|
 |
1.
Der Auftritt vor dem Rathaus Schöneberg
1.1. Die Reden der Politiker I
1.2. Impressionen I 1.3. Berlin und
New Frontier
1.3. Berlin und New Frontier
In seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus, äußert
Kennedy einen Satz, hinter dem sich ein ganzes Konzept
der amerikanischen Kultur verbirgt. " You
live in a defended island of freedom" - die
Insel als Außenposten inmitten einer anderen,
bis dahin noch feindlichen Welt. Die Rede ist von Berlin
als dem New Frontier im alten Europa, das es bis zuletzt
als Insel der Freiheit vor dem anderen existierenden
politischem System zu verteidigen galt. Zu seiner Bedeutung
im Bezug auf die unschöne Teilung Deutschlands
nach dem Krieg sagte Brandt
später: "Der erste Mann der westlichen Welt
hat gerade durch dieses Wort bekundet, dass die Freiheit
unteilbar ist, und er hat der Welt gesagt, dass unsere
deutsche Generation 18 Jahre nach dem Krieg das Recht
erworben hat frei zu sein, und dass unser Volk beanspruchen
darf, in gutem Sinne gegenüber jedermann vereint
leben zu können."
|
Innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone
liegend, stellte Berlin einen wichtigen Posten in der
Konfrontation der Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion
und dem Kommunismus dar. Berlin lag an der Grenze zum
Kommunismus, war vielmehr bereits umgeben von ihm, hatte
Symbolcharakter für den Rest Europas. Nach der
von den Amerikanern gepflegten Domino-Theorie musste
der leitende Grundsatz sein, alle freiheitlichen demokratischen
Systeme zu beschützen, bzw. sie zu unterstützen,
damit sie nicht vor der als feindlich betrachteten Macht
des Kommunismus fallen würde und wie ein Domino-Stein
weitere Umstürze anderer politischer Systeme nach
sich ziehen würde, bis letztendlich auch die Vereinigten
Staaten bedroht wären.
|
|
|
Vorangegangen in den Staaten waren
politische Phänomene wie die sogenannten Red Scares,
eine regelrechte Angst vor und Panikmache gegenüber
dem Kommunismus, die Red Raids, die Verfolgung und teilweise
Ausweisung von Kommunisten, sowie der sogenannte "McCarthyism",
eine medienwirksame kommunismusfeindliche Politik des
gleichnamigen Senators. Doch die Grundmotivation, Berlin
als eine Art Insel der Freiheit zu betrachten, geht
noch viel weiter zurück.
Seit Beginn der Amerikanischen Zivilisation Nordamerikas
fanden sich die Amerikaner Kämpfen mit Grenzen
zu Unbekanntem ausgesetzt. Durch die Erschließung
der Westgrenze sah man sich immer wieder mit aufregendem
Neuen konfrontiert, das die bisherigen Werte der Zivilisation
in Frage stellte und nicht nur eine Entwicklung erzwang,
sondern durch diesen Entwicklungsprozess im Ergebnis
überhaupt erst ein eigenes amerikanisches Kulturverständnis
hervorbrachte. 1893 wurde in den USA die legendäre
Turner-These geboren. Erstmalig formuliert der Namensgeber
Frederick Jackson Turner, dass das Frontier einer der
wesentlichsten Faktoren im Prozess der Formung einer
distinkten amerikanischen Nationalität und Mentalität
war, erzeugt durch die gleichzeitige Abwendung von europäischen
Mentalitäten mit dem Fortschreiten nach Westen.
Im Rahmen der "Columbian Exposition" stellte
er seine Überlegungen vor: Er betrachtete das Frontier
als offenen Raum im Westen, den es zu erobern, bezwingen
oder ganz einfach zu besiedeln galt. An diesem Punkt
der Konfrontation stießen Zivilisation und Wildnis
aufeinander in einem sich wiederholenden Prozess, der
so lange andauerte, bis das als frei geltende Land im
Westen endgültig zivilisiert war. Er beschrieb
den Westen als leer, darauf wartend von der neuen Bevölkerung
erschlossen zu werden. Dieses Konzept wurde später
durch die Kult-Figur "Buffalo Bill" um Kämpfe
mit gefährlichen und mörderischen Indianern
erweitert. Sodann war der Westen kein offenes, leeres
und wartendes Land mehr - der nordamerikanische Kontinent
musste nicht mehr nur besiedelt und in Besitz genommen
werden, er musste erkämpft werden. Das Leben dort
implizierte Unabhängigkeit, primitives Dasein und
den Überlebenskampf eines jeden Einzelnen. Es erforderte
absoluten Individualismus und unbezwingbares Selbstvertrauen.
Mit dem rechten Willen konnte alles bewältigt werden.
Revolutionär war Turners Versuch, erstmalig etwas
spezifisch "Amerikanisches" in der eigenen
Kultur herauszuarbeiten und es nicht als bloßes
Derivat Europas zu betrachten.
An dieser Grenze waren alle gleich und nur wer hart
arbeitete und Besitztümer ansammelte, konnte überleben.
So ergab sich die nächste Grenze: das Second Frontier
und damit der sich entwickelnde Kampf zwischen den Pionieren
an der vordersten Front und den Industriellen, die in
Profitgier folgten. Das System des Kapitalismus entwickelte
sich und Besitztümer galten alsbald äquivalent
mit sozialem Status. Gleichzeitig erfolgte durch die
fortschreitende ständige Geburt eines amerikanischen
Kulturverständnisses die für Amerika so wichtige
gedankliche Trennung von dem traditionellen und entwicklungshemmenden
Europa, die Formung des neuen Amerikanismus, die auch
und besonders in der Literatur stattfand und zur Mythologisierung
der Frontier-These und der Grenzerfahrung beitrug. Zu
diesem Verständnis gehörte nicht zuletzt die
ständige Beeinflussung des Westens auf den Osten
und vice versa, die als möglicher Vorläufer
der Domino-Theorie gedeutet werden könnte.
Zeit seiner politischen Karriere und
bereits vor seiner Präsidentschaft verfolgte Kennedy
einen antikommunistischen außenpolitischen Kurs
und integrierte das althergebrachte Konzept des Frontiers,
des amerikanischen Strebens nach Wandlung zum Besseren
in seine Politik. Bereits in seiner fulminanten Antrittsrede
hatte er zum Aktionismus aufgerufen: "Ask not what
your country can do for you - ask what you can do for
your country". Hauptmotiv seiner Politik sollte
das Streben nach Freiheit sein, innen- wie außenpolitisch.
In der Rede sichert er so beispielsweise auch den afrikanischen
Staaten zu, sie vor einer "neuen Tyrannei",
dem Kommunismus zu schützen. In den Fernsehdebatten
zum Wahlkampf zwischen ihm und seinem Gegenkandidaten
Nixon hatte er eine stärkere Verteidigungspolitik
und fortschrittliche Gesundheits-, Bau-, Bildungs- und
Bürgerrechte-Programme versprochen. Er versprach,
dass sein New Frontier, sein neuer Meilenstein die Nation
aus seinem ökonomischen Tief bringen würde.
Er proklamierte, den Aufbruch zu "neuen Grenzen"
vor allem in der Sozialpolitik, sowohl im eigenen Land
als auch weltweit. Wieder sollte aus dem Kampf mit Unbekanntem
etwas neueres, besseres hervorgehen. Sein Amtsantritt
eröffnete eine Periode neuer Erwartungen bei dem
amerikanischen Volk. Er brachte fortschrittliche Steuersenkungs-,
Bildungs- und Krankenversorgungsprogramme auf den Weg,
die allerdings zum großen Teil nicht während
seiner Präsidentschaft umgesetzt wurden. Auch bei
der Durchsetzung der Aufhebung der Rassentrennung in
Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden
war er erfolgreich. Kein anderer Präsident seit
Abraham Lincoln hatte für die Gleichberechtigung
Farbiger soviel getan wie Präsident Kennedy. Er
drängte den Kongress zur Annahme seiner Bürgerrechtsvorlagen
und forderte von der Industrie, Farbige gleich zu behandeln
wie Weiße. Kennedy formulierte den Anspruch einer
neuen Generation, die bereit war, Verantwortung zu übernehmen.
Er forderte die Jugend auf, sich als die neuen Pioniere
einer "New Frontier" aktiv den vielen Herausforderungen
im In- und Ausland zu stellen. "New Frontier"
wurde zum Label seines Regierungsprogramms, dessen Schwerpunkte
die Maßnahmen für unterprivilegierte Klassen
und Verhandlungen mit der UDSSR bezüglich der Atomwaffentest
waren.
|
|
 |
|
Als konkrete politische Handlung wurde
seine Anti-kommunistische Gesinnung erstmalig durch
die Unterstützung der von Eisenhower geplanten
Invasion Kubas in der "Bay of Pigs" 1961 deutlich,
einem Versuch der USA zum Sturz Fidel Castros beizutragen,
der jedoch kläglich scheiterte und einen erheblichen
politischen Misserfolg darstellte. Im gleichen Jahr
hatte Kennedy etwa 17000 US-Soldaten nach Südvietnam
entsandt, um die Diktatur Ngo Dinh Diems gegen den Vietcong
zu unterstützen. Später versuchte er dem Anti-Amerikanismus
in der westlichen Hemisphäre mittels der Alliance
for Progress beizukommen, die aber aufgrund der geringen
Geldmittel wenig Effekt hatte. Er verkündete "...
unseren Schwesterrepubliken südlich unserer Grenzen...
unsere guten Worte in Taten zu verwandeln- in eine neue
Allianz für den Fortschritt, freien Menschen und
freien Regierungen dabei zu helfen, die Fesseln der
Armut abzuwerfen." Die Allianz sollte vor allem
Ländern Mittel- und Südamerikas zugute kommen,
die Grundbedürfnisse wie Wohnen, Arbeit, Land,
Gesundheit und Bildung befriedigen. Das Programm der
Peace Corps verfolgte ähnliche Ziele: ,,Jenen Menschen,
die in den Hütten und Dörfern des halben Erdballs
darum ringen, die Fesseln des Massenelends abzuschütteln,
versprechen wir, ihnen nach besten Kräften bei
der Selbsthilfe zu helfen, wie lange es auch erforderlich
sei - und zwar nicht, weil die Kommunisten es tun, und
nicht, weil wir ihre Stimme haben wollen, sonder weil
es richtig ist." Das Projekt sprach den Idealismus
und den Tatendrang der jungen Amerikaner an. 400.000
melden sich freiwillig, um in Drittweltländern
zu arbeiten. Noch heute besteht das Peace Corps als
ein Teil der UNO. Im Frühjahr 1961 erwog Kennedy
ebenfalls, US-Truppen nach Laos zu entsenden. Im Juni
traf sich Kennedy mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten
Nikita Chruschtschow zu fröstelnden Gesprächen
in Wien und einigte sich mit ihm auf ein neutrales Laos.
In der Berlin-Frage verhielt sich Kennedy jedoch unnachgiebig.
Kennedy wollte mit allen Mitteln einen Vorstoß
der sowjetischen Truppen nach Europa verhindern. Dafür
war er bereit bis zum Äußersten zu gehen:
,,Unsere Position in Europa ist allein schon deshalb
einen Nuklearkrieg wert, weil der Verlust Europas den
Verlust ganz Asiens und Afrikas nach sich ziehen würde.
Und dann sind wir in den Vereinigten Staaten selbst
dran." Das geteilte Nachkriegs-Deutschland teilte
gleichwohl Europa mit Berlin als Zentrum der Aufmerksamkeit
- und die Berlin-Krise spitzte sich zu. Immer mehr Leute
aus dem Osten flüchteten nach Westdeutschland,
auf beiden Seiten herrschte Misstrauen. Auf den Bau
der Berliner Mauer am 13. August 1961 reagierte Kennedy
mit der Entsendung von 1500 Soldaten nach Berlin. Willy
Brand hatte drei Tage nach dem Bau der Mauer wütend
an Kennedy geschrieben: ,,Die illegale Souveränität
der Ostberliner Regierung ist durch Hinnahme anerkannt
worden.". Die Spannungen des Kalten Krieges verschärften
sich weiter.
Währenddessen hatte sich eine neue Grenze eingestellt
- der Weltraum. Nachdem Ende der 50er Jahre über
der Sowjetunion eine U-2 Rakete abgeschossen wurde,
galt es immer mehr, sie zu überwinden. Als 1957
der erste Sputnik die Welt umkreiste und die Führung
der Sowjetunion in Sachen Weltraum unmissverständlich
deutlich machte, folgte der sogenannte Sputnik-Shock,
die Angst der Amerikaner, unbemerkt ausspioniert zu
werden. Ab diesem Zeitpunkt begann der Wettlauf zu den
Sternen. Wissenschaftliche Projekte mündeten in
handfeste politische Kämpfe. Satelliten eröffneten
neue Spionagemöglichkeiten. Juri Gagarins Vorsprung
als erster Mensch im Orbit 1961 war ein Schlag ins Gesicht
Amerikas und konnte nur dadurch aufgefangen werden,
dass Kennedy daraufhin ankündigte, Amerika werde
in der nächsten Dekade einen Menschen auf den Mond
bringen, was 1969 gelang. Mit der Landung des Apollo
11 wurde die Sowjetunion überholt, woraufhin der
Entdeckungsdrang in den Folgejahren abebbte. Und doch
wurde in den 60er Jahren das "Frontier" auch
immer mehr zum Synonym für die unendlichen Weiten
des Weltraums und den Pioniergeist, den man zur Erforschung
des Alls brauchte.
1962 wurden als Reaktion auf die fortwährende Boykottpolitik
der USA und die Invasion der Schweinebucht sowjetische
Raketen auf Kuba stationiert, welche eine unmittelbare
militärische Auseinandersetzung herauf beschwörten.
Am 22.Oktober verlangte Kennedy den Abzug der Raketen
und verhängte eine Seeblockade um Kuba, um weitere
Stationierungen zu verhindern. Die Kubakrise spitzte
sich zu und drohte zu einer atomaren Auseinandersetzung
zu eskalieren. Am 28.Oktober lenkte Chruschtschow ein,
ein Rückzug, der als persönlicher, politischer
Triumph Kennedys gewertet wurde.
Mit seinem Besuch und nicht zuletzt seiner in der politischen
Auseinandersetzung des Kalten Krieges wichtigen Rede
vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin, hatte er
unmissverständlich seine Solidarität mit der
Stadt bekundet, sie als Insel der Freiheit der absoluten
Verteidigung versichert, und der Bundesrepublik Deutschland
die Unterstützung der USA zugesprochen. Berlin
würde dem Kommunismus mit der Hilfe Amerikas standhalten.
Durch diese bestimmte und unnachgiebige Vorgehensweise
leitete er letztendlich eine Politik der Entspannung
zwischen Ost und West ein und war doch weiterhin wachsam
gegenüber des Vordringens des Kommunismus. Die
USA und die Sowjetunion richteten zur Bewältigung
von Krisensituationen einen so genannten "heißen
Draht" ein, eine direkte Telefonverbindung zwischen
Moskau und Washington. Im Juli 1963 verständigten
sich die USA, die Sowjetunion und Großbritannien
auf ein Atomteststoppabkommen. Nichtsdestotrotz wurde
der Verteidigungshaushalt bis 1963 um 20% gesteigert,
die Zahl der Bomber und Raketen verdoppelt, die in Westeuropa
stationierten Atomwaffen um 60% erhöht.
Die Freiheit des Individuums ist in der amerikanischen
Verfassung niedergeschrieben und der Gedanke des Frontiers
und der Freiheit hat sich bis heute in die Gesellschaft
übertragen, welche nach wie vor über eine
große geografische und soziale Mobilität
verfügt. Mittlerweile stellt der Kommunismus nur
noch eine geringfügige Bedrohung für die Vereinigten
Staaten dar und man schafft sich neue Grenzen. Aufgrund
von übertriebenem Eifer oder speziellen wirtschaftlichen
Motiven können daraus, wie beispielsweise in puncto
Waffenkontrolle, allerdings auch Nachteile für
die Amerikaner entstehen. Staaten wie China und Russland
wurden nicht nur in Hollywood bis in die letzten Jahre
nach wie vor häufig als potentielle Feinde dargestellt.
Selbst NATO-Anwärterstaaten wurden teilweise als
gefährlich eingestuft. Wie die unmittelbare Vergangenheit
gezeigt hat, wird auch weiterhin mit dem Aufbau von
Feindbildern und Bedrohungsszenarien versucht, Bevölkerungsunterstützung
für verschiedenste Regierungspläne zu gewinnen
bzw. die Bevölkerung über potentielle Gefahren
aufzuklären, teilweise ohne begründeten oder
akuten Verdacht.
|
Ein anderer ursprünglicher Ansatz
des Frontier, der dass man mittels harter Arbeit alles
erreichen könne, ist jedoch in einem weiteren amerikanischen
Kultur-Konzept aufgegangen - dem des American Dream,
welches stattdessen bis heute fast auschließlich
im positiven Sinne als Mythos anhält.
|
|
 |
Kennedy grüßt die Berliner
|
|