderem an diesen denkwürdigen
Tag.
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