Kniefall und Geschenke:
Die Sühnemission des Prinzen Chun in Deutschland
von Herbert Butz
Nach der Niederschlagung
des Boxeraufstandes durch die alliierten Mächte, die auf die Belagerung
der Gesandtschaften und die Ermordung des deutschen Gesandten in
Peking, Clemens Freiherr von Ketteler, am 20. Juni 1900 erfolgte,
setzten in Peking langwierige Friedensverhandlungen ein. Sie fanden
schließlich am 7. September 1901 mit der Unterzeichnung des sogeannten
Boxer-Protokolls ihren Abschluß. Artikel 1 dieser Friedensvereinbarungen
sah vor, daß die chineische Seite eine Sühnegesandtschaft nach Deutschland
schickte.1 Unter den kaiserlichen Prinzen
ersten Ranges, die für die Leitung dieser Mission in Frage kamen,
fiel die Wahl auf Prinz Chun II. (1883-1951), mit persönlichem Namen
Zaifeng, einen Bruder des regierenden Kaisers. Zu den begleitenden
Räten des durch kaiserliches Dekret zum außerordentlichen Botschafter
ernannten Prinzen zählte der Bannergeneralleutnant Yinchang, der
zukünftige neue chinesische Gesandte in Berlin.
In der deutschen Presse fand die Reise der Sühnegesandtschaft von
Anfang an ein lebhaftes Echo.2 Am 4.
Juli 1901 meldete die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung« die bevorstehende
Abreise der Sühnegesandtschaft aus Shanghai: »Mit dem Dampfer des
Norddeutschen Lloyd >Bayern<, der am 20. d. M. von Shanghai abgeht,
tritt die außerordentliche Gesandtschaft unter Führung des Prinzen
Tschun die Reise nach Deutschland an. Der Dampfer >Bayern< ist am
22. August in Genua fällig.« Nach einem Aufenthalt in Basel,
der sich wegen eines diplomatischen Tauziehens um protokollarische
Einzelheiten (»Kotau Frage«) bei der Durchführung des Sühneaktes
in Potsdam in die Länge zog,3 reisten
die Teilnehmer der Gesandtschaft am 2. September nach Potsdam ab
und nahmen nach ihrer Ankunft am 3. September in der Orangerie im
Park von Sanssouci Wohnsitz.
Just an diesem Orte, dem Park unmittelbar vor der Orangerie, sollten
seit dem Herbst 1901 über viele Jahre hinweg auch fünf jener chinesischen
astronomischen Instrumente stehen, die seit dem Jahre 1669 unter
der Leitung des Jesuiten Ferdinand Verbiest (1623-1688) auf dem
Pekinger Observatorium installiert worden waren und die man nach
Niederschlagung des Boxeraufstandes von Peking nach Potsdam verbracht
hatte. Erst 1919 gelangten sie in Erfüllung des Friedensvertrages
von Versailles wieder an ihren alten Standort in Peking zurück.4
Der Sühneakt im Grottensaal
des Neuen Palais in Potsdam
Der Sühneakt war für den folgenden Tag (4. September) im Grottensaal
des Neuen Palais anberaumt. Sein Verlauf fand in der Presse ein
besonders ausführliches Echo, und die bei dieser Gelegenheit gehaltenen
Reden und verlesenen Schreiben wurden im Wortlaut wiedergegeben.5
Wenige Tage später, am 7. September 1901, druckte die »Norddeutsche
Allgemeine Zeitung« einen Augenzeugenbericht ab, der mit großer
Genauigkeit die zahlreichen hochrangigen deutschen Vertreter der
Regierung und des Militärs beim Sühneakt aufführte und sorgfältig
auf protokollarische Einzelheiten einging:
»Kurz vor der für die Zeremonie bestimmten Zeit 12 1/2 Uhr - fanden
sich die höchsten Staats- und Würdenträger des Reiches auf Station
Wildpark ein, von wo aus dieselben sich in Königlichen Wagen nach
dem Schlosse begaben. - Unter den Erschienenen bemerkte man die
aktiven Staatsminister Frhrn. v. Rheinbaben, Schönstedt, Möller,
v. Goßler und v. Podbielski, den Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts
v. Tirpitz, sowie den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Frhrn.
v. Richthofen, der von dem der chinesischen Sprache kundigen Kaiserlichen
Konsul Frhrn. v. Seckendorff begleitet war. Ferner waren erschienen
die Chefs des Militär- und Marinekabinets, das gesammte Große Hauptquartier
Sr. Majestät des Kaisers und Königs mit den Generalen v. Plessen,
v. Kessel und v. Löwenfeld, sowie die in Berlin und Potsdam anwesenden
Generale mit den kommandirenden Generalen des Garde- und des 3.
Armeekorps v.Bock und Polach und v. Lignitz an der Spitze. Von den
Obersten Hofchargen sah man den Oberstkämmerer Grafen Solms-Baruth,
den Ober-Hofmarschall Grafen zu Eulenburg und viele andere hochgestellte
Persönlichkeiten. Kurz vor 12 l/2 Uhr erschien Se. Majestät der
Kaiser und König in der Uniform Seines Regiments der Gardes du Corps
mit dem Marschallstabe in der Hand und begrüßte die Versammelten,
insbesondere die erschienenen Prinzen des Königlichen Hauses. Zur
festgesetzten Zeit gab der Ober-Hofmarschall Graf Eulenburg das
Zeichen, daß der Sühnegesandte nahe. Der Staatssekretär des Auswärtigen
Amtes und der Kaiserliche Konsul Frhr v. Seckendorff stellten sich
rechts vor den Thron. Der Kaiser ließ sich, ohne den Helm abzunehmen,
mit Marschallstabe in der Hand, auf dem Throne nieder und schaute
mit tiefernster Miene dem jugendlichen Prinzen entgegen, der unter
tiefer Verbeugung in der Thür des Saales erschienen war. Mit langsamen
feierlichen Schritten, wie es der chinesischen Sitte entspricht,
nahte sich Prinz Tschun, der nur von dem chinesischen Generalleutnant
Yin-Tschang als Dolmetscher begleitet und von den Zeremonienmeistern
und dem ihm beigegebenen Ehrendienst umgeben war, unter erneuerten
tiefen Verbeugungen dem Throne, in beiden Händen das in gelbe Seide
gebundene und mit dem goldenen Drachen bestickte Handschreiben des
Kaisers von China tragend. Wenige Schritte vor Seiner Majestät hielt
der Prinz inne und verlas mit zwar leiser, aber vernehmlicher Stimme
den bereits veröffentlichten Wortlaut seiner Ansprache. Hierauf
übersetzte General Yin-Tschang, welcher sich unmittelbar hinter
dem Prinzen aufgestellt hatte, die Worte des Kaiserlichen Prinzen,
der nunmehr unter abermaligen tiefen Verbeugungen die Stufen des
Thrones emporstieg, um Sr. Majestät dem Kaiser mit als Zeichen höchster
Verehrung emporgehobenen Händen das Handschreiben seines Souveräns
zu überreichen. Der Kaiser, auf den Erscheinen und Auftreten des
fremden Prinzen augenscheinlich einen sympathischen Eindruck gemacht
hatten, nahm das ihm dargebotene Schreiben huldvollst entgegen.
Hierauf überreichte der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Freiherr
v. Richthofen dem Monarchen dessen Allerhöchste Erwiderung, die
Seine Majestät in der bereits wiedergegebenen Fassung unter fester
Betonung der markanten Stellen mit lauter Stimme verlas. Die Uebertragung
der Antwort des Kaisers an den Prinzen Tschun fiel dem Kaiserlichen
Konsul Frhrn. v. Seckendorff zu, der die für die Versammlung fremden,
vom jungen Prinzen aber mit gespanntester Aufmerksamkeit aufgenommenen
Laute seiner Heimath klar und deutlich vortrug. Rückwärts gehend
und unter vierfacher tiefer Verbeugung verließ Prinz Tschun den
Saal. Die im Nebensaale und vor dem Schlosse aufgestellten Truppen
erwiesen nunmehr, nachdem der Sühneakt vor sich gegangen und nachdem
der Kaiser und König sich Allerhöchst bewogen gefunden, durch Empfang
des Prinzen Tschun das durch China zum Ausdruck gebrachte tiefe
Bedauern über die vorjährigen Ereignisse entgegenzu nehmen, militärische
Ehren. Der Prinz kehrte unter Eskorte in die ihm angewiesenen Gemächer
in der Orangerie nach Potsdam zurück.«6
Aus dieser und anderen Beschreibungen des Sühneaktes wird deutlich,
in welch würdiger und formvollendeter Weise der Prinz seine Pflicht
erfüllte und sich damit weithin Respekt erwarb, der im Verlaufe
seines Aufenthaltes in Deutschland in allgemeine Sympathie umschlagen
sollte. Unmittelbar nach dem Vollzug des Sühneaktes trat der militärische
Ehrendienst in Funktion, und der Prinz wurde fortan mit den seinem
Range gemäßen Würden behandelt. Der Kaiser stattete ihm bereits
am Nachmittag in der Orangerie einen Höflichkeitsbesuch ab. Am folgenden
Tag siedelte er mit seinem Gefolge dann nach Berlin über und nahm
im Hotel Bellevue am Potsdamer Platz Aufenthalt.
Die Zeit bis zur Abreise am 29. September war angefüllt mit einem
dichten Programm. Der Prinz folgte zahlreichen Einladungen zu Empfängen
und absolvierte umfangreiche Besichtigungen in und außerhalb Berlins.
Während seines Berliner Aufenthaltes wird ihm von seiten des Auswärtigen
Amtes eine Equipage zur Verfügung gestellt und zu allen nicht militärischen
Besuchen der Kaiserliche Konsul Freiherr von Seckendorff attachiert,
der darüber einen genauen Rapport anfertigte.7
Der Prinz besuchte in Berlin unter anderem die Königliche Porzellan-Manufaktur
und das Kaufhaus Wertheim. Ausfahrten führten ihn zum Königlichen
Schloß und zum Marstall. Weiterhin standen Besichtigungen wie die
des Siegesdenkmals, des Bismarckdenkmals und des Reichstagsgebäudes
auf dem Programm. In Lichterfelde besuchte der Prinz die Haupt-Kadetten-Anstalt.
Tagesfahrten führten ihn nach Stettin und Hamburg,8
wo er Industrieanlagen besichtigte. Am 15. September reiste der
Prinz dann in einem Salon-Wagen nach Danzig ab, wo auch der militärische
Ehrendienst wieder in Funktion trat. In Danzig wurde er anläßlich
der Kaisermanöver von Wilhelm II. mit dem Großkreuz des Roten-Adler-Ordens
ausgezeichnet.9
Chinesische Geschenke
des Sühneprinzen für das deutsche Kaiserpaar?
Am Sonntag, dem 8. September 1901, hatte der Prinz auf eigenen Wunsch
die chinesische Gesandtschaft in ihrer Residenz im Tiergarten besucht,
um dort aufgestellte, aus China eingetroffene Geschenke zu besichtigen.
Wenige Tage später erschien dazu folgende Notiz in der Presse:10
»Chinesische Geschenke. Kostbare Geschenke Kaiser Kwangsü's von
China wird Prinz Tschun während seiner Anwesenheit in Danzig unserem
Kaiserpaare überreichen. Dieselben trafen gestern in dem Palais
am Thiergarten ein, wurden daselbst im großen Speisesaale aufgestellt
und im Laufe des Vormittags vom Prinzen und der hiesigen Gesandtschaft
besichtigt, um alsdann wieder verpackt zu werden.
Über zehn Ballen feinster chinesischer Seide sind unter den
Geschenken, die so ausgewählt sind, daß sie ein Bild aller kunstgewerblichen
Industrien Chinas darbieten, zwei wundervolle, einen Meter hohe
Bronzevasen, die in blauer Emaille blühende Mandelzweige zieren,
zwei imposant große, aus Korallen geschnitzte runde Behälter, welche
Musterwerke ostasiatischen Kunstfleißes in den auf den Deckeln wiedergegebenen
Landschaften darstellen, ein Theebehälter aus Bronze, in einer Fülle
von Rubinen und Smaragden chinesische Juwelierkunst vorfuhrend,
eine Alabasterschaale mit feiner Bildhauerarbeit und eine große
Anzahl Erzeugnisse der chinesischen Porzellan-Manufaktur in den
verschiedensten Formen und Größen.«
Der Hinweis auf die Überreichung der Geschenke an das deutsche
Kaiserpaar in Danzig war allerdings übereilt, denn dazu sollte
es nicht kommen. Zunächst hatte Prinz Chun II. durch den chinesischen
Gesandten dem Auswärtigen Amt übermitteln lassen, daß
er den Wunsch hege, den kaiserlichen Hoheiten und weiteren hochgestellten
Persönlichkeiten Geschenke des Kaisers von China, der Kaiserinwitwe
und von sich selbst zu überreichen, und ließ anfragen,
wo und wann die Überreichung stattfinden könne. Im Hinblick
auf die Veranlassung der Mission und ihren besonderen Charakter
wurde ihm aber von seiten des Auswärtigen Amtes bedeutet, von
einem formellen Angebot lieber Abstand zu nehmen.11
Der Prinz ließ daraufhin anfragen, ob die Geschenke, falls
der Kaiser sie ablehne, den Museen im Namen der chinesischen Regierung
überwiesen werden könnten, wo - »wie der Prinz bemerkt
zu haben glaube, bezüglich Chinas manche Lücken vorhanden
wären, die sich mit seinen Geschenken gut ausfüllen liessen«.12
Die Museen mit chinesischen Beständen in Berlin waren das Museum
für Völkerkunde und das unmittelbar benachbarte Kunstgewerbemuseum
(im heutigen Martin-Gropius-Bau), die der Prinz im Rahmen seines
umfänglichen Programms in der Tat kurz zuvor besucht hatte,
und zwar am Nachmittag des 10. Septembers 1901. Mit dem zweiten
Vorschlag des Prinzen, der ihm zugleich auch erlaubte, sein Gesicht
zu wahren, war der Kaiser einverstanden.
Zusammengestellt waren die ursprünglich für das deutsche
Kaiserpaar bestimmten Geschenke von chinesischer Seite auf vier
von der chinesischen Gesandtschaft in Berlin an das Auswärtige
Amt bermittelten Listen.13 Eine Liste
umfaßte die Geschenke des chinesischen Kaisers Guangxu, eine
weitere solche des Prinzen Chun II. für den deutschen Kaiser.
Auf einer dritten Liste waren Geschenke der chinesischen Kaiserinwitwe
Cixi (1835 bis 1908), auf einer vierten die des Prinzen Chun II.
für die deutsche Kaiserin zusammengestellt. Die Listen hatten
folgenden Wortlaut:
[1] Liste der Geschenke, welche Seiner Majestät dem Deutschen
Kaiser von Seiner Majestät dem Kaiser von China durch Seine
Kaiserliche Hoheit dem Prinzen Tschun überreicht werden:
1.) Ein Napf aus weißem Nephrit mit Henkelringen aus dem ganzen
Stein geschnitten
2.) Eine Porzellanvase (dunkelroth) aus der berühmten Lang-Fabrik
in Kinkiang, Regierungszeit Yungchêng (A.D. 1723 1735)
3.) Eine Porzellanvase mit Päonien und Löwen in blau aus
der Regierungszeit Kienlung (A.D. 1736 1795)
4.) Ein bronzenes Räuchergefäß mit drei elephantenkopfförmigen
Füßen und Deckel mit Edelsteinen besetzt aus der Zeit
der Ming-Dynastie (A.D. 1368 1628)
5.) Zwei große Cloisonné-Vasen in Kürbisform mit
aufgesetzten kürbisförmigen Figuren, Fledermäusen
(Embleme des Glücks) und mit Schriftzeichen Shew (hohes Alter),
dieselben sollen den Wunsch ausdrücken, das Kaiserliche Haus
möge zehntausend Generationen dauern
6.) Ein bronzenes huhnförmiges Wassergefäß, mit
eingelegter Gold- und Silberverzierung aus der Zeit der Chow-Dynastie
(A.C. 1122 A.C. 255)
[2] Liste der Geschenke,
welche Ihrer Majestät der Deutschen Kaiserin von Ihrer Majestät
der Kaiserin-Mutter von China durch Seine Kaiserliche Hoheit den
Prinzen Tschun überreicht werden:
1.) Ein kleiner Lichtschirm aus weißem Nephrit mit Landschaft
und Figuren
2.) Eine Schüssel aus Porzellan mit Malerei (Frau, Kind und
Hirsch [Freude]), und Inschrift Erhält ein Sohn des Kaisers
Gnade, so nährt der Staat das ganze Haus, aus der Regierungszeit
Kanghsi (A.D. 1662 1722)
3.) Ein Paar geschnitzte Schachteln aus rothem Lack aus der Regierungszeit
Kienlung (A.D. 1736 1795)
4.) Zwei vergoldete Blumenvasen mit farbigen Edelsteinen aus der
Zeit Kienlung (A.D. 1736 1795)
5.) Zwei Stück Seidenstoff aus der Kaiserlichen Seidenweberei
zu Nanking
6.) Zwei Stück Seidenstoff aus der Kaiserlichen Seidenweberei
zu Hangchow
[3] Liste der Geschenke,
welche Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser von Seiner Kaiserlichen
Hoheit dem Prinzen Tschun ehrfurchtsvoll überreicht werden:
1.) Eine Vase aus weißem Nephrit mit Henkelringen aus dem
ganzen Steine geschnitten
2.) Eine Porzellanvase von Nephritfarbe mit hohlen Griffen, aus
der Regierungszeit Kienlung (A.D. 1736 1795)
3.) Ein Paar grüne Tuschreibsteine in Cloisonné-Faßung
4.) Eine bronzene Dreifußvase aus der Zeit der Chow-Dynastie
(A.C. 1122 A.C. 255)
Ferner
Vase. Bronze auf drei Füßen. Älteste Zeit
Porzellanflasche, rund flach. Blaumalerei. XVIII.Jht.
[4] Liste der Geschenke,
welche Ihrer Majestät der Deutschen Kaiserin von Seiner Kaiserlichen
Hoheit dem Prinzen Tschun ehrfurchtsvoll überreicht werden:
1.) Ein dreifüßiges Räuchergefäß mit
Deckel aus altem Cloisonné mit zwei Nebengefäßen,
aus der Zeit der Ming-Dynastie (A.D. 1368 1628)
2.) Eine Porzellanvase mit Phönix und Blumen aus der Regierungszeit
Wanlih (A.D. 1573 1619)
3.) Zwei Stück Seide verschiedener Farbe mit weißem Blumenmuster
aus der Kaiserlichen Seidenweberei zu Hangchow
4.) Vier Stück Seide verschiedener Farbe (ohne Muster) aus
der Kaiserlichen Seidenweberei zu Hangchow
Wie aus den Listen hervorgeht,
bestanden die Geschenke in ausgewählten Werken des chinesischen
Kunsthandwerks, vor allem aus der Zeit der Ming- (1368 1644) und
Qing-Dynastien (1644 1911): Jadearbeiten, Bronzen, Cloisonné-Objekten,
Lacken und Porzellanen sowie Seidenstoffen. Die Auswahl und Aufteilung
der Geschenke erfolgte unter sorgfältiger protokollarischer
Berücksichtigung von Rang und Status der Beschenkten und der
Schenkenden.
In China bestand eine alte Tradition in der Verteilung von kaiserlichen
Geschenken als Ausdruck besonderer kaiserlicher Huld.14
Unter den Qing-Kaisern war es üblich, in dieser Weise Mitglieder
des Kaiserhauses, verdiente Beamte und Generale auszuzeichnen und
zu belohnen, auch wurden Tempel nicht selten mit kaiserlichen Stiftungen
bedacht. So gelangten im Jahre 1771 als Geschenk des Kaisers Qianlong
(reg. 1736 1795) zehn archaische Bronzen aus seiner Sammlung in
den von der Historie geheiligten Konfuziustempel in Qufu, Provinz
Shandong.15
In der Ära Daoguang (1821 1850) erhielt ein mandschurischer
Prinz als besonderen Gunstbeweis seines kaiserlichen Herrn archaische
Bronzen aus der kaiserlichen Sammlung als Geschenk.16
Bronzene Ritualgefäße, die in der chinesischen Frühzeit
eine bedeutsame Rolle im rituellen Brauchtum und als Embleme politischer
Macht und Autorität spielten, bildeten in chinesischen Sammlungen
immer einen Schwerpunkt. Bereits in den Palastsammlungen des Altertums
zählten bronzene Dreifüße und andere Regalia zu
der Kategorie der von übernatürlichen Kräften beseelten
Schätze. Die Ausstrahlung der als Geschenke verliehenen frühen
Bronzen wurde noch gesteigert, wenn sie Inschriften trugen.
Im Umgang mit den fremden Mächten in der Zeit des Kolonialismus
zählten daher auch Geschenke, darunter Bronzen, zu bewährten
Mitteln der Diplomatie. Zum 50. Regierungsjubiläum der englischen
Königin Victoria im Jahre 1887 erhielt die Regentin vom chinesischen
Kaiser Guangxu (reg. 1871 1908), vermutlich auf Betreiben der einflußreichen
Kaiserinwitwe Cixi, ein mit Inschrift versehenes, bronzenes archaisches
Ritualgefäß vom Typ gu überreicht.17
Von der Kaiserinwitwe ist bekannt, daß sie nicht selten jenen,
denen sie besondere Achtung entgegenbrachte, darunter auch ausländische
Diplomaten, Bilder schenkte, die den Aufschriften zufolge von ihrer
eigenen Hand stammten, vorzugsweise Darstellungen des Blumen-und-Vogel-Genres.18
Eine solche Hängerolle mit Strauchpäonien aus dem Jahre
1905, die sie dem deutschen Gesandten in Peking, Freiherr Alfons
Mumm von Schwarzenstein, dem Nachfolger des in Peking ermordeten
Freiherrn Clemens von Ketteler, zu seinem Abschied schenkte, befindet
sich heute im Frankfurter Museum für Kunsthandwerk.
Unter den für Kaiser Wilhelm II. bestimmten Geschenken befanden
sich auch Bronzegefäße, von denen zwei in den Listen
als aus der Zhou-Dynastie (11. Jh. bis 256 v. Chr.) stammend bezeichnet
werden. Nach unserer heutigen Kenntnis handelt es sich allerdings
um archaisierende Bronzen, und sie stammen aus späterer Zeit.
Ausgewählte Jadearbeiten und Porzellane waren sowohl dem deutschen
Kaiser als auch der Kaiserin gewidmet. Lackkunstwerke und Seidenstoffe
waren ausschließlich für die Kaiserin vorgesehen. Bei
der späteren Verteilung der Geschenke auf die Museen sollten
auf Wunsch des deutschen Kaisers neben den beiden Sammlungen in
Berlin auch weitere in Betracht kommende Museen berücksichtigt
werden. Die preußischen Gesandtschaften in München, Dresden
und Stuttgart wurden daher angewiesen, die dortigen Regierungen
dahingehend anzuschreiben. In den Sammlungen des Münchener
Museums für Völkerkunde, der Dresdener Porzellansammlung
und des Stuttgarter Linden-Museums hat sich eine Reihe dieser Geschenke
und Zeichen der kaiserlichen Fürsorge erhalten.19
|