6. Das Leben im Pachtgebiet:
Chinesen und Deutsche
Im deutschen Pachtgebiet an der Kiautschou-Bucht lebten in der Zeit
vor dem Ersten Weltkrieg etwa 200000 Menschen, davon knapp 56000
in der Kolonialstadt Tsingtau, die übrigen in den Dörfern der Umgebung
(siehe Beitrag Wilhelm Matzat, Alltagsleben
im Schutzgebiet: Zivilisten und Militärs, Chinesen und Deutsche).
Die einheimische Bevölkerung - deren Zahl sich in der deutschen
Zeit mehr als verdreifachte, was selbst für chinesische Wachstumsraten
überdurchschnittlich hoch war - galt als traditionell und religiös
gebunden. Dies zeigte sich in Tempelanlagen, Grabstätten und Riten.
Die Menschen lebten vorwiegend von der auf Selbstversorgung ausgerichteten
Landwirtschaft und dem lokalen bzw. regionalen Markthandel (siehe
Beitrag Ingo Nentwig, Die Provinz Schantung im 19. Jahrhundert).
Rechtlich zuständig für die Bevölkerung im Schutzgebiet waren infolge
des Pachtvertrages der deutsche Gouverneur und seine Verwaltung.
Der chinesische Gouverneur von Schantung zeigte sich in seinen Gesprächen
mit dem deutschen Gouverneur immer bemüht, auch die Interessen der
chinesischen Bevölkerung des deutschen Pachtgebietes einzubringen.
Das rasche Anwachsen der einheimischen Bevölkerung steht auch in
Zusammenhang mit der Schaffung vieler neuer direkter und indirekter
Arbeitsplätze, die durch die deutschen Investitionen in die Errichtung
der Kolonialstadt sowie den Berg-, Eisenbahn- und Hafenbau ausgelöst
wurden. Mit dem Zuziehen in die neue Stadt entstanden Arbeitsplätze
für die chinesische Bevölkerung zum einen im »deutschen«
Dienstleistungssektor, so in den deutschen Haushalten, im Bildungswesen
wie auch im Einzelhandel, vor allem aber im chinesischen Einzelhandel.
Allein im chinesischen Stadtteil Tsingtaus gab es um 1912 mehr als
600 Geschäfte. Chinesische Investitionen mit Auswirkungen auf Wirtschaft
und Arbeitsplätze hatte es während der gesamten deutschen Kolonialzeit
gegeben. Nach dem »Boxer«-Krieg wurden diese von seiten
der chinesischen Regierung durch eine gezielte regionale Wirtschaftsförderung
im deutschen Investitionsgebiet der Provinz Schantung verstärkt,
auch um die deutschen Wirtschaftsaktivitäten im Hinterland zu relativieren.
Dies führte zur Herausbildung eines Entwicklungskorridors entlang
der Bahnstrecke und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in den Geschäftszentren
der Bahnorte. Allerdings verstärkte dies die räumlichen Disparitäten
in der Provinz.
Nach der Revolution von 1911 (Xinhai-Revolution), als sich Mitglieder
der alten chinesischen Führungselite im Schutzgebiet niederließen,
unterstützten deren Ausgaben dort die allgemeine Wirtschaftsbelebung.
Weniger als zehn Prozent der Einwohner Tsingtaus waren Europäer,
von denen die meisten aus Deutschland kamen. Die deutsche Bevölkerung
an der Kiautschou-Bucht bestand - da das Schutzgebiet nicht als
Siedlerkolonie konzipiert war - vor allem aus Kaufleuten, Verwaltungsbeamten,
Lehrern, Missionaren und Soldaten. Sie wohnte überwiegend im Europäerviertel
Tsingtaus bzw. in den Kasernen.
Ziel und Hauptaufgabe der Deutschen vor Ort war es, die Region zu
einem autarken Wirtschaftsstandort zu entwickeln. Dazu mußten alle
durch ihre Arbeit beitragen: Verwaltung, Private und Militär.
Mit dem Warenumsatz im Hafen von Tsingtau konnten die Deutschen
generell zufrieden sein. Seine Entwicklung muß als positiver Indikator
bewertet werden. Im Jahre 1899 wurden 192 Schiffe mit 226000 Tonnen
Fracht registriert; 1911 waren es 590 Schiffe und 1257000 Tonnen
Fracht. Ab 1908 stand Tsingtau bereits an siebenter Stelle aller
chinesischen Häfen. In einer deutschen Hafenstatistik hätte Tsingtau,
das bereits ab 1898 Freihafen war, im Jahre 1910 an vierter Stelle
gestanden, was der wirtschaftlichen Leistung von Lübeck oder Emden
gleichkam. Darüber hinaus banden Linienschiffe Tsingtau an das internationale
Netz durch Verbindungen nach Rußland, Japan und zu anderen chinesischen
Städten. Direkte Verbindungen mit Deutschland bestanden - wenn auch
unregelmäßig - ab 1909 durch Reichspostdampfer des Norddeutschen
Lloyd.
Auch die Betreiber der Schantung-Eisenbahn konnten mit dem wirtschaftlichen
Erfolg ihrer Gesellschaft zufrieden sein. Die Leistungen im Gütertransport
verdoppelten sich zwischen 1905 (310000 Tonnen) und 1911 (718000
Tonnen), wobei die Hälfte der Transportleistung die Kohle betraf.
Auch der Personenverkehr brachte Gewinne, so daß es der Bahngesellschaft
aufgrund guter Betriebseinnahmen (3,8 Millionen Mark 1905, 7 Millionen
Mark 1911) möglich war, Dividenden mit steigender Tendenz zu zahlen.
Damit war eine weitere Voraussetzung für das hochgesteckte Ziel
der wirtschaftlichen Entwicklung des Hinterlandes gegeben.
Den Händlern als Hauptnutzer der Infrastruktureinrichtungen wie
Hafen und Bahn war es an der Kiautschou-Bucht gelungen, den Handel
intensiver zu gestalten als in jeder anderen deutschen Kolonie.
Nicht zuletzt durch die Integration in das chinesische Zollgebiet
(1906) ließen sich hohe Zuwachsraten erzielen. Betrug das Volumen
- nach der Zollstatistik - 1901 noch 17,5 Millionen Mark, so war
es bis 1912 auf etwa 180 Millionen Mark angestiegen. Allerdings
- und dies war aus deutscher Sicht ein deutliches Manko - kam der
Handel eher anderen Importeuren zugute als den deutschen: Japan
(50 Prozent), Großbritannien (20 Prozent) und USA (15 Prozent) lagen
noch über den deutschen Anteilen.
Zu den Tsingtauer Exporten gehörten unter anderem Salz, das an der
Kiautschou-Bucht gewonnen und nach Rußland und Südchina verkauft
wurde, Tierprodukte aus dem Schlachthof Tsingtaus, Strohborten zur
Herstellung von Hüten, Seide, Erdnüsse und Öl sowie Kohle. Zu den
bedeutendsten Einfuhren zählten Baumaterialien, Papier, Baumwolle,
Petroleum und Farbstoffe.
Obwohl die Infrastruktur alle Voraussetzungen bot, die wirtschaftspolitischen
Ziele zu erreichen, blieb ein Großteil der Unternehmen vor Ort von
Aufträgen der öffentlichen Hand abhängig. Den deutschen Behörden
gelang es in den wenigen Jahren nicht, hinreichend viele Investoren
für das Pachtgebiet zu finden. Ob sich die staatlichen Vorleistungen
im Falle einer längeren Kolonialzeit als attraktiv genug erwiesen
hätten, vermehrt Investitionskapital an die Kiautschou-Bucht zu
lenken, muß offenbleiben. So jedenfalls kam es letztlich nicht zu
den erhofften umfangreichen privatwirtschaftlichen Folgeinvestitionen,
die für den Aufbau einer wachstumsorientierten Exportwirtschaft
zur Versorgung der chinesischen Märkte notwendig gewesen wären.
Neben dem sehr intensiven chinesischen Wirtschaftsleben im Pachtgebiet
und darüber hinaus muß das deutsche Wirtschaften vor Ort, was den
Erfolg anbelangte, eher als ambivalent bezeichnet werden. Einige
Betriebe wirtschafteten ausgesprochen erfolgreich. Dazu gehörten
die Bierherstellung (Germania-Brauerei der Anglo-German Brewery
Company) und die Bauwirtschaft. Andere Betriebe, die mit großen
Erwartungen gegründet worden waren, gingen in Konkurs. Bedeutendste
Beispiele dafür waren zum einen die 1903 gegründete Seidenspinnerei,
die über eine große Produktionshalle und viele moderne Wohnungen
verfügte und zum anderen der deutsche Bergbau in Schantung. Die
hohen Investitionskosten, der Abbau eher nur geringwertiger Kohle
zu Beginn der Förderzeit und die wirtschaftliche Konkurrenz der
chinesischen Bergbauunternehmen brachten der Gesellschaft Verluste
ein. Sie konnte nie Dividenden zahlen und ging 1913 quasi bankrott
in der Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft auf.
Als die Deutschen an die Kiautschou-Bucht kamen, fanden sie ein
funktionierendes Währungssystem vor, empfanden aber die Zahlungsmittel
als unübersichtlich. Die Währung bestand aus den Einheiten Li, Fen,
Chien und Liang. Die Fremden nannten den kleinsten Wert (Li) Käsch
und den größten Wert (Liang) Tael. Es kursierten aber auch Fremdwährungen
wie der mexikanische Silberdollar. Von deutscher Seite wurde für
das Pachtgebiet eine Vereinheitlichung angestrebt. Die 1889 in Shanghai
gegründete Deutsch-Asiatische Bank erhielt ab 1906 das Recht der
eigenen Notenausgabe und ließ deutsche Noten und Münzen für Tsingtau
herstellen (siehe Beitrag Michael Kunzel,
Deutsche Dollars für Tsingtau).
Neben der deutschen Zivilbevölkerung, die im wesentlichen im Einzelhandel,
bei den staatlichen Unternehmen sowie in der Verwaltung tätig war,
bildete das Militär die größte deutsche Bevölkerungsgruppe in Tsingtau.
Der Militärdienst war ein freiwilliger Dienst. Die Hälfte der Besatzung
wurde jährlich abgelöst. Die Marineartillerie Kiautschou rekrutierte
sich aus Soldaten des III. Seebataillons und der Matrosenartillerie
Abteilung Cuxhaven. Unter dem Oberkommando des Gouverneurs von Tsingtau
standen vier Kompanien Matrosenartillerie, vier Kompanien Infanterie,
eine Kompanie berittene Infanterie, eine Pionierkompanie und eine
Marinefeldbatterie. Darüber hinaus arbeiteten Militärbeamte in der
Marineverwaltung, im Hafenamt und im Sanitätsdienst. Die Soldaten
waren in drei Kasernen außerhalb des urbanen Zentrums untergebracht.
In der Stadt standen ihnen Einrichtungen für gesellschaftliche Anlässe
zur Verfügung und in den nahe gelegenen Lauschan-Bergen gab es ein
Soldatenheim, welches für Genesungsaufenthalte genutzt wurde. Die
Kapelle des III. Seebataillons trat in Tsingtau und anderen Städten
öffentlich auf.
Militärische Einsätze erfolgten sporadisch und konzentrierten sich
auf die Durchsetzung der Interessen der Missionen und der Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft,
auf den »Boxer«-Aufstand sowie auf Kämpfe gegen japanische
Truppen im Spätsommer 1914. Die Soldaten waren - wie im Deutschen
Reich - mit dem Gewehrmodell 98 bewaffnet. Sie trugen dunkelblaue
Uniformen mit weißem Kragen und Tschako. Im Sommer kamen Khaki-Kleidung
und weiße Tropenhelme zum Einsatz. Die berittenen Soldaten benutzten
chinesische Ponys. Als Erinnerung an ihren Aufenthalt in Tsingtau
waren Seidentücher mit Aufdrucken sehr beliebt, die später vielfach
in den deutschen Wohnungen der China-Soldaten hingen.
Zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung fungierten neben deutscher
Polizei auch 60 chinesische Polizisten. Der deutsche Polizeichef
war befugt, geringfügige Ordnungsverstöße zu ahnden. Wurden im deutschen
Schutzgebiet Streitigkeiten vor Gericht ausgetragen, so galten grundsätzlich
die für alle Kolonien verbindlichen Regelungen des Schutzgebietsgesetzes.
Ein vom deutschen Kaiser ernannter Richter war für die Fälle zuständig,
an denen Deutsche beteiligt waren. Für rein chinesische Streitparteien
gab es zwei Bezirksgerichte unter der Leitung deutscher Beamter.
In Zivilrechtsfragen wurden chinesische Rechtsvorstellungen zur
Grundlage genommen, während im Strafrecht eher mildere deutsche
Maßstäbe angewandt wurden. In Tsingtau gab es ein Europäergefängnis,
in der Marktstadt Litsun befand sich das Gefängnis für Chinesen
(siehe Beitrag Bernd Leupold, Chinesen unter
deutschem Recht: Das Justizwesen im Schutzgebiet).
Die Missionare in China stellten aufgrund ihres exterritorialen
Rechtsstatus und ihrer Tätigkeiten eine einflußreiche Gruppe unter
den Ausländern dar. Als deutsche Missionare im späten 19. Jahrhundert
in die Provinz Schantung kamen, gab es dort bereits 13 vor allem
britische und amerikanische protestantische Missionen mit etwa 140
Missionaren sowie auch Franziskaner aus Italien. Missionare von
der katholischen Steyler Mission (»societas verbi divini«,
SVD) kamen nach 1881, ebenso protestantische Missionare des 1884
in Weimar gegründeten Allgemeinen Evangelisch-protestantischen Missionsvereins
und der Berliner Missionsgesellschaft. Deren bekannteste Missionare
waren Ernst Faber und Richard Wilhelm von der Weimarer Mission,
Superintendent C. J. Voskamp von der Berliner Missionsgesellschaft
und der katholische Bischof Johann Baptist von Anzer sowie sein
Amtsnachfolger Henninghaus von der Steyler Mission. Anzer galt wegen
seines radikalen Verhaltens auch in Kirchenkreisen als nicht unumstritten.
Das Ziel der Missionare war die »Befreiung« der Nichtchristen
aus deren »Leben in Finsternis«, ein Bedürfnis, das
aus dem Pietismus und der Erweckungsbewegung zuerst in der anglo-amerikanischen
Welt entwickelt wurde. Um dieses Ziel zu erreichen, befaßten sie
sich intensiv mit dem Land, in dem sie wirkten, lernten die chinesische
Sprache, übersetzten christliche Schriften und bildeten Katecheten
aus.
Das Engagement der Missionare betraf nicht nur die Predigt und das
Taufen - bis zum Ersten Weltkrieg sollen in Schantung mehrere hunderttausend
Menschen getauft worden sein -, sondern insbesondere auch das Bildungswesen
und die Krankenbetreuung. In Tsingtau, aber auch außerhalb, unterhielten
sie Krankenhäuser sowohl für Chinesen als auch für Europäer. Diese
Einrichtungen der Missionen wurden durch das Gouvernementlazarett
ergänzt, das den nichtchinesischen Patienten vorbehalten war. Später
engagierte sich der Staat auch gegenüber der chinesischen Bevölkerung,
indem er mehrere staatliche Polikliniken im Pachtgebiet einrichtete.
Diese wiederum ergänzten die traditionelle chinesische Medizinversorgung.
Ein Schwerpunkt der Tätigkeit der Missionare betraf das Schulwesen,
was sich in der Gründung mehrerer Schulen zeigte, in denen auch
die deutsche Sprache gelehrt wurde. Erstmals wurde Schulunterricht
für chinesische Mädchen angeboten.
Aber das Schulwesen im Pachtgebiet wurde nicht allein von den Missionen
getragen, sondern maßgeblich von den deutschen Behörden, denen es
gelang, ein gegliedertes Schulsystem zu etablieren. Die Verwaltung
richtete in Tsingtau bereits 1899 eine staatliche Schule (Gouvernement-Schule)
ausschließlich für deutsche Kinder ein und führte sie einige Jahre
später im Sinne eines Reformrealgymnasiums. Zu den frühen Ausbildungseinrichtungen
zählte die Lehrlingsschule auf der Tsingtauer Werft (1902), eine
von vier Berufsschulen. Neben Chinesen wurden dort Einheimische
aus deutschen Südsee-Kolonien ausgebildet.
Einige Jahre nach dem »Boxer«-Aufstand erhielt die Bildungspolitik
als Ausdruck einer neuen Kulturpolitik sowohl Chinas als auch der
Kolonialstaaten andere Akzente und führte zum Teil zu erheblichen
Veränderungen für Schulkinder und Schulbetreiber (siehe
Beitrag Klaus Mühlhahn, Qingdao (Tsingtau) - Ein Zentrum deutscher
Kultur in China?).
Chinesische Kinder sollten - so die neue chinesische Bildungspolitik
ab 1904 - an modernes Denken und Wissen herangeführt werden. In
diesem Zusammenhang ist die Aufgabe des traditionellen konfuzianischen
Prüfungssystems zu sehen, ebenso die Neuregelungen über Lehrpläne
und über Schulabschlüsse. Abschlußprüfungen wurden nur anerkannt,
wenn der Prüfungsausschuß mit Chinesen besetzt war und der christliche
Religionsunterricht als verbindliches Schulfach entfiel. Durch diese
Politik gerieten die Missionsschulen unter Druck, weil bei Aufrechterhaltung
der alten Situation die Schülerzahlen zurückgingen. In Abstimmung
zwischen Missionen und dem chinesischen Provinzgouverneur war es
in Schantung zur Gründung von Mischschulen gekommen, die von den
Missionen und den chinesischen Behörden verwaltet wurden. Die reinen
Missionsschulen erhielten die staatliche Anerkennung erst wieder
nach 1912.
Chinesischen Kindern sollten - so die ausländischen Kulturpolitiker
- verstärkt abendländische, durchaus national geprägte Bildungsinhalte
vermittelt werden, um mehr Verständnis für die ausländischen Interessen
zu gewinnen. Für das Kiautschou-Gebiet strebte Gouverneur Truppel
ab 1905 an, Schulbezirke einzurichten, um so ein Netz von Grundschulen
zu entwickeln. Ab 1906 wurde mit dessen Aufbau begonnen. Berlin
wollte darüber hinaus in Tsingtau ein Gymnasium und eine Hochschule
eingerichtet sehen.
Der höheren Bildung für chinesische Jugendliche diente die im Jahre
1908 gegründete Deutsch-Chinesische Hochschule (»Hochschule
für Spezialwissen mit besonderem Charakter«), mit der die
kulturelle Souveränität Chinas auch in Tsingtau zum Ausdruck kam.
Deutsche und chinesische Lehrkräfte unterrichteten in der sechsjährigen
Grundstufe allgemeinbildende Fächer, und für die vierjährige Oberstufe
waren Spezialfächer vorgesehen.
Neben deutschen Lehrern, die im Pachtgebiet unterrichteten, kamen
auch deutsche Wissenschaftler an die Kiautschou-Bucht. Bekannte
Vertreter der Natur- und Geisteswissenschaften sowie der Medizin
verbrachten Lehr- und Forschungsaufenthalte in den Tsingtauer Einrichtungen.
Kultureinrichtungen standen den Menschen in Tsingtau nur in begrenztem
Maße zur Verfügung. Es gab Räumlichkeiten für chinesisches Theater.
Das deutsche Publikum mußte sich mit Laienaufführungen begnügen.
Vorträge des Vereins für Kunst und Wissenschaft, eine Bibliothek
und Konzerte eines Chores sowie der Kapelle des Seebataillons sorgten
für Abwechslung. In Tsingtau erschienen eine unter deutscher Aufsicht
geführte chinesische Zeitung und zwei deutsche Zeitungen, vorübergehend
auch eine dritte, die das Leben in der Kolonie gut dokumentiert
haben.
Bei der Freizeitgestaltung der Deutschen in Tsingtau spielte das
Vereinswesen eine wichtige Rolle. So wurden ein Sportverein, ein
Schützenverein, ein Vaterländischer Verein und die Freiwillige Feuerwehr
gegründet. Beliebt waren der Reitsport auf chinesischen Ponys und
das Bergwandern, das durch einen deutsch-österreichischen Alpenverein
gefördert wurde. Im nahegelegenen Lauschan-Gebirge (»Beschwerliches
Gebirge«) wurden markierte Wanderwege angelegt und Schutzbauden
errichtet. Das intensive deutsche Aufforstungsprogramm im Gebirge
kam den Naturliebhabern entgegen. Ein Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs
setzte sich für die Pflege und Entwicklung des Badevorortes an der
Auguste-Viktoria-Bucht ein. Dabei entwickelte sich Tsingtau vor
dem Ersten Weltkrieg zu einem beliebten Ferienort auch für Europäer
und Amerikaner aus anderen Teilen Chinas und aus Japan.
Das Leben der Chinesen und Deutschen, Zivilisten und Militärs im
deutschen Schutzgebiet ist gut durch das damals neue Medium Fotografie
dokumentiert. So haben sowohl Soldaten ihr Alltagsleben in China
festgehalten und zumeist in gesonderten Alben aufbewahrt, wie auch
professionelle Fotografen bereits vor 100 Jahren in Ostasien tätig
waren und ihre Fotos später publizierten (siehe
Beitrag Thomas Hahn, Die erste photographische Dokumentation Tsingtaus:
Dr. Behme und seine Bilder).
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