KUNST DES DOKUMENTS - BALLETT
Vier Dokumentarfilme über Tanztheater-Projekte; vier Möglichkeiten, das Zusammenspiel von Film und Ballett zu gestalten. Die umfassende und weitgehend unverfälschte Aufzeichnung einer herausragenden Aufführung (The Royal Ballet); die vergleichende Beobachtung von Proben- und Fabrikarbeit und die Suche nach einem Verständnis der choreografischen Entscheidungen (Was tun Pina Bausch und ihre Tänzer in Wuppertal?), die euphorisierende Erzählung eines geglückten tanzpädagogischen Projekts, dessen Aufführung die Tänzer und Zuschauer gleichermaßen in Hochstimmung versetzt (Rhythm Is It!); und schließlich Filme wie Tänze, choreografierte Bewegungen, Räume und Intervalle: die einzigartigen Filme von Maya Deren.
KUNST DES DOKUMENTS – BALLETT
The Royal Ballet
GB 1959, R: Paul Czinner, 135’ 35 mm, OF
Das Londoner Royal Ballet interpretiert Hans Werner Henzes Undine, Igor Strawinskys Feuervogel sowie den zweiten Akt aus Peter Tschaikowskis Schwanensee. Unter der choreographischen Leitung von Frederick Ashton tanzen u.a. Margot Fonteyn und Michael Somes. – Paul Czinner hat nicht versucht, die Aufführungen ins Filmische zu übertragen, sondern er entschied sich für einen dokumentarischen Ansatz mit hohem technischen Aufwand. Elf Kameras mit jeweils vier Objektiven lieferten 44 verschiedene Einstellungen. Die Aufnahmen erstreckten sich über 36 Stunden. So konnten die meisten Szenen ohne größere Unterbrechungen in einem Stück aufgenommen und die Intensität des Spiels bewahrt werden. Die Farbdramaturgie entschied sich für bräunliche Pastelltöne. „Czinner ist mit diesem Film ein Wurf gelungen, der vergessen läßt, daß der Kamera dabei eine dienende Rolle zugeteilt war. Freilich kam ihm Ashton einen wesentlichen Schritt entgegen. Seine Choreographie ist voller Leben, voll träumerischer Durchsichtigkeit und realistischer Dramatik.“ (Evangelischer Film-Beobachter, 30.7.1960). (jg)
am 2.9.2010 um 20.00 Uhr
KUNST DES DOKUMENTS – BALLETT
Was tun Pina Bausch und ihre Tänzer in Wuppertal?
BRD 1983, R: Klaus Wildenhahn, K: Wolfgang Jost, 120’ Beta SP
Im April und Mai 1982 studiert Pina Bausch in einem ehemaligen Wuppertaler Kino ihre Choreografie Walzer ein. Der Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn beobachtet die Proben. „Am Anfang gibt die Choreographin Pina Bausch einige Stichworte, zu denen die Tänzer Assoziationen entwickeln. Sie probieren zum Beispiel das Weinen und Lachen, schieben einen Walzer im Sitzen und markieren unleidliche Kinder. Die Kamera folgt diesem Übungslauf. Sie registriert Schritte, Haltungen und Gesten, die die Choreographin verbessert, aufzeichnet oder verwirft.“ (Joachim Stosch, F.A.Z., 8.3.1983). In dieser Arbeitsweise entdeckt Wildenhahn Prinzipien, die auch seiner Filmarbeit zugrunde liegen: „Die Bereitschaft, etwas [in den Film] mithineinzunehmen, ergibt sich aus dem Gefühl für die Komplexität der Ereignisse und aus unserer Art des Zuhörens. Mir war von vornherein klar, dass ich nicht nur einen Film über Pina Bausch machen wollte, und hab es ihr von Anfang an gesagt. Die Proben konnten nicht das einzige Sujet sein, aber was dazukommen würde, wusste ich noch nicht. Pina hat das akzeptiert“. Hineingenommen wurden die Stadt Wuppertal und die Menschen, die dort leben oder, wie die Dichterin Else Lasker-Schüler, dort geboren wurden; aber auch der in jener Zeit verstorbene Schriftsteller Peter Weiss, an den eine Fernsehsendung erinnert: Menschen und Ereignisse, die zunächst nichts mit dem Tanztheater der Pina Bausch zu tun haben. (jg)
am 9.9.2010 um 20.00 Uhr
KUNST DES DOKUMENTS – BALLETT
Rhythm Is It!
D 2004, R: Thomas Grube, Enrique Sánchez Lansch, K: René Dame, Marcus Winterbauer, 100’ 35 mm
Rhythm Is It ! begleitet die Probearbeiten eines ungewöhnlichen, von Simon Rattle initiierten Tanztheater-Projekts: Strawinskys Le Sacre du Printemps wird von etwa 250 Kindern, die zwischen 11 und 17 Jahre alt sind, 25 verschiedenen Nationen angehören und an fünf Berliner Grund- und Oberschulen lernen, unter Leitung des englischen Choreografen Royston Maldoom einstudiert. Jörg Gerle schreibt begeistert im FILM-Dienst (19/2004): „Rhythm Is It! verfolgt diesen unglaublichen Prozess der Entstehung eines Kunstwerkes. Dank der dezenten Kamera wird der Zuschauer in ein Ereignis hereingezogen, das aufgrund seiner Rahmenbedingungen eigentlich hätte Schiffbruch erleiden müssen. (…) Sowohl Rattle als auch die Regisseure des mitreißenden Dokumentarfilms haben viel gewagt und ganz offensichtlich gewonnen – die steigende Begeisterung überträgt sich durch den Film direkt aufs Publikum, das in einem beispielhaften kreativen Prozess zum Komplizen wird“. Die beiden Filmemacher Thomas Grube und Enrique Sánchez Lansch bekennen: „Wir glauben an die Zukunft des Musikfilms, der nicht nur schöne Musik illustriert, sondern emotionale Geschichten erzählt – über Musik und was sie den Menschen bedeuten kann“. Rhythm Is It! erhielt 2005 den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Bester Dokumentarfilm. (jg)
am 30.9.2010 um 20.00 Uhr
KUNST DES DOKUMENTS – BALLETT
Meshes of the Afternoon
USA 1943, R: Maya Deren, Alexander Hammid, M: Teiji Ito, 14’ 16 mm, Tonfassung von 1959
At Land
USA 1944, R: Maya Deren, 15’ 16 mm, stumm, OF
A Study in Choreography for Camera
USA 1945, R: Maya Deren, 4’ 16 mm, stumm, OF
Ritual in Transfigured Time
USA 1946, R: Maya Deren, 15’ 16 mm, stumm, OF
Meditation on Violence
USA 1948, R: Maya Deren, 12’ 16 mm, OF
The Very Eye of Night
USA 1959, R: Maya Deren, M: Teiji Ito, 15’ 16 mm, OF
Filme wie Tänze, Film-Tanz, choreografierte Zeit, voller Bewegungen und Magie. 1942 realisieren die in Kiew geborene amerikanische Künstlerin Maya Deren und der aus Prag emigrierte tschechische Regisseur und Kameramann Alexander Hammid den avantgardistischen Kurzfilm Meshes of the Afternoon: surrealistische Erinnerungsbilder und Fantasien, alptraumtänzerisch zu dunklen Assoziationsketten verwebt. In At Land inszeniert sich Maya Deren selbst als schaumgeborene Aphrodite bei einem Ausflug in unsere rätselhafte Welt. Mit A Study in Choreography for Camera mit Talley Beatty als Tänzer grenzt sie sich 1946 von den herkömmlichen Tanzfilmen ab: „In diesem Film dagegen wird der kinematografische Raum – die ganze Welt – vielmehr selbst zu einem aktiven Element des Tanzes (...). Und durch Zusammenarbeit teilt sich der Tänzer mit Kamera und Schnitt die Verantwortung für die Bewegung selbst. Daraus erfolgt ein Film-Tanz, der nur im Film aufgeführt werden kann.“ (Maya Deren). Meditation on Violence beruht auf den traditionellen, metaphysisch begründeten Kampffiguren der chinesischen Wu Tang Boxschule. The Very Eye of Night entsteht zusammen mit der Metropolitan Opera Ballet School und dem Choreografen Antony Tudor: „Das Thema dieses Films ist das Innere Universum des Menschen, in das er eintritt, wenn er einschläft.“ (Maya Deren). Die Bewegungen der Tänzer und die der Handkamera wurden gemeinsam entworfen: Ballett und Film reichen sich die Hand. (jg)
am 28.10.2010 um 20.00 Uhr
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