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    Auswahl Exponate

     
     
     
     
 
KUNST FÜR DAS VOLK

»Das Plakat in seiner heutigen Form ist vielleicht der mächt igste
Agent in der Erziehung des Volkes zum Kunstempfindenund
zum Kunstbedürfnis. Jedenfalls hat das moderne
künstlerische Plakat in den breitesten Schichten die Erörterungkünstlerischer
Fragen, die vordem durch andere Interessen
zurückgedrängt waren, zum Tagesgespräch gemacht.«

Hans Domizlaff, um 1920

 
 

 

 

 
     
 
   
 

Rowntree’s Elect Cocoa
The Beggarstaff Brothers:
William Nicholson
Newark-on-Trent
1872 – Blewbury 1949
James Pryde

Edinburgh 1866 – London 1941
London 1895

Papier, Farblithografie

Die Entwürfe der Beggarstaff Brothers (Bettelstab-Brüder) waren richtungsweisend für die moderne Plakatgestaltung. Gemeinsam schufen sie einen Stil, der mit seiner vereinfachten Linienführung, seiner Flächigkeit und seiner eingeschränkten Farbgebung das Plakat im England des 19. Jahrhunderts revolutionierte. Sie waren die ersten, die den Schriftanteil auf ein Minimum beschränkten und die bildliche Darstellung ins Zentrum der Komposition rückten. Entsprechend urteilte die Zeitschrift »The Poster« im Februar 1898: »Es ist wahr, daß ein guter Farbsinn und ein überzeugendes Zeichnen Bedingungen für ein gutes Plakat sind. Aber noch wichtiger ist es, Grenzen zu überschreiten und ein werbendes Kunstwerk zu schaffen, und dies ist das auffallendste Verdienst von James Pryde und William Nicholson.« Das Plakat für »Rowntree´s Elect Cocoa« ist in dieser Hinsicht beispielhaft: drei Generationen beherrschen die Szene. Der Mann im Vordergrund mit schwarzem Hut, Jacke und gepunktetem Hemd bildet den Mittelpunkt. Vor der äußersten Schwärzung steht, als Blickfang, die Kakaotasse. Das auffallende Motiv und die einfache Darstellung wirkten.

Beeinflusst von der zeitgenössischen Plakatkunst des Franzosen Henri de Toulouse-Lautrec und der traditionellen japanischen Holzschnitttechnik, die das Vorbild für ihren großflächigen, klar gegliederten Bildaufbau lieferte, verwendeten die Beggarstaff Brothers häufig silhouettenhafte Motive. Diese übertrugen sie später mittels Schablonen auf das Papier. Die kräftigen Konturen, zusammen mit der reduzierten Farbskala von Rot, Graubraun und Schwarz, dazu die plakative Zeichnung, das alles zusammen erzielte eine große Fernwirkung.

Obgleich die Ateliergemeinschaft der »Beggarstaffs« nur zwischen 1894 und 1898 bestand, entwickelte sich ihr Signet zu einem eigenen Markenzeichen der englischen Plakatkunst. Selbst das deutsche »Sachplakat« – ein erst um 1905 eingeführter Plakattyp, der sich stärker den ökonomischen Zielen der Industrie unterordnete – wurde wesentlich vom Stil der beiden Briten inspiriert.

 
     
     
     
 
   

 

Aux Buttes Chaumont.
Wintermode für Damen und Mädchen
Jules Chéret

Paris 1836 – Nizza 1932
Paris 1890

Papier, Farblithografie

Jules Chéret, der als Begründer der modernen französischen Plakatkunst gilt – er schuf annähernd 1 200 Plakate –, hielt sich nach seiner Lithografenlehre für mehrere Jahre in London auf. Hier arbeitete er für den Parfumfabrikanten Eugène Rimmel, zeichnete Umschläge für Romane und entwarf Plakate für die Oper, den Zirkus und die Music-Halls. Durch den Einsatz fortschrittlicher Druckmaschinen konnte man dort größere Formate herstellen als auf dem Kontinent – bis zu einem Maß von 193 x 144 cm. Nach Paris zurückgekehrt, gründete Chéret 1866 sein eigenes lithografisches Atelier, das 1881 von der Imprimerie Chaix übernommen wurde. In zahlreichen – später häufig wiederholten – Kompositionen gelang es ihm, Bild und Schrift im Plakat einheitlich zu gestalten. Statt wie üblich beim Mehrfarbendruck mit bis zu 25 Lithosteinen zu drucken, verwendete Chéret aus Kostengründen lediglich fünf. Die dadurch erzielte Reduzierung der Vielfarbigkeit bedeutete zugleich eine Abkehr vom üblichen »Gemäldestil« der Plakate. Die Vereinfachung des technischen Verfahrens eröffnete somit die Möglichkeit einer künstlerisch stilisierten Gestaltung und war der erste Schritt zu einer eigenständigen Plakatkunst.

Die zumeist Aufsehen erregenden Plakate, die Chéret entwarf, bestechen durch die farbige Ausstrahlung der Bildmotive: die menschliche Figur im Zentrum erscheint als Blickfang. Sie verkörpert Eleganz im zeitgenössischen Kostüm, weiblichen Charme und ausgelassenes Amüsement des Fin de siècle. Nach eigener Aussage zählte zur Aufgabe des modernen Plakatgestalters, dass er »Psychologe sein und sich mit den logischen und optischen Gesetzen seiner Kunst vertraut gemacht haben muß. Er muß etwas erfinden, das selbst den Durchschnittsmenschen anhält und anregt, wenn er vom Pflaster oder Wagen aus das Bild der Straße an seinen Augen vorbeieilen läßt. Und dazu, glaube ich, ist nichts so sehr geeignet wie ein einfaches, liebliches und doch packendes Bild in lebhaften und doch harmonischen Farben.« Um 1900 war daher im »Figaro« zu lesen: »Chérets Gestalten sind frech und frivol. In eleganter Pose schweben sie auf Rokoko-Wolken. Er ist der Dampf- Watteau unserer Tage.«

 
     
     
     
 
   

 

Henri de Toulouse-Lautrec
(eigentl. Henri-Marie-Raymond de Toulouse-Lautrec-Monfa)
Aristide Bruant dans son cabaret, Plakat

Paris 1893

Papier, Farblithografie

Henri de Toulouse-Lautrec schuf in der Blütezeit der französischen Plakatkunst seine berühmten Werbeplakate. Obwohl der akademisch ausgebildete Künstler bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1901 nur insgesamt 32 Lithografien für Werbezwecke hinterließ, verhalf er der Gebrauchsgrafik zu großem Ansehen. Die konzentrierte Fernwirkung der großformatigen Werke erschien der Pariser Bevölkerung als Sensation. Als Gestalter trat er in unmittelbare Konkurrenz zu seinem Landsmann Jules Chéret. Dessen Kompositionen übertraf Toulouse-Lautrec jedoch durch die kühne Verwendung leuchtender Flächen aus ungebrochenen Farben und eine raffinierte Kombination aus figürlich-perspektivischer und flächiger Darstellungsweise. Ein weiteres Kennzeichen seiner Kunst sind schattenlose, stark betonte Konturen und die momenthafte Wiedergabe des Menschen in oft stürmischer Bewegung.

Die meisten seiner rund 300 Farbdrucke, zu denen auch die Plakate zählen, zeigen Schauplätze aus dem Umkreis des Pariser Künstlerviertels Montmartre – der antibürgerlichen Demimonde. Dazu gehörte auch das Cabaret »Le Mirliton« (Rohrflöte), dessen Besitzer Aristide Bruant – ein bekannter Chansonnier – in schwarzem Mantel, mit Schlapphut, rotem Schal und Stock zu erkennen ist. Es ist eines der populärsten Werbeplakate des Künstlers.

 
     
     
     
 
   

 

Münchner illustrierte Wochenschrift Jugend
hier zu haben.
Joseph Rudolf Witzel

Frankfurt a. M. 1867 – München nach 1900
München 1896

Papier, Farblithografie

Das moderne Werbeplakat etablierte sich in Deutschland 1896. Traditionell wurde der Auftrag für einen Plakatentwurf an einen gewerblichen Zeichner vergeben. Ab 1896 führten verschiedene Unternehmen Plakatwettbewerbe durch. Damit konnte auch die jüngere Künstlergeneration ihre neuartigen Entwürfe einer größeren Öffentlichkeit präsentieren. Die Zeitgenossen begrüßten diese Entwicklung euphorisch als »Kunst der Straße«. Aufgrund der in jener Zeit bestehenden Kontakte zwischen jungen Künstlern aus Paris und München war gerade dort die Vermittlung der neuesten französischen Plakatkunst gegeben. Der unter der Leitung von Georg Hirth 1896 gegründete Zeitschriftenverlag »Die Jugend« nutzte das Künstlerplakat nicht zufällig als eines der ersten deutschen Wirtschaftsunternehmen zu Werbezwecken: Die Titelblätter der Zeitschrift wurden selbst als Werbeträger genutzt.

 
     
     
     
 
   

 


 

Simplicissimus. Edler, milder Feinschnitt
für Zigaretten und kurze Pfeifen
Thomas Theodor Heine

Leipzig 1867 – Stockholm 1948
Heidelberg um 1920

Weißblech, Lack

Die oft unverhohlene Kritik des »Simplicissimus « an den obrigkeitlichen Institutionen des Wilhelminischen Kaiserreichs hatte zeitweilig zum Verkaufsverbot des angeblich »sittengefährdenden « Wochenblattes geführt. Als die Satirezeitschrift Ende Oktober 1898 die Palästinareise Wilhelms II. in Wort und Bild persiflierte, wurde die Ausgabe kurzerhand konfisziert. Die Leipziger Staatsanwaltschaft erhob unter anderem gegen den Karikaturisten Thomas Theodor Heine Anklage wegen Majestätsbeleidigung. Zwar hatte diese Maßnahme eine sechsmonatige Festungshaft für den Zeichner zur Folge, doch wirkte sich der Skandal auch positiv auf die Auflagenhöhe des Blattes aus. So stieg der Umsatz des Verlages nach der sogenannten »Palästina- Affäre« um mehr als 50 Prozent. Eine weitere, indirekte Form der Werbung stellte die Lizenzvergabe an andere Unternehmen dar, die verschiedene Produktverpackungen mit dem bekanntesten Titelmotiven der Zeitschrift – in leicht veränderter Ausführung – versahen. Entsprechend platzierte die 1869 gegründete Tabakwarenfabrik Liebhold aus Heidelberg die grimmige Bulldogge mit dem Schriftzug »Simplicissimus « auf ihrer Tabakdose, um ihr Renommee zu steigern.

 
     
     
     
 
   
 

Die Sünde des Lulatsch. Burlesk-Operette
Hans Rudi Erdt
Benediktbeuren 1881 – nach 1918
Berlin um 1914

Papier, Farblithografie

Die gestalterische Bezugnahme auf Gemälde großer Meister war um 1900 eine weit verbreitete Werbepraxis. Dabei erfolgte die Umsetzung der zitierten Bildvorlagen auf unterschiedliche Weise: teils wurden die Motive detailgetreu auf die Warenverpackungen oder Plakatentwürfe übertragen, teils erfuhren die Originale eine mehr oder weniger starke Verfremdung. Beide Formen der Trivialisierung zielten vor allem auf das Kunstverständnis und den gehobenen Geschmack des sogenannten Bildungsbürgertums ab, dessen kulturelle Interessen somit auch von der Werbung bedient werden konnten.

Dem Stil der Zeit angepasst, zitiert das Plakat für die burleske Operette »Die Sünde des Lulatsch«, 1914 in Chemnitz uraufgeführt, das bekannte Gemälde »Die Sünde«. Auf der Höhe seiner Popularität malte der Münchener Künstler Franz von Stuck (1863-1928) gleich mehrere Fassungen dieses Werkes. In seinem Metier war der Komponist Jean Gilbert (eigentlich Max Winterfeld, 1879-1942) ähnlich erfolgreich und wirkte sogar am New Yorker Broadway. Mit nahezu 60 Bühnenstücken erreichte er ein großes Publikum.

 
     
     
     
 
   
 

Franz von Stuck
Tettenweis 23.2.1863-Tetschen 30.8.1928)
Die Sünde, Gemälde

vor 1893

Öl, Leinwand, originaler Tempelrahmen, blattvergoldet

»Die Sünde. Saugend mit glühenden Augen, weißen Brüsten wollüstig strotzend, lockt das nackte Weib zur Verführung, aber gleich daneben, neben dem lockenden Antlitz, züngelt die giftige Schlange.« Mit diesen Worten beschrieb der Maler, Grafiker, Bildhauer und Architekt Franz von Stuck eine seiner berühmten Bildfindungen, die er zwischen 1891 und 1912 in vermutlich 14 verschiedenen Versionen – sogar auf Papier – ausführte. Der Öffentlichkeit wurde die früheste Fassung des Gemäldes erstmals 1893 auf der Secessionsausstellung in München mit phänomenalem Erfolg präsentiert. Noch im gleichen Jahr erschien eine ganzseitige Abbildung in einer aufwändig gestalteten Prachtausgabe der Kunst- und Verlagsanstalt Dr. E. Albert & Co. mit dem Titel »Franz Stuck. Über hundert Reproductionen nach Gemälden und plastischen Werken, Handzeichnungen und Studien«. Während diese Buchausgabe das Schaffen des 1906 geadelten Künstlers auch international bekannt machte, erlangte sein Bild in der Folgezeit zusätzliches Renommee durch den Abdruck in verschiedenen Bildbänden, Sammelalben und auf Postkarten. Den Vertrieb besorgte der Kunstverlag des Hoffotografen Franz Hanfstaengl ab 1903. Die enorme Begeisterung, die das Kniestück bei den Zeitgenossen hervorrief, zeigte sich bereits 1895, als die Neue Pinakothek in München das Bild erwarb. Entsprechend notiert Hans Carossa zwei Jahre später: »Ein so durch und durch geniales Bild wie die ›Sünde‹ von Stuck sei denn doch noch nie einem Meister gelungen, auch Raffael wirke daneben schwach.« Mit der »Sünde« traf Stuck den Nerv der Zeit, da das Bildmotiv viele Assoziationsmöglichkeiten eröffnete.

 
     
     
     
 
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